Heft 1/2022, Südafrika

Karneval im Blut: „Es geht wieder los!“

ZUR KULTURGESCHICHTE DER WELLINGTONSE KLOPSE. Die Südafrikaner sind in der außergewöhnlich komfortablen Situation, dass in ihrem Land eine Vielzahl von Religionen vertreten sind. Die Wurzeln der diversen Kulturen sind vielfältig. Im Bereich Kultur ist Südafrika deshalb einzigartig. Man wird dem von Desmond Tutu geprägten Begriff der „Regenbogennation" zumeist schon deshalb gerecht, dass sich das Zusammenleben seit der Unabhängigkeit vom weißen Apartheidregime relativ normal gestaltet. Kaum erzählt ist bislang die Geschichte von 100 Jahren „Wellingtonse Klopse".

Die reiche kulturelle Geschichte Südafrikas ist nahezu einzigartig. Die zahlreichen ethnischen Gruppen pflegen unterschiedliche Formen von Tanz, Farben, Kleidung, Speisen, religiösen Bräuchen und kulturellen Festen. Darüber hinaus spielen Frauen eine wichtige Rolle bei der Weitergabe der jeweiligen Kultur an ihre Kinder, wenn sie diese erziehen. Südafrika-Touristen lernen bei ihren Besuchen, die sie auch zu den berühmten religiösen und historischen Stätten des Landes führen, die südafrikanischen Traditionen kennen, die von den verschiedenen ethnischen Gruppen präsentiert werden.

Südafrika hat elf offizielle Sprachen, acht weitere sind bisher noch nicht offiziell anerkannt. Im Land gibt es zahlreiche Bevölkerungsgruppen und Kulturen, an deren Entwicklung z. T. auch die neuen, weißen Siedler in der Region beteiligt waren. Aber auch indigene Gruppen, wie etwa die Zulu und Sotho, haben in den letzten zwei Jahrhunderten ihre Spuren hinterlassen. Die ursprünglichen Bewohner waren die KhoiKhoi und San, heute oft noch herablassend als „Buschleute" bezeichnet. Mit der europäischen Kolonisation kamen ab ca. 1650 auch andere Kulturen und Lebensweisen nach Südafrika. Das Erbe dieser europäischen Kolonialisten wird in der modernen Zeit sowohl geschätzt als auch kritisiert.

Cape Town Minstrel Carnival
Wie bei den anderen kulturellen Gruppen des Landes sind auch die Kultur und die Traditionen der Afrikaaner einzigartig und facettenreich und werden von der jungen und der älteren Generation weiter intensiv gepflegt. Der „Sokkie" (ein traditioneller Walzer) ist eine der spektakulärsten südafrikanischen Tanztraditionen. Dieser Tanz hat seinen Ursprung bei den afrikanischen Voortrekkers, den niederländischsprachigen Siedlern („Buren" = Bauern). Genau dieser holländische Einfluss war es, der die Sprache Afrikaans, wie wir sie heute kennen, zu einem großen Teil geprägt hat. Traditionelle Lieder oder Ausschnitte davon aus verschiedenen Regionen Europas, des Vereinigten Königreichs und des Mittleren und Fernen Ostens fanden ebenfalls ihren Weg in das Sprachrepertoire der Kapregion, vor allem von jenen, die später als die Cape Minstrels (Kaapse Klopse) bekannt werden sollten.

Jedes Jahr werden die Straßen Kapstadts von buntem Treiben, Gesängen und Trommelrhythmen durchflutet, wenn die Kaapse Klopse zum „Tweede Nuwejaar" (Zweitem Neujahr) mit ihrer Minstrel-Parade durch die Straßen ziehen. Das traditionelle Datum des Festes ist der 2. Januar, jedoch wurde es aufgrund der aktuellen Einschränkungen durch die Covid-19-Pandemie auf den 16. Juni verlegt.

Das alljährliche Neujahrsfest, das im Englischen besser als „Cape Town Minstrel Carnival" bekannt ist, präsentiert Tausende von Menschen in glitzernden Kostümen, mit clownesker Gesichtsbemalung, Hüten und bunten Schirmen, die durch die Straßen der Stadt ziehen und ihre charakteristische Ghoema-Musik auf Banjos, Trompeten und Trommeln spielen – nicht zu vergessen die Trillerpfeife des Schiedsrichters, die unverkennbar den Rhythmus vorgibt. Die einzelnen Bands sind nicht besonders groß. Die Parade besteht aus mehreren gut eingespielten Musikgruppen, die jeweils ihr eigenes Liedgut in ihrem eigenen, unverkennbaren Stil pflegen. Wenn man Zeuge dieser spektakulären Darbietung wird, ist es, als würde man fünfzig bis sechzig Shows an sich vorbeiziehen lassen.

Die Musikgruppen sind so aufgeteilt, dass jeder Auftritt separat stattfindet und ein Lied das andere nicht übertönt. Es gibt auch eine Struktur für jede Band, bei der die Mitglieder, die keine Instrumente spielen, „voorlopers" oder Anführer genannt, mit extravaganten Tanzbewegungen den Weg weisen, während die Band ihnen folgt und den Soundtrack liefert. Normalerweise werden diese „voorlopers" zu Beginn des Wettbewerbs in den Blickpunkt des Interesses gerückt, denn sie und ihre Tanzschritte sind ein wesentlicher Bestandteil des Geheimnisses oder der Magie im Verlauf des Wettbewerbs.

Diese extravagante und unterhaltsame eintägige Straßenparade ist nur ein Bestandteil des Kapstädter Karnevals im Allgemeinen. Viele Einheimische und Touristen stellen schließlich fest, dass das Fest unter freiem Himmel nur ein Nebenschauplatz eines großen Wettbewerbs ist, der eigentlich jeden Samstag stattfindet und etwa sechs Wochen lang andauert, bis dann der offizielle Wettbewerb abgehalten wird.

Bei dem langwierigen, stark strukturierten Wettbewerb treten mehr als 40 Minstrel-Clubs – jeder mit einem einzigartigen Farbschema und einige mit mehr als tausend Mitgliedern – in einer Vielzahl von Kategorien gegeneinander an. Darunter das am besten gekleidete Team, die beste Band, der beste Chor, das beste männliche Solo, der beste Drum Major, das beste Minstrel-Lied, der Champion of Champions und vieles andere mehr. Dieser Wettbewerb ist der jährliche Höhepunkt für die Musikgruppen, die schon viele Monate im Voraus mit dem Einstudieren ihrer Songs und ihres Programms beginnen.

Tweede Nuwejaar
Die Kultur der Klopse ist eine etablierte und historische Tradition, eine Tradition, die bisher leider nicht in angemessener Weise dokumentiert wurde. Wenn man sich mit Leuten über das Erbe des Festivals unterhält, erscheinen manche Aussagen als Folklore, andere als Hörensagen, und man hat sogar den Eindruck, dass die Phantasie zum Teil die Realität verdrängt.

Der Volksmund beschreibt das Straßenfest „Tweede Nuwejaar" (Zweites Neujahr = 2. Januar) als eine Tradition aus der frühen Kolonialzeit, als die Sklaverei in Südafrika noch weit verbreitet war. Sklaven hatten nur einen Tag im Jahr dienstfrei: immer am 2. Januar. Während ihre Herren nach den Ausschweifungen des Neujahrstages ausschliefen, nutzten die Sklaven den Tag für ausgelassene Feiern und Selbstdarstellung in Form von lebhaftem Gesang und Tanz auf den Straßen. Nach Angaben von sahistory.org.za stammte die Vorschrift jedoch vom damaligen Gouverneur des Kaps, Isbrand Broke. Er wollte, dass sich die Sklaven an den Neujahrsfeiern beteiligten, indem sie nicht arbeiteten und Kleider-, Geld- und Tabakspenden annahmen. So feierten die Sklaven am 1. Januar 1674 gemeinsam mit ihren Herren den Neujahrstag, und im Rahmen der Feierlichkeiten zogen sie auch mit einem Ständchen durch die Straßen.

Als die Sklaven in den 1830er-Jahren befreit wurden, feierten sie auf dieselbe Art und Weise und setzten dies auch in der Neujahrszeit fort. Die Geschichte spielt in der „Klopse-Kultur" eine wichtige Rolle, und beim Karneval geht es nicht nur um ausgelassene Feiern und Unterhaltung, sondern auch darum, einen alten Brauch zu bewahren. Das Fest war früher als „Coon Carnival" (engl. racoon = Waschbär) bekannt, aber die örtlichen Behörden haben es inzwischen in „Kapstädter Minstrel-Karneval" umbenannt, da der Begriff „coon" heute als ethnische Verunglimpfung gilt.

Vor diesem Hintergrund wurde die Kultur der Minstrels ins Landesinnere bis in die Boland-Region getragen. Wellington ist eine kleine, malerische Stadt in den Cape Winelands, die für ihre hervorragenden Weine, Ports, Liköre, Wiskeys und Branntweine sowie für andere landwirtschaftliche Erzeugnisse wie Äpfel, Birnen, Pfirsiche und Tafeltrauben bekannt ist. Die Stadt hat rund 63.000 Einwohner und bietet eine faszinierende, diverse kulturelle Mischung.

Wellington Minstrels
Die Wellington Minstrels (oder Wellingtonse Klopse) sind vielleicht nicht ganz so bekannt wie die Cape Minstrels (Kaapse Klopse), aber sie haben eine fast ebenso lange Geschichte und sorgen in der Region für genauso viel Begeisterung und Feiern. Viele Jahre lang waren die Musiker aus Wellington das versteckte Juwel des Boland. Ohne die Initiative von Prof. Michael le Cordeur und Dr. Marlene le Roux wäre das wahre Wesen und die lebendige Kultur der Wellingtoner Klopse nie in dem Maße bekannt geworden, wie es heute der Fall ist. Es ist ihrem unglaublichen Einsatz zu verdanken, der durch die selbstlose Hilfe einiger prominenter Organisationen ergänzt wurde. Eine zentrale Rolle bei der Unterstützung spielte u. a. auch die Deutsche Afrika-Stiftung. Die lange Geschichte und die fesselnden Erzählungen sorgten dafür, dass das Interesse und das Engagement aller am Projekt Le Cordeur-Le Roux beteiligten Akteure ungebrochen waren. Es ist ihnen auf spektakuläre Weise gelungen, das Wesen der Wellingtonse Klopse neu zu begreifen und das Herzblut der über hundertjährigen Musikantentradition in der Region zu entfalten.

Man nimmt an, dass der Hauptgrund, dass diese kulturellen Kostbarkeiten früher nie gehört wurden oder nie Teil des sogenannten Mainstream Cape Minstrel Carnivals waren, auf die Apartheid-Vergangenheit Südafrikas zurückgeführt werden muss. Die Wellingtonse Klopse haben nie die öffentliche Anerkennung erhalten, die sie verdient hätten. Sie wurden fast immer in den Hintergrund gedrängt und an den Rand der afrikaansen Musikkultur platziert. Man muss konstatieren, dass alle diese ungemein talentierten Musiker ihre Musikalität innerhalb der Strukturen der Wellingtonse Klopse zum Ausdruck brachten. Es ist fast so, als wären sie in der falschen Epoche und am falschen Ort geboren worden. In der Tat war diese Gemeinschaft vor 1948 gezwungen, ihre eigenen Strukturen aufzubauen und dann jährlich zu mobilisieren.

Der Unterschied zwischen den Wellington Minstrels und dem Cape Minstrels Carnival besteht darin, dass die Wellington Minstrels aus den „Christmas Marching Bands" und den „Christmas Choirs" hervorgegangen sind. Diese Tradition begann im Jahr 1909, als Tommy Isaacs die Minstrel-Truppe „Merry Springboks" gründete.

In den Jahren der Apartheid, und zum großen Teil auch heute noch, ist dies manchmal die einzige Plattform, auf der die Einheimischen, die hauptsächlich aus früher und heute benachteiligten Gemeinschaften stammen, ihre Talente zeigen können. Die Wellington Minstrels konzentrieren sich vor allem auf ihre eigene Stadt und die unmittelbare Region sowie auf die musikalischen Talente, die sie zu bieten haben. Ähnlich wie ihre südlichen Nachbarn beginnen auch sie ihr Training und ihre Proben bis zu fünf Monate im Voraus, um alle Darbietungen schließlich zur Perfektion zu bringen.

Ein interessantes und sehr erfreuliches Phänomen, das sich aus diesem Szenario ergibt, ist, dass die Kriminalitätsrate in der Region zwischen September und Januar deutlich zurückgeht. Man hat das Gefühl, dass Städte wie Wellington diese Art von Aktivitäten brauchen, um vor allem die Jugend zu fördern. Musikunterricht an den Schulen gibt es nicht mehr, und es gibt keine Kulturzentren, in denen die Jugend ihre Fähigkeiten verbessern könnten. All die harte Arbeit, um Geld für ihre Instrumente und ihre glitzernden Kostüme aufzubringen, wird von den Musikgruppen und ihren Familien geleistet.

Hundert Jahre unerzählte Geschichte
Le Cordeur und Le Roux haben in ihrer 2013 erschienenen Publikation „Die Wellingtonse Klopse, 100 jaar se onvertelde stories" (Die Wellingtoner Musikanten, 100 Jahre unerzählte Geschichten) mit großem Erfolg die Schwierigkeiten und Erfolge dieser traditionsreichen Musikantengemeinschaft aufgezeigt. In dieser sehr lebhaften Interpretation nehmen Le Cordeur und Le Roux die Leserschaft mit auf eine äußerst informative und unvergessliche Reise zu persönlichen Erfahrungen, die mehr als hundert Jahre zurückreichen.

Bemerkenswerterweise sind mindestens sechzig Prozent der Mitglieder dieser Musikantengruppen Jugendliche im Alter zwischen vierzehn und vierundzwanzig Jahren. Jede Truppe hat ihre eigenen Regeln, die fein säuberlich in einer Satzung festgehalten sind und in denen die Regeln, die jederzeit eingehalten werden müssen, genau definiert sind. Die Orchester der meisten Musikgruppen bestehen aus zwanzig bis dreißig Mitgliedern, was bedeutet, dass Wellington zwischen vierhundert und vierhundertsechzig Musiker hat.

Schon früh lernen die Jugendlichen von ihren Vätern, Großvätern, Onkeln und Cousins, wie man Blechblasinstrumente wie Trompete, Posaune und Saxophon spielt. Die ältere Generation bevorzugt Saiteninstrumente wie Gitarre, Banjo, Geige und die Mandoline, gerade wenn es um den Ghoema geht, einen unverwechselbaren Musikstil. Wahrscheinlich wurde der Ghoema stark von amerikanischen Musikern beeinflusst, die auf Schiffen wie der „SS Alabama" in die Mother City (Kapstadt) kamen, daher das berühmte malaiische Lied „Daar kom die Alibama" (Da kommt die Alibama).

Ein weiterer Höhepunkt ist die bunte Gesichtsbemalung. Einige historische Quellen besagen, dass die Sklaven ihre Gesichter bemalten, um ihre Identität vor ihren Herren zu verbergen und sich so heimlich über sie lustig machen zu können. Die bemalten Masken sind Teil des Wettbewerbs und werden bis zur Aufführung geheim gehalten. Normalerweise passen sie zu den Kostümen, die ebenfalls vor der Öffentlichkeit bis zur eigentlichen Performance geheim gehalten werden.

„Die Schönheit der Musik, die Aufrichtigkeit in den Texten, die einfache Zuneigung und die unverkennbaren musikalischen Talente dieser Teilnehmer sorgten dafür, dass die Gemeinde Wellington vor Stolz aus allen Nähten platzte", schreiben Le Cordeur und Le Roux. Das ist der Hauptgrund, warum sich die Gemeinde jedes Jahr am „Tweede Nuwejaar" im Boland-Rugby-Stadion versammelt, um ihren eigenen lokalen musikalischen Talenten zuzuhören und zu unterstützen – die jährliche „Wellington Minstrel Extravaganza".

Die Tatsache, dass diese reiche Tradition seit mehr als hundert Jahren besteht, spricht für das Engagement der Gemeinde, die Jugend inmitten ihrer schwierigen Lebensumstände und ihres täglichen Kampfes um den Lebensunterhalt zu unterstützen. Die Geschichte der Klopse war und ist ein Zeugnis dafür, dass die Stimme und die Musik der Ausgegrenzten nicht zum Schweigen gebracht werden kann. Obwohl sie tagtäglich mit materieller Armut zu kämpfen haben, besteht kein Zweifel daran, dass es dieser Gemeinschaft nicht an kulturellem Reichtum mangelt. Vor 1994 waren die Wellingtonse Klopse nicht einmal im Blickfeld der Behörden, wenn es darum ging, finanzielle Unterstützung irgendeiner Art zu erhalten. Das bedeutete, dass die Mitglieder der Musikgruppe, ihre Familienangehörigen und vor allem die Minstrel-liebende Gemeinde Jahr für Jahr finanziell einspringen mussten, um diese Veranstaltung erst zu ermöglichen.

Dies wird als Höhepunkt für den Geist von Ubuntu angesehen, der von Mitgefühl, Harmonie und Menschlichkeit zeugt. Diese Aktivitäten tragen ausnahmslos zur Belebung der lokalen Wirtschaft bei. Ein weiterer wichtiger Bereich, der stark gefördert wurde, war und ist die Jugendentwicklung. Die Wellingtonse Klopse waren in diesem Bereich schon immer das Aushängeschild. Ihre Rolle ist heute sogar noch wichtiger, da die Jugend zunehmend zu einer verlorenen Generation zählt, weil sich ihr scheinbar keine Chancen bieten. Die Tendenz, sich in soziale Missstände wie Drogenmissbrauch und Kriminalität zu verstricken, wird zur neuen Normalität. Glücklicherweise schaffen die Wellingtonse Klopse für dieses Problem eine gewisse Abhilfe. Sie bieten diesen jungen Menschen ein gesundes Umfeld, in dem sie ihren Charakter, ihr Potenzial und ihre Werte entwickeln können.

Christliche Prägung Wellingtons
Wellington hatte seit Mitte des 17. Jahrhunderts schon immer eine starke und bedeutende christliche Prägung, auch wenn es in Städten wie diesen zu einer entschiedenen Segregation kam, wenn es um Gottesdienste ging. Le Cordeur und Le Roux sprechen von „strenger Kirchenapartheid". Es war ganz offensichtlich, dass die Apartheid in der Kirche besonders „streng" durchgesetzt wurde. Die Uniting Reformed Church wurde von einem Geistlichen gegründet, der Mitte des 18. Jahrhunderts Mitglied der Nederduits Gereformeerde Kerk (Niederländisch-reformierte Kirche) war. Er gründete schließlich 1881 seine eigene Kirche, die Niederländisch-reformierte Missionskirche. Dieser Schritt wurde unternommen, nachdem die NGK-Synode 1857 beschlossen hatte, nur noch getrennte Gottesdienste für Gläubige gemischter Herkunft, „Farbige", abzuhalten.

Damals wurde auch die Niederländische Reformierte Missionskirche (DRMC) gegründet. Siebzig Jahre später, im Jahr 1951, gründeten die „schwarzen" Gläubigen ihre eigene Kirche, die Niederländisch Reformierte Kirche in Afrika (DRCA). In den 1970er-Jahren entschieden sich sowohl die DRCA als auch die DRMC für die kirchliche Einheit und gründeten nach einem langwierigen und schmerzhaften Prozess die Uniting Reformed Church in Southern Africa (URCSA).

Man hat den Eindruck, dass bewusst versucht wird, das „Uniting" im Namen zu betonen und nicht „United", da noch keine vollständige Einheit erreicht worden war und die weiße Komponente (NGK) immer noch außerhalb des Vereinigungsprozesses stand – „freiwillig", könnte man hinzufügen. Die URCSA, die der Gemeinde Wellington dient, war viele Jahre lang der einzige Raum, in dem sich die Gemeindemitglieder musikalisch entfalten konnten. Die Blaskapelle wurde ursprünglich auch in der Kirche gegründet. Traditionell ging die Kapelle an jedem Weihnachtsabend von Haus zu Haus und spielte Weihnachtslieder. Eine lange Tradition, die in der Regel immer am Pfarrhaus begann.

Ein weiteres bedeutendes, selten erwähntes Phänomen ist die Überwindung von religiösen Grenzen, die die Wellingtoner Klopse bewirkt haben. In Wellington gibt es Christen und Muslime, die ohne große Probleme zusammenleben. Es war schon immer üblich, dass sich Mitglieder dieser beiden Religionsgruppen miteinander vermählten und Familien beiden Glaubensrichtungen angehören. Das bedeutet, dass alle christliche Weihnachten und das muslimische Labarang (Fest des Eids) feiern. In der Kapregion ist das „Eid-ul-fitr" auch als „Labarang" bekannt, das vom indonesischen Begriff „Lebaran" (Feiertag) abgeleitet ist. Dies ist nicht überraschend, da die muslimische Kultur am Westkap in hohem Maße von Siedlern aus den Regionen Indonesien-Malaysia-Indien beeinflusst wurde.

Wellington kann sich auch einer Reihe bekannter Persönlichkeiten rühmen, die zur Entwicklung der reichen Kultur in der Region beigetragen haben. Die Wurzeln des renommierten Dichters, Dramatikers und Philosophen Professor Adam Small sowie der Professoren Michael le Cordeur, Peter Witbooi, Rachel Jaftha, Daan Cloete und Dr. Marlene le Roux sind in Wellington zu finden. Auch der bekannte Anti-Apartheid-Aktivist Dr. Allan Boesak hinterließ einen bedeutenden Fußabdruck, da er in Wellington studierte und später Vorsitzender des Südafrikanischen Kirchenrates wurde. Ein weiterer unverwechselbare und legendäre Figur in Wellington war Herman Bailey. Le Cordeur und Le Roux beschreiben ihn als den „Meister der ausgewogenen Koalitionspolitik". Bailey war der erste „farbige" Bürgermeister Südafrikas und später der größeren Drakenstein-Region. Herman Bailey knüpfte enge Beziehungen zu Deutschland, was letztendlich zur anhaltenden Finanzierung der Klopse aus Wellington beitrug.

Der Klopse-Karneval wird auch heute noch hauptsächlich als „farbige" Veranstaltung angesehen. Die Vereine und Musikgruppen heißen jedoch auch Angehörige anderer Ethnien und Kulturen herzlich willkommen. Man kann jedoch sagen, dass den meisten Mitgliedern der Wellington Minstrels der Karneval und das Brauchtum im Blut liegt. Sie haben die Bräuche von ihren Eltern gelernt und geben sie jetzt an ihre eigenen Kinder weiter. Für die Wellingtonse Klopse-Gemeinschaft ist Tradition das A und O. Das steht im Vordergrund. Die Wellingtonse Klopse gibt es seit mehr als 100 Jahren wegen der Tradition, und man hat das Gefühl, dass es noch weitere 100 Jahre so weitergehen wird.

Den Traum der Wellingtoner Vereine, auch einmal einen Karneval im Rheinland zu verbringen und dort aufzuführen, hat sich bisher noch nicht erfüllt. Aber man hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, in der „Nach-Corona-Zeit" auch einmal musizierend und tanzend am Kölner Dom vorbeizuziehen...

Jerome Topley

Der Autor ist Radiojournalist und Dozent an der University of the Western Cape.
Übersetzung aus dem Englischen von Okan Bektas.

Video Wellington Minstrals – Kaapse Klopse:
https://www.youtube.com/watch?v=IN7dvi0rI3g&t=227s