AM 30. DEZEMBER 2018 HAT DIE DR KONGO IHREN NEUEN PRÄSIDENTEN GEWÄHLT. Nach einem langen Kampf sind die Kongolesen froh, den verhassten Amtsinhaber Joseph Kabila endlich los zu sein. Doch statt mit dem eigentlichen Wahlsieger Martin Fayulu müssen sie nun mit einem Präsidenten vorlieb nehmen, der an der Leine des alten Regimes hängt.
Als Felix Tshisekedi am 24. Januar 2019 in Kinshasa den Eid ablegte, wurde er der fünfte Präsident der Demokratischen Republik Kongo (DRK). Seine Amtseinführung markierte den ersten friedlichen demokratischen Machtwechsel des Landes – und zwar für einen Oppositionsführer. Auf dem Papier ist dies ein Lehrbuchbeispiel für eine erfolgreiche Demokratisierung. Aber diesem Schein steht die Tatsache entgegen, dass Tshisekedi mit ziemlicher Sicherheit nicht der wahre Sieger der Wahlen vom Dezember 2018 war.
Nach den offiziellen Ergebnissen der Wahlkommission (CENI) gewann Tshisekedi mit 38,6 Prozent der Stimmen, Oppositionsführer Martin Fayulu kam mit 34,8 Prozent auf Platz zwei und der Kandidat des Regimes Emmanuel Ramazani Shadary erhielt 23,8 Prozent. Diese Zahlen weichen allerdings stark sowohl von den durchgesickerten Zahlen aus den Computern von CENI als auch von den Daten ab, die von den 40.000 Beobachtern der Katholischen Bischofskonferenz (Conférence Episcopale Nationale du Congo, Cenco) gesammelt wurden (vgl. Beitrag S. 12ff in dieser Ausgabe). Ihre Zahlen deuten darauf hin, dass Fayulu mit überwältigenden 59,4 Prozent der eigentliche Wahlsieger war und Tshisekedi und Shadary jeweils etwa 19 Prozent erreichten. Fayulu focht die Ergebnisse an, aber das Verfassungsgericht bestätigte sie.
In vielerlei Hinsicht war ein Sieg von Tshisekedi ein Ergebnis, das niemand erwartet hatte. Der scheidende Präsident Joseph Kabila hat die letzten Jahre damit verbracht, so lange wie möglich an der Macht festzuhalten. Im Vorfeld von 2016, dem Jahr, in dem seine Amtszeit offiziell auslief, strebte er eine Verfassungsänderung an, damit er für eine dritte Amtszeit kandidieren konnte. Als das nicht funktionierte, verzögerte er die Wahlen einfach um zwei Jahre, bis nationaler und internationaler Druck ihn zum Handeln zwang.
Manch einer vermutete, Kabila würde noch einen Weg finden, um sich wieder zur Wahl stellen zu können, aber als die Abstimmung näher kam, nominierte das Präsidialbündnis Front Commun pour le Congo (FCC) Shadary als ihren Kandidaten. Der Plan sah vermutlich vor, seine umfangreiche Macht und Kontrolle über den Wahlprozess zu nutzen, um seinen Sieg und die Fortführung von Kabilas Zügeln durch einen Stellvertreter sicherzustellen. Aber Shadary erwies sich als so unpopulär, dass es selbst bei starker Manipulation unmöglich gewesen wäre, ihn zum Gewinner zu erklären, ohne Massenproteste auszulösen. Im Gegensatz dazu gewann Fayulu die Unterstützung mehrerer Oppositionsparteien und stieg in den Umfragen in die Höhe.
Angesichts dieses unlösbaren Rätsels wird allgemein angenommen, dass Kabila einen Deal improvisiert hat. Er konnte seinen eigenen, handverlesenen Kandidaten nicht installieren und kam stattdessen auf eine Vereinbarung mit Tshisekedi. Das Regime überließ die Präsidentschaft dem zweitplatzierten Oppositionsführer, schaffte es aber, Fayulu – und vor allem seine mächtigen Unterstützer, den ehemaligen Vizepräsidenten Jean-Pierre Bemba und den früheren Gouverneur von Katanga, Moise Katumbi – von der Macht fernzuhalten.
An der Leine
Gleichwohl, der zutiefst unbeliebte Präsident Kabila tritt nach 18 Jahren im Amt endlich zurück. Die DR Kongo hat einen neuen Präsidenten. Doch unter der Oberfläche dieser monumentalen Verschiebung hat sich nicht viel verändert. Die FCC hält die Macht fest in ihren Händen.
Die Kongolesen stimmten im Dezember 2018 nicht nur für einen neuen Präsidenten, auch die Abgeordneten des nationalen Parlaments und der Provinzversammlung wurden neu gewählt. Zur allgemeinen Überraschung – oder vielleicht auch nicht – siegte die regierende FCC deutlich und baute ihre Mehrheit aus. Sie errang 350 der 500 Parlamentssitze der DR Kongo. Die Union pour la Démocratie et le Progrès Social (UDPS) von Tshisekedi gewann mit 49 Sitzen weniger als 10 Prozent der Gesamtsitze. Die FCC holte sich auch in allen 26 Provinzräten die meisten Sitze. Das bedeutet, sie kann alle Gouverneure des Landes wählen und sichert sich damit ein Entscheidungsmonopol und Zugang zu Finanzmitteln auf dieser Verwaltungsebene.
Präsident Tshisekedi wird auch in anderer Hinsicht in seinen Befugnissen eingeschränkt werden. Die Spitzenränge der Armee bestehen aus wichtigen Kabila-Verbündeten, die vor einigen Monaten installiert wurden. Und die mächtigen Patronage-Netzwerke, die Kabila umgeben, bleiben bestehen. Tshisekedis Team mag versuchen, dies zu beenden, aber das wird sich als schwierig erweisen. Die FCC wird dem neuen Präsidenten und seinem Vizepräsidenten Vital Kamerhe kaum mehr als nur Krümel anbieten. Sie könnte ein Staatsbegräbnis für Tshisekedis verstorbenen Vater und erfahrenen Politiker Étienne veranstalten, dessen Überreste sich seit seinem Tod vor zwei Jahren in einer Leichenhalle in Brüssel befinden. Sie könnte auch einige wichtige Managementpositionen in Parastatals anbieten und dafür den Zugang zu einigen öffentlichen Finanzen und die Aufsicht über einige kleinere Ministerien aufgeben. Strategische Positionen wie Sicherheit, Außenpolitik und Wirtschaft werden jedoch höchstwahrscheinlich weiterhin unter strenger Aufsicht des Regimes bleiben.
Der scheidende Präsident könnte auch eine letzte Trumpfkarte im Ärmel halten, um seinen Nachfolger an die Kandare zu nehmen. Seit Monaten sind Gerüchte im Umlauf, Tshisekedi habe bei seiner Registrierung als Präsidentschaftskandidat ein gefälschtes Diplom eines Instituts in Brüssel vorgelegt. Die kongolesischen Gerichte haben den belgischen Staat im Januar gebeten, das Dokument zu prüfen, das einen Monat vor den Wahlen gefälscht wurde. Dies eröffnet dem Verfassungsgericht der DR Kongo jederzeit die Möglichkeit, Tshisekedi anzuklagen.
Spannungen und Paradoxien
Abgesehen von Tshisekedis paradox schwacher Präsidentschaftsposition haben die Wahlen dem politischen System der DR Kongo viele neuen Widersprüche beschert. Es gibt zum Beispiel neuerliche Spannungen innerhalb der FCC selbst. Viele lokale Machthaber behaupten, dass auch die Parlamentswahlen manipuliert wurden und ihre Sitze im Rahmen hoch angesiedelter Vereinbarungen des Regimes an nationale Schwergewichte vergeben wurden. Entsprechend verärgert blieb diesen politischen Figuren nur der Protest oder sie verließen einfach das Regierungsbündnis.
Der innere Zusammenhalt der als CACH (Cap pour le changement) bekannten Koalition von Tshisekedi und Kamerhe ist ebenfalls nicht hoch. Der neue Präsident und sein Stellvertreter hegen ein schlechtes persönliches Verhältnis zueinander. Ihre Ad-hoc-Allianz ist eher ein Zweckbündnis und beruht nicht auf natürlicher Affinität. Die Aufteilung der Verantwortlichkeiten für Privilegien unter ihren Unterstützern könnte sich als schwierig erweisen. Nicht zuletzt ist natürlich der weit verbreitete Frust und das wachsende Misstrauen unter den 60 Prozent der Wähler zu beachten, die für Fayulu gestimmt haben.
Auch die afrikanischen Institutionen, die von außerhalb auf den Kongo schauen, stehen vor einem gewaltigen Dilemma. Sie befürchten vor allem die negativen Auswirkungen, die die Instabilität in der DR Kongo auf ihre eigene Situation Zuhause haben könnte. Das ist es, was sie seit 2016 dazu motiviert hat, Druck auf Kabila auszuüben, endlich zurückzutreten. Und deshalb befinden sie sich jetzt in einem komplizierten Dilemma. Auf der einen Seite wissen sie, dass die Wahl nicht glaubwürdig war und dass das neu zusammen geschusterte politische Gefüge des Kongo mittel- und langfristig untragbar sein dürfte. Und doch scheint es der einzige Weg zu sein, um kurzfristig Chaos zu vermeiden.
Ein manipulierter Sieg von Shadary hätte zu Blutvergießen geführt. Einen Sieg von Fayulu hätte das Regime niemals zugelassen. Aber ein unerwarteter, von Kabila vermittelter Sieg von Tshisekedi entschärft zumindest jeden unmittelbaren explosiven Impuls. Es ist daher nicht verwunderlich, dass afrikanische multilaterale Institutionen die Wahlen schließlich gebilligt und den neuen, an die Leine genommenen Präsidenten des Kongo, Félix Tshisekedi, begrüßt haben.
Kris Berwouts
Der Autor ist belgischer Autor und Kongoexperte. 2017 veröffentlichte er bei Zed Books sein Buch „Congo's violent peace. Conflict and struggle since the Great African War".
Der Beitrag erschien am 24. Januar 2019 unter dem Titel „President-on-a-Leash Tshisekedi and the DRC's paradoxical new politics" auf www.africanarguments.org.
https://africanarguments.org/2019/01/24/president-on-a-leash-tshisekedi-drc-paradoxical-politics/