Heft 1/2020, Südliches Afrika

Demokratie und Menschenrechte in Gefahr

DAS SÜDLICHE AFRIKA BEFINDET SICH IN EINER POLITISCHEN KRISE, in einer Krise der postkolonialen Ära, die der Zeit vor der Unabhängigkeit gleichkommt, als das Bestreben nach Befreiung unvermeidlich war. Staatliche Repression und sinkende Handlungsspielräume für die Zivilgesellschaft bedrohen in der Region die Grundrechte der Demokratie.

Einige Länder der SADC, der „Entwicklungsgemeinschaft des Südlichen Afrika", befinden sich aufgrund ihrer regressiven Politik und eigennütziger Führer ohne Moral, Prinzipien oder Ethik in einer lang anhaltenden Krise an der Grenze zu gescheiterten Staaten. Die Bürgerinnen und Bürger wollen von diesem Würgegriff befreit werden, der zu einer regionalen Bedrohung von Frieden und Sicherheit geworden ist und weitreichende Auswirkungen auf die Region und darüber hinaus hat.

Es liegt auf der Hand, dass die Erlangung der Unabhängigkeit der meisten Staaten den Kontinent vor Herausforderungen gestellt hat. Die Demokratische Republik Kongo hatte 1960 den ersten bekannten Putsch im postunabhängigen Staat im südlichen Afrika. Im Jahrzehnt der Unabhängigkeit erlebte der gesamte Kontinent mindestens 22 weitere Staatsstreiche und mehr als 109 bekannte Umsturzversuche. Simbabwe, das 2007 den jüngsten Putsch erlebte, steckt 60 Jahre nach der Unabhängigkeit des ersten Staates der Region im größten gesellschaftspolitischen Konflikt, den es je auf diesem Kontinent gab. Daraus folgt:

• Das Militär ist ein nicht zu vernachlässigender Faktor in der afrikanischen Politik. Es hat seine eigene Vorstellung von Demokratie und sollte die Hände von der Politik lassen.
• Bei einem Putsch geht es nie um die Bevölkerung.
• Putsche werden von verschiedenen Faktoren wie Ethnizität, internen Streitigkeiten, Gier und Ungleichheit getrieben.
• Bei Staatsstreichen geht es um die Legitimierung militärischer Strukturen in der Zivilregierung. Das Versprechen, zur Zivilregierung zurückzukehren, wird nie verwirklicht.
• Der Befreiungskampf hat keine funktionierende Demokratie, sondern eine kolonial gespiegelte Regierungsführung eingeleitet.
• Die politische Demokratie ist die Hauptursache vieler Probleme, die die Länder im südlichen Afrika belasten, wie z. B. Unruhen und schrumpfende zivilgesellschaftliche Räume.

Das Konzept Demokratie ist für die meisten politischen Parteien und die Politik des südlichen Afrika nach wie vor schwer fassbar und unklar. Die Politik der Region wird von Bewegungen der Befreiungsfront dominiert, die zu politischen Parteien geworden sind und sich als „besorgte Patriarchen" mit dem Recht auf Regieren präsentieren. Jede Regierung praktiziert ihre eigene Version der Demokratie mit eigenen, ihr vertrauten Regeln und Grundsätzen, die sie sich im Laufe der Zeit angeeignet hat. Manche vergleichen dies mit einem Dämon in Form eines Tokoloshe, einer übernatürlichen Kreatur, die böse Kräfte ausübt, die niemand gesehen hat, von der aber jeder erzählen kann. Die Gefahr, über etwas zu sprechen, dem man noch nie begegnet ist, besteht darin, dass die Essenz im Märchen der Geschichten verloren geht.

Die Region hat zwar Richtlinien für Wahlen, doch es ist schmerzlich zu sehen, dass sie weiterhin mit fairen und glaubwürdigen Wahlen zu kämpfen hat. Der Versuch, die politische Demokratie durch ein Abhaken ihrer Bestandteile zu etablieren, wird oft mit erfolgreichen Wahlsiegen verwechselt, bezieht jedoch nicht die wirtschaftliche oder soziale Regierungsführung ein. Einige Wahlen sind jedoch von schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten und fragwürdigen Erdrutschsiegen gekennzeichnet. Legitimitäts- und Glaubwürdigkeitsfragen sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel geworden. Immer wieder führen sie zu Wahlanfechtungen wie zum Beispiel in Sambia im August 2016 (Hakainde Hichilema gegen Edgar Lungu), in Simbabwe im August 2018 (Nelson Chamisa gegen Emmerson Mnangagwa), in der DR Kongo im Dezember 2018 (Martin Fayulu gegen Felix Tshisekedi) oder in Malawi im Mai 2019 (Lazarus Chakwera gegen Peter Mutharika). Zwei Fragen bleiben offen: Haben wir zu viele Wahlen, aber keine Legitimität oder Glaubwürdigkeit? Werden Wahlen jemals Demokratie bringen?

Einparteien-Dominanz
Die Politik in der Region beruht in ihrem Wesen auf Dominanz und dem System des „the winner takes all". Sie baut auch auf dem Protektionismus der Befreiungsfronten auf, wobei es auf regionaler Ebene wenig oder gar keinen Raum gibt, auf die Anliegen der oppositionellen politischen Parteien einzuwirken. So konnte eine machiavellistische Politik prosperieren, die von einem Machtmonopol geprägt ist. Dominierende Parteien der Region sind Frelimo gegen Renamo (Mosambik), PF gegen UPND (Sambia), Zanu-PF gegen MDC (Simbabwe), ANC gegen DA (Südafrika), MPLA gegen Unita (Angola), Chama Chama Pinduzi gegen Chadema (Tansania).

„Einmal an der Macht und an den Hebeln der politischen Kontrolle, werden machiavellistische Politiker wahrscheinlich ihren eigenen egoistischen Zwecken dienen. Sie streben nach Erfolg, indem sie sagen, was Menschen glauben oder glaubhaft gemacht werden kann, und nicht, was nachweislich wahr ist. Sie denken eher an die nächsten Wahlen als an die nächste Generation. Sie suchen eher nach dem Erfolg ihrer Partei als nach dem ihrer Mitmenschen...", wie der Ökonom Hans Sennholz es formulierte. Diese vorherrschende Politik manifestiert sich in schwachen Institutionen, die von der Vereinnahmung der Exekutive, der Justiz und der Medien geprägt sind. Der Dienst am Bürger ist eher politisch als professionell ausgerichtet und dient ausschließlich den Interessen der Regierungspartei. Im März 2019 wurden vier Polizeibeamte in Sambia aus Gründen des nationalen Interesses in den Ruhestand versetzt, lediglich dafür, dass sie ihre Aufgaben wahrgenommen hatten, die mit der Verhaftung der Kader der Regierungspartei verbunden waren.

Ironischerweise ging die wachsende Dominanz einer politischen Partei mit dem Aufstieg der politischen Elite einher, die oft weniger mit dem Wahlkreis verbunden ist und durch eine primitive Akkumulation von Reichtum gedeiht. Wenn sie an den Rand gedrängt wird (indem ihr korruptes Verhalten oder ihre Straflosigkeit aufgedeckt werden), wendet sie sich dem Autoritarismus und Populismus zu.

Das südliche Afrika hat den Aufstieg von Despoten und Oligarchen erlebt, deren Führung selten an Machtteilung oder Machtübertragung glaubt, wenn dies ein Risiko für sie oder ihre Familien darstellt. Sie lebt davon, den Wählern Angst einzuflößen oder sie zu manipulieren. Nach den Erfahrungen der Machtteilung aus Simbabwe (Wahl 2008) wird keine Befreiungsbewegung im südlichen Afrika jemals das Risiko einer Oppositionsmehrheit im Parlament eingehen wollen. Wettbewerb, der als Bedrohung der politischen Macht angesehen wird, wird unterdrückt. Wo es ihn gibt, ist er Autoritarismus ausgesetzt, was besonders bei der Niederschlagung von Protesten, wie bei den Morden vom 1. August in Simbabwe oder den Massenprotesten vom Januar 2019, sichtbar wird. Die Unterdrückung von Dissens geschieht auch in Form der Isolation von Regionen oder ethnischen Gruppen. In Sambia ist man zum Beispiel Staatsfeind, wenn man aus der westlichen Region kommt, und wird eher aus nationalem Interesse in den Ruhestand versetzt.
Poltische Konkurrenz wird auch durch Entführungen, politische Gewalt, Verhaftungen und Schikanen beseitigt. In Tansania wurden zum Beispiel wichtige Oppositionsführer nach einem Verbot politischer Aktivitäten bis 2020 inhaftiert. In Simbabwe ist der Verbleib des seit 2015 vermissten prodemokratischen Aktivisten Itai Dzamara noch immer unbekannt.

Um den Wettbewerb zu zerschlagen, muss eine Kultur der Angst geschaffen werden, die ihre Tentakeln ausbreitet, indem Journalisten belästigt und alternative Ansichten zum Schweigen gebracht werden, die als gegen das Establishment gerichtet angesehen werden. Die meisten zivilgesellschaftlichen Organisationen schweigen aus Angst. Daher können der Staat und seine Unterstützer die öffentliche Meinung in Fragen von Rechtsstaatlichkeit und der Bedeutung der Demokratie beherrschen.

Verschmelzung von Familie, Partei und Staat
Befreiungsbewegungen haben nie eine Geschichte der Demokratie gehabt. Wenn dies der Fall gewesen wäre, gäbe es keine verschwommenen Grenzen zwischen der Regierungspartei und der Regierung, in der Parteifunktionäre Erklärungen zu Fragen der Regierungspolitik abgeben oder in einigen Fällen Familienmitglieder mehr informelle Macht besitzen als politische Autoritäten. William Gumede sagt: „Viele afrikanische Unabhängigkeits - und Befreiungsbewegungen weisen oft inhärente organisatorische, ideologische und historische Inkompetenzen auf – die im Kontext eines Unabhängigkeits- und Befreiungskampfs oft Stärken waren, aber einmal in der Regierung die antidemokratischen Praktiken verstärken."

Politiker werden als Anführer eines Kultes angesehen und die Regierung kann nur mit einer einzelnen Person an der Spitze Erfolg haben. In extremen Fällen werden sie mit Gott verglichen. Oft werden Ihnen Namen gegeben, die zeigen sollen, wie wild, rücksichtslos oder mächtig sie sind. So bekam etwa Michael Sata den Spitznamen King Cobra, Emmerson Mnangagwa wird als das Krokodil, John Magufuli als der Bulldozer und João Lourenço als der Terminator bezeichnet. Sie sind stolz auf Namen und Handlungen, die mit Rücksichtslosigkeit verbunden sind, sowie auf die Konnotation, als „oberster Anführer" wahrgenommen zu werden. Die meisten dieser Spitznamen sind jedoch kennzeichnend für antidemokratisches Verhalten.

Kritik am Führer wird oft mit Drohungen oder Verleumdungsklagen begegnet, wie in Sambia und Simbabwe, wo gewöhnliche Bürger beschuldigt wurden, den Präsidenten diffamiert zu haben. In einigen Fällen sind es Mitglieder dieser politischen Kultgruppen, die sich gegen einen wenden (Parteikader).

Unsere Regierungen haben Angst, die Demokratie zu institutionalisieren, weil sie sonst nicht die Kontrolle über alle Hebel behalten können. Sie haben zwar formal alles schnell umgesetzt, aber ihr politisches Verhalten zeigt etwas anderes.

Region des Schweigens
Ein Großteil unserer Demokratie spiegelt nach wie vor in Typus, Muster und Format eine Kolonialherrschaft wider, die die gleichen Taktiken der Kolonialherren anwendet oder nicht bereit ist, die Gesetze aufzuheben, die vor der Unabhängigkeit zur Einschränkung ihres Aktivismus angewendet wurden. Dies sind die gleichen Gesetze, die zur Unterdrückung der Menschenrechte angewendet wurden.

Demokratie und Menschenrechten werden weiter untergraben:
• Wenn der Status quo nicht in Frage gestellt oder die Krise nicht von der SADC gelöst wird. Die Staaten, in denen Befreiungsbewegungen an der Macht sind, haben Angst, sich gegenseitig zurechtzuweisen, und wenn es in einem Land zu Brutalitäten kommt, verschließt die Region ihre Augen. Wenn die SADC zu einer Antwort aufgefordert wird, fordert sie die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen.
• Wenn eine Kultur des Schweigens entsteht, die von der BBC als „Stummschalttaste" bezeichnet wird, die die internationale Gemeinschaft bei Menschenrechtsverletzungen betätigt. Die Haltung des „Es geht uns nichts an" fördert eine mittelmäßige Demokratie.
• Wenn es eine Präferenz für Stabilität und „Frieden" statt für Reformen der verankerten autoritären Herrschaft gibt. Die Welt konnte sehen, wie in Simbabwe nach Verzögerungen bei der Veröffentlichung der Wahlergebnisse sieben Menschen getötet wurden, wie sich ein Streit um das Wahlergebnis in Malawi abspielte, hat bei den Unregelmäßigkeiten der Wahlen in der DR Kongo weggeschaut und die Verfolgung des Oppositionsführers nach den umstrittenen Wahlen in Sambia ignoriert.
• Wenn der Wunsch besteht, im Investitionswettstreit zwischen Ost und West eigene wirtschaftliche Interessen zu verfolgen. Wo der Westen in den Hintergrund getreten ist, haben China und Russland diesen Raum ausgefüllt und verfolgen ihre eigene Agenda unter geringer Berücksichtigung der Menschenrechte und der Demokratie.

Zivilgesellschaftliche Organisationen sind bedroht wie nie zuvor. Die Zivilgesellschaft ist an ihrem schwächsten Punkt und wird unterwandert. Der zunehmende Einfluss rechter Gruppen, die die Sprache des Staates sprechen, hat die Zivilgesellschaft gespalten. Organisationen üben Selbstzensur aus und schränken damit ihren Handlungsspielraum ein. Staaten wie Sambia investieren in Software, um ihre Bürger auszuspionieren. So hat die sambische Regierung in Vorbereitung auf die Wahlen von 2021 kürzlich Pegasus angeschafft, eine Spyware, die auf Android- und iOS-Geräten installiert werden kann.

Wenn politische Demokratie zu wirtschaftlichem Erfolg führt, stärkt der Staat seinen Einfluss auf die Institutionen. Die Menschen haben jedoch alternative Methoden entwickelt, um sich zu engagieren. Wir haben eine Generation, die sich von der Politik betrogen fühlt, eine aufstrebende radikale Generation, eine hochgradig organisierte und technisch versierte Jugend, die nicht bereit ist, diesen Betrug länger hinzunehmen. Diese Generation hat gelernt, dass Veränderungen nicht immer von etablierten Politikern oder ausländischen Regierungen getragen, sondern vor Ort vorangetrieben werden müssen.
Auch die Befreiungsbewegungen werden eines Tages sterben. Irgendwann wird die Macht an eine andere Generation weitergegeben, aber ihre größte Bedrohung sind derzeit ihre internen Fraktionskämpfe, die vom Scheitern der Transformation angefeuert werden. Wenn Wahlen manipuliert, die Opposition niedergeschlagen und die Bürgerinnen und Bürger unterdrückt werden, ist unsere Politik weit entfernt von Demokratie und der Achtung der Menschenrechte.

Vongai Chikwanda

Die Autorin ist Aktivistin im Regionalbüro von Amnesty International für das südliche Afrika.

Ihr Beitrag ist der einleitende Aufsatz zu der Broschüre „Democracy under threat in SADC: Shrinking of democratic space in SADC", herausgegeben von der „Crisis in Zimbabwe Coalition", December 2019
http://kubatana.net/wp-content/uploads/2019/12/Democracy-Under-Threat-F.pdf