Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa hat die 55. Nationale Konferenz des ANC heil überstanden. Doch auch nach der ANC-Parteikonferenz vom Dezember 2022, in der die Führungsriege der Regierungspartei neu gewählt wurde, bleibt die Zukunft ungewiss – sowohl für den südafrikanischen Präsidenten als auch für seine Partei.
Von Ringo Raupach
Was waren das für Spekulationen: Taliban würden in Südafrika die Macht übernehmen. Die so benannte ANC-Gruppierung brachte sich vor der Wahlkonferenz in Stellung und konnte vor allem in der Provinz KwaZulu-Natal lokale Parteiwahlen für sich entscheiden, wo die Unterstützung für den von dort stammenden, unter Korruptionsanschuldigungen aus dem Amt gejagten Ex-Präsidenten Jacob Zuma immer noch spürbar und lebendig ist.
Entsprechend gespannt berichteten die südafrikanischen Medien von der Veranstaltung im Johannesburger Vorort Nasrec. Fünf Jahre zuvor hatte Ramaphosa am selben Ort die Macht übernommen, als er sich gegen die vom damals noch amtierenden Zuma unterstützte frühere (und aktuell wieder amtierende) Ministerin Nkosazana Dlamini-Zuma zum ANC-Vorsitzenden durchsetzte.
Ramaphosa selbst hatte einiges dafür getan, die Wahlen zur Parteispitze spannend zu machen. 2018 als Hoffnungsträger nach den langen Jahren des State Capture unter Jacob Zuma gestartet, gelang es ihm nie, diesen Aufbruch tatsächlich umzusetzen und sich glaubhaft und umfassend (falls er es überhaupt versuchte) von den früheren Zuma-Unterstützer:innen in den Top-Positionen der Regierung und der Partei zu befreien.
Auch die wirtschaftlichen Rahmendaten verbesserten sich nicht in seiner ersten Amtszeit, wobei in diese Zeit der tiefe wirtschaftliche und soziale Einschnitt der Coronapandemie fiel, der sich weltweit negativ auswirkte. Es dauerte bis zum 3. Quartal 2022, bevor die südafrikanische Statistikbehörde verkünden konnte, dass das nationale Bruttoinlandsprodukt wieder ein Niveau vor der Coronakrise erreicht hatte.
Stolperstein Phala-Phala-Skandal
Hinzu kam der bis heute unaufgeklärte, im Juni 2022 bekannt gewordene Phala-Phala-Skandal. Damals hatte der ehemalige Leiter der Staatssicherheitsbehörde, Arthur Fraser, einen Strafantrag gegen den Präsidenten wegen Korruption, Geldwäsche und Behinderung der Justiz gestellt. Fraser behauptete, vier Millionen US-Dollar seien am 9. Februar 2020 von der Phala-Phala-Farm Ramaphosas in Limpopo gestohlen worden. Die Täter seien gefasst, dann aber zum Schweigen gebracht worden, um die Herkunft des Geldes zu verschleiern.
Ramaphosa gab zu, dass der Diebstahl tatsächlich stattgefunden habe. Das Geld war offenbar in den Polstern eines Sofas versteckt. Es habe sich jedoch um einen sehr viel geringeren Betrag gehandelt. Das Geld stamme aus dem rechtmäßigen Verkauf von Zuchttieren und es handele sich nicht um Geldwäsche oder anderweitig verschwiegene Mittel.
Gemäß einer auch von Ramaphosa unterstützten Parteiregel müsste ein ANC-Mitglied öffentliche Ämter ruhen lassen, wenn polizeiliche Ermittlungen laufen. Doch zunächst gab es eine Untersuchung seitens des nationalen Parlamentes. Dessen Präsidentin Nosiviwe Mapisa-Nqakula beauftragte im September 2022 eine dreiköpfige Richtergruppe. Diese sollte keine eigentlichen Ermittlungen führen, sondern lediglich die Frage klären, ob ein Amtsenthebungsverfahren gerechtfertigt sei. Dafür befragten sie auch den Staatspräsidenten.
Inzwischen rückte die Wahlkonferenz des ANC näher, und es war klar, dass der Bericht nicht ohne Auswirkungen bleiben würde. In einem Treffen des Nationalen Exekutivkomitees des ANC Mitte November, dem ersten Präsenztreffen des Gremiums seit dem Beginn der Coronapandemie, soll Ramaphosa eingeräumt haben, dass es sich um einen gestohlenen Betrag von 480.000 US-Dollar gehandelt habe. Er wies alle Anschuldigungen strafbaren Verhaltens zurück und erklärte, zu keiner Zeit gegen seinen Amtseid als Präsident Südafrikas verstoßen zu haben. Während Ramaphosas Unterstützer im ANC sich sorgten, ob der Präsident im Angesicht des näher rückenden Termins der ANC-Wahlkonferenz im Dezember genügend Kraft und Willen aufbringen würde, sich gegen die Anschuldigungen zu verteidigen, forderten parteiinterne Gegner wie Nkosazana Dlamini-Zuma und Tony Yengeni ihn offenbar bereits vor der Veröffentlichung des parlamentarischen Untersuchungsberichts auf, sein Amt ruhen zu lassen. Die Opposition sorgte sich, dass der Bericht zu spät veröffentlicht würde, um noch vor der parlamentarischen Sommerpause darauf reagieren zu können.
ANC schließt die Reihen
Als der Bericht der parlamentarischen Untersuchungskommission am 30. November veröffentlicht wurde, gingen die Aktienkurse in Südafrika zunächst auf Talfahrt. Die Richter kamen zu dem Ergebnis, dass Ramaphosa mögliche Verstöße gegen die Verfassung und das Zivilgesetz vorzuwerfen seien und er darüber hinaus durch die Verheimlichung des Diebstahls seinen Amtseid verletzt habe.
Damit wäre der Weg für weitere Ermittlungen frei. Gerüchte über einen möglichen Rücktritt Ramaphosas machten die Runde. Doch der ANC schloss die Reihen. Mit einer Mehrheit von 214 Stimmen und 148 Gegenstimmen verweigerten die Abgeordneten in einer eigens anberaumten Sitzung des Parlaments die Annahme des Berichtes. Der ANC selbst verfügt über 230 Abgeordnete im Parlament.
Zumindest zeitweise ging Ramaphosa damit erfolgreich aus den Ereignissen hervor, wenn auch moralisch angeschlagen. Immerhin war es gelungen, kurz vor der für die Zukunft der Partei enorm wichtigen Wahlkonferenz die Reihen hinter Ramaphosa einigermaßen zu schließen. Dabei profitierte der Präsident offenbar davon, dass seine persönlichen Zustimmungswerte im Land noch über denen der Regierungspartei liegen und zumindest bei den Abgeordneten der Regierungspartei kein gesteigertes Interesse an einer Führungskrise bestand.
Doch war dies bereits ein Indiz für die Wahlkonferenz kurz vor Weihnachten in Nasrec? Dort würden nicht nur die Abgeordneten aus dem nationalen Parlament entscheiden, sondern mehr als 4.000 Parteidelegierte.
Wie so häufig in der jüngeren Vergangenheit war das dominierende Thema vor der Wahlkonferenz die Energiekrise im Land. Dies umfasst die inzwischen regelmäßig angewandte sogenannte Lastreduktion (load shedding), während derer bestimmte Gebiete angekündigt vom Netz genommen und nicht mit Energie versorgt werden.
Unmittelbar vor dem ANC-Treffen wurde bekannt, dass der Vorstandschef des staatlichen Energieversorgers Eskom, André de Ruyter, zu Ende März 2023 von seinem Posten zurücktreten würde. Eskom hatte in den drei Jahren unter der Leitung de Ruyters zumindest Pläne angestoßen, wie das dauerhafte Energieproblem des Landes zukünftig auch durch stärkeren Fokus auf erneuerbare Energien reduziert werden könnte. Dass er gleichzeitig Korruption und Sabotage im Staatskonzern in den Fokus nahm, hatte ihm zahlreiche Feinde gemacht. Dennoch war es ihm nicht gelungen, die desolaten Unternehmensfinanzen zu verbessern. Auch die Kernaufgabe, ausreichend Energie zur Versorgung der Wirtschaft und der Bevölkerung zu produzieren, konnte er kurzfristig nicht lösen. Hinzu kam Gegenwind aus der Politik, insbesondere von Energieminister Gwede Mantashe, der ihn als ungeeignet für den Job bezeichnete.
Ramaphosas Wiederwahl ohne Durchmarsch
Doch ging es in der Wahlkonferenz des ANC in erster Linie um parteiinterne Machtproben, weniger um die Frage, wie gut oder effektiv die Amtsträger der Partei ihre Aufgaben erledigten. Im Fokus stand natürlich die Wahl des Parteivorsitzenden. Doch zur Wahl standen auch die weiteren sechs Mitglieder des nationalen Führungsgremiums sowie das 80-köpfige Nationale Exekutivkomitee. Präsident Ramaphosa hatte die Nominierungsrunde für den Parteivorsitz mit großem Vorsprung vor Zweli Mkhize gewonnen, der im August 2021 von seinem Amt als Gesundheitsminister zurückgetreten war, da er mit Korruptionsanschuldigungen im Zusammenhang mit der Coronakrise konfrontiert war.
Zum großen Gegenspieler Ramaphosas auf der ANC-Wahlkonferenz schwang sich schließlich Paul Mashatile auf. Er hatte mit großem Abstand die meisten Nominierungen für den Posten des ANC-Vizepräsidenten erhalten und dabei vor allem die Stimmen aus dem immer brodelnden Provinzverband von KwaZulu-Natal auf sich vereint. Mashatile, der vor einigen Jahren bereits kurzzeitig Premierminister der Provinz Gauteng und unter Jacob Zuma Kulturminister war, hatte in der ANC-Wahlkonferenz 2017 eine wichtige Rolle gespielt, in der Ramaphosas Aufstieg an die Spitze der Partei und später des Landes besiegelt wurde, und dazu beigetragen, das Lager von David Mabuza auf die Seite Ramaphosas zu ziehen. Mabuza wurde daraufhin seinerseits zum Vizepräsidenten, Mashatile Schatzmeister des ANC. Als die Partei durch die Amtsenthebung des unter Korruptionsverdachts stehenden Ace Magashule und den Tod seiner Stellvertreterin Jessie Duarte ab Juli 2021 ohne Generalsekretär dastand, übernahm Mashatile interimsweise die Führung der Parteigeschäfte. Bis zur Wahlkonferenz hatte er jedoch nicht deutlich erklärt, ob er Ramaphosa weiter unterstützen würde.
Angesichts der nationalen Krisen gab es genügend Gründe für Unzufriedenheit mit Präsident Ramaphosa. Doch dank der gerade rechtzeitig abgewendeten Bedrohung durch den Phala-Phala-Skandal und einer offenbar gelungenen Mobilisierung seiner Unterstützer im ANC blieb ihm ein Debakel bei der Wahlkonferenz erspart. Ramaphosa konnte in der entscheidenden Abstimmung über den Parteivorsitz schließlich knapp 57 Prozent der Delegiertenstimmen auf sich vereinen. Dass er damit auch den ANC als Präsidentschaftskandidat in die nationalen Wahlen 2024 führen wird, erscheint gewiss.
Ein Durchmarsch gelang Ramaphosa in Nasrec nicht. Immerhin vier weitere der sieben Topjobs in der Führung des ANC wurden mit Kandidaten besetzt, die Ramaphosas Lager zugerechnet werden, darunter Energieminister Mantashe als Nationaler Vorsitzender. Trotz der gegenseitigen Unterstützung liegen beide nicht immer auf einer Linie, insbesondere in der wichtigen Frage, wie die Energiekrise zu lösen ist. Mantashe, den mit Ramaphosa eine gemeinsame Vergangenheit in der Führung der National Union of Mineworkers (NUM) verbindet, sieht sich nach wie vor stark den Bergbaubeschäftigten verpflichtet und hat Ramaphosa in Fragen der Energiepolitik bereits offen widersprochen.
In der Wahl zur Position der 1. Stellvertretenden Generalsekretärin hat sich Nomvula Mokonyane denkbar knapp durchgesetzt. Sie dürfte damit zur eindeutigsten internen Gegenspielerin werden. Mokonyane war von 2014 bis 2019 Ministerin unter Zuma und Ramaphosa. Aus dieser Zeit liegen einige Korruptionsvorwürfe gegen sie vor.
Einigermaßen undurchsichtig bleibt die Rolle, die Paul Mashatile einnehmen wird. Mashatile hatte es vermieden, sich zu einem der Lager in der Partei zu bekennen. Dennoch gelang es ihm, eine Mehrheit der Delegierten für die Wahl zum stellvertretenden Parteivorsitzenden auf seine Seite zu ziehen. Dies macht ihn zum natürlichen Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten und damit zur Nummer zwei des Landes nach den Wahlen 2024 und bringt ihn gleichzeitig in eine aussichtsreiche Position für die Nachfolge Ramaphosas, wenn es ihm gelingt, sich auch in Zukunft die Unterstützung in der Partei zu sichern.
Herausforderungen bleiben
Nachdem Ramaphosa die Hürde der ANC-Wahlkonferenz genommen hat, türmen sich die Herausforderungen für seine zweite Amtszeit im ANC-Vorsitz. Es muss ihm gelingen, weiterhin die unterschiedlichen Lager in der Partei zu integrieren. Sein Ruf als Korruptionsbekämpfer, dem er in den ersten fünf Jahren ohnehin nur zögerlich gerecht zu werden schien, hat durch die Anschuldigungen gegen ihn selbst gelitten. Eine dringend notwendige Antwort auf die sich verschärfende Stromkrise, die untrennbar mit der Politik und den Interessen des ANC verknüpft ist, konnte er bislang nicht geben. Dass Noch-Eskom-Chef de Ruyter unmittelbar nach seiner Rücktrittsankündigung offenbar nur knapp einen Giftanschlag überlebte, zeigt, wie toxisch die Energiefrage ist.
Andererseits könnte Ramaphosa sich in seiner gestärkten Position nun tatsächlich mit Nachdruck der Bekämpfung der Krisen des Landes widmen und Wege finden, diejenigen ANC-Politikerinnen und Politiker, die nach wie vor im Ruf stehen, korrupt zu handeln, ins Abseits zu stellen. Die spannende Frage im Wahljahr 2024 wird sein, wie der ANC damit umgeht, erstmals die absolute Stimmenmehrheit im Parlament verlieren zu können und auf eine Zusammenarbeit mit anderen Partnern angewiesen zu sein.
Noch bleibt Ramaphosa ein Jahr Zeit, den Südafrikarinnen und Südafrikanern zu zeigen, warum sie ihm und dem ANC weiter die Führung des Landes anvertrauen sollten.