Heft 2/2013, DR Kongo/Ruanda

Der Krieg nährt seine Väter

DER OSTEN DER DR KONGO IST REICH an Bodenschätzen. Seit Jahrzehnten tobt ein Krieg um diesen Reichtum. Ein zwischenstaatlicher Krieg, der immer wieder die Züge eines Bürgerkrieges annimmt. Der Nachbar Ruanda ist Nutznießer dieser Auseinandersetzungen.

 

Zentralafrika ist von einer komplexen regionalen Dynamik geprägt. Lokale und nationale Konflikte machen nicht an nationalen Grenzen halt. Jedes Land der Region hat seine eigene gewaltsame jüngere Geschichte, die stets ihre Wirkung auch auf die Nachbarstaaten ausübte. Nach dem Ende des Kalten Krieges und in den 1990er Jahren beschleunigte sich diese regionale Dynamik. Während der beiden Kriege in der Demokratischen Republik Kongo (1996-1997 und 1998-2002), die dem Völkermord in Ruanda folgten, wurden insbesondere ihre östlichen Provinzen zum Schlachtfeld – ein Krieg, den man als „Ersten Weltkrieg Afrikas“ bezeichnete. Der natürliche Reichtum der DR Kongo ist ein wichtiger Faktor, der die Konflikte anheizt. Die Kriegsparteien kämpfen um die Kontrolle über die Ressourcen der DR Kongo und die – illegalen – Handelswege auf den internationalen Märkten.

 

Konflikt? Welcher Konflikt?

Die Frage nach dem zentralen Punkt im Konflikt in Zentralafrika lässt sich nur schwer beantworten. Denn es gibt nicht den einen Konflikt. Im Ost-Kongo sind es letztendlich drei Schichten, die sich überlagern und gegenseitig verstärken.

 

Erstens gibt es den Kampf um die Macht in Kinshasa. Der begann gleich mit der Unabhängigkeit, als innerhalb weniger Wochen der kongolesische Staat demontiert wurde und das Land in eine konstitutionelle und institutionelle Krise fiel. Der Kongo wurde ein Bauer auf dem Schachbrett des Kalten Krieges. Die Eliten unterwarfen das Land derart zur eigenen Bereicherung, dass dafür nur das Wort Kleptokratie angemessen ist. Das Ergebnis ist eine Legitimitätskrise, die bis heute andauert, und ein ruinierter Staat, der von nahezu Null aus saniert werden muss. Die Sanierung des kongolesischen Staates ist eine Grundbedingung für einen nachhaltigen Frieden in Zentralafrika.

 

Die zweite Schicht ist der ruandische Krieg und Völkermord, dem die Flucht von zwei Millionen Hutu-Flüchtlingen in den Osten des Kongo folgte. Ruanda beteiligte sich mit Uganda am Sturz des Langzeitdiktators Mobutu in den Jahren 1996-1997. Ein Jahr später begann Ruanda einen neuen Krieg, der offiziell bis 2002 dauerte. Die Anwesenheit der ruandischen bewaffneten Opposition auf kongolesischem Boden hatte schwere Folgen für das Schicksal und die Lebensbedingungen der Bevölkerung des östlichen Kongo. Die Präsenz von Rebellengruppen im Ost-Kongo, die gegenüber Kigali feindlich eingestellt sind, musste immer wieder dafür herhalten, den Einsatz des ruandischen Militärs zu rechtfertigen.

 

Der Kampf um die natürlichen Ressourcen des Kongo bildet die dritte Schicht. Deren Ausbeutung hat sich schon seit Jahren der Kontrolle des Staates entzogen. Bergbau und Kommerzialisierung wurden durch parallele und illegale Netzwerke organisiert. In den 1990er Jahren änderte sich nur die Richtung: Kampala (Uganda) und Kigali (Ruanda) wurden die wichtigsten Knotenpunkte zur Vermarktung für Mineralien aus dem Kongo, die oft über ostafrikanische Häfen, arabische Länder oder den indischen Subkontinent auf den Weltmarkt gebracht wurden. Die Erlöse ermöglichten es, den Sold für Truppen und Milizen, für Waffen und die Fortsetzung des Krieges und der Bürgerkriege zu tragen.

 

Ruandas Interessen im Kongo

Es ist sicher zu einfach, das Problem im Ostkongo auf die ruandische Dimension zu verkürzen. Doch ganz offenkundig hat Ruanda enorme Interessen im Kongo. Seit Kriegsbeginn finanzierte Ruanda seine militärischen Interventionen durch illegalen Handel mit Rohstoffen des Kongo. Der ruandische Staat wurde zusehends abhängig von der Ausfuhr von Mineralien, die nicht in seinem Hoheitsgebiet gefunden werden. Nicht nur der Staatshaushalt, sondern auch die Lebensweise der politischen und militärischen Führer profitiert vom natürlichen Reichtum des Kongo, der über Kigali vermarktet wird.

 

Diese Verfügung über die natürlichen Ressourcen betreibt die politische und militärische Fragmentierung im Ostkongo. Es bedarf nur relativ weniger Menschen und Waffen, jeder kann gewinnen und eine Position in der „Kette der Ausbeutung“ ergattern, Einfluss auf Politik und Friedensprozess gewinnen.

 

In den Kriegen von 1996-1997 und 1998-2002 setzte Ruanda seine wirtschaftlichen und sonstigen Interessen durch eine direkte und offene Präsenz auf kongolesischem Territorium durch. Die direkte Ausbeutung der Bodenschätze und ihre Vermarktung wurde effizient vom Congo Desk in Ruanda organisiert, der 1998 eingerichtet wurde.

 

Der Congo Desk, Coltan und Diamanten

Der Congo Desk war beim Verteidigungsministerium angesiedelt und unterstand dort der Abteilung für auswärtige Beziehungen. Er machte den Krieg und die Besetzung zu einem lukrativen Geschäft für Ruanda. Nach einem Bericht des britischen Guardian vom April 2004 „generierte der Congo Desk der ruandischen Armee 80 Prozent des Militärhaushaltes – etwa 320 Mio. US-Dollar“. Das entspricht dem Äquivalent von 20 Prozent des Nationalproduktes.

 

Das Beutegut aus dem Kongo besteht aus Gold, Holz, Palmöl und verschiedenen Metallen und Mineralien. Die lukrativsten Quellen waren Diamanten und Coltan. 60 bis 70 Prozent des von Ruanda vermarkteten und exportierten Coltans kommen nach Angaben der Vereinten Nationen aus kongolesischer Förderung. Offizielle Statistiken ruandischer Behörden zeigen, dass die heimische Förderung nicht einmal ein Zehntel dessen ausmacht, was Ruanda auf den Weltmarkt bringt. Ruanda hat fast ein Monopol auf dem Coltan-Markt. Abnehmer sind vor allem europäische und US-amerikanische Produzenten aus der IT-Branche. So geht etwa die Hälfte des weltweit geförderten Coltans an die deutsche Firma H.C. Stark, eine hundertprozentige Tochter der Bayer AG, die das Erz raffiniert. Die bedeutendste Rolle im Abbau von Coltan in Zentralafrika spielt der Schweizer Rohstoffhändler Glencore mit Sitz in Baar im Kanton Zug.

 

Diamanten sind die zweite wichtige Einnahmequelle. Alle Diamanten aus Kisangani im Osten der DR Kongo gingen an den Desk. Lokale Händler wurden gezwungen, ihre Diamanten einem Vertragsnehmer der ruandischen Armee zu Preisen zu verkaufen, die vom Congo Desk festgesetzt wurden. Zeitweise belief sich der Wert einer Monatsbeute auf zwei Mio. US-Dollar.

 

Journalisten vor Ort berichteten immer wieder von Frachtflügen zwischen Kigali und Flughäfen und Landebahnen im Osten des Kongo. So schreibt ein Reporter im Christian Science Monitor aus Kigali: „Es treffen oft zehn Maschinen aus dem Kongo ein. Die meisten Güter sind Diamanten, Gold und Palmöl. Die Fracht verlässt den Flughafen erst gar nicht, sondern wird umgeladen auf Frachtflugzuge nach Europa.“

 

Der Desk zieht seinen Gewinn nicht nur aus der Plünderung und Vermarktung der Rohstoffe der DR Kongo. Ein ausgeklügeltes System für Steuern, Zölle, Gebühren und Abgaben für die Betreiber von Minen oder Kleinmineuren sowie für Händler und Transportunternehmen spült Geld in die Kassen des Congo Desk. Diese Gelder stehen eigentlich dem Staat DR Kongo zu.

 

Der Agaciro-Entwicklungsfonds

Zahlreiche Berichte und Studien von den Vereinten Nationen, Human Rights Watch und anderen Organisationen brachten die Machenschaften des Congo Desk zusehends ins Gerede und die ruandische Regierung von Paul Kagame in Erklärungsnöte. Kagame suchte nach Alternativen. 2011 begann er den Aufbau eines Entwicklungsfonds zu organisieren. Beobachter halten diesen für ein weiteres Standbein für die Plünderung des kongolesischen Reichtums und seine Inwertsetzung. Agaciro heißt der Fonds, der im August 2012 offiziell ins Leben gerufen wurde, wohl nicht zufällig zu einem Zeitpunkt, als Ruanda drastische Kürzungen an internationalen Hilfen angedroht wurden.

 

„Agaciro“ kommt aus der Kinyarwandasprache und bedeutet so viel wie „Würde“ oder „Selbstwert“. Agaciro begann mit einem Startkapital von zwei Mio. US-Dollar. In den Fonds kann jeder Bürger einzahlen. Es wird jedoch vielfach vermutet, dass über ihn die Einnahmen aus Rohstoffen und Mineralien aus dem Kongo gewaschen werden sollen.

 

In der Vergangenheit hat sich Ruanda in seinen Maßnahmen, die Kontrolle im Osten des Kongo zu sichern, stets flexibel gezeigt. Das zeigen die verschiedenen Phasen des Konfliktes zwischen Ruanda und DR Kongo.

 

Es gab die Zeiten des offenen Krieges, etwa bis 2002, in denen vor allem reguläre Truppen eingesetzt wurden und Milizen und Rebellen eher eine Randrolle als willkommene Verbündete der einen oder anderen Seite spielten. Es gab Zeiten der verdeckten zwischenstaatlichen Auseinandersetzung, in denen die Rebellengruppen, Söldnertruppen und Warlords stellvertretend, wenn auch auf eigene Rechnung, den Krieg weiterführten. Und es gab immer wieder die Zeiten von Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen, deren Verträge das Papier nicht wert waren, da sie für jede Interpretation offen waren und schnell gebrochen wurden.

 

Zaghafte Veränderungen?

In jeder dieser Phasen verfolgte die Regierung Kagame das Ziel, die Kontrolle über die Ressourcen des Kongo nicht zu verlieren. Seit drei, vier Jahren deuten sich zaghafte Veränderungen an. Die langen Kriegsjahre haben Kagame wie Kabila geschwächt. Der Druck von außen ist gewachsen. Richter in Spanien und Frankreich stellten 2008 einen internationalen Haftbefehl gegen fast die gesamte Führung der ruandischen Armee aus.

 

Die Vereinten Nationen veröffentlichten einen Untersuchungsbericht, in dem Ruanda trotz gegenteiliger Behauptungen die finanzielle, materielle und logistische Unterstützung von bewaffneten Gruppen im Osten Kongos vorgeworfen wird. International sieht sich Kagame einer veränderten Haltung einiger seiner treuesten internationalen Partner, die ihn früher unterstützt hatten, gegenüber.

 

Aber auch Kabila sah sich zunehmend geschwächt. Er konnte sich seiner eigenen Armee im Osten des Landes nicht sicher sein. Truppenteile agierten auf eigene Rechnung, oft allein schon deshalb, um sich selbst zu ernähren. Kabila suchte wiederholt internationale militärische Unterstützung; aber außer Lippenbekenntnissen der Afrikanischen Union oder der Regionalgemeinschaft SADC, der die DR Kongo angehört, gab es nichts. Kabila verlor einen großen Teil seiner Glaubwürdigkeit und Legitimität aufgrund der Art, wie er die Wahlen 2011 organisiert hat.

 

Doch hier konnte er wieder Boden gutmachen. Er schaffte es, die Situation durch die Ernennung von Matata Ponyo zum Premierminister zu stabilisieren. Der Finanztechnokrat konnte in der vorherigen Regierung einige makroökonomischen Erfolge vorweisen. Der neue Ministerpräsident wird von einem bedeutenden Teil der kongolesischen und internationalen öffentlichen Meinung akzeptiert. Es gab den Menschen das Gefühl, dass der Staat und die Republik nicht völlig verloren waren.

 

Bisher waren die Gewichte eindeutig. Auf der einen Seite Ruanda, ein starker Staat, und auf der anderen Seite der Kongo, ein Staat in Ruinen. Aus diesem Ungleichgewicht konnte Ruanda maximalen Gewinn durch die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen des Kongo herausholen. Eine Dezentralisierung der DR Kongo, wie sie bisher allerdings nur auf dem Papier existiert, könnte helfen, Ruandas Dominanz in den strategischen Zonen zu mindern und die Region um die Großen Seen zu konsolidieren.

 

Mittlerweile nähert sich Kagame der zweiten Hälfte seiner letzten Amtszeit. Es gibt Anzeichen dafür, dass er nicht – wie viele vor ihm – die Verfassung ändern wird, um ein erneutes Mandat zu suchen. Es kann aber aus einer Wachablösung nicht geschlossen werden, dass Ruanda seine wirtschaftlichen Interessen im Kongo nicht auch weiterhin mit kriegerischen Mitteln durchsetzen wird.

 

Doch in den internationalen Beziehungen Ruandas beginnt sich der Wind zu drehen; Kagames Politik wird nun auch von den bisher treusten Partnern heftig kritisiert. In Washington, London, Den Haag, Berlin und Stockholm wurden Maßnahmen beschlossen, die bilateralen Hilfen zu beschneiden oder zu suspendieren. Es ist wichtig, den Druck aufrechtzuerhalten, oder, falls erforderlich, zu erhöhen, wenn ein neuer offener Krieg in Zentralafrika vermieden werden soll.

 

Kris Berwouts

 

Der Autor arbeitet seit 25 Jahren für belgische und internationale NRO. Zu seinen Fachgebieten zählen Friedensbildung und Sicherheit sowie Demokratisierung. Bis vor kurzen war er Direktor von Eur Ac, einem europäischen Netzwerk zu Zentralafrika. Heute arbeitet er als freier Berater.
Sein Beitrag wurde von Hein Möllers überarbeitet und ergänzt.

 

Eine ausführliche Darstellung der Etappen der Kriege an den Großen Seen können Sie nachlesen in Afrika Süd Nr. 5/2012: Dr. H. Strizek: Das Ende des vierten ruandischen Kongo-Krieges – Oder taktischer Rückzug Ruandas?