Es brauchte einen Papst, damit es der Kongo in die Tagesschau schafft. In 35 Sekunden erfährt man: Der Papst ist zu Besuch im Kongo, wünscht sich Frieden und kritisiert den wirtschaftlichen Kolonialismus. Das immerhin unterscheidet Franziskus, der sich daheim in Rom nicht eben durch großen Reformeifer hervortut, von früheren Päpsten. Die Stimme aus dem Off spricht dazu im gleichmütigen Nachrichten-Stakkato ein paar Sätze, die so allgemein sind, dass sie nicht falsch sein können: Der Kongo ist arm, obwohl reich an Rohstoffen und seit Jahren kommt es zu gewalttätigen Konflikten zwischen Armee und bewaffneten Gruppen. Das deutsche Afrikabild in a nutshell – es fehlen eigentlich nur Giraffe und Akazienbaum. Es folgt ein Drei-Minuten-Beitrag über einen grün leuchtenden Kometen, der sich der Erde nähert, sehr zur Freude von Hobby-Astronom:innen in der ganzen Bundesrepublik.
Alles beim Alten im Kongo also? Mitnichten, und selbst der Besuch des greisen Pontifex wird so in seiner Bedeutung eklatant unterschätzt: Es war ein absolutes Großereignis, mehr als eine Million begeisterter Menschen drängten sich in den Straßen Kinshasas, um Franziskus zu sehen. Er ist der erste Papst seit 38 Jahren, der den Kongo besucht, das Land mit der größten katholischen Gemeinde Afrikas, in dem die Kirche ungebrochen großes Vertrauen genießt. Ob es Franziskus zusteht, als weißer Mann und Oberhaupt einer Kirche, die sich über Jahrhunderte an den Verbrechen des Kolonialismus beteiligt hat, nun voller Verve „Hände weg von Afrika" zu rufen, darüber lässt sich wunderbar streiten. Doch er hat mit der ganzen Autorität seines Amtes klare Worte für den Frieden gefunden, in einem Land, über dem sich gerade sehr dunkle Wolken auftürmen.
Denn nur kurz vor dem Papstbesuch hat Ruanda einen kongolesischen Kampfjet abgeschossen, der mutmaßlich ihren Luftraum verletzt hat. Der Ton zwischen Kigali und Kinshasa hat sich gefährlich verschärft, der Kongo spricht von einem kriegerischen Akt Ruandas und wirft dem Nachbarland vor, die Tutsi-geführte M23-Gruppe zu unterstützen. Ruanda seinerseits wirft dem Kongo vor, die Hutu-Miliz FDLR zu unterstützen, deren Vorläufer aktiv in die Ermordung der Tutsi während des Genozids von 1994 involviert waren.
Ebenfalls kurz vor Franziskus' Visite sprach die UN-Sonderberaterin zur Genozid-Prävention, Alice Nderitu, bereits ihre zweite deutliche Warnung aus: Es gebe alarmierende Berichte über Attacken gegen die Zivilbevölkerung entlang ethnischer Grenzen im Osten des Kongo. Die Berichte umfassen Massaker, sexuelle Gewalt und Angriffe auf Flüchtlingscamps. Von letzteren gibt es immer mehr: Seit dem jüngsten Aufflammen der Gewalt im März 2022 sind rund 520.000 Menschen zusätzlich auf der Flucht, etwa ebenso viele waren es bereits zuvor.
Der Konflikt ist seit fast 30 Jahren eine schwärende Wunde im Land und keiner scheint ein Interesse zu haben, ihn zu lösen. Die westlichen Staaten nicht, die vor allem an den Rohstoffen des Kongo interessiert sind. Sie fürchten Chinas Einfluss, der die aktuelle Vormachtstellung ihrer Unternehmen bedroht. Ruanda nicht, das durch seine militärische Unterstützung nicht nur wirtschaftliche Pfründe verteidigt, sondern in den Hutu-Milizen eine Bedrohung für die eigene Stabilität erkennt. Und schon gar nicht die maroden kongolesischen Streitkräfte, die in politische Fraktionen mit unterschiedlichen Loyalitäten zersplittert sind. Derartig tief sitzt die Korruption, dass zahlreiche Offiziere systematisch Rebellengruppen mit Waffen aus Armee-Beständen beliefern.
Nun aber spitzt sich die Lage dramatisch zu. Während die regionale Friedensinitiative, der Nairobi-Luanda-Prozess, ins Leere läuft und sich beide Seiten gegenseitig vorwerfen, sich nicht an Absprachen zu halten, sind die Truppen der M23 massiv auf dem Vormarsch. Offenbar kontrollieren sie bereits die wichtigsten Verkehrswege zur Millionenstadt Goma.
Als Ende November die M23 in einem Massaker mindestens 131 Zivilist:innen in Nord-Kivu ermordete, schlug das im Kongo hohe Wellen. Die kongolesische Gesellschaft wird gerade empfänglicher für nationalistische Parolen und fordert ein härteres Durchgreifen gegen Ruanda und M23. In diese Großwetterlage fallen nun auch noch die Präsidentschaftswahlen im Dezember. Die politische Elite Kongos hat längst das Mobilisierungspotenzial erkannt, das die militärische Eskalation bedeutet, und versucht sich als Hardliner zu profilieren. Angesichts all dieser Umstände ist mit friedlichen Wahlen kaum zu rechnen. Von fair und frei haben wir noch gar nicht gesprochen.
Daniel Düster