Heft 1/2012, Madagaskar

Anhaltende Stromkrise

In Antananarivo, der Hauptstadt Madagaskars, sind Stromausfälle in den meisten Stadtteilen an der Tagesordnung. Durchschnittlich dauern sie sechs Stunden pro Tag. Eine traurige Realität, die das Wirtschaftsleben der Mehrheit der madagassischen Bevölkerung beeinträchtigt.

Von Yanne Nobiniaina Lomelle

Nicht nur die Menschen in Antananarivo sind von Stromausfällen betroffen, die Bewohner aller größeren Städte Madagaskars müssen sich mit dieser ungewöhnlich hohen Häufigkeit von Phasen ohne Strom auseinandersetzen. Gleichzeitig setzt sich die madagassische Agentur für ländliche Elektrizitätsentwicklung (Agence pour le Développement de l'Electrification Rurale, ADER) für die Einführung von Strom in ruralen Gebieten des Inselstaates ein. Die von ADER initiierten Projekte fokussieren sich auf erneuerbare Energien, was die Bevölkerung in diesen Gebieten vor häufigen Stromausfällen schützt. Doppelte Standards also, eine Realität, die in den Augen der breiten Bevölkerung eher einer Fiktion gleicht.

Topographie der Elektrifizierung in Madagaskar

Die nationale Gesellschaft für Stromerzeugung und -verteilung „Jirama" wurde im Oktober 1975 gegründet und entstand aus der Fusion zweier Gesellschaften: der Madagassischen Gesellschaft für Wasser und Elektrizität (Société Malagasy des Eaux et Electricité, SMEE) und der Energiegesellschaft Madagaskars (Société des Energies de Madagascar, SEM).

Der madagassische Staat ist alleiniger Eigentümer von Jirama, die dem allgemeinen Recht der Aktiengesellschaften unterliegt. Ihre Aufgabe besteht in der Erzeugung, Übertragung und Verteilung von Strom in Madagaskar, und sie stellt auch die Trinkwasserversorgung des Landes sicher. Sie gewährleistet somit fast die gesamte öffentliche Wasser- und Stromversorgung.

Seit der Einführung der öffentlich-privaten Partnerschaft im Energiesektor kann die Jirama als zentraler Einkäufer von elektrischer Energie agieren. Die Elektrizitätsgesellschaft hat somit nicht mehr das Monopol auf die Stromerzeugung, bis zum Ende des Konzessionsvertrags jedoch das für die Stromübertragung und -verteilung. Jirama fungiert auch als Betreiberin im Rahmen von Planungs-, Bau- und Finanzierungsmechanismen. Eine Kombination, die im privaten Sektor nicht immer von Vorteil ist. „Die Jirama ist nicht immer ein guter Zahler und das kann uns in der Entwicklung unserer Aktivitäten bremsen", sagt der Chef einer Firma, die im madagassischen Energiesektor tätig ist. Die Organisation ist dem Ministerium für Energie und Kohlenwasserstoffe unterstellt.

Umgekehrte Realität

Seit Mai 2023, als die Stromausfälle auf der großen Insel wieder häufiger auftraten, hat die madagassische Stromgesellschaft Jirama immer wieder vielfältige sowie schwer nachvollziehbare Gründe angeführt, um die Stromausfälle zu erklären. Von technischen Pannen, über einen zu niedrigen Wasserstand, um die Versorgung zu gewährleisten, bis hin zu Wartungsarbeiten – freilich mangelt es dem „Community Manager" dieser Gesellschaft nicht an Fantasie. Einmal nutzte Jirama sogar die Ausrede, dass eine Vogelschar die Stromleitungen bewegt und so einen Stromausfall verursacht habe. Diese Ausrede hielt jedoch nur einen Tag lang. Denn am darauffolgenden musste ein anderer Vorwand gefunden werden, um die Unruhen zu beschwichtigen.

Obwohl die Bevölkerung die konstruierten Entschuldigungen von Jirama schluckt, kennt jede:r in Madagaskar die Gründe für diese Stromausfälle: Es fehlt an Brennstoff, um die Wärmekraftwerke zu betreiben, die die meisten der sechs ehemaligen Provinzhauptstädte Madagaskars versorgen. Eine absurde Situation, da die große Insel über eine unerschöpfliche Quelle erneuerbarer Energie verfügt, die nur darauf wartet, erschlossen zu werden. Wir sprechen hier von einer Leistung von mehr als 7.000 MGWT an Wasserkraftpotenzial, von denen nur 250 MGWT mit Anlagen ausgestattet sind. Und während in den großen Städten die Kraftwerke noch thermisch betrieben werden, beginnt sich die Situation in den ländlichen Gebieten zu ändern. Ein Schritt in die richtige Richtung.

Situation in den Großstädten

Um den Missbrauch von Wärmekraftwerken in Großstädten zu veranschaulichen, betrachten wir die Hauptstadt von Madagaskar. Das Stromnetz RIA (Réseau Interconnecte d'Antananarivo), das die Stadt Antananarivo mit Strom versorgt, wird von drei Wärmekraftwerken gespeist. Das Kraftwerk Mandroseza erzeugt 40 MW, das zweite ist das Wärmekraftwerk Aksaf Power mit einer Energieproduktionskapazität von 60 MW und das dritte das Wärmekraftwerk Jovena in Ambohimanambola. Letzteres entstand dank einer öffentlich-privaten Partnerschaft zwischen dem Energieministerium, der Jirama und der Axian-Gruppe über ihre Tochtergesellschaft Jovena. Das Wärmekraftwerk Jovena Ambohimanambola ist mit zwei Turbinen ausgestattet, die eine Leistung von 48 MW bzw. 28 MW erzeugen.

Während die meisten Großstädte Madagaskars ohne eine andere Alternative mit Stromausfällen leben müssen, gibt es in den Städten Toamasina und Antananarivo einen Hoffnungsschimmer dank der Unterzeichnung eines Stromkonzessionsvertrags mit dem Unternehmen CGHV, die am 26. Mai 2023 bei einer Zeremonie in Iavoloha für die Umsetzung des Projekts Volobe Amont vorgenommen wurde.

Bei diesem Projekt geht es um die Errichtung eines Wasserkraftwerks am Terminal des Flusses Ivondro, der sich in der Region Atsinanana, 40 km von Toamasina entfernt, befindet. Das Projekt wird aus den folgenden Hauptinfrastrukturen bestehen: ein 25 m hoher und 300 m breiter Staudamm; ein 6,5 km langer unterirdischer Stollen; ein unterirdisches Kraftwerk, das aus 6 Turbinen mit je 20 MW besteht, und ein 660 ha großer See mit einem Volumen von 15 Mio. Kubikmetern. Dieser mittelgroße Staudamm wird bei einer installierten Leistung von 120 MW eine Strommenge von 750 GWh/Jahr erzeugen, was 40 Prozent des jährlichen nationalen Verbrauchs und 30 Prozent der installierten nationalen Leistung entspricht. Davon könnten 360.000 zusätzlich zu elektrifizierende Haushalte und zwei Mio. Nutznießer profitieren. Da der Strom in die Hauptstadt Madagaskars transportiert würde, hätte nicht nur die Stadt Toamasina einen Nutzen davon.

Das Wasserkraftpotenzial Madagaskars ist schon lange bekannt, doch die nationale Elektrizitätsgesellschaft Jirama und das Ministerium haben es seit Andekaleka nie geschafft, weitere Projekte in Angriff zu nehmen. Dafür gibt es verschiedene Gründe, unter anderem das Fehlen eines Budgets und die politische Instabilität Madagaskars.

Öffentlich-private Partnerschaft

Der vom madagassischen Staat initiierte und in Form von Public Private Partnership (PPP) entwickelte Plan de Développement à Moindre Coût (PDMC) hat Investitionen in den Energiesektor ermöglicht, der eine sehr hohe Investition und ein langfristiges Engagement erfordert. Diese Formel ermöglicht es dem Staat, den öffentlichen Fonds für andere Bereiche wie Gesundheit und Kultur zu erhalten. In den Jahren 2013-2014 hat der Staat den rechtlichen Hintergrund für PPP geschaffen. Im Jahr 2016 wurde mit der Unterzeichnung einer Partnerschaftsvereinbarung zwischen dem Energieministerium und dem Unternehmen CGHV für die Entwicklung des Volobe-Projekts die öffentlich-private Partnerschaft im Energiesektor konkretisiert.

Projekte in letzterem sind sehr kapitalintensiv. Es müssen Entwicklungsbanken gefunden werden, die die Finanzierung der Vorhaben ermöglichen. Um zu verhindern, dass die Stromkosten zu stark ansteigen, strecken die Banken die Schulden auf 20 bis 30 Jahre. Nur Entwicklungsbanken können Kredite mit dieser Laufzeit vergeben, vor allem für Länder wie Madagaskar, die zu politischer Instabilität neigen. Das Projekt Volobe Amont hätte ursprünglich in diesem Jahr in Betrieb genommen werden sollen, doch nach neuesten Informationen wird das Wasserkraftwerk erst im Jahr 2028 Strom produzieren können.

„Wir haben wertvolle Jahre durch Verhandlungen verloren, die sich in die Länge gezogen haben. Und Projekte, die sich in die Länge ziehen, sind Projekte, die verkümmern", so der CEO des CGHV. Die Erfahrungen mit dem Projekt Volobe Amont haben die Nachteile einer öffentlich-privaten Partnerschaft deutlich gemacht. „Um das Volobe-Amont-Projekt zu bewältigen, müssen wir mit acht Ministerien zusammenarbeiten, nämlich denen für Finanzen, Umwelt, öffentliche Arbeiten, Raumplanung, Wasser, Arbeit, technische Bildung und Berufsausbildung, und diese Ministerien kommunizieren nicht miteinander. Außerdem müssen wir aufgrund häufiger Regierungsumbildungen jedes Mal zurückstecken, wenn ein neuer Minister ernannt wird", so der CEO von CGHV.

Auf jeden Fall hat diese Erfahrung mit der Firma CGHV den madagassischen Behörden ermöglicht, ihre Mängel zu erkennen und sie für die Entwicklung weiterer öffentlich-privater Partnerschaften in der Zukunft zu verbessern. Eine unvermeidliche Situation, wenn Madagaskar seine Energieentwicklung unterstützen will.

Privilegierte ländliche Gebiete

Seit der Liberalisierung des Energiesektors stieg die Elektrifizierungsrate im Zuge der Schaffung von Institutionen, die den Privatsektor bei seinen Investitionen unterstützen, stetig an. Seit 2004, dem Jahr, in dem ADER (Agence pour le Développement de l'Electrification Rurale) ihre Arbeit aufnahm, hat die ländliche Elektrifizierung an Fahrt aufgenommen.

Während 2004 nur 165.000 Menschen in ländlichen Gebieten mit Strom versorgt wurden, sind es heute 3.524.690 Menschen in 50 Dörfern, was 15,1 Prozent der ländlichen Bevölkerung entspricht. Dieses Ergebnis wäre ohne die aktive Partnerschaft mit dem Privatsektor nicht zustande gekommen. Zwischen 2005 und 2022 stieg der Anteil der ländlichen Elektrifizierung von 6,1 Prozent auf 15,1 Prozent. Ein echter Sprung nach vorn.

„Der Sektor macht Fortschritte, aber leider nicht schnell genug", sagt Carlo Miro, Leiter der GIZ in Madagaskar. Die ländliche Elektrifizierungsrate liegt derzeit bei 10 bis 15 Prozent und die bisher entwickelten Projekte reichen gerade aus, um diese Rate zu halten. Es gibt mehrere Faktoren, die berücksichtigt werden müssen, wenn man eine Erhöhung der Rate erreichen will, insbesondere die große Anzahl von Menschen, die in ländlichen Gebieten leben, und die Bedeutung der demografischen Entwicklung.

ADER wollte in seiner Prognose bis Ende 2023 einen Anteil von 30 Prozent der Bevölkerung in ländlichen Gebieten mit Strom versorgen. Dieses Ergebnis wird in diesem Jahr nicht erreicht werden, aber die Agentur arbeitet unermüdlich daran. Die Entwicklung der ländlichen Elektrifizierung durch eine aktive Zusammenarbeit mit dem Privatsektor lässt darauf schließen, dass die öffentlich-private Formel im Energiesektor funktionieren kann. Im Falle Madagaskars ist jedoch eine umfassende Umstrukturierung des staatlichen Unternehmens Jirama erforderlich, um private Investoren anzuziehen, die sich nicht gerne von Nachlässigkeiten und unregelmäßigen Zahlungen abhalten lassen.

Mamisoa Rakotoarimanana, der Exekutivsekretär von ADER, hob einige Punkte hervor, die die ländliche Elektrifizierung auf der großen Insel bremsen, unter anderem den Mangel an Personal und finanziellen Ressourcen seiner Agentur. Als technischer Partner wies Carlo Miro darauf hin, dass die Kapazitäten von Agenturen wie ADER und ORE gestärkt und die Errungenschaften Madagaskars im Bereich der erneuerbaren Energien besser kommuniziert werden müssten. Die nationale Statistik weist für 2023 einen Anteil von 75 Prozent erneuerbarer Energien an der ländlichen Elektrifizierung aus.

Wie steht es um die Privatisierung des Energiesektors?

Während vor einigen Jahren die Privatisierung des Energiesektors den Großteil der madagassischen Bevölkerung erschreckte, ist es heute eine Lösung, die viele Madagass:innen angesichts der von der nationalen Elektrizitätsgesellschaft angebotenen Dienstleistungen in Betracht zu ziehen beginnen. Der Widerstand der Bevölkerung erklärt sich durch die Angst vor höheren Strompreisen im Falle einer Privatisierung. Eine Sorge, die durch die Erfahrungen mit ADER hinfällig geworden ist.

ADER hat tatsächlich die Aufgabe, bei seinen Schritten eine Form von Inklusion und Fairness zu gewährleisten. So sollen zwar Gebiete mit hohem Wirtschaftspotenzial bevorzugt werden, andere Ortschaften bleiben jedoch nicht unberücksichtigt. „Unsere Aufgabe ist es, eine Studie über die tatsächlichen Kosten zu erstellen, damit die Betreiber die Situation kennen und die Preise an die Realität vor Ort anpassen können", erklärt der Exekutivsekretär von ADER.

Derzeit bevorzugen viele Betreiber Prepaid-Zähler. Dies kommt den Verbraucher:innen entgegen, da sie den Strom nach ihren Bedürfnissen verbrauchen können. „Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass die öffentlich-private Partnerschaft, wenn sie reguliert ist, für beide Seiten von Vorteil sein kann", so der Exekutivsekretär von ADER.

Yanne Nobiniaina Lomelle arbeitet als freie Journalistin in Madagaskar.