Heft 1/2021, Lesotho

Es reicht!

LESOTHOS JUGEND FORDERT IHRE CHANCE

Es war nicht das erste Mal, als Anfang November 2020 etwa 700 junge Leute singend und tanzend durch die Straßen von Maseru zogen, um auf ihre Lage aufmerksam zu machen. Bereits ein Jahr zuvor hatten sie einen „Youth Shutdown" ausgerufen, die Zufahrtsstraße zum Industrieviertel Thetsane blockiert und von der Regierung Rechenschaft verlangt für ihre Untätigkeit bei der Schaffung von Arbeitsplätzen. „Wir haben die Nase voll!" und „Wir wollen Jobs!" war auch diesmal auf handgeschriebenen Plakaten zu lesen, und immer wieder „Schluss mit dem Nepotismus im Öffentlichen Dienst!" Wer sich im Öffentlichen Dienst – dem größten Arbeitgeber des Landes – bewirbt, scheitert oft daran, so der Vorwurf, dass die ausgeschriebene Stelle bereits unter der Hand an Bewerberinnen und Bewerber mit persönlichen Beziehungen vergeben wurde.

Vom Monument des Staatsgründers Mohoeshoe im Zentrum der Stadt wollten sie zum Parlament ziehen, um ihre Forderungen zu übergeben, aber sie kamen nicht weit. Da die Demo nicht genehmigt war, griff die Polizei mit Hippopeitschen, Wasserwerfern und Gummigeschossen ein und nahm 11 Demonstrierende in Gewahrsam. Nach mehreren Tagen im Gefängnis mussten sie sich vor Gericht verantworten. Sie wurden beschuldigt, an einem illegalen Aufmarsch beteiligt gewesen zu sein und im Geschäftszentrum der Stadt Unruhe gestiftet zu haben. Sie wurden auf Kaution freigelassen und müssen zu einem späteren Zeitpunkt erneut vor Gericht erscheinen.

Die Aktion fand nicht bei allen Jugendlichen ungeteilte Zustimmung, auch wenn sie das Anliegen durchaus unterstützen. „Wir sind nie zusammen gekommen, um unsere Situation zu diskutieren und gemeinsam eine Strategie zu entwickeln, statt immer wieder mit den gleichen Forderungen auf die Straße zu gehen", meint Jugendaktivistin Libuseng Rakhomo. „Wie können wir – zum Beispiel – Verbündete in der Politik gewinnen? Ganz sicher nicht mit vulgärer Sprache und Beleidigungen, wie sie auf der Demo zu hören waren."

Die Auswirkungen lang anhaltender Arbeitslosigkeit gerade unter jungen Basotho, die etwa 40 Prozent der Bevölkerung ausmachen, sind besorgniserregend. Armut und Hoffnungslosigkeit führen zu steigendem Konsum von Alkohol und Drogen, finanziert durch Diebstahl und Raubüberfälle. Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Frauen nimmt zu, befördert durch die noch immer vorherrschende gesellschaftliche Vorstellung von der Minderwertigkeit von Frauen. Teenager-Schwangerschaften sind oft die Folge. Es ist nicht ungewöhnlich, eine 19-jährige anzutreffen, die bereits Mutter von zwei Kindern ist, verheiratet oder auch nicht. Die Chancenlosigkeit mancher Jugendlicher auf dem Arbeitsmarkt wird auch dadurch verstärkt, dass sie keinen qualifizierten Schulabschluss haben, da die Eltern die Gebühren für die weiterführende Schule nicht bezahlen können.

Ausweg: Selbstständigkeit
Immer mehr junge Leute wollen nicht warten, bis die Regierung die Voraussetzungen für ihre Berufstätigkeit schafft. Sie haben den Mut, sich selbständig zu machen, anstatt frustriert zu Hause rumzusitzen – so zum Beispiel die 27-jährige Malisema Makhele, Uni-Absolventin mit einem Abschluss in Geographie und Umweltwissenschaften. Zwei Jahre lang hatte sie Bewerbungen geschrieben – ohne Erfolg. Schließlich beschloss sie, sich „die Hände schmutzig zu machen" und Bäuerin zu werden. Da sie aus einer ländlichen Gegend kommt, war ihr Landwirtschaft nicht fremd. Mit ihren Ersparnissen als Startkapital kaufte sie Masthähnchen, mit dem Erlös dann Legehennen und später kamen Ferkel hinzu. Ihre Produkte verkauft sie über soziale Medien und an Geschäfte im Umkreis von Leribe. Sorgen bereitet ihr die Instabilität der Vermarktung. Und doch empfiehlt sie anderen jungen Leuten, ihrem Beispiel zu folgen und ihre eigenen Unternehmen zu gründen, statt auf Hilfe von außen zu warten.

Einen anderen Weg ging Nthalbeleng Tsoeu. Sie berichtet, wie der Frust über ihre schlechten Leistungen in der höheren Schule sie dazu brachte, ein Handwerk zu lernen. Am Technical Institute in Thaba Tseka absolvierte sie eine Ausbildung im Fach Lederverarbeitung und Polsterei. Inzwischen hat sie ihr eigenes Unternehmen. Sie stellt in Handarbeit Taschen und Gürtel aus Leder her und verkauft diese Unikate vor allem in Südafrika. Unterstützt wird sie von Eltern und ihrem Bruder, die alle im handwerklichen Bereich tätig sind. Ihr Appell an die Jugend: Vergeudet nicht eure Zeit, geht ein Risiko ein, entdeckt eure Talente und hört nicht darauf, was andere sagen.

Eine Hürde für junge Leute bei der Suche nach einem Arbeitsplatz ist auch in Lesotho die oft fehlende Berufserfahrung. Hier will das Lesotho Highlands Water Project (LHWP) mit seinem Programm „Young Professionals" Abhilfe schaffen, zumindest für einen kleinen Teil von jungen Fachleuten. Sie kommen aus verschiedenen Fachrichtungen – von Ingenieurwissenschaften, Geologie, Architektur und Umwelt bis Volkswirtschaft und Soziologie. Entgegen kultureller Stereotypen sind es auch in den Ingenieurwissenschaften fast genau so viele Frauen wie Männer. In sechs bis vierundzwanzig Monaten können sie das komplexe Bauvorhaben in der Praxis kennenlernen und so ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern.

Die Regierung ist gefordert
Großes Kopfzerbrechen bereitet auch Premierminister Moeketsi Majoro – bis Mai 2020 zuständig für Finanzen – die hohe Arbeitslosigkeit unter gut ausgebildeten Jugendlichen. Nach Angaben von UNDP liegt sie derzeit bei 43 Prozent. Er ist davon überzeugt, dass die meisten von ihnen im formellen Sektor Arbeit finden könnten. In den nächsten zwei Jahren sollen neue Unternehmen aus der Bekleidungs- und Elektroindustrie angesiedelt werden mit etwa 8000 Arbeitsplätzen. Auch in der Landwirtschaft sieht er große Möglichkeiten. Allein im Obst- und Gemüseanbau könnten fast 2000 Arbeitsplätze entstehen. Eine Voraussetzung dafür sei jedoch die Schaffung einer kommerziellen Landwirtschaft, angepasst an die Klimaveränderungen. Dadurch könnte zusätzlich erreicht werden, Lebensmitteleinfuhren – überwiegend aus Südafrika – zu halbieren und Nahrungsmittelsicherheit zu gewährleisten. Ob und wann diese und andere hochfliegenden Pläne des Premiers Realität werden, bleibt abzuwarten.

Einig ist man sich in Lesotho darin, dass sich mehr junge Leute für Studienfächer im Bereich Naturwissenschaften und Landwirtschaft sowie für eine technisch-handwerkliche Ausbildung entscheiden sollten. Die Orientierung in diese Richtung sollte bereits in den Schulen erfolgen und durch gezielte Berufsberatung komplementiert werden.

Brigitte Reinhardt


JUGEND UND KULTUR

Auch wenn junge Menschen in Lesotho Teil der globalen Jugendkultur sind – mit modisch-zerrissenen Jeans, Smartphones in der Hand und einer Vorliebe für Fastfood –, so bedeutet dies jedoch nicht unbedingt eine Geringschätzung ihrer Herkunft und eine Abkehr von der Kultur der Basotho.

Libuseng Rakhomo, 24
Schon von klein auf wird uns vermittelt, stolz darauf zu sein, dass wir Basotho sind. Von den Prinzipien, mit denen wir aufwachsen, finde ich besonders wichtig „Lets'oele le beta pooho" – gemeinsam sind wir stärker. Was ich an meiner Heimat am meisten schätze, sind die Menschen. Sie sind freundlich, warmherzig und heißen Fremde willkommen. Lesotho ist kein armes Land. Es verfügt über natürliche Ressourcen wie Diamanten und Wasser. Leider werden diese und andere Potenziale von der Politik nicht ausreichend genutzt, um das Land zu entwickeln.

Grace Molefe, 23
Als Mosotho komme ich aus einem der kleinsten Länder der Welt, ganz von einem anderen Land umgeben und mit einem König als Staatsoberhaupt. Dies ist ungewöhnlich, und so habe ich das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Was ich an Lesotho am meisten liebe, sind die Berge. Es gibt für mich nichts Schöneres und Beruhigenderes als diese großartige Landschaft. Bedrückend finde ich das Ausmaß der Arbeitslosigkeit unter jungen Menschen. Auch in der Politik ist die Jugend unterrepräsentiert. Meine Hoffnung für die Zukunft ist, dass die Wirtschaft vorankommt und wir unsere Träume verwirklichen können. Ich selber möchte mich für positive Veränderungen in der Gesellschaft einsetzen.

Ntsetsana Sakoane, 24
Mosotho zu sein gibt mir ein starkes Gefühl von Identität und einzigartiger Individualität. Ich fühle mich reich durch unsere Kultur und ich bin stolz darauf. Lesotho verfügt über Potenziale, die nur darauf warten, genutzt zu werden, z.B. auf dem Gebiet des Tourismus. Was uns fehlt, ist eine Regierung, die zupackt, in die Zukunft des Landes investiert und den Enthusiasmus der Jugend nutzt, die ihren Beitrag zur Entwicklung des Landes leisten möchte.