Heft 1/2019, Simbabwe

Handlungsoption vertan

DIE KRISE IN SIMBABWE SPITZT SICH ZU. Nach den jüngsten Protesten gegen überteuerte Benzinpreise in Simbabwe ist es zu zahlreichen Festnahmen gekommen. Verschiedenen Berichten zufolge wurden Zivilistinnen und Zivilisten durch Sicherheitskräfte ermordet, gefoltert und vergewaltigt. Doch die Krise begann bereits mit der Wahl 2013 und verschiedenen politischen und wirtschaftlichen Problemen. Weil die internationale Gemeinschaft den Putsch von 2017 nicht als solchen bezeichnet hat, ist sie heute zudem in ihrer Handlungsfähigkeit beschränkt.

Seit 2013 ist Simbabwe in eine rückblickend unvermeidliche Krise geraten. Nach dem unwahrscheinlichen Sieg Robert Mugabes und der Zanu-PF bei den Wahlen 2013 entwickelte sich die beginnende Staatskrise entlang zweier zusammenhängender Probleme. Das erste Problem war politischer Natur: Der erbitterte Kampf um die Nachfolge innerhalb der Zanu-PF, der zunächst zum Ausschluss Joice Majurus und ihrer Unterstützer führte, die Fraktionskämpfe innerhalb der MDC-T und schließlich der Ausschluss Emmerson Mnangagwas aus der Mugabe-Regierung. Das zweite Problem war, durch die Umkehrung vorübergehender Gewinne der Einheitsregierung (Inclusive Government) zwischen 2009 und 2013, ein wirtschaftliches, das durch zusammenhanglose Politikstrategien einer Regierung, die unfähig war, inneren Konsens zu erreichen, verstärkt wurde. Die Auswirkungen für Bürgerinnen und Bürger Simbabwes waren gravierend aufgrund eines rapide sinkenden Lebensstandards, der Schließung von Unternehmen (mit tausenden Jobverlusten) und einer Regierung, die diese Krise mit einem wachsenden Schuldenberg bekämpfte.

Der damalige Rauswurf Mnangagwas war der Auslöser für das nächste Desaster. Als Robert Mugabe im November 2017 seines Amtes enthoben wurde, gab es ein kurzes erleichtertes Aufatmen sowohl innerhalb als auch außerhalb des Landes, einige wenige aber verstanden die Konsequenzen. Die gesamte internationale Gemeinschaft hielt sich darin zurück, den „militärisch unterstützten Wechsel" einen Putsch zu nennen, obwohl informierte Kommentatoren und Analysten in Simbabwe darauf verwiesen, dass sie damit schlecht beraten sei. Das Problem, auf das diese Kommentatoren hindeuteten, waren nicht bloß Robert Mugabe und dessen Tyrannei über den Staat, sondern die Realität, dass Simbabwe ein „sekurokratischer Staat" geworden war: die Verschmelzung von Partei, Militär und Staat. Damit stellte sich die Frage, wie dieses aktuelle Problem gelöst werden könnte.

Bei diesem Ereignis schien es regional wie international ein größeres Interesse an „Stabilität" zu geben. Die kaum verdeckte Abmachung war, dass die neue politische Ordnung durch ein Reformprogramm ihren guten Willen zeigen würde, bestätigt durch eine Wahl ohne strittiges Ergebnis. Die Anfangsmonate des „neuen Systems" gaben zumindest ein wenig Anlass für Hoffnung: Sie waren durch ein Übermaß an ermutigender Rhetorik und viel Optimismus gekennzeichnet. Doch binnen weniger Monate äußerten hochrangige Diplomaten privat ihre Besorgnis über fehlende substanzielle Reformen, keine sichtbaren Fortschritte, wirtschaftliche Grundprobleme anzugehen (vor allem Kürzung der Staatsausgaben), und den besorgniserregend langsamen Fortschritt bei der Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen für die Wahlen Mitte des Jahres 2018.

Die größte Oppositionspartei hatte zwar alle Hände voll damit zu tun, sich auf die Wahlen vorzubereiten, dennoch schien es, als könnte sie mit dem Aufstieg Nelson Chamisas als potenziellem Präsidentschaftskandidaten für die neu entstandene MDC Alliance zu einem ernsthaften Herausforderer werden. Mit wenig Geld, vor allem verglichen mit den verschwenderischen Ausgaben der Zanu-PF, strafte die MDC Alliance ihre Kritiker Lügen. Nelson Chamisa verlor gegen Emmerson Mnangagwa mit nur hauchdünnem Abstand. Die MDC Alliance erzielte fast 50 Prozent der gesamten Stimmen. Obwohl die Zanu-PF eine Zweidrittelmehrheit im Parlament behauptete, war das Wahlergebnis das schlecht möglichste Resultat für die regionale und internationale Gemeinschaft.

Internationale Gemeinschaft gelähmt
Simbabwe war, wie sich sowohl anhand der Stimmen als auch anerkannter Meinungsumfragen zeigte, nun tiefer gespalten als jemals zuvor in seiner Geschichte. Unruhen ließen nicht lange auf sich warten. Der Streit über die Wahlen, deren Ergebnisse mit Verspätung verkündet wurden, führte zu Protesten auf den Straßen von Harare, zum rechtlich höchst fragwürdigen Einsatz von Militär und zur Erschießung und Tötung unbewaffneter Zivilistinnen und Zivilisten. All die Hoffnungen und Erwartungen von November 2017 verschwanden, verschlimmert durch die sowohl wohlüberlegten als auch negativen Berichte der internationalen Wahlbeobachter. Für einige Kommentatoren war dies wenig überraschend. Der Fehler, den Putsch nicht als „Putsch" zu bezeichnen, habe die internationale Gemeinschaft in einer misslichen Position zurückgelassen.

Eine unmissverständliche „harte" Antwort auf den November 2017 hätte ohne Zweifel eine größere Krise verursacht, doch es wäre eine Krise gewesen, die zu politischen Gesprächen und mutmaßlich zu einer politischen Einigung geführt hätte. Stattdessen hinterließen die umstrittenen Wahlen die internationale Gemeinschaft in einer sehr schwachen Position zurück. Ihr blieb nichts anderes übrig, als wieder auf die Forderung nach Reformen zurückzugreifen. Dies wurde von der simbabwischen Regierung mit ihren Legitimitätsansprüchen pariert, eine „reformistische" Regierung zu bilden. Die oppositionellen Kräfte aber spielten das alte Spiel nicht mit.

Auch wenn eine zweifelhafte, all zu legalistische Entscheidung des simbabwischen Verfassungsgerichts die Wahlresultate bestätigte, weigerte sich die MDC Alliance, die Ergebnisse anzuerkennen, focht Emmerson Mnangagwas Legitimität an und drohte mit Massenaktionen.

Ausweg Übergangsregelung?
Trotz alledem kommt die Herausforderung für die Regierung weniger von der MDC Alliance als aus der Wirtschaft. Die rapide zerfallende Wirtschaft hat Bürgerinnen und Bürger dazu gebracht zu protestieren; zunächst die Ärzte und Krankenschwestern und nun die Lehrer, mit der Wahrscheinlichkeit, dass sich jederzeit mehr Staatsangestellte dem Protest anschließen. Die Regierung hat wenig Möglichkeiten, auf die Unzufriedenheiten zuzugehen, die Lebenshaltungskosten steigen täglich und die Mehrheit der Bevölkerung lebt in schwerer Not.

Die Konsequenz war der Rückgriff auf Massengewalt durch den Staat. Die Armee wurde eingesetzt, was eindeutig verfassungswidrig scheint. Die Gewalt uferte derart aus, dass Menschenrechtsorganisationen dies mittlerweile als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit charakterisieren, und die internationale Gemeinschaft ist nahezu jeder ernsthaften Handhabe beraubt, Harare Geld zu verweigern und restriktivere Maßnahmen gegen das Regime vorzuschlagen.

Wo wird das enden? Es gibt weit verbreitete Aufrufe zu nationalem Dialog und einige, wie die MDC Alliance, rufen zu Übergangsregelungen auf. Die große Frage ist, ob das Militär, so wie es in den Staat eingebettet ist, in der Stimmung ist zu verhandeln; ob die Konfliktgruppen innerhalb des Staates, vom Militär bis zu den zivilen Interessengruppen, fähig sind, ihre internen Differenzen beizulegen; und ob alle Kräfte außerhalb des Staates – Kirchen, Gewerkschaften, Organisationen der Zivilgesellschaft etc. – in der Lage sind, eine breite Koalition zu bilden, um Druck für Dialog auszuüben.

Vielleicht sollten wir dahin zurückkehren, wo alles begann. Simbabwe hat den Krisenpunkt erreicht, den es im November 2017 hätte erreichen können, wenn der Putsch als solcher benannt worden wäre. Dieses Mal werden interne Kräfte und die regionale und internationale Gemeinschaft in den sauren Apfel beißen und Diskussionen für eine weitreichende politische Einigung erzwingen müssen. Als vor drei Jahren der Aufruf für eine Nationale Übergangsregierung (National Transitional Authority) erfolgte, wurde das als Hirngespinst abgetan: Nun scheint sie der einzige Ausweg zu sein.

Tony Reeler

Der Autor ist Senior Researcher bei der Research and Advocacy Unit (Rau) in Harare.
http://researchandadvocacyunit.org/