Heft 1/2021, Tansania

Demokratie war einmal

TANSANIA NACH DEN WAHLEN. Unter Präsident John Magufuli ist Tansania auf bestem Wege in eine Regierung ohne jegliche Kontrolle, die, wenn ihr danach ist, auch gegen die Interessen und das Wohlergehen der Öffentlichkeit handeln kann. Demokratische Legitimation sieht anders aus, das haben die gefälschten Wahlen von Oktober 2020 deutlich gezeigt.

Das Echo und die Lautstärke des Rufs nach Demokratie in Tansania sind in den letzten Jahren immer lauter geworden. Insbesondere mit dem Regierungsantritt von John Pombe Magufuli nach seinem Wahlsieg im Oktober 2015. In einem noch nie dagewesenen Schritt hat Tansanias fünfter Präsident Magufuli in den ersten Tagen nach seinem Amtsantritt nicht nur die institutionelle Korruption und die Zügellosigkeit der Regierungsbeamten, sondern auch die konstitutiven Elemente der Demokratie gleich mit beseitigt (dieses resolute Vorgehen handelte ihm den Beinamen „Bulldozer" ein; Anm. d. Übersetzers).

In den letzten fünf Jahren wurde der tansanischen Opposition u.a. verboten, zu öffentlichen Versammlungen aufzurufen. Oft wurden interne Treffen von der Polizei gestört und auf Grundlage haarsträubender Behauptungen und absurder nachrichtendienstlicher Begründungen aufgelöst. Zudem gab es weitreichende Änderungen, neue Erlasse und neue Gesetze, die höchst bedenklich sind und die grundlegende Freiheit in Tansania beschneiden. In der Folge wurden einige Regierungskritiker Opfer von dubiosen Anklagen, andere wiederum wurden von „Unbekannten" entführt. Das wohl Beunruhigendste von allem waren jedoch die heimtückischen, politisch motivierten Morde sowie der gescheiterte Mordversuch an Tundu Lissu, dem lautstarken Regierungskritiker und stellvertretenden Vorsitzenden der wichtigsten Oppositionspartei Chadema (siehe afrika süd Nr. 4, 2020).

Der Weg zu den Wahlen im Oktober 2020
Es ist unbestreitbar, dass die demokratischen Privilegien, die während der vorherigen Regime in Tansania noch genossen werden konnten, in hohem Maße verändert wurden. Die demokratischen Freiräume sind massiv eingeschränkt worden, da die amtierende Regierung ihren zunehmenden Widerwillen zeigte, sich an so kostbare Güter wie die Rede-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu halten. In der Öffentlichkeit entstand allmählich ein Gefühl der allgemeinen Verunsicherung und Angst über das Abhalten von Wahlen.

Seit Ende 2019 eskalierte die Spannung zwischen der Öffentlichkeit, der Opposition und der Regierung über die Frage und das Schicksal der tansanischen Demokratie – insbesondere in Bezug auf die bevorstehenden Wahlen. Aus der Opposition und der kritischen Öffentlichkeit kamen Bedenken über den Wahlprozess, weshalb eine unabhängige und unparteiliche Nationale Wahlkommission (NEC) gefordert wurde. Vor allem die Unparteilichkeit der „Returning Election Officers" wurde infrage gestellt, handelt es sich dabei doch um amtierende Regierungsbeamte – District Executive Directors (DEDs).

In erster Linie wurde bezweifelt, inwiefern man Regierungsbeamte, die öffentlich ihre Loyalität zu ihrem Arbeitgeber – der Regierung – bewiesen haben, nunmehr als neutrale Wahlbeobachter aufstellen kann. Es ist kaum anzunehmen, dass die DEDs trotz offensichtlicher Loyalitätskonflikte einen Wahlgang überwachen können, in dem es (zumindest potenziell) um die Absetzung ebenjener Regierung geht, die ihr bisheriger Arbeitgeber ist.

Das Ausmaß der Zweifel in der Öffentlichkeit und bei den Oppositionsparteien verschärfte sich mit den unrühmlichen Kommunalwahlen von 2019, bei denen die Tansanier Straßen- und Dorfvorsteher in den städtischen bzw. ländlichen Gebieten wählten (s. afrika süd Nr. 6, 2019). Bei den besagten Wahlen triumphierte die Regierungspartei CCM mit einem fast 100-prozentigen Sieg. In den überaus zwielichtigen und manipulierten Wahlen waren den Oppositionskandidaten die Nominierungsformulare verweigert worden, sodass CCM-Kandidaten ihre jeweiligen Posten ohne Gegenkandidaten gewannen. Oppositionskandidaten wurden wegen unsinniger Belange disqualifiziert (z.B. konnte bereits die „falsche" Ortsangabe in Formularen wie „Dar" anstatt „Dar es Salaam" zum Ausschluss führen; Anm. des Übersetzers); in der Folge boykottierten die Oppositionsparteien die Wahlen, da sie die Kapriolen der Regierungspartei leid waren.

Totschlag für die Demokratie: die Wahlen 2020
Die Nebelwolke undemokratischer Absichten türmte sich bereits zwischen August und Oktober 2020 auf. Als dann der eigentliche Wahlprozess begann, spürte man den Nieselregen demokratischer Mängel. Der Sturm und Donner demokratischer Agonie brach schließlich am 28. Oktober 2020 los, als die Tansanier ihre Stimmen für ihre Kandidaten für den Stadtrat, das Parlament und die Exekutive abgaben. Am 31. Oktober 2020 schließlich wurde der Nachruf auf die Demokratie verlesen, als die NEC den Wahlprozess zusammenfasste und Magufuli mit einem Erdrutschsieg für seine zweite (und hoffentlich letzte) Amtszeit bis 2025 zum neuen und alten Präsidenten von Tansania erklärte (vgl. afrika süd Nr. 6, 2020).

Die NEC erklärte außerdem, dass der gesamte Wahlprozess „frei und fair" gewesen sei. Wenn aber die Definition von frei und fair nicht revidiert werden muss, um in Tansania etwas anderes zu bedeuten als anderswo auf der Welt, dann war der Wahlprozess das genaue Gegenteil. In Wirklichkeit war die Wahl nicht einmal annähernd frei und fair. Ohne Zweifel war sie manipuliert, ein absoluter Witz, eine Geld- und Zeitverschwendung. Leider hat sie der noch jungen tansanischen Demokratie einen schweren Schlag versetzt. Wie konnte es nur so weit kommen?

Die Auftaktveranstaltungen zu den Wahlen, bei denen die Kandidaten zunächst eingeladen waren, sich parteiintern für die jeweiligen Listenplätze zu bewerben, leiteten eine Reihe von Wahlfälschungen ein. Schon in der Anfangsphase wurden die Kandidaten der Opposition und ihre jeweiligen Parteien Opfer aller möglichen rechtlichen, politischen und bürokratischen Manöver. Einigen Oppositionskandidaten wurden die Nominierungsformulare verweigert. In manchen Fällen weigerten sich die Wahlleiter, die ausgefüllten Formulare der Oppositionskandidaten entgegenzunehmen. Wiederum andere bevollmächtigte Beamte verließen ihre Ämter, kurz nachdem die Regierungspartei ihre ausgefüllten Unterlagen eingereicht hatte, um zu versuchen, die Opposition auf der Grundlage der verspäteten oder nicht erfolgten Einreichung der Nominierungsformulare zu disqualifizieren. Die Kandidaten der Oppositionsparteien wurden Opfer von unbegründeten und hanebüchenen Einsprüchen, die ihre Nominierungen anfochten. Gegen die Einsprüche der Wahlleiter legten die Oppositionsparteien in insgesamt 616 Fällen Beschwerde bei der Wahlkommission ein.

So war der Nominierungsprozess für die Wahlen vonseiten der NEC von blanker Heimtücke geprägt. Das hat die Spannungen zwischen der Opposition und der zuständigen Behörde weiter angeheizt. Trotz strategischer Interventionen und Maßnahmen der Oppositionsparteien im Umgang mit den Wahlunregelmäßigkeiten in der Nominierungsphase gelang es der regierenden CCM, unter dem Schutz der NEC 20 Wahlkreise noch vor dem eigentlichen Wahltermin zu gewinnen. Nachdem Oppositionskandidaten frühzeitig systematisch disqualifiziert und somit von den Wahlen ausgeschlossen worden waren, wurden die Parlamentskandidaten der CCM in den jeweiligen Wahlkreisen ohne Gegenkandidaten zu Siegern erklärt.

Der Wahlalbtraum zog sich jedoch noch weit über den Nominierungsprozess hinaus bis in die Wahlkampfzeit hinein. Während des Wahlkampfes wurden Oppositionsparteien und ihre jeweiligen Kandidaten und Parteimitglieder Opfer von Einschüchterung und Unterdrückung durch die Strafverfolgungsbehörden. Mitglieder und Anführer der Opposition wurden in ihrem Wahlkampf behindert, ihre Ausrüstung und Materialien beschlagnahmt oder zerstört sowie ihre Zeitpläne durchkreuzt, da sie mit unerträglichen Hürden konfrontiert waren. Während sie all diesen perfiden Repressionen ausgesetzt waren, blieb die NEC unbehelligt, da sie mit ihrem Verbündeten bei der Wahl, der CCM, harmonisch Hand in Hand ging.

Der Wahltag selbst wurde zum Höhepunkt eines regelrechten Massakers an der Demokratie in Tansania. In zahlreichen Wahllokalen wurde den Oppositionsparteien die Entsendung von Parteivertretern verweigert. Es gab Vorfälle, bei denen Personen mit ausgefüllten Stimmzetteln außerhalb der Wahllokale angetroffen wurden und diese Personen nicht angeklagt wurden. Bei der Auszählung wich die tatsächliche Zahl der abgegebenen Stimmen stark von der Zahl der zur Auszählung vorgelegten Stimmen ab.

Insgesamt verlief die Wahl (wie auch der gesamte Wahlprozess) zweifelsohne überall straff durchorganisiert. Die Wahlmanipulationen führten zu einem überwältigenden Sieg der Regierungspartei, die 97 Prozent der Wahlkreise für sich beansprucht und insgesamt 93 Prozent der Abgeordneten stellt. Bei den gleichzeitig stattfindenden Präsidentschaftswahlen gewann Magufuli von der CCM (84 Prozent) mit einem Vorsprung von sage und schreibe 71 Prozent gegen seinen engsten Konkurrenten, Tundu Lissu, der lediglich 13 Prozent der Stimmen erhielt.

Opposition in der Bedeutungslosigkeit
Nun, da die Wahl zu Ende ist, stellt sich die wichtige Frage, wie es um das Schicksal der tansanischen Demokratie bestellt ist. Während die Opposition im vorigen Parlament etwa 30 Prozent der Abgeordneten stellte, ist diese Zahl auf nur noch 7 Prozent gesunken. Es ist also höchste Zeit, sich um das Mehrparteiensystems in Tansania Sorgen zu machen. Darüber hinaus ist es aber auch entscheidend, die Chancen demokratischer Regierungsführung unter den einfachen Leuten („Wananchi", wie man sie in Tansania nennt) zu ermitteln.

Da die Oppositionsparteien bei den Wahlen nur ein Minimum an Stimmen erhalten haben, werden ihnen nun die sonst üblichen Parteisubventionen entzogen, die es erst ermöglichen, die Vorhaben der jeweiligen Partei umzusetzen. Zusammen mit den Parteisubventionen bieten die üppigen Diäten der gewählten Oppositionsabgeordneten normalerweise einen wichtigen finanziellen Beitrag zur Parteienfinanzierung. Da die Zahl der Mandatsträger nun so geschrumpft ist, wird dies auch die Einkünfte der Parteien empfindlich treffen. Hinzu kommt, dass die Opposition unter normalen Umständen von finanziellen Beiträgen von Interessengruppen wie Mitgliedsbeiträgen, öffentlichen Spendensammlern und externen Verbündeten (im Ausland, Inland und in der Region) profitiert. Nun ist allerdings zu erwarten, dass all diese Beiträge aufgrund des deutlich geringeren Einflusses der Oppositionsparteien zurückgehen.

Da die Opposition nun noch strengeren Budgetgrenzen unterworfen ist, wird dies ihren Handlungsspielraum massiv einschränken. Ihr Ausschluss von der Macht und von Entscheidungsprozessen wird ihren Einflussmöglichkeiten bei der Durchsetzung gesetzlicher und politischer Veränderungen noch engere Grenzen setzen. Da der Opposition sowohl Macht als auch die nötigen Mittel fehlen, um Veränderungen zu bewirken und die Lebensumstände der Tansanier zu verbessern, steht die Legitimität der Opposition als Ganze zur Disposition. Viele Tansanier denken bereits, dass eine Verbindung zur Opposition weniger vorteilhaft für sie ist und im schlimmsten Fall sogar negative Folgen haben kann.

Mit der Zeit könnten die Oppositionsparteien weiter an Legitimität in der Öffentlichkeit verlieren. Mit der zu erwartenden, härteren Unterdrückung durch die Regierung unter Magufuli würde dies sowohl Parteiführer, Mitglieder als auch die Öffentlichkeit im Allgemeinen demoralisieren. Im Endeffekt würde die Opposition wohl größtenteils dem Druck der CCM-Dominanz erliegen und sich ihrer Vorherrschaft unterwerfen müssen. Ein solcher Akt würde die (de facto) Wiedereinführung der Ein-Parteien-Politik bedeuten (die erst 1992 überwunden wurde; Anm. d. Übersetzers) und die gegenseitige Kontrolle zwischen den Gewalten zerstören. Dies ebnet unverkennbar den Weg für eine schrankenlose Macht der Regierung – gegen die Interessen und das Wohlergehen der Öffentlichkeit.

Der Autor dieses Textes ist der Redaktion namentlich bekannt. Er ist ein junger Tansanier, der sich Sorgen sowohl um sein Land als auch um sein Leben macht, weshalb er hier lieber anonym bleiben möchte.