Heft 1/2020, Simbabwe: Literatur

Aus der Dunkelheit strahlendes Licht

ZUM NEUEN ROMAN VON PETINA GAPPAH

Im Jahre 2019 hat die simbabwische Autorin Petina Gappah gerade in Deutschland eine besondere mediale Aufmerksamkeit gefunden, zumal sie im September die Eröffnungsrednerin des prestigereichen „internationalen literaturfestivals berlin" (ilb) war. Diese Rede wurde viel beachtet, aber auch kritisch beurteilt, besonders was die Rolle der Autorin in Simbabwe in den letzten beiden Jahren angeht. Dort hatte sie sich nach der Entmachtung des langjährigen Präsidenten Mugabe bei der neuen Regierung des Nachfolgers Mnangagwa als Handelsrechtsexpertin engagiert, dem ähnlich wie Mugabe schwere Menschenrechtsverletzungen zur Last gelegt werden. Sie wollte – wie sie wiederholt erklärte – ihrem Lande dienen und mit ihrer Expertise von der WTO Simbabwe zu einer besseren Position auf dem Weltmarkt verhelfen.

Eindeutig ist die 1971 in Sambia geborene und in Simbabwe aufgewachsene Juristin und bemerkenswerte Autorin ein facettenreiches Multitalent. Als erstes Mitglied ihrer Familie hat sie überhaupt studiert und zudem noch Jura in Cambridge und Graz, anschließend viele Jahre bei der Welthandelsorganisation WTO in Genf als Expertin für Handelsrecht gearbeitet. Zur Gänze wandte sie sich dem Schreiben zu, als sie ab 2017 als Stipendiatin beim Künstlerprogramm des DAAD in Berlin weilte, dort schloss sie auch ihr opus magnum ab.

Seit 2009 hat sie vier Bücher mit Prosa veröffentlicht, die im Übrigen – was es bisher bei keinem afrikanischen Autor oder afrikanischen Autorin gab – alle ins Deutsche übersetzt sind, auch wenn die zuerst veröffentlichten 13 Kurzgeschichten mit dem Titel „An Elegy for Easterly" (2009), für die sie den „Guardian First Book Award" erhielt, erst 2020 in deutscher Übersetzung (von Patricia Klobusiczky) bei Arche unter dem Titel „Im Herzen des goldenen Dreiecks" erscheinen werden.

An ihrem letzten Roman „Aus der Dunkelheit strahlendes Licht" hat sie fast zwanzig Jahre gearbeitet und viel recherchiert, wie aus der Bibliographie von Primär- und Sekundärquellen deutlich wird. Ihn hat sie beim internationalen literaturfestival berlin (ilb) und auf einer Lesereise in Deutschland präsentiert.

Die Geschichte, die der Roman über den sogenannten Entdecker und Missionar namens David Livingstone erzählt, der in Europa als fast mythische Legende angesehen wurde, ist ambitioniert und in seiner Perspektive – der Bwana Daudi genannte geradezu besessene Sucher nach den Quellen des Nils – ungewöhnlich. Denn Bwana Daudi ist zu Beginn des Romans bereits verstorben. Doch statt ihn vor Ort zu beerdigen, wird der Leichnam – auf Vorschlag seiner Köchin Halima – über mehr als 1.500 Meilen zum Indischen Ozean transportiert, um von da in seine Heimat überführt zu werden.

Das gibt Petina Gappah gute Gelegenheit, die Vielzahl der Helfer Bwana Daudis zu präsentieren; sie schreibt gewissermaßen Geschichte von unten – aus dem Dunkeln –, weil ansonsten die „Entdeckungsgeschichte" Afrikas durch Weiße oft genug aus der Perspektive von mit überlegenen Waffen ausgestatteten Weißen erzählt wird.

In jedem der einzelnen kurzen Kapitel, die in drei Großkapitel unterteilt sind, werden die Geschichte der Helfer – im Prolog als „dunkelhäutige Gefährten" bezeichnet – und die 285 Tage dauernde Reise vom Todesort in Zentralafrika bis nach Bagamoyo am Indischen Ozean erzählt. Jedem Kapitel ist eine kurze Bemerkung vorangestellt – oft Zitate von Livingstone oder Henry Morton Stanley, der Livingstone aufspüren sollte, aber auch kurze Inhaltsankündigungen. Halima, die einstige Köchin, die von Livingstone aus der Sklaverei freigelassen wurde, und Jacob Wainwright, einstiger Missionsschüler, dessen größter Ehrgeiz es ist, selbst Missionar zu werden, sind die wesentlichen Erzähler. Es war Halima, die die Idee ins Spiel brachte, den Leichnam um seine Fleischteile zu befreien (das Herz wurde am Todesort beigesetzt), so dass nur die von getrockneter Haut umhüllten Knochen transportiert werden mussten; so wurde Fäulnis vermieden.

Entfaltet wird ein faszinierendes Panorama der Personen der Karawane. Aber auch Ereignisse aus den letzten Jahren Bwana Daudis mit unerfreulichen Begebenheiten (wie Massaker und allzu große Nachsicht mit Sklavenhändlern, die Livingstone an den Tag legt) kommen nicht zu kurz. Die oft heiklen Begebenheiten an den verschiedenen Rastorten bei verschiedenen Häuptlingen während der Reise zeigen eine Geschichte, die eher selten geschrieben wurde, auch wenn es an Büchern und Legendensammlungen zu Livingstone, der den Nil in Afrika finden wollte, indem er sich an Herodot orientierte, nicht mangelt.

Zehn aus der „loyalen und getreuen Gefolgschaft" kommen auf dem Weg zu Tode: „Keine Steine kennzeichnen die Orte, wo sie ruhen, keine Inschriften künden von ihrem Tod. Und wenn wir, die noch da sind, ihnen nachfolgen, werden keine Pilger kommen, um ihren Kindern zu zeigen, wo wir liegen. Doch aus dieser tiefen und beunruhigenden Dunkelheit entsprang helles Licht. Unsere Opfer verliehen dem Ruhm seines Lebens den letzten Schliff", heißt es im Prolog, gewissermaßen als Erläuterung des Titels.

Der ausführlichste Erzähler ist der hoffnungsvolle Missionar Jacob Wainwright, der im Übrigen später seine Ambitionen keineswegs verwirklichen kann, sondern als Clown an einem afrikanischen Fürstenhof endet.

Für Petina Gappah ist das 24. Kapitel von zentraler Bedeutung: Hier erzählt Wainwright, wie der früher servil auftretende Diener Chirambo in flagranti dabei erwischt wird, wie er den weißen Doktor Dillon ermordet, der sich der Karawane angeschlossen hatte und wenig angesehen war. Chirambo hebt an zu einer deutlichen Tirade gegen die Weißen und ihre ihnen folgende Dienerschaft, eine Art Manifest gegen Kolonialismus, wie es später oft genug formuliert worden ist. Chirambo verweist im Gefolge seiner Ausführungen darauf, dass er schon mehrere Morde begangen hat, auch an schwarzen Weggefährten, mit denen er nicht übereinstimmte.

Nachdem beschlossen wurde, ihn kollektiv zu erschießen, um individuelle Schuld zu vermeiden, wird er von einer der zentralen Personen, dem Diener Susi, erstochen. Für Petina Gappah ist die Sache eindeutig: Chirambo mit seiner anti-weißen Rhetorik und seinen Taten steht für Robert Mugabe.

Eine Frage bleibt freilich: Hat die Tatsache, dass Petina Gappah sich auf Mnangagagwa eingelassen hat und deswegen in Deutschland von liberaler Seite heftig kritisiert wurde, gewissermaßen ihre literarische Bedeutung verdunkelt? Die Antwort ist im Grunde einfach: Es reicht, wenn man ihre guten Romane und Geschichten liest.

Peter Ripken

Aus der Dunkelheit strahlendes Licht (Übers. Annette Grube, S. Fischer, Frankfurt 2019. Original: Out of Darkness, Shining Light. Simon & Schuster, New York 2019)


 

Weitere empfehlenswerte Bücher Petina Gappahs

Die Farben des Nachtfalters. Roman (Arche Literaturverlag, Zürich/Hamburg 2016. Übers. Patricia Klobusizky. Original: The Book of Memory. Faber & Faber, London 2015)

Ich-Erzählerin ist Memory, eine Frau, die aus mehreren Gründen eine Außenseiterin, eine Ausgestoßene ist: Memory ist ein Albino – und damit weder richtig schwarz noch richtig weiß in einem Land, in dem Menschen vor allem über ihre Hautfarbe definiert werden. Und sie sitzt als erste und einzige Frau im Todestrakt in einem Gefängnis von Harare, da man sie für schuldig gesprochen hat, ihren Ziehvater Lloyd Hendricks – einen Weißen, an den ihre Eltern sie im Alter von neun Jahren verkauft haben – ermordet zu haben. Der Roman besteht aus Memorys Rückschau auf ihr Leben, das sie für eine amerikanische Journalistin niederschreibt, in der Hoffnung, womöglich begnadigt zu werden und ihre Unschuld zu beweisen. Memory ist ein sprechender Name – und wie jede Erinnerung eine trügerische, da in schlingenden Bahnen sich rekonstruierende ist, erweist auch Memory sich als eine zwielichtige Erzählerin: Nicht nur führt sie die Leser in mäandernden Bahnen hin und her durch die Zeit, immer wieder muss der Leser revidieren, was er bereits für gesichert hält. Zugleich liefert Petina Gappah im Spiegel von Memorys Lebensweg ein bestechendes Panorama der jüngeren Geschichte Simbabwes, nicht zuletzt der Rassen- und Klassenfragen, die das Land ebenso umtreiben wie die allgegenwärtige Korruption und die Frage, wie hältst du es mit Religion und Tradition?
Claudia Kramatschek, DAAD.

Die Schuldigen von Rotten Row. Stories (Arche Literaturverlag, Zürich/Hamburg. Übers. Patricia Klobusizky. Original: Rotten Row. Faber & Faber, London 2016)
Hier hat Petina Gappah das für das heutige Harare getan, was Charles Dickens mit seiner Beschreibung des Viktorianischen Londons erreicht hat, mit beißendem Witz und Inbrunst.
Britische Autorin Helen Simpson