Heft 1/2021, Editorial

Corona endet erst, wenn es für alle endet

Mehr als 10.000 Menschen sind in der ersten Woche des Jahres in Südafrika an Covid-19 gestorben. Eine Mutation des Virus verbreitet sich auch in den Nachbarländern. Die Möglichkeiten, sich vor der Krankheit zu schützen, sind ganz und gar vom sozialen, ökonomischen und rechtlichen Status und den individuellen Ressourcen abhängig: Ob man sich bei Bedarf isolieren kann oder der Infektion ausgeliefert ist, ob man Zugang zu privater, öffentlicher oder gar keiner Gesundheitsversorgung hat. Dasselbe gilt für die Folgen des Lockdowns: Ökonomische, juristische und soziale Ressourcen entscheiden darüber, welches Leben zählt, und vertiefen klassenspezifische, rassistische und xenophobe Ausgrenzungen.

Nach zehn Monaten der Pandemiebekämpfung sind die ökonomischen Handlungsspielräume sowohl der Regierungen als auch der Privathaushalte deutlich eingeengt. Die Staatsverschuldung ist massiv angestiegen. Im Privaten haben immer mehr Menschen ihre Reserven aufgebraucht, die Zahl akut hungernder Menschen ist sprunghaft angestiegen. Das öffentliche Gesundheitssystem ist erschöpft und weiterhin nicht in der Lage, die Menschen angemessen zu versorgen. Das Vertrauen in die politischen Führungen ist nachhaltig erschüttert. Dazu haben die autoritären, repressiven Maßnahmen im Lockdown ebenso beigetragen wie Selbstbereicherung und Korruption – inmitten der Pandemie. Hinzu kommt auch im südlichen Afrika die massenhafte Verbreitung von Verschwörungsmythen: Sie beziehen sich auf den Ursprung des Virus, aber auch auf die Impfungen und haben Panik und Verweigerung von Schutzmaßnahmen zur Folge.

Doch apokalyptische Erzählungen über Corona in Afrika laufen Gefahr, das „Afrika-Narrativ" der westlichen Berichterstattung zu bestärken: Auf jeden Fall werde sich die Pandemie dort am schlimmsten auswirken. Als sich jedoch während der ersten Welle zeigte, dass die Hotspots der Infektionen keineswegs in Afrika zu verorten waren, war das Erstaunen groß und bildete den Anstoß für Diskussionen über Projektion und Wirklichkeit. Auch zum jetzigen Zeitpunkt ist nicht ausgemacht, wie die Entwicklung der Pandemie und ihre Folgen weitergehen. Der Unberechenbarkeit des Virus entspricht die der gesellschaftlichen und politischen Reaktion in vielen Ländern der Region. In Südafrika hat sich die aktivistische und journalistische Zivilgesellschaft auf erstaunliche Weise in den Verlauf der Pandemie eingemischt: In Windeseile wurden flächendeckende Vernetzungsstrukturen mit hunderten von Organisationen gebildet, die gegen Repression und Zwangsräumungen während des Lockdowns Einspruch erhoben, die für ausreichend Schutzausrüstung für Community Health Worker kämpften, Korruption und Selbstbereicherung bei Corona-Hilfsmaßnahmen aufdeckten, Community-Aufklärung und psychosoziale Unterstützung organisierten, gegen Fake News und xenophobe Verschwörungsmythen vorgehen und die Integration des privaten und öffentlichen Gesundheitssystems fordern.

In vielen Ländern, in denen die Elite es gewohnt war, für medizinische Behandlungen ins reiche Ausland zu fliegen, gab es plötzlich ein Erwachen und Interesse, die heimische Gesundheitsversorgung zu verbessern. Sehr hilfreich wurde das Africa Centre for Disease Control and Prevention (CDC) bei der Pandemiebekämpfung, das afrikanische Infrastrukturen u.a. zur Produktion von Tests, Schutzausrüstungen und Impfstoffen fördert. Dabei spielen digitale Lösungen auf vielen Ebenen eine rasant wachsende, kreative Rolle, die von der jungen afrikanischen Bevölkerung begierig aufgenommen und weiterentwickelt wird.

Doch alle regionalen Anstrengungen scheitern am Skandal der globalen Unordnung und Machtverhältnisse, die es 13 Prozent der Weltbevölkerung aus den reichen Ländern ermöglichte, 51 Prozent der geplanten Impfstoffdosen vorab zu sichern und diese für die eigene Bevölkerung einzusetzen – unabhängig vom globalen Bedarf. Die Welt steuere auf ein katastrophales moralisches Versagen zu und die Menschen in armen Ländern müssten mit ihrem Leben bezahlen, empörte sich der WHO-Chef Tedros unlängst. Es sei nicht zu rechtfertigen, wenn junge, gesunde Erwachsene in reichen Ländern eine Impfung erhielten, noch bevor Mitarbeiter:innen des Gesundheitswesens sowie ältere Menschen in armen Ländern immunisiert werden. Viele Staaten drängeln sich vor, um für ihre Bevölkerungen über bilaterale Verträge Impfstoffe zu erwerben. Pharmafirmen suchen vor allem in reicheren Ländern eine Zulassung für ihre Wirkstoffe, weil dort die Gewinnaussichten besser sind als in armen Staaten. Und nicht genug: Dieselben Staaten, die sich jetzt Impfstoffvorräte sichern – darunter auch Deutschland – verweigern jegliche Änderung an den Patentrechten. Sie aber könnten es Ländern wie Südafrika ermöglichen, selbst Impfstoffe als Generika zu produzieren. Und das, obwohl über 80 Prozent der Kosten für die Impfstoffentwicklung nicht von der Privatwirtschaft finanziert wurde, sondern von der öffentlichen Hand und gemeinnützigen Zuschüssen.

Ob sich im südlichen Afrika apokalyptische Verhältnisse durchsetzen oder aber solidarische, dies hängt auch von dem globalen Kampf ab, ob diese Impfstoffe wirklich „uns allen" gehören!

Usche Merk, medico international
https://www.patents-kill.org/deutsch/