Heft 1/2016, Südafrika: Literatur

Way Back Home

DIE LAST DER VERGANGENHEIT UND KORRUPTION IM ROMAN. Mit dem Buch „Way Back Home" hat der südafrikanische Schriftsteller Niq Mhlongo seinen dritten Roman veröffentlicht. Darin taucht er in die jüngste Vergangenheit Südafrikas ein und kritisiert sowohl das Schweigen um Folter in ehemaligen Ausbildungslagern des ANC als auch die ausufernde Korruption in der Kaprepublik. Manfred Loimeier sprach für „afrika süd" mit Niq Mhlongo.

 

Herr Mhlongo, Ihr Roman „Way Back Home" berührt ein sehr sensibles Problem. Was hat Sie dazu veranlasst?
Ich denke, der wichtigste Aspekt ist die Korruption im Land sowie die Desillusionierung darüber. Vor allem, weil die meisten derjenigen, die korrupt sind, einst im Exil waren und für die Befreiung der Südafrikaner gekämpft haben. Zugleich gibt es eine neue Form von Unfreiheit und Ausbeutung der Südafrikaner, indem die Kluft immer größer wird zwischen den wenigen, die die Produktionsmittel besitzen, und der Mehrheit der Besitzlosen. Die Frage also ist, wer von dieser Freiheit profitiert. Umso mehr, als die Jugend überwiegend vernachlässigt wird und wir ein hohes Maß an Arbeitslosigkeit haben. Derzeit sind 25 Prozent aller Südafrikaner arbeitslos, die Jugendarbeitslosigkeit liegt weitaus höher. Daher scheint es, als würden die Personen, die für die Freiheit Südafrikas kämpften, das Land und die Jugendlichen massiv betrügen – als würden sie die Grundlagen der Freiheitscharta verraten, die sie vor über 50 Jahren schufen und wofür wir sie gewählt haben. Deshalb entschloss ich mich, darüber zu schreiben. Denn wir brauchen Leute, die sich dem Land gegenüber viel deutlicher verpflichtet fühlen.

 

Ihr Buch thematisiert das Tabu der Folter und Misshandlungen in den ANC-Lagern während des Freiheitskampfes.
Ja, das ist das Thema, worüber tatsächlich nicht gesprochen wird. Und warum ist es ein Tabu? Weil die heute regierende Partei bei manchen dieser gewaltsamen Übergriffe mitwirkte und nicht möchte, dass die Leute erfahren, was damals in diesen Lagern geschah, zumal das ihre Legitimierung infrage stellen könnte. Mir ging es aber darum, die Dinge zu zeigen, die damals, während des Höhepunkts der Apartheid und des Exilkampfs, passierten. Denn vielleicht bedürfen die Menschen, die uns regieren, auch eines Heilungsprozesses, denn sie sind von diesen Dingen berührt, selbst wenn sie vorgeben, es nicht zu sein.


Wenn Sie sehen, wie die Regierung anordnete, die Minenarbeiter beim Marikana-Massaker im August 2012 zu töten, dann steht das in der Folge dessen, was damals mancherorts geschah. Wir sollten in die Vergangenheit zurückblicken und dies mit der Gegenwart einer traumatisierten Gesellschaft und der Korruption verknüpfen. Das alles hat nicht aufgehört, nur weil diese Leute jetzt regieren. Die gewaltsamen Erlebnisse haben sich in die Köpfe der Menschen eingegraben und sie traumatisiert – so weit, dass sie nicht sehen, dass sie Hilfe brauchen. Das habe ich zu zeigen versucht.

 

Das Buch lässt sich also als Parabel der Gesellschaft Südafrikas lesen? In dem Sinne, dass sich die Menschen mit ihrer Vergangenheit beschäftigen müssen, denn sonst wird es keine Befreiung von ihr geben?
Ja! Deshalb verlaufen die Erzählstränge parallel: Einerseits sind sie in der Vergangenheit, andererseits in der Korruption der Gegenwart angesiedelt. Ich wollte zeigen, wie sehr wir eine verletzte Gesellschaft sind. Vielleicht sehen wir es nicht, aber als verletzte Gesellschaft bedürfen wir der Heilung. Wir haben das mit der Wahrheits- und Versöhnungskommission versucht. Es hat nicht funktioniert, vielleicht, weil sie zu früh – sofort zu Beginn der Demokratisierung – zu arbeiten begann. Es war eine schöne Vision, aber möglicherweise ging das damals zu schnell – und vielleicht kam die Aufarbeitung auch deshalb so schnell zum Erliegen. Aber weil die Auseinandersetzung mit der gewaltsamen Vergangenheit so schnell vorüber war, hinterließ sie ein Vakuum im Heilungsprozess Südafrikas. Wir haben keine Therapie, also wir wissen nicht, was wir aus der Vergangenheit lernen und was wir davon vergessen können. Das bedeutet: Unsere Gesellschaft ist nach wie vor nicht geheilt.


Deshalb ist Kimathi, die Hauptfigur meines Buchs, eine Metapher der Gesellschaft. Er ist eine Person, die gemessen an südafrikanischen Verhältnissen relativ reich ist, denn er verfügt über alle erforderlichen Kontakte und Netzwerke. Er lebt in einem vornehmen Vorort, fährt teure Autos, ist aber mental nicht frei und geheilt. Deshalb wird er vom Geist der Vergangenheit heimgesucht. Er mag gesund und zufrieden wirken, aber in seinem Inneren wird er gequält. Und das reflektiert, wie es in der Gesellschaft selbst aussieht.

 

Kimathis Name bedeutet etwas Besonderes?
Mit Kimathis Namen spiele ich auf anti-koloniale Befreiungsbewegungen in anderen Teilen Afrikas an. Kimathi war ein bedeutender Freiheitskämpfer in Kenia, in Nairobi steht ein Denkmal für ihn. Er war ein berühmter Gikuyu-Held, denn er wollte sein Land verteidigen und kämpfte gegen die britische Kolonialmacht. Mein Held im Roman ist nach diesem Kimathi benannt. Aber wenn Sie schauen, wofür der neue Kimathi kämpft – die Handlung spielt in den 1980er und 2000er Jahren –, dann sehen Sie: Er setzt sich nicht mehr für das Land ein. Er hat den wahren Kampf verlassen. Er ist ein Spiegel dessen, was die Regierung in Südafrika gerade macht. Sie hat die Ziele, für die zu kämpfen sie vorgab, aufgegeben.


Als die Menschen damals ins Exil gingen, wollten sie das Ende der Apartheid, ein freies Land und Gerechtigkeit, etwa bei Landrechten. Aber als sie aus dem Exil zurückkehrten, bestand ihr Verrat darin, dass Land kein Thema mehr war. Zudem bestand der Kampf plötzlich nur noch darin, den eigenen Magen zu füllen. Auch das war eine Form von Verrat. Kimathis korruptes Verhalten spiegelt wider, was die Regierung gerade macht.


Dieser Verrat setzte gleich zu Beginn unserer Demokratisierung 1994 ein. Sogar schon zu Zeiten Mandelas gab es Korruption, aber die Leute dachten, das würde sich ändern, denn alle wussten, welch hohe moralische Ansprüche er hatte. Aber die Personen, mit denen er arbeitete, waren sehr korrupt. Und deshalb haben viele Menschen heute keine Geduld mehr. Sie sagen, Ihr seid seit 1994 an der Regierung, und was habt ihr gemacht? Ihr habt uns Häuser und Land versprochen, kostenlose Schulbildung. Johannesburg ist bildlich gesprochen auf Gold gebaut. Südafrika ist einer der größten Goldförderer der Welt.


Wenn wir unser Bildungssystem verbessern, würden wir der Gesellschaft ermöglichen, initiativ zu werden und nicht mehr darauf angewiesen sein, die Rohstoffe nach Europa zu liefern, sondern wir könnten selbst produzieren und exportieren. Stattdessen sind die Leute, die unseren Staat lenken, korrupt und viel zu sehr daran interessiert, sich selbst zu bereichern. Das ist Verrat am Befreiungskampf.

 

Ihr Buch spielt aber nicht nur auf einer realistischen, sondern auch auf einer magischen Ebene. Warum?
Die magische Ebene repräsentiert den traditionellen Glauben. Ich romantisiere afrikanische Kulturen und Traditionen nicht, aber meines Erachtens gibt es einige Elemente, die dazu beitragen können, eine Gesellschaft zu formen, die derzeit noch geteilt ist. Mit der Magie wollte ich vor allem die Bedeutung von Heilung in der afrikanischen Tradition betonen. Gemäß des traditionellen Glaubens sind wir unseren Vorfahren sehr nah. Wenn jemand stirbt, muss der oder die Tote mit den Vorfahren in Verbindung treten, damit auch er oder sie ein Ahn werden und uns leiten kann. Wenn also jemand stirbt, müssen wir dafür Sorge tragen, dass seine oder ihre Reise ins Jenseits vollkommen gelingt. Wir müssen auf Rituale achten, dadurch helfen wir dieser Person, die Vorfahren zu erreichen. Wenn wir das nicht tun, heißt das: Unglück wird über uns herrschen, sei es in einem Haushalt, einer Familie oder in einem Land. Das wollte ich erklären. Unglück folgt daraus, was in der Vergangenheit getan wurde und wie wir uns in der Gegenwart verhalten.


Was sehen wir momentan in Südafrika? Die Menschen streiken täglich. Partys, die bisher als typisch weiß galten, werden jetzt von Schwarzen gefeiert. Es gibt Brüche in der regierenden Partei. Das sind Anzeichen dafür, dass wir das Richtige tun müssen. Und wann immer etwas nicht richtig erledigt wird – etwa den Menschen Häuser zu bauen, Versprechungen einzulösen –, dann wird man die Macht verlieren. Dann wird das nicht mehr der ANC Mandelas sein, dann wird das zu einem moralischen Verfall führen.

 

Sie arbeiten auch mit Anspielungen auf Literatur und Musik, etwa auf „The Beautiful Ones Are Not Yet Born". Ist das ein Motto für Ihre Helden?
Das ist definitiv so. Noch bevor ich zur Universität ging, las ich das Buch „Die Schönen sind noch nicht geboren" von Ayi Kwei Armah aus Ghana. In dem Roman gibt es eine Figur, die inmitten der Korruption ehrlich bleiben will und deshalb als verrückt betrachtet wird. Meine Frage ist, ob es möglich ist, Charakter und Persönlichkeit zu haben in einer Gesellschaft, die absolut gegen die Moralität verstößt, wie in Südafrika.

 

Niq Mhlongo wurde 1973 in Soweto geboren. An der University of the Witwatersrand studierte er Politik und Literaturwissenschaften. Seine Roman Way Back Home erschien 2015 in deutscher Übersetzung im Wunderhorn Verlag, Heidelberg.
Manfred Loimeier ist Literaturwissenschaftler, Autor, Übersetzer und Journalist.