Heft 1/2022, Tansania

Wieviel Magufuli steckt in Samia?

SEIT MÄRZ LETZTEN JAHRES REGIERT SAMIA SULUHU HASSAN TANSANIA. Steht sie für einen Aufbruch in der tansanischen Politik? Kann sie aus den Fußstapfen ihres verstorbenen Vorgängers Magufuli treten? Ein Blick auf Demokratie und Regierungsführung in Tansania zu Beginn des neuen Jahres.

Während das neue Kapitel 2022 aufgeschlagen und vorgestellt wird, höre ich den Widerhall von ABBAs wunderbarer Intonation von Happy New Year! Frohes neues Jahr! Draußen werden bunte Funken in den Himmel geworfen, und die Luft ist erfüllt von Jubelrufen und Gesängen, die zu den berühmten und angesagten Amapiano- und Afrobeat-Klängen erklingen und mitgesungen werden. Fast überall herrscht Fröhlichkeit, außer bei denen, die um ihre Angehörigen trauern oder sich um Kranke und Verwundete kümmern.

Drinnen begleitet mich eine Flasche Dodoma-Wein, und meine Stimmung wird von süßen Reggae-Melodien beruhigt. Es sind die ersten Stunden des neuen Jahres, und meistens ziehe ich es dann vor, mich innerlich zu entspannen und über die 365 Seiten des vergangenen Kapitels, 2021, nachzudenken. In meinem ruhigen und gelassenen Gemütszustand verspürte ich den Drang, meinen Laptop in die Hand zu nehmen und meine Schritte von 2021 zurückzuverfolgen.

Da mein Gedächtnis noch jung, frisch und sehr aktiv ist, begann ich, das Tagebuch von 2021 in Gedanken auszupacken und zu öffnen. Nachfolgend meine Überlegungen zu meinen Begegnungen mit Tansania im Jahr 2021 in Bezug auf Demokratie und Regierungsführung.

Magufulis Niedergang
An einem späten Märzabend, dem 17. März 2021, kam die Nation zum Stillstand, als die damalige ehrenwerte Vizepräsidentin Samia Suluhu Hassan die Bühne betrat, um sich an die Nation zu wenden und sie über das Ableben von Präsident John Pombe Magufuli zu informieren.

Weder sie, die damalige Vizepräsidentin, noch die Mehrheit der Tansanier nahmen die Nachricht auf die leichte Schulter. Als Nation trauerten wir 21 Tage lang, und einige trauern bis heute. Magufulis Tod bleibt sicherlich der Höhe- bzw. Tiefpunkt des Jahres 2021 in Tansania (und wahrscheinlich sogar in Afrika). Jemand anderes könnte argumentieren, dass der Tod des fünften Präsidenten wahrscheinlich der bemerkenswerteste und wichtigste Tag der letzten fünfzig Jahre für Tansania ist, da es das erste Mal war, dass ein amtierender tansanischer Präsident im Amt gestorben ist.

Wie nicht anders zu erwarten war, hat der umstrittene Charakter des verstorbenen Präsidenten ihm kein weiteres Drama erspart. Schon Tage vor der offiziellen Bekanntgabe seines Todes wurde auf den Social-Media-Plattformen, insbesondere in der tansanischen Twitter-Gemeinde, auch bekannt als „The Twitter Republic", der Tod des Staatsoberhauptes „prophezeit". Nach der offiziellen Bekanntgabe der Nachricht gab es gemischte Reaktionen in der Öffentlichkeit. Während Millionen Menschen auf den Straßen um ihn trauerten, waren die Reaktionen in den sozialen Medien gemischt. Die einen freuten sich über die Nachricht von Magufulis Tod, die anderen hauten ihre Trauer in die Tasten.

Unabhängig von den Umständen, ob man die Nachricht mit Freude oder Trauer aufnahm, waren wir alle als Tansanier in einem Schwebezustand gefangen und fragten uns: Wohin steuert Tansania nach der Ära Magufuli (oder eher nach dem Irrtum – es hängt davon ab, auf welcher Seite man tatsächlich steht)?

Samia am Steuer
Ganz gleich, wie kritisch man Magufuli betrachtet, seine Ernennung von Samia Suluhu Hassan zu seiner Vizepräsidentschaftskandidatin, die schließlich die erste weibliche Vizepräsidentin des Landes werden sollte, wird sicherlich und für immer gefeiert werden. Mit dieser Entscheidung hat Tansania nun eine Frau im höchsten Amt des Staates, denn die Verfassung sieht vor, dass nach dem Tod des Präsidenten der Vizepräsident das oberste Staatsoberhaupt wird.

Am 19. März 2021 wurde Präsidentin Samia vereidigt und ist seit der Unabhängigkeit 1961 damit die sechste Präsidentin des Landes. Bei ihrem Amtsantritt sah sich Samia mit einer verunsicherten Nation konfrontiert, deren Bürgerinnen und Bürger in den sozialen Medien, auf den Straßen und in den Haushalten viele Fragen aufwarfen.

Gibt es Hoffnung oder Verzweiflung für die Demokratie in Tansania? Wie wird es mit den ehrgeizigen, gleichzeitig anlaufenden Mega-Infrastrukturprojekten weitergehen? Welche Richtung wird die Nation in der Diplomatie und in internationalen Angelegenheiten einschlagen? Wird die eigentümliche Haltung Magufulis gegenüber Covid-19 fortgesetzt? Wie sieht es mit der Gleichstellung der Geschlechter aus, wenn eine Präsidentin das Sagen hat? Wird dies auch eine Ein-Frau-Show sein?

Sehr bedauerlich und ziemlich traurig für die sechste Präsidentin ist, dass all die Maßstäbe, die an sie angelegt werden, nicht auf ihren eigenen Verdiensten beruhen. Sie ist tief in den Hype um Magufulis Person verstrickt. Egal, ob es sich um Analysten, Kritiker oder Kolumnisten handelt, ob es sich um Meinungsartikel, Feuilletons oder Zeitschriften handelt, ob es sich um die Opposition, die Parteikollegen der Regierungspartei oder die selbsternannte Gemeinde der Blockfreien handelt, die Kernfrage war immer: Inwieweit wird Samia ihrem Vorgänger treu bleiben oder sich von ihm abwenden? Wie viel Magufuli steckt in Samia?

Die Zeitenwende
In den fünf Jahren und fünf Monaten von Magufulis Regierungszeit erlebte Tansania eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Das gesamte Konzept der Mehrparteienpolitik wurde auf Eis gelegt; der Begriff Meinungs- und Pressefreiheit wurde wortwörtlich aus dem Handbuch für die fünfte Amtszeit gestrichen, es sei denn, eine solche Meinungs- und Pressefreiheit hatte zur Folge, dass „The Bygone" (der Vorübergegangene) – so lautet der neue Name für Magufuli von seinen Kritikern – gefeiert wurde; und anderswo wurden Fachwissen und Professionalität sanktioniert, es sei denn, sie passten zur Haltung des damals mächtigen Staatschefs. Die Liste ist endlos.

Präsidentin Samia, die noch ganz am Anfang ihrer Amtszeit steht und ihr einjähriges Amtsjubiläum im Präsidentenpalast Magogoni erst noch vor sich hat, hat bereits einen abrupten Wechsel im Modus Operandi der Regierung vollzogen. Auch wenn sie oft betont hat, dass sie immer noch auf den Spuren ihres früheren Chefs wandelt, hat sich die neue Präsidentin zweifellos stark von ihrem Vorgänger und dessen Fiaskos entfernt.

In erster Linie hat die Präsidentin einen kleinen Schritt zurück von der eisernen Faust (oder eher autoritären) und dem muskelbepackten Führungsstil gemacht. Sie präsentiert sich als einfache, lässige und coole Präsidentin, die ein offenes Ohr für ihre Untergebenen hat und ihnen Respekt entgegenbringt. Ihre sansibarische Gelassenheit, mit der sie sich an die Nation wendet, hat die Herzen von Magufulis Kritikern erobert. Wahrscheinlich ist es aus diesem Grund für die Öffentlichkeit attraktiver, sie Mama Samia statt Präsidentin Samia zu nennen, denn eine Mama ist eine Person, die freundlich ist, sich kümmert, zuhört und äußerst besorgt ist, was für eine Präsidentin nicht notwendig ist.

Im Gegensatz zu Magufuli, der die sozialen Medien so sehr verachtete, dass er sie abschaltete, begrüßt sie die entsprechenden Plattformen. Sie tritt von Zeit zu Zeit über die entsprechenden Plattformen mit der Öffentlichkeit in Kontakt. Außerdem hat sie sich gelegentlich für die Notwendigkeit und die Idee einer freien und unabhängigen Presse ausgesprochen. In der Folge haben sich die Meinungs- und Pressefreiheit aus den autoritären Schränken zurück in den Alltag gemogelt.

Tansania und die Welt
Gleich zu Beginn ihrer Amtszeit erinnerte Präsidentin Samia an die Worte des ersten Präsidenten, des verstorbenen Mwalimu Nyerere, dass Tansania keine Insel ist und dass wir Tansanier nicht in Isolation leben. In diesem Sinne überprüfte die Präsidentin den Ansatz des Landes in Bezug auf sein Engagement in der Welt. Sie brachte ihren Wunsch zum Ausdruck, die Beziehungen Tansanias auf internationaler Ebene zu stärken. In den ersten acht Monaten ihrer Amtszeit hat Präsidentin Samia ihren Vorgänger bereits vergessen gemacht, indem sie an zwei internationalen Plattformen teilgenommen hat – an der UN-Generalversammlung 2021 und an der COP26.

Eine weitere und geschätzte Besonderheit von Samias Präsidentschaft, die sie von Magufuli unterscheidet, ist die Reaktion ihrer Regierung auf die Covid-19-Pandemie. Während Magufuli, der von Beruf Wissenschaftler war, sich der Wissenschaft widersetzte, hat sich Samia, die selbst weniger Wissenschaftlerin ist, für die Wissenschaft entschieden. Sie ist eine Verfechterin von Impfungen, sozialer Distanzierung, dem Tragen von Masken und von Desinfektion. All das wurde von Magufuli und seinem Regime fast völlig ignoriert.

Es ist jedoch sehr bedauerlich, dass ihre Covid-19- Maßnahmen nur von den Spitzenbeamten der Regierung befolgt werden, da sich die Öffentlichkeit – wenig überraschend – dafür entschieden hat, sich an die langjährigen Ideen und Vorgaben von Magufuli zu klammern, Corona einfach zu leugnen und zu ignorieren. So wurden bis Anfang Dezember in einem Land mit sechzig Millionen Einwohnern nur etwa fünfhunderttausend Menschen geimpft.

Samia und 2022
Die Präsidentin hat ihren Platz im Präsidialamt eingenommen und sich mehr und mehr mit ihren Aufgaben vertraut gemacht. Ihre ersten acht Monate haben uns einen ersten Eindruck auf ihre Präsidentschaft gegeben. Ob sie nun etwas anderes behauptet oder nicht, Präsidentin Samia ist ganz sicher nicht wie ihr Vorgänger, und wir sind gespannt, wie weit sie sich im neuen Jahr von Magufuli entfernen wird.

Die Präsidentin ist 2021 zwar direkt mit den Oppositionsparteien in Kontakt getreten und hat bei verschiedenen Gelegenheiten dafür plädiert, mit ihnen zusammenzuarbeiten, doch sie ist immer noch damit beschäftigt, die Scherben der Mehrparteienpolitik zu kitten. In dieser Frage wird sich 2022 zeigen, wie sie sich gegenüber den Oppositionsparteien verhalten wird, insbesondere gegenüber der stärksten Oppositionspartei, deren Spitzenkandidat wegen Hochverrats in Haft sitzt und eine Reihe von Spitzenkandidaten im politischen Exil sind. Wird sie das Verbot politischer Kundgebungen aufheben, wie es von Magufuli initiiert und von ihr selbst weitergeführt wurde?

Es besteht kein Zweifel daran, dass sich die Präsidentin in Bezug auf die Wirtschaft in einer Zwickmühle befindet, während zahlreiche Megaprojekte mit einem sehr begrenzten Budget anstehen, wie sie selbst erklärt. So sehr sie auch versprochen hat, die entsprechenden Projekte fortzusetzen und zu Ende zu führen, so bleibt doch abzuwarten, ob sie Wort halten kann und in welchem Tempo solche Projekte in Angriff genommen werden. Auf der anderen Seite warten wir darauf, zu erkennen, wie ihre Wirtschaftspolitik aussehen wird.
Politisch gesehen ist Präsidentin Samia, obwohl sie Präsidentin und jetzt Vorsitzende der Regierungspartei ist, in der Partei und im Land im Allgemeinen noch nicht sehr bekannt. Ihr Ansehen in der Bevölkerung wurde zudem durch ihre Haltung zur „Säuberung der Straßen" getrübt. Sie verjagte und schloss die kleinen und vor allem informellen Geschäfte der Kleinhändler:innen – bekannt als „Machingas" – , die häufig entlang der Straßen Handel trieben.

Was ihre Position in der Parteipolitik angeht, so stellt sich eine noch größere Frage, denn seit dem Tod von Präsident Magufuli sind Anzeichen von Brüchen im Machtgefüge zu beobachten. Das Lager der Magufuli-Loyalisten wurde ins Abseits gedrängt; diejenigen, die während Magufulis Regime im Abseits standen, wurden wiedereingestellt und befördert; und diejenigen, die unter Kikwete, dem Präsidenten der vierten Amtszeit 2005 bis 2015, verschwunden waren, haben in diesem neuen Regime eine Zuflucht gefunden. Werden sich die Risse verstärken und schließlich aufbrechen oder werden sie eher neutralisiert werden?

2022 ist ein bedeutendes Jahr für die tansanische Politik, da in diesem Jahr die Grundsteine für die Parlamentswahlen 2025 gelegt werden. Wo wird Präsident Samia inmitten all der politischen Turbulenzen stehen? Wird das Jahr 2022 einen neuen Aufbruch in der tansanischen Politik bringen?

Bis dahin und danach widme ich Ihnen Nina Simones Interpretation von Feeling Good.

Der Autor dieses Artikels ist ein junger Tansanier, der anonym bleiben möchte.