Heft 2/2012, Editorial

Außer Spesen nix gewesen? - Nicht ganz!

ZUR NEUERLICHEN VÖLKERMORD-DEBATTE IM DEUTSCHEN BUNDESTAG. Am 22. März wurde wieder einmal im Deutschen Bundestag der Umgang mit deutsch-namibischer Vergangenheit thematisiert. – Ausgerechnet am Tag, nachdem die Unabhängigkeit Namibias (anlässlich derer seinerzeit eine Bundestagsentschließung die „besondere historische Verantwortung" Deutschlands für die einstige Kolonie bekräftigte) zum 22. Mal gefeiert wurde.

 

Unter dem Tagesordnungspunkt 14 sowie Zusatzpunkt 8 (Drucksachen 17/8767 und 17/8971 sowie Drucksache 17/9033 neu) wurden die Anträge der Fraktionen Die Linke bzw. von SPD und Bündnis 90/Die Grünen diskutiert. Dafür wurde eine halbe Stunde Zeit gegeben. – Wenn es um eine „besondere historische Verantwortung" geht, zumal mit tagesaktuellem Bezug, lässt das hinsichtlich der Prioritätensetzung im Eurokrisen-geschüttelten Europa tief blicken.

 

Um Euros ging es hier auch, wenn auch vergleichsweise eher um Kleingeld. Doch selbst das saß nicht locker. Denn es wäre der ultimative Schuldbeweis gewesen, vor dem sich bislang jede Bundesregierung gedrückt hat. Am nächsten kam diesem Eingeständnis von offizieller Seite bislang die damalige Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit Heidemarie Wieczorek-Zeul, als sie der Gedenkfeier zur hundertjährigen Wiederkehr der Schlacht von Hamakari in der Nähe des Waterbergs beiwohnte und in ihrer Rede im Sinne des Vaterunsers um Vergebung bat für Taten, die in ihren Worten nach heutigem Verständnis als Völkermord zu gelten haben.

 

Die damalige und die seitherigen Bundesregierungen sind hinter diese weit reichende Aussage zurückgefallen und haben dieses Eingeständnis als die emotionale Entgleisung einer Einzelperson diskreditiert. Auch bei der Rückführung der ersten Schädel von Herero und Nama aus den Beständen der Charité, die sich Ende September/Anfang Oktober 2011 unter jämmerlich skandalösen Begleitumständen vollzog (vgl. „Peinlicher Eiertanz", Editorial von Reinhart Kößler in afrika süd 5/2011), wohnte die ehemalige BMZ-Ministerin einigen symbolischen Handlungen sichtlich bewegt bei und dokumentierte dadurch ihre Betroffenheit.

 

Als eine der vermutlich dienstältesten MdBs hat sie wohl gemeinsam mit dem Grünen-Abgeordneten Hans-Christian Ströbele maßgeblich dazu beigetragen, dass der neuerliche gemeinsame Antrag von SPD und Grünen deutlich weiter ging als alles, was vorher von einer sozialdemokratisch-grünen Koalitionsregierung dazu vertreten wurde. Aber das hauptsächliche Verdienst dafür gebührt dem Abgeordneten Niema Movassat von der Linken, deren von ihm initiierter Antrag ganz im Sinne seines Vorgängers Hüseyin Aydin die bisherigen Maximalforderungen nach Anerkennung des Völkermords auch durch entsprechende Entschädigungsleistungen vertritt und die anderen Oppositionsparteien damit zumindest indirekt unter Zugzwang setzte. Der Parallelantrag der einstigen Regierungskoalition fällt nur im Punkt der Reparationen hinter diesen Antrag der Linken deutlich zurück.

 

Parteipolitisches Kalkül sorgte so dafür, dass binnen einer halben Stunde zwei Anträge ähnlicher Stoßrichtung bei Enthaltung der jeweils anderen Antragsteller durch die CDU/CSU/FDP-Regierung abgebügelt wurden. Dennoch war dies kein Hornberger Schießen. Denn sollte die Regierung wechseln, schlagen diese Positionen zu Buche. Dann wird es für eine neuerliche Regierung von SPD und Grünen keine Ausflüchte mehr geben können, und die Parole der Verhinderung einer „entschädigungsrelevanten Entschuldigung", die seinerzeit ausgerechnet vom Außenminister Josef Fischer ausgegeben wurde, bedarf der neuerlichen Prüfung.

 

So gesehen war das parlamentarische Geschehen keine Niederlage. Es setzte Maßstäbe, an denen sich künftige Regierungen anderer Provenienz werden messen lassen müssen. Denn auch in ein paar weiteren Jahren ist das Thema keinesfalls vom Tisch. Geschichte erledigt sich nicht von selbst, sofern sie sich je erledigt. Dass die deutsch-namibische Kolonialgeschichte die aktuellen Beziehungen in ihren Schatten stellt, liegt nicht zuletzt auch daran, dass es ein aktives und lebendiges deutsches Aktionsbündnis gibt, das in bislang so kaum vorhandener Konstellation und Hartnäckigkeit das Thema in die Öffentlichkeit bringt. Noch ist es kein landläufig „heißes Eisen", aber es ist bereits so erhitzt, dass es sich durchaus schmieden lässt. Und da wir schon bei Alltagsbildsprache sind: steter Tropfen...

 

Henning Melber