Heft 1/2018, Südafrika

Neuanfang mit Ramaphosa?

CYRIL RAMAPHOSA IST NEUER ANC-PRÄSIDENT. Seine Wahl auf dem ANC-Parteitag im Dezember 2017 hat noch nicht zum Rückzug Jacob Zumas als Staatspräsident geführt. Doch Ramaphosa hat einige Befugnisse übernommen, um die Geschicke im Staat zu lenken und nicht von den Launen Zumas abhängig zu sein. Es bleibt unklar, wie und wann Zuma geht. Ramaphosas Verpflichtung, Zumas Würde zu respektieren, setzt ihm Grenzen auf.

Die Wahl von Cyril Ramaphosa zum ANC-Präsidenten im Dezember löste im ANC, in der Wirtschaft und in den Medien viel Euphorie oder vorsichtigen Optimismus aus. Aber darüber hinaus gab es Hoffnung, dies sei ein definitiver Schritt zur Beendigung des Mehltaus des „Zumaismus", der sich über die südafrikanische Landschaft gelegt hat und der von verschiedenen Schichten und Klassen in unterschiedlicher Ausprägung erlebt wurde.

Cyril Ramaphosa wurde zwar von Delegierten des ANC-Parteitags gewählt. Doch auch außerhalb dieser Konferenz hofften viele, er würde Nkosazana Dlamini Zuma besiegen, weil man ihm zutraut, die Abkehr von Jacob Zumas Herrschaft einzuleiten, nicht nur im ANC, sondern auch den Staat betreffend.

Einige Institutionen des Staates haben ihre Unabhängigkeit verloren, sie werden von der Gupta-Familie kontrolliert. Die Unternehmerfamilie hatte sich Amtsinhaber gefügig gemacht und konnte damit Ergebnisse diktieren, die eigentlich von staatlichen Stellen im Interesse des Staates im Namen der Bevölkerung Südafrikas beschlossen werden sollten. Dieses Machtgefüge führte bekanntlich dazu, dass Gelder von staatlichen Stellen illegal zugunsten der Gupta-Familie umgeleitet wurden. Die Guptas wurden am Gesetz vorbei mit Informationen über Entscheidungsprozesse versorgt, womit sie auf Ernennungen und Beschaffungsmaßnahmen Einfluss nehmen konnten, die ihnen und ihren Gehilfen zugutekamen.

Eine der berüchtigtsten Folgen dieses „stillen Coups" von Zuma und den Guptas war die Beteiligung von Bergbauminister Mosebenzi Zwane und des neu gewählten ANC-Generalsekretärs Ace Magashule, damals als Premier des Freistaats, an einem angeblichen Molkereiprojekt in Vrede im Osten der Freistaat-Provinz. Staatliche Mittel, die von der Freistaat-Regierung für das Projekt vorgesehen waren, wurden zu den Guptas abgeleitet und teilweise dazu verwendet, die berüchtigte Gupta-Hochzeit in Sun City in der Nordwest-Provinz zu finanzieren. Die Guptas sollen von etwa 220 Mio. Rand profitiert haben.

Dieser als „State Capture" bekannt gewordene Prozess hat zur Erosion der Kapazität staatlicher Einrichtungen geführt, mit der Entwicklungsvorhaben für die Menschen finanziert werden sollten. Doch statt den Menschen Südafrikas ein besseres Leben zu geben, haben sich die Guptas die staatlichen Mittel angeeignet, um für sie und ihre Helfershelfer ein noch besseres Leben zu finanzieren (als sie ohnehin schon genießen). Einer der bedeutendsten ihrer Helfer ist Zumas Sohn Duduzane. Trotz fehlender unternehmerischer Fähigkeiten hat er es zum Milliardär geschafft, der Immobilien in Dubai besitzt. Eine Folge dieser Plünderung ist, dass ein staatliches Schlüsselunternehmen wie Eskom praktisch in die Knie gezwungen wurde und vor dem Bankrott steht. In ähnlich kritischer Lage befinden sich andere staatliche Unternehmen, und der staatliche Fiskus zeigt sich unfähig, sie in einer Zeit lähmender Schulden, die über allen finanziellen Entscheidungen hängen, zu retten.

Dramatische Schritte
Die letzten Wochen waren von dramatischen Entwicklungen gekennzeichnet, allerdings noch ohne Zumas Ende. So richtete Zuma zuerst eine Untersuchungskommission zum State Capture ein, die den Vorgaben der früheren Ombudsfrau (Public Protector) entspricht, wonach der Kommissionsvorsitzende durch den Obersten Richter bestimmt werden muss. Dagegen hatte sich Zuma zuvor verwahrt, vor Gericht aber verloren.

In der darauf folgenden Woche, in der Ramaphosa wiederholt von der Notwendigkeit sprach, die Korruption auszumerzen und die Verantwortlichen für State Capture rechtlich zu belangen, haben staatliche Stellen wie die Asset Forfeiture Unit (zur Beschlagnahme von Vermögen), die Strafverfolgungsbehörde (National Prosecuting Authority, NPA) und die Polizei-Sondereinheit Hawks Vermögen eingefroren, das in Verdacht steht, durch kriminelle Aktivitäten von den Guptas nahe stehenden Unternehmen erworben worden zu sein. Es gab auch Meldungen, wonach die Verhaftung von hochrangigen Personen unmittelbar bevorstehe.

Der suspendierte Polizei-Geheimdienstchef, General Richard Mdluli, wurde nach sechs Jahren weiterbezahlter Auszeit schließlich seines Amtes enthoben und angeklagt. Jetzt wird für ihn und die Spitze der Hawks Ersatz gesucht, nachdem zuvor bereits der Hawks-Chef, General Mthandazo Ntlemeza, entlassen wurde. Das eröffnet die Möglichkeit für eine professionellere Verbrechensbekämpfung.

Zweifelsohne dürften der bevorstehende Abgang von Zuma und die Übernahme des Präsidentenamtes durch Ramaphosa die Strafverfolgungsbehörden dazu bewegen, endlich Fälle aufzugreifen, die lange liegen und ohne Ergebnisse geblieben sind. Es ist bezeichnend, dass NPA-Chef Shaun Abrahams dem Vernehmen nach seine Abneigung zu handeln erst aufgab, als der südafrikanische Gewerkschaftsbund SAFTU mit rechtlichen Schritten drohte, um das Gupta-Vermögen einfrieren zu lassen, falls die Asset Forfeiture Unit untätig bleibt.

Ramaphosas Fähigkeiten
Ungeachtet dessen, dass Zuma noch im Amt und seine Entlassung ungeklärt ist, gibt es Anzeichen dafür, dass einige Beamte Ramaphosa als De-facto-Präsidenten behandeln und an ihn appellieren, in verschiedenen Angelegenheiten zu handeln, als wäre er und nicht Zuma Präsident des Landes.

Häufig werden Ramaphosas Qualitäten bezüglich seiner Rolle bei den Verhandlungen vor über 20 Jahren hervorgehoben, wobei er bisweilen die Notwendigkeit für ein langfristiges Spiel romantisiert und einen Gegner nicht demütigen will, etwas, was Ramaphosa auch in Bezug auf die Entlassung Zumas betont. Dies sollte uns auf eine Charakteristik auf dem Gebiet der Verhandlung aufmerksam machen: Bei der Kunst, ein Abkommen zu erreichen, wird das „Geben und Nehmen" bisweilen fetischisiert, was den Charakter und die Ziele der Übereinkunft in den Hintergrund drängt. Einen „Deal" zu erreichen, könnte zum Selbstzweck verkommen. Ramaphosas Persönlichkeit mag für all diese Fragen, die eine Lösung erfordern, zentral sein. Aber für Demokraten ist es keine Grundsatzfrage, eine Entscheidung zu treffen oder eine Sackgasse aufzulösen. Die zentrale Frage ist, was entschieden wird und ob das Ergebnis entscheidende Qualitäten zur Verbesserung unseres demokratischen Lebens enthält. Die Übereinkunft muss zur Wiederherstellung demokratischer Institutionen und rechtlicher Prozesse führen und korrupte Praktiken beseitigen, die das Funktionieren des Staates und anderer wirtschaftlicher Institutionen beeinträchtigen. All dies erfordert Schritte zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit, Ungleichheit, endemischer Gewalt und Armut.

Ungleichheit und Arbeitslosigkeit können solange nicht angegangen werden, wie der Staat nicht die nationalen Ressourcen vor Plünderungen bewahrt, die Staatsschulden angeht und einen Prozess der Haushaltskonsolidierung verfolgt. Fiskaldisziplin darf nicht abstrakt als im Gegensatz zur Transformation stehend gesehen werden. Insbesondere ist es notwendig, sich auf produktive Tätigkeiten zu konzentrieren, die Beschäftigung fördern. Solange die Steuerbehörden nicht auf sicherem Boden operieren, werden keine Ressourcen für Entwicklung oder andere Formen der Wirtschaftspolitik verfügbar sein.

Cyril Ramaphosa weiß, dass er nicht als eine Art Messias gewählt wurde, von dem erwartet wird, all die Übel der Zuma-Zeit alleine zu beseitigen. Er wird auf der Ebene des in vielerlei Hinsicht gespaltenen ANC Teil eines Kollektivs sein. Wir, die Südafrikaner, müssen uns klar machen, was wir von seiner Führung erwarten. Ramaphosa weiß, dass er keinen Blankoscheck erhält, sondern dazu aufgefordert wird, das Land von der Schmach der Zuma-Zeit zu befreien und umzukrempeln.

Ein würdiger Abgang für Zuma?
Erinnern wir uns daran, dass wir in der Vergangenheit Verhandlungen geschätzt haben und Demokraten sie auch heute schätzen, wenn das Ergebnis ein emanzipatorisches ist, das die Rechtsstaatlichkeit und ein ordnungsgemäßes Verfahren respektiert. Eines, das den Weg zu einer geregelten Regierung öffnet und zurückholt, was gestohlen wurde, das auf Gleichstellung der Geschlechter und die Beendigung der Gewalt gegen Frauen und Kinder baut.

Es heißt, Zuma müsse ein würdiger Abgang ohne Demütigung gewährt werden. Unter der Überschrift „Cyrils stille Diplomatie" zitiert die Sunday Times Ramaphosa mit den Worten: „Es gibt viel Lärm um uns herum. Wir haben gesagt, das letzte, was wir wollen, ist, Präsident Zuma zu demütigen." Was bedeutet das? Nur wenige Menschen ergötzen sich daran, einen Menschen gedemütigt zu sehen, und es ist richtig, dies zu vermeiden. Aber was bedeutet das im Kontext von Zuma und den Anklagen, denen er sich gegenüber sieht? Kommt es zu Gerichtsverfahren, besteht die große Chance, dass aus dem Präsidenten Zuma ein Angeklagter wird, nicht nur für die seit 2009 angehäuften 783 Anklagepunkte, sondern wahrscheinlich auch für den Vorwurf der Staatsvereinnahmung. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass er für schuldig befunden und inhaftiert würde.

Wird Ramaphosa akzeptieren, dass Zumas Schicksal nicht in seinen Händen liegt? Es ist Sache der Gerichte, in einen solchen Prozess kann es kein Eingreifen zur Wahrung seiner Würde geben. Zugeständnisse könnten nötig sein, um wichtige Ziele zu erreichen, aber es wäre ein schwerwiegender Fehler, Zuma zu erlauben, dem Urteil der Gerichte zu entkommen.

Eine Begnadigung wäre eine völlig inakzeptable Botschaft angesichts der Grundlage, auf der viele Menschen Ramaphosa unterstützen. Es muss eine völlige Offenlegung und Rückgabe von all dem, was gestohlen wurde, geben. Wie jeder andere, der ein Verbrechen begeht, muss auch Zuma, sollte sich herausstellen, dass er den Fiskus bestohlen hat, den Preis für seine Taten zahlen. Käme er ungeschoren davon, würde das nur bestehendes Misstrauen nähren.

Zuma-Ära: Mehr als nur eine Umleitung von Mitteln
Nicht alles darf der Zuma-Ära der schlechten Regierung und des Missbrauchs zugeschrieben werden. Es gibt eine Menge anderer Punkte, die angesprochen werden müssen und in Programmen für seine Entlassung nicht immer genügend Aufmerksamkeit erhalten haben. Man denke nur an die allgemeine Gesetzlosigkeit, die Südafrika durchdringt. Die Polizeidienste sind in Folge der Erosion ihrer Professionalität und Kapazität allgemein überfordert, zumal sie auch in Korruption und Tötungsdelikte, oft bei Konflikten innerhalb des ANC, verwickelt sind.

Auch der Bezug auf soziale Beziehungen im Allgemeinen verdient rigorose Aufmerksamkeit, um zu beurteilen, was es für einen Neubeginn bedarf. Eines der Merkmale der Zuma-Ära ist das unkritische Hochhalten von „Tradition" und damit das Leugnen von sich dynamisch entwickelnden Sitten und Kulturen. Die „Hommage" an das Traditionelle (um eine Phrase aus einer aktuellen Mitteilung der ANC-Führung nach der Wahl Ramaphosas zu verwenden) führt oft zu einer anti-demokratischen Führung, die die demokratischen Rechte der Bürgerinnen und Bürger untergräbt. Oftmals ist damit die Umleitung von Ressourcen von Gemeinden zu traditionellen Führern und skrupellosen Unternehmen verbunden. Diese Fragen bedürfen einer genaueren Prüfung, sollten aber nicht einfach nur in unqualifizierter Form behandelt werden.
Eine unzureichende Analyse der gesellschaftlichen Notwendigkeiten führt auch zu einer Verharmlosung der Bedeutung des Patriarchats, das für Zumas Präsidentschaft so bezeichnend und oft mit Traditionalismus verbunden ist. Auch andere Merkmale des südafrikanischen Lebens, etwa das Machogehabe der Männerwelt, gehören auf den Prüfstand. Die Öffentlichkeit muss die Gewissheit haben, dass dies ein integraler Bestandteil jedes Erneuerungsprogramms sein wird.

Wie bedeutet die Wahl von Ramaphosa?
Technisch gesehen ist es korrekt zu sagen, Ramaphosa ist der von den ANC-Delegierten gewählte ANC-Präsident. Aber sein Wahlsieg ging über die ANC-Konferenz und Parteistrukturen hinaus. Ramaphosa wurde im Gefolge von Massenprotesten gewählt, die Menschen aus allen Gesellschaftsschichten anzogen. Einige waren noch nie an Protesten beteiligt. Sie mögen keine ANC-Delegierten gewesen sein, aber sie waren Teil der Atmosphäre, die den ANC davon überzeugte, dass es so nicht weiter geht und die Organisation diskreditiert war und bei den Wahlen 2019 die Macht verlieren würde.

Ramaphosas Wahl bedeutete einen Bruch oder kann dazu führen. Es mag ethische Gründe gehabt haben, auf diesen Aufschrei zu hören, aber es war vielleicht einfach der Selbsterhaltung geschuldet, die Zeichen der Kommunalwahlen von 2016 und deren Bedeutung für die Zukunft zu erkennen. Trotz der ambivalenten Haltung der ANC-Führung gegenüber Ramaphosa bei den Parteiwahlen konnte dieser wohl deshalb so mutig handeln, weil er spürt, dass er diese Unterstützung genießt, über jegliche Konfiguration von Kräften im ANC hinaus „aufzuräumen".

Wer auf die Straße ging oder sich auf andere Weise Gehör verschaffte, über professionelle Organisationen und als Akteure aus anderen Bereichen der Gesellschaft, sollte jetzt nicht seine Hände in den Schoß legen. Die Vertreter des von Ramaphosa geführten ANC müssen wissen, dass die Bürgerinnen und Bürger, deren Rechte missbraucht oder mit Füßen getreten wurden, wachsam und bereit sind, sich stärker an der Zukunft zu beteiligen. Die ANC-Politiker müssen erkennen: Was sie entscheiden, wird weit über ihre Treffen hinaus auf Resonanz stoßen.

Die letzten zehn Jahre haben eine Kluft zwischen der Regierung und den meisten Südafrikanern geschaffen. Vertrauen ist nötig, damit die politischen Führer ein Minimum an Unterstützung erhalten. Es kann sein, dass beim Versuch, einen „Neubeginn" einzuleiten, zusätzliche Überlegungen notwendig sind, insbesondere Prozesse des Dialogs und des gegenseitigen Zuhörens. Möglicherweise wäre die Idee eines nationalen Konvents, der unter anderem vom Kirchenrat SACC vorgeschlagen wird, eine davon, wenn er auf inklusiver Basis organisiert wird. Viele solcher Ideen, wie die eines „nationalen Dialogs", die letztes Jahr diskutiert wurden, sind schnell wieder begraben worden. Damit eine Idee sinnvoll ist, braucht es die Beteiligung von Menschen aus verschiedenen Bereichen. Insbesondere müssen Bürger, die nicht in relativ wohlhabenden städtischen Gebieten wohnen, sondern in abgelegenen Dörfern, angesprochen und an der Festlegung der Tagesordnung und der Entscheidungsfindung bei Dialogen oder Konventionen beteiligt werden.

Raymond Suttner

Der Autor ist Sozialwissenschaftler und politischer Analyst. Er ist Prof. em. der UNISA und an die Rhodes Universität assoziiert. Als Anti-Apartheid-Aktivist war er lange Jahre inhaftiert oder stand unter Hausarrest.

Der Beitrag erschien ursprünglich polity.org.za
http://www.polity.org.za/article/transitioning-from-zuma-to-ramaphosa-2018-01-22