Heft 1/2020, Malawi

Festival der Hoffnung und Talente

DAS TUMAINI FESTIVAL IN MALAWI. Jedes Jahr im November verwandelt das Tumaini Festival das größte Flüchtlingscamp Malawis in einen Ort, der zwei Tage von Musik, Kunst, Tanz und gemeinsamen Feiern bestimmt wird. Ein besonderes Projekt, das Brücken schlägt und Hoffnung bringt.

Dzaleka, ein permanentes Flüchtlingscamp 45 Kilometer entfernt von Malawis Hauptstadt Lilongwe, ist im November 2019 erneut Schauplatz eines ganz besonderen kulturellen Events geworden: dem Tumaini Festival 2019. Das Camp besteht bereits seit 1994, damals gegründet vom UNHCR aufgrund der Vielzahl an Menschen auf der Flucht vor Genozid, Gewalt und Krieg in ihren Heimatländern.

Ein Großteil der Geflüchteten stammt aus der Demokratischen Republik Kongo, Ruanda und Burundi. Hinzu kommen kleinere Gruppen aus Somalia, Äthiopien und weiteren Ländern. Während in Deutschland und Europa über Sicherung der EU-Außengrenzen diskutiert und ein Narrativ geschaffen wird, in dem Europa von Menschen aus dem Nahen Osten und Afrika auf der Suche nach einem besseren Leben überrannt wird, ist nur wenigen Europäern bewusst, wie viele Menschen auch innerhalb des Kontinents auf der Flucht sind. Die Menschen verlassen ihre Heimat gezwungenermaßen aufgrund von Gewalt, Unterdrückung und Verfolgung und viele von ihnen machen sich nicht auf den Weg nach Europa, sondern landen in Flüchtlingscamps in benachbarten oder nahe gelegenen afrikanischen Staaten – wie Dzaleka.

Das Flüchtlingscamp Dzaleka
Bis heute befindet sich Dzaleka in ständigem Wachstum, mittlerweile leben fast 40.000 Geflüchtete in dem Camp. Dabei ist es nicht mit Zelt- und Containerstädten zu vergleichen, deren Bilder uns aus Europa so bekannt sind. Stattdessen hat es eher den Charakter einer überfüllten, stetig wachsenden Kleinstadt. Für viele der Menschen hier handelt es sich bei ihrem Aufenthalt in Dzaleka nicht um einen temporären Zufluchtsort, sondern um den dauerhaften Endpunkt ihrer Reise.

Zahlreiche Menschen leben in Dzaleka bereits seit den 1990er-Jahren und haben ihre Familien hier gegründet. Die Kinder wachsen in Dzaleka auf und haben nie etwas anderes als das harte Leben einer Flüchtlingsstadt kennengelernt. Die Menschen haben kein fließendes Wasser, meist keinen Strom im Haus, vielfach nicht ausreichend Nahrung, ganz zu schweigen von oftmals traumatisierten Eltern ohne psychologische Unterstützung, während sich Großfamilien engsten Raum teilen.

Malawi ist dabei keineswegs in der Lage, sich um die Geflüchteten zu kümmern. Von 18 Millionen Malawiern lebt mehr als die Hälfte von weniger als einem Dollar pro Tag. Die Versorgung der Geflüchteten in Dzaleka stützt sich somit fast ausschließlich auf den UNHCR und weitere internationale Organisationen. Kürzungen der Essensrationen sind dabei nur eines der zahlreichen alltäglichen Probleme, mit denen die Bewohner Dzalekas zu kämpfen haben. Darüber hinaus begegnen den Geflüchteten jedoch besonders zahlreiche Einschränkungen, die eine Verbesserung der Lebensumstände aus eigener Kraft praktisch unmöglich machen. So ist es Geflüchteten in Malawi beispielsweise verboten zu arbeiten, Besitz zu haben oder sich frei zu bewegen. Insgesamt resultiert daraus eine extreme Isolation vom Rest der Bevölkerung, eine Begrenzung ihrer finanziellen Möglichkeiten oder auch des Zugangs zu kulturellen Events. Zusätzlich wird ihr Leben von Vorurteilen und Ablehnung der malawischen Bevölkerung gegenüber den Geflüchteten beeinträchtigt. An diesem Punkt setzt das Tumaini Festival an.

Aus Verzweiflung gegründet
Das Tumaini Festival ist ein jährlich in Dzaleka stattfindendes Kunst- und Kulturfestival. 2019 besuchten etwa 35.000 Menschen die 6. Ausgabe des zweitägigen Festivals, welches auf fünf Bühnen Musik, Tanz, Theater, Poetry, Film und Kunst präsentierte. Das Tumaini Festival ist ein außergewöhnliches Beispiel eines Großevents, welches in einem Flüchtlingscamp stattfindet, ausgerichtet von Geflüchteten in Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung Malawis.

Hinter diesem Projekt steht eine kleine NGO namens „Tumaini Letu", gegründet 2012 von Trésor Nzengu Mpauni. Trésor (auch bekannt unter seinem Künstlernamen Menes La Plume) ist ein Poetry Slammer, Musiker und Schriftsteller aus Lubumbashi in der DR Kongo, der selbst als Geflüchteter nach Dzaleka kam. Trésor hat am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet, in einem solchen Camp zu leben: In seiner Heimat ein erfolgreicher Künstler, führte ihm das Leben in Dzaleka schnell seine Verzweiflung vor Augen. Als Antwort auf die Hoffnungslosigkeit gründete er zunächst Tumaini Letu mit dem Ziel, Kunst und Kultur zu nutzen, um auf die Probleme der Geflüchteten aufmerksam zu machen. 2014 folgte schließlich die Gründung des Tumaini Festivals, heute das Hauptprojekt Tumaini Letus.

Rückblickend auf das bisher Erreichte sagt er heute: „Es war ein Traum, der Realität geworden ist, und diese Realität wächst in einer überraschenden Geschwindigkeit. Ich erinnere mich, dass vor gerade einmal sechs Jahren niemand in Malawi Dzaleka kannte, und heute ist es ein Ziel geworden, dass Menschen von der ganzen Welt anzieht, um Kulturen zu entdecken, inspiriert zu werden und das Leben zu genießen. Es ist ein Beispiel dafür, was ein hochwertiges kulturelles Event für einen vergessenen Ort tun kann."

„Tumaini" bedeutet „Hoffnung" auf Swahili und umschreibt eines der zentralen Anliegen dieses Festivals – den Geflüchteten in Dzaleka Hoffnung machen. Das Festival schafft einen dringend benötigten Austausch zwischen den Geflüchteten und der lokalen Bevölkerung und hilft, Vorurteile zwischen den beiden Gruppen abzubauen. Es befeuert eine wichtige Diskussion über die Probleme und Herausforderungen der Geflüchteten. Zugleich stellt es einen effektiven Weg dar, für die Geflüchteten einzustehen, indem es Menschen zusammenbringt, die Stimmen der Geflüchteten stärkt und diesen Stimmen eine Plattform bietet.

Gastfreundschaft und künstlerische Talente
Neben diesen zentralen Vorteilen bietet das Festival den Geflüchteten jedoch besonders eines: Die Möglichkeit, ihre künstlerischen Talente zu präsentieren und zwei Tage gemeinsamen Spaß zu haben, zu feiern und zu tanzen. An einem Ort wie Dzaleka trifft hierbei eine große Vielfalt an kulturellen Hintergründen aufeinander. Die Händler verkaufen Essen und Kunsthandwerk aus allen Herkunftsländern, traditionelle Tanzgruppen und Musiker bewahren die Traditionen aus ihrer Heimat und legen dabei vielfach wahres Starpotenzial an den Tag.

Dabei baut das Festival sicherlich nicht auf einfachem Boden. Die Infrastruktur ist unzulänglich und finanzielle Mittel sind trotz großer Förderer wie dem UNHCR, Plan International und weiteren Organisationen sowie privaten Unterstützern im Rahmen einer Crowdfunding-Kampagne knapp. Ein Festival vergleichbarer Größe in Deutschland, wie beispielsweise das Highfield Festival, nimmt allein durch Ticketverkäufe fast fünf Millionen Euro ein und arbeitet mit einem riesigen Mitarbeiterstamm. Das kaum zehnköpfige Team des Tumaini Festivals ist bei einem für alle Besucher kostenlosem Festival hingegen vollständig auf Spenden und eine Crowdfunding-Kampagne von gerade einmal 15.000 Euro angewiesen. Somit ist das Tumaini Festival jedes Jahr aufs Neue eine logistische, finanzielle und strukturelle Herausforderung.

Trotz allem ist ein Einstampfen des Festivals für alle Beteiligten keine Option und die Mühen werden durch ein stetig wachsendes Festival mit neuen, innovativen Ideen in jedem Jahr belohnt. So führte das Tumaini Festival 2018 erstmals ein integriertes Home Stay Program ein, welches den Besuchern des Camps die Möglichkeit bietet, während des Festivals bei einer im Camp lebenden Familie zu übernachten. Das Projekt ermöglicht dabei nicht nur den Gästen, das Leben in Dzaleka besser kennenzulernen, sondern gibt auch den Familien im Camp eine Gelegenheit zu zeigen, dass auch sie, trotz Flüchtlingsstatus, ihr Leben als herzliche Gastgeber teilen können. Das Tumaini Festival 2019 brachte außerdem mit „Fashion in the Dust" eine Camp-eigene Modenschau, sowie das Live-Painting Projekt „Tumaini in Colours", bei dem die Besucher der Verschönerung Dzalekas durch junge Künstler aus dem Camp in Echtzeit zuschauen konnten.

Die scheinbar endlosen Künstlertalente aus Dzaleka teilen sich dabei die Bühnen mit Künstlern von außerhalb. Zum einen, da Austausch eines der zentralen Anliegen des Festivals ist. So haben die sechs bisherigen Ausgaben Künstler aus mittlerweile siebzehn Nationen, wie beispielsweise DR Kongo, Südafrika, Japan, Brasilien und Mosambik, vereint. Zum anderen aber auch, da das Festival durch seine humanitäre Grundlage die großen Künstler Malawis und der Region anlocken kann. Die Auftritte ihrer Stars bei ihnen in Dzaleka hat für viele hier ein erhebliches Gewicht. Wer sieht, wie gestandene Männer bei dem Auftritt Ced Koncepts feiern und bei Patience Namadingo anfangen zu weinen, erkennt, welche große Bedeutung das Festival für die Menschen in Dzaleka hat.

Das Tumaini Festival bringt den Bewohnern Dzalekas eine Möglichkeit, stolz auf ihre Kulturen und Talente zu sein. Es stellt ein innovatives kulturelles Event dar, welches Unterhaltung und künstlerische Ausdrucksformen nutzt, um finanzielle Unabhängigkeit der Geflüchteten, interkulturelle Harmonie, gegenseitiges Verständnis und friedliche Koexistenz zu fördern. Besonders zeigt das Tumaini Festival jedoch, dass Geflüchtete nicht nur Menschen sind, die Hilfe und Unterstützung brauchen, sondern dass sie auch talentierte Künstler, herzliche Gastgeber und in erster Linie Individuen sind, die – wie alle anderen auch – gute Musik, Kunst, Essen und gemeinsam verbrachte Zeit genießen.

Isabel Hamm

Die Autorin studiert Kulturwissenschaften und war Teil des Organisationsteams des Tumaini Festival 2019 in Malawi.

Weitere Informationen, Hintergründe und Updates auf www.tumainifestival.org. Folgen Sie dem Festival auf Social Media unter @tumainifestival oder senden Sie eine E-Mail an info@tumainifestival.org