Heft 1/2024, Malawi

Wie die Klimakrise die mentale Gesundheit beeinflusst

Die unsichtbaren Folgen des Klimawandels in Malawi
Von Sara Lüttich

In den letzten Jahren ist die Suizidrate in Malawi stark angestiegen. Damit ist Malawis Selbstmordrate mittlerweile höher als der globale Durchschnitt. Das bereits von unzähligen sozio-ökonomischen Krisen gebeutelte Land zählt außerdem zu den Gegenden weltweit, die bereits am meisten unter der Klimakrise leiden. Diese Krisen resultieren in einer multidimensionalen Deprivation. Dass sich auch der Klimawandel nicht nur auf die physische, sondern auch auf psychische Gesundheit auswirkt, ist mittlerweile anerkannt. Allerdings werden die Zusammenhänge und Bedeutungen von Klimawandel und mentaler Gesundheit sowohl in der Forschung als auch bei der Ergreifung von Anpassungs- und Bewältigungsstrategien noch immer stark vernachlässigt. Ein Blick nach Malawi.

Die Krisen in Malawi reißen nicht ab. Das kleine südostafrikanische Binnenland hat mit unzähligen Notständen zu kämpfen: Seit Monaten herrscht aufgrund knapper Devisenreserven eine landesweite Benzinknappheit, die rapide Inflation und Devaluierung des malawischen Kwachas lassen fast wöchentlich die Supermarktpreise in die Höhe schnellen und die Unzufriedenheit der Malawier:innen auch gegenüber der Politik wächst. Als wäre das nicht schon genug, schwebt der Klimawandel wie ein Damoklesschwert über der Bevölkerung. Zyklon Freddy, der Anfang 2023 mit beispielloser Heftigkeit zuschlug, hinterließ verheerende Auswirkungen – Lebensgrundlagen gingen verloren, und tragischerweise auch Menschenleben. Dieser Hurrikan ist ein eindrückliches Symbol für die drastischen Konsequenzen des Klimawandels. Extreme Wetterereignisse, kombiniert mit prekären sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen, verschärfen die ohnehin bittere Armut im Land. Arbeitslosigkeit und Hoffnungslosigkeit belasten die mentale Gesundheit, was zu steigenden Suizidraten unter den 20 Mio. Einwohner:innen führt. Somit steht das Land vor einer weiteren Krise, die sich zunächst unsichtbar im Kopf abspielt: Psychische Probleme steigen an.

Die Intersektion von Klimawandel(folgen) und mentaler Gesundheit

Im Zuge des Klimawandels nehmen extremere Wetterereignisse zu. Krankheiten wie Malaria und Denguefieber breiten sich an neuen Orten aus, während in einigen Gebieten die Ernteerträge zurückgehen. Veränderte Niederschlagsmuster, Dürreperioden und tropische Stürme sind Teil dieser neuen Realität. Die steigende Exposition gegenüber solchen Ereignissen und der allgemeine Temperaturanstieg führen auch zu psychischen Problemen wie chronischem Stress, Hoffnungslosigkeit, Angst, Verlust, Wut, Trauer, Depression, Traumata und sogar suizidalen Gedanken. Neuere Konzepte wie „ecological grief", „eco-anxiety" und „solastalgia" werden herangezogen, um diese Emotionen vor dem Hintergrund der Klimakrise zu verstehen.

Die Forschung und das öffentliche Gesundheitswesen haben sich bisher vor allem auf physische Gesundheitsaspekte konzentriert. Obwohl der Zusammenhang von extremen Wetterereignissen und psychischen Aspekten zunehmend im Notfall- und Katastrophenmanagement thematisiert wird, bestehen weiterhin erhebliche Wissenslücken hinsichtlich der Auswirkungen des Klimawandels auf die psychische Gesundheit, insbesondere bei marginalisierten und gefährdeten Gruppen im globalen Süden (WHO, 2022). Die mentale Gesundheit, laut World Health Organisation (WHO) „ein Zustand des Wohlbefindens, in dem jeder Mensch sein eigenes Potenzial ausschöpft, die Belastungen des Lebens bewältigen kann, produktiv und fruchtbar arbeiten kann und in der Lage ist, einen Beitrag zu seiner Gemeinschaft zu leisten", ist in Malawi nicht nur, aber vor allem bei Kleinbäuerinnen und Kleinbauern stark exponiert.

In Malawi sind 85 Prozent der etwa 20 Mio. Einwohner existenziell von (Subsistenz)-Landwirtschaft abhängig, mit einer Erwerbsquote von insgesamt 55 Prozent im Landwirtschaftssektor (bei Frauen sogar 60 Prozent; World Bank, 2023). Der Klimawandel1 verschärft durch extreme Wetterereignisse, Landdegradierung, Ernte- und Einkommensverluste, ineffizientes Katastrophenmanagement und begrenzte Ressourcen die prekären Lebensbedingungen. Der Wegfall der Lebensgrundlage gefährdet die Ernährungssicherheit. Viele Kleinbauern sind sich der Vehemenz der Klimawandelfolgen in Verbindung mit anderen Faktoren bewusst, was in Kombination mit anderen Faktoren zu psychischen Belastungen, und sogar suizidalen Gedanken führen kann. Problematisch am Klimawandel und seinen Auswirkungen auf die mentale Gesundheit sind nicht nur Effekte wie Traumata durch extreme Wetterereignisse oder bestimmte ausgelöste Emotionen bei betroffenen Personen. Ebenso bedeutsam sind die langfristigen sozialen Dimensionen, die sich in Gewalt, Konflikten um begrenzte Ressourcen und (Zwangs-)Migration manifestieren.

Zunahme psychischer Erkrankungen in Malawi

Neben den direkten Belastungen durch die Klimakrise verstärken die unzähligen sozio-ökonomischen Notstände, die sich zusätzlich seit Covid-19 in Malawi potenziert haben, die Ausweglosigkeit, die viele Menschen empfinden. Anpassungs- und Bewältigungsstrategien wie Land-Stadt-Migrationen zeigen sich wenig wirksam, resultieren in vielen Fällen sogar in einer Verschlimmerung der momentanen Lebenssituationen. Eine Monetarisierung aller gesellschaftlichen Bereiche in Malawi, insbesondere in städtischen Regionen, sowie zunehmende Individualisierungstendenzen und die damit verbundenen Veränderungen von sozialen Sicherheitsnetzen tragen zu einem wahrgenommenen „moralischen Verfall" in der Bevölkerung bei und nicht zuletzt zu einer steigenden Anfälligkeit gegenüber vermindertem psychosozialen Wohlbefinden.

Die Zahlen sprechen für sich: Allein in den letzten fünf Jahren sind die Selbstmordfälle von 128 (2018) auf 292 (2022) angestiegen – damit liegt Malawi mit 11,6 Fällen per 100.000 Menschen über dem globalen Durchschnitt (10,5 per 100.000). Diese von der Polizei erfassten öffentlichen Statistiken geben jedoch keine Auskunft über die tatsächliche Prävalenzrate, welche um ein Vielfaches höher zu sein scheint. Da in Malawi Selbstmord gesetzlich als Verbrechen eingestuft wird, werden viele Fälle auch wegen Angst vor Bestrafung wie Verhaftung gar nicht erst gemeldet.

Studien zeigen, dass ca. 30 Prozent der Menschen, die in Malawi Primärversorgungseinrichtungen in Anspruch nehmen, auch mit psychischen Herausforderungen zu kämpfen haben (Zahlen aus 2010 und 2019). Depressionen sind dabei schätzungsweise die vierthäufigste Ursache für psychische Beeinträchtigungen.

Geschlechterspezifische Unterschiede

Studien zur Verbindung von Klimawandel und mentaler Gesundheit in Malawi betonen geschlechtsspezifische Divergenzen, die sich in vielfältigen Symptomen manifestieren. Eine Untersuchung aus 2022 zeigt, dass über 86 Prozent der befragten Frauen die Auswirkungen von Wetter- und Klimaveränderungen als negativ für ihre seelische Gesundheit empfinden. Vor allem kämpfen sie mit emotionalen Belastungen wie Schmerz, Bedauern, Traurigkeit, Depression und Unruhe. Eine besondere Sorge gilt den Kindern, die aufgrund klimabedingter Ernährungsunsicherheiten mit Mangel- und Unterernährung sowie Hunger konfrontiert sind. Dazu kommen Beeinträchtigungen in Bildung, Gesundheit und physischer Entwicklung.

Geschlechtsspezifische Disparitäten treten deutlich bei Suizidversuchen zutage: Frauen verspüren häufiger suizidale Gedanken, während tatsächlich mehr Männer in Malawi Suizid begehen (Banda et al., 2021). Dies wird oftmals mit der Rolle des Mannes als Ernährer der Familie (bei nicht weiblich geführtem Haushalt) und dem damit verbundenen Druck in Verbindung gesetzt.

Wie weitreichend die Folgen der Klima-, Armuts- und sozio-ökonomischen Krisen sein können, wird in einer Gruppendiskussion mit Männern aus dem semi-urbanen Blantyre geschildert: „Zum Beispiel sind einige von uns, besonders Männer, nicht in der Lage, im Schlafzimmer zu funktionieren – tinafa chiwunu [wir sterben]. Weil die Leute damit beschäftigt sind, darüber nachzudenken ‚was werde ich morgen tun' und wie man Essen auf den Tisch bringen kann, ist das eine Priorität neben allen anderen Dingen, sodass das Interesse an der Zweisamkeit weg ist". Die damit oft einhergehende gesellschaftliche Despektierlichkeit unterstreicht die moralischen Dimensionen (z. B. wahrgenommener Status von Männlichkeit und der sexuellen Leistungsfähigkeit, Zeugung von Kindern oder auch die Missbilligung der Ehefrau), welche als zusätzliche mentale Bürde zu tragen sind und auch zu Scham oder sozialer Isolation führen.

Zwischen Stigmatisierung und Enttabuisierung

In Malawi mangelt es grundlegend an psychotherapeutischen Einrichtungen und psychologisch qualifiziertem Personal. Weniger als eine Handvoll öffentlicher Einrichtungen, darunter Krankenhäuser in Zomba, Mzuzu und Lilongwe, bieten psychische Gesundheitsfürsorge für eine Bevölkerung von 20 Mio. Menschen an. Nicht nur der institutionelle Mangel und die begrenzten Humanressourcen erschweren es, flächendeckende psychiatrische Dienste anzubieten. Selbst vorhandene Dienstleistungen werden aufgrund der starken Stigmatisierung mentaler Probleme nur spärlich in Anspruch genommen. Besonders junge Menschen fürchten das Stigma, als „verrückt" abgestempelt zu werden, und meiden deshalb Hilfe, um ihre Zukunft nicht zu gefährden.

In einer von patriarchalischen Strukturen geprägten Gesellschaft, mit Erwartungen an Männer, keine als „unmännlich" geltenden Emotionen zu zeigen und Stärke zu beweisen, ist das Offenbaren eigener Gefühlslagen erheblich erschwert.

Generell ist die Art und Weise, wie mit mental health umgegangen wird, stark vom jeweiligen gesellschaftlichen Kontext abhängig. Die Perspektive, aus der über psychische Gesundheit gesprochen wird und anhand derer institutionelle Dienstleistungen konzipiert und angeboten werden, ist nicht selten von einem westlich geprägten Verständnis dominiert. Dies mag auch daran liegen, dass unzählige Initiativen, Programme und Projekte zu mental health von internationalen Gebern finanziert sind, die zu einem Großteil deren Agenda bestimmen – ein Einbezug von kulturellen und sozialen Werten und Normen oder auch die Berücksichtigung der Kirche oder des Glaubens als mentale Unterstützung ist fundamental, um existierende Stigmata zu enttabuisieren, wird jedoch viel zu wenig bei der Implementierung solcher Initiativen beachtet.

Kaum Berücksichtigung der psychischen Dimensionen in Klimawandel-Politiken und Adaptionsstrategien

Die psychische Gesundheit bildet laut Prof. Vikram Patel von der Harvard Medical School die Grundlage für ein erfülltes und sinnvolles Leben. Die Verbindungen zwischen dem Klimawandel und der mentalen Gesundheit sind vielschichtig und betreffen individuelle, gemeinschaftliche sowie gesellschaftliche Ebenen. Eine umfassende Bewältigung dieser Herausforderungen erfordert daher nicht nur Umweltschutzmaßnahmen, sondern auch die Implementierung von Unterstützungssystemen für die mentale Gesundheit der betroffenen Bevölkerung.

Ein Blick in die National Climate Change Policy von 2016 verdeutlicht jedoch die unzureichende Integration des Gesundheitssektors, insbesondere im Bereich der mentalen Gesundheit. Diese Intersektionalität bleibt größtenteils unberücksichtigt: Der Begriff „mental health" taucht nicht einmal auf, und selbst physische Folgen werden lediglich oberflächlich behandelt. Krankheiten wie HIV/Aids sind die einzigen, die Erwähnung finden. Selbst in den aktualisierten Nationally Determined Contributions (NDCs) von 2021, einem entscheidenden Referenzdokument für die Umsetzung der Klimaziele Malawis, beschränkt sich die Berücksichtigung der durch den Klimawandel verursachten Gesundheitsfolgen auf rein physische Aspekte.

Es ist unabdingbar, den Zusammenhang zwischen psychischem Wohlbefinden und den Auswirkungen des Klimawandels stärker zu berücksichtigen, um eine nachhaltige Entwicklung tatsächlich zu ermöglichen. Die Auseinandersetzung mit dieser Thematik sollte nicht allein singulären nationalen und internationalen Projekten oder Interessensgruppen überlassen werden.

Sichtbarmachung von unsichtbaren Klimawandelfolgen notwendig

Am 10. Oktober ist jährlich der „World Mental Health Day" – an diesem Tag soll das Bewusstsein für die Probleme der psychischen Gesundheit global gestärkt werden. Auch in Malawi finden vermehrt Bewusstseinskampagnen oder Kapazitätsaufbau in Form von Training von psychiatrischem Personal statt. Dennoch sind weiterhin gezielte und effektive Investitionen in die Humanressourcen sowie eine (bislang kaum stattgefundene) Anerkennung und Priorisierung des Zusammenhangs von Klimawandel und mentalem Wohlbefinden unerlässlich.

In einem Land, das von den Auswirkungen des Klimawandels und den Herausforderungen im Bereich der mentalen Gesundheit betroffen ist, wird die Bedeutung universeller Menschenrechte in diesem Kontext besonders deutlich. Der „World Mental Health Day", der sich 2023 dem Motto „Mental Health is a Universal Human Right" verschrieben hatte, rückte die drängende Notwendigkeit ins Licht, durch den Klimawandel beeinträchtige Aspekte der psychischen Gesundheit in die öffentliche Gesundheit Malawis zu integrieren. Das könnte dazu beitragen, dass Menschen in belastenden Zeiten alternative Lösungen finden und Suizid nicht mehr als ultimativen Ausweg sehen.

1 Ob es sich bei den jeweiligen (Extrem-)Wetterereignissen um Klimavariabilitäten oder Klimawandel in Malawi handelt, ist mitunter schwer differenzierbar. De facto intensiviert der Klimawandel die Häufig- und Heftigkeit von (bereits existierenden) Wetterereignissen. Zusätzlich werden auch wegen Übersetzungs-Gründen verschiedene Phänomene unter dem Label „Klimawandel" zusammengefasst: Klimawandel, (saisonale) Wetterveränderung und lokale Klimaänderungen werden teilweise synonym verwendet.

Sara Lüttich ist Doktorandin und arbeitet im BMBF-finanzierten Forschungsprojekt NISANSA an der Justus-Liebig-Universität Gießen (Institut für Soziologie).

Quellen: