IM MAI WIRD IN SÜDAFRIKA GEWÄHLT. Hat die Mehrheit, haben die Armen im Lande eine Wahl? Diese Frage ist auf den ersten Blick lächerlich. Jede Abstimmung bietet eine Wahl für alle, die daran teilnehmen. Eine Wahl ist ein wesentliches Instrument für die Bürger und Bürgerinnen, die interessiert sind an Entscheidungen, die sie betreffen. Das gilt vor allem für jene, die in Armut leben, die sonst kaum Gehör finden. Das Klischee „Demokratie kann man nicht essen“ ignoriert, dass viele auf der Welt noch weniger zu essen hätten, wenn sie kein Wahlrecht hätten.
Doch das Wahlrecht ist keine Automatik. Lediglich in bestimmten Situationen öffnet sich für die Armen die Chance, ihrer Stimme Gewicht zu geben. Das zeigt sich gerade in Südafrika, wo für Anfang Mai Wahlen anstehen. Hier haben die Armen kaum eine Chance, ihre Stimme effektiv in die Waagschale zu werfen. Es ist eine einzige Partei, die alle Felder dominiert: der ANC.
Dass eine einzige Partei so konkurrenzlos in allen Bezirken, auch in denen der armen Bevölkerung, ist, beschränkt ihre Stimmen in mancherlei Hinsicht. Während die Mittelklasse in einem Umfeld lebt, in dem die Menschen offen sprechen und sich frei organisieren können, haben die Armen solche Vorteile nicht. In den meisten Armenvierteln haben die lokalen Politiker das Sagen und beißen jeden Konkurrenten in ihrer Nachbarschaft weg. Damit wird es schwierig, sich bürgerschaftlich zu organisieren und auf politische Parteien einzuwirken.
Hinzu kommt, dass die Armen zwar eine Stimme haben, aber ihr selten ein Gewicht verleihen. Wird das diesmal anders sein? Ja, aber nicht in ausreichendem Maße. Die Wahlen in diesem Jahr dürften dürften wohl die umkämpftesten der jungen Demokratie Südafrikas werden. Der regierende ANC sieht sich mit erheblicher Unzufriedenheit konfrontiert. Was die arme Bevölkerung betrifft, sie sieht sich heute von allen Parteien umworben. Die Demokratische Allianz (DA) geht bereits gezielt in manchen Armenvierteln Klinkenputzen. Auch die neuen Parteien haben diese Wählerschicht entdeckt, auch wenn sie ihre Möglichkeiten deutlich überschätzen. Die arme Bevölkerung wiederum beginnt zu erkennen, dass ihre Stimme gehört wird; das zeigen Wahlverluste ces ANC bei Nachwahlen.
Und vor allem ist dem ANC bewusst geworden, dass er sich um Stimmen bemühen muss. Im vergangenen Jahr schickte er seinen Parlamentariern ein Rundschreiben, in dem diese aufgefordert wurden, im Vorfeld der Wahlen nur solche Gesetze durchzulassen, die auf eine breite Zustimmung rechnen können. Das ist in Demokratien normal, doch es ist neu für den ANC, der bisher darauf keine Rücksicht nehmen musste.
Dass sich der ANC dazu gezwungen sieht, eröffnet den Armen größere Einflussmöglichkeiten und mehr Nachdruck auf Forderungen nach besserer Regierungsführung und einen Politikwechsel. Doch ein solcher Wechsel wird nur begrenzt ausfallen:
Zum einen gibt es deutliche Zeichen, dass der ANC in den Townships auf nicht so große Ablehnung stößt, wie von den Medien suggeriert wird. Die DA, die anfangs ein Wahlziel von 30 Prozent deklamiert hat, hat ihre Erwartungen zurückgeschraubt. Auch die neuen Parteien dürfen kaum mit großen Gewinnen rechnen. Die Agang von Frau Ramphele hat nie recht Fuß fassen können und an Zustimmung verloren, als sie sich kurzzeitig auf ein Zusammengehen mit der DA eingelassen hat. Und die viel zitierte EEF (Economic Freedom Fighters) ist zwar geschickt darin, sich an Proteste anzuhängen, die sie nicht organisiert hat. Sie muss erst noch zeigen, dass sie in nennenswertem Umfang unter den Armen und nicht nur unter der ambitionierten Mittelklasse organisiert ist.
Zum zweiten hat die größere Konkurrenz unter den Parteien auch den Konflikt zwischen ihnen angeheizt. Seit sich Konkurrenten im Hinterhof der dominanten Partei zu tummeln beginnen, gebrauchen die lokalen Matadore immer robuster ihre Ellenbogen. Auch dadurch geraten die Armen zwischen die Fronten.
Zum dritten sind die Unterschiede zwischen den Parteien nicht so gravierend, dass sie den nicht Privilegierten eine Alternative bieten. Deshalb werden sie ihre Stimmen auf die Parteien verteilen.
Entscheidend ist jedoch, dass die Armen aus der politischen Gemengelage einen Vorteil ziehen können, wenn sie organisiert sind. Hier zeigt sich ihre Schwäche. Die aktuelle Prostestwelle bezeugt zwar ihren Unmut, aber auch eine mangelnde Organisation. Sie haben ihren Protest und ihre Forderungen bisher nicht bündeln können, um gezielt Einfluss nehmen zu können. Die Schwächung der dominanten Partei öffnet zwar Freiräume, aber einer kräftigen Organisation stehen noch manche Hindernisse im Weg, und der Prozess wird nicht einfach sein.
Eine jüngste Entwicklung jedoch deutet an, dass diese Wahl die letzte mit kaum erkennbaren Alternativen sein könnte. Die Metallergewerkschaft Numsa, die größte im Gewerkschaftsverband Cosatu, hat wegen dessen unkritischer Haltung zum ANC und zur Dreierallianz ihre Mitgliedschaft aufgekündigt. Sie plant eine neue soziale Bewegung für die Arbeiter und alle Unterprivilegierten aufzubauen. Das könnte der Organisierung dieser Gruppe Aufschwung verleihen. Sollte daraus eine Partei entstehen, dann könnte sich das politische Spielfeld in Südafrika gründlich ändern.
Die diesjährige Wahl bietet der Mehrheit der Bevölkerung nur wenig Alternativen. Jedenfalls nicht genug, um ihren Einfluss auf die politische Entscheidungsfindung zu erhöhen.
Steven Friedman, Direktor des Zentrums für Demokratiestudien SACSIS, 13.2.2014