Heft 2/2015, Namibia: 25 Jahre unabhängig

Entschuldigung überfällig

IN DER ENTSCHÄDIGUNGSFRAGE BEWEGT SICH WENIG. Während der 25-jährigen Unabhängigkeit Namibias gab es von Seiten der Bundesrepublik kaum Schritte, um den Forderungen nach Anerkennung, Entschuldigung und Entschädigung für den Genozid an den Ovaherero und Nama 1904 bis 1908 nachzukommen.

 

Ist die Anerkennung des Völkermordes an den Ovaherero und Nama wissenschaftlich kaum noch umstritten, stellt sich die deutsche Regierung nach wie vor quer. Sie verweist zwar auf die moralische und historische Verantwortung gegenüber Namibia, lehnt jedoch eine offizielle Entschuldigung und Entschädigungen ab. Die Forderungen der Ovaherero und Nama, zurückhaltend unterstützt durch die namibische Regierung, werden bis heute ignoriert. Ein Rückblick auf vertane Chancen und den anhaltenden Kampf für Gerechtigkeit („restorative justice").

 

Im Februar 2015 startete die Herero-Diaspora in Nordamerika eine neue Initiative. Mit einer Petition sollten der neue Paramount Chief Vekuii Rukoro und namibische Opfergruppen in ihren Forderungen unterstützt werden. Am 27.3.2015 wurden in Washington und Berlin Unterschriften und Forderungen an Vertreter der deutschen Regierung übergeben. In der Petition werden ohne große Umschweife und argumentative Nachweise für den Völkermord Gespräche über Reparationen von der Bundesregierung angemahnt. Die Forderung nach Entschuldigung wird dabei nicht erneut erhoben, schließlich gab es diese bereits 2004 von Heidemarie Wieczorek-Zeul. In der Rede der früheren Ministerin für Entwicklungszusammenarbeit heißt es: „Es gilt für mich an diesem Tage, die Gewalttaten der deutschen Kolonialmacht in Erinnerung zu rufen, die sie an Ihren Vorfahren beging, insbesondere gegenüber den Herero und den Nama [...] Die damaligen Gräueltaten waren das, was heute als Völkermord bezeichnet würde – für den ein General von Trotha heutzutage vor Gericht gebracht und verurteilt würde. Wir Deutschen bekennen uns zu unserer historisch-politischen, moralisch-ethischen Verantwortung und zu der Schuld, die Deutsche damals auf sich geladen haben. Ich bitte Sie im Sinne des gemeinsamen 'Vater unser' um Vergebung unserer Schuld."

 

Dabei handelt es sich hier um den Wortlaut der verschriftlichten Rede. Der Historiker Christian Kopp verweist jedoch auf Mitschnitte im BBC-Dokumentarfilm „Genocide and the Second Reich" (2004), in dem wesentliche Teile der englisch gesprochenen Rede zu hören sind, unter anderem:„ [...]. The atrocities, the murders, the crimes committed at that time are today termed genocide – and nowadays a General von Trotha would be prosecuted and convicted – and rightly so."

 

Damit wurde, so Kopp, den Zuhörern zu verstehen gegeben, dass der Genozid durch die deutsche Bundesregierung anerkannt und dies eine förmliche Bitte um Entschuldigung wäre. Die dann veröffentlichte schriftliche Fassung und erst Recht deren deutsche Übersetzung boten hingegen weitaus weniger Grundlagen für eventuelle Reparationsforderungen, da der entscheidende Satz in den unverfänglichen Konjunktiv übertragen wurde.

 

Fehlende Aufarbeitung
Seit dieser Aussage sind inzwischen mehr als zehn Jahre vergangen, ohne dass eine erneute öffentliche Entschuldigung von der deutschen Regierungsseite oder gar Reparationsverhandlungen erfolgten. Immer wieder zieht sich die Bundesregierung auf folgende Aussage zurück: Die Völkermordkonvention von 1948 erlaube keine rückwirkende Anwendung, aber die deutsche Regierung würde sich natürlich „wiederholt zu der historischen und moralischen Verantwortung [...] gegenüber Namibia" bekennen. „Entschädigungsverpflichtungen Deutschlands bestehen" jedoch ihrer Meinung nach „nicht". Die Übernahme von historischer Verantwortung zeige sich dagegen in den vergleichsweise hohen Beträgen für die Entwicklungszusammenarbeit und in der sogenannten „Sonderinitiative" – oftmals auch Versöhnungsinitiative genannt. Diese wurde 2006 aufgelegt, allerdings einseitig von der Bundesregierung und ohne vorab die namibische Seite zu konsultieren. Entsprechend kritisch hat sich erst jüngst der neue Paramount Chief der Ovaherero, Vekuii Rukoro, zur „special initiative" geäußert.

 

In den vergangenen Jahren wurden immer wieder parlamentarische Initiativen gestartet, zuletzt 2012 – einerseits durch die Fraktion Die Linke und andererseits ein gemeinsamer Antrag der Grünen und der SPD, damals bekanntlich noch in der Opposition. Zwar forderten beide Anträge die Anerkennung des Genozids und eine Entschuldigung durch den Bundestag, aber nur der Linken-Antrag drängte die Bundesregierung auch zu Reparationsverhandlungen. Von der damaligen Regierungsmehrheit aus CDU/CSU und FDP wurden dennoch beide Anträge abgelehnt.

 

Insgesamt liegt es im Interesse der deutschen Politik, den Genozid aus den Medien und einer öffentlichen Betrachtung herauszuhalten. Letztes Beispiel war die Übergabe von Gebeinen namibischer Genozidopfer im März 2014. Erst wenige Tage vor Ankunft der namibischen Delegation wurden die Übergabetermine in Freiburg und Berlin bestätigt, Vertreter der Ovaherero und Nama waren nicht geladen und die Menschenrechtsaktivist_innen des Bündnisses „Völkermord verjährt nicht!" wurden erst nach Protesten vor der Berliner Charité als Teilnehmende der Übergabezeremonie zugelassen. Offenbar sollte auf diese Weise öffentliche Kritik wie bei der ersten Übergabe Ende September 2011 verhindert werden. Nicht nur das Verhalten damaliger Regierungsmitglieder wie der Staatssekretärin Cornelia Pieper, sondern auch die Vorwürfe an die namibische Delegation, eine „hidden agenda" zu verfolgen, und die Unterstellung, deutsche Unterstützer würden die Opferverbände aufstacheln, hatten ein schlechtes Licht auf das Regierungshandeln geworfen. Erst der Besuch des damaligen Afrikabeauftragten des Auswärtigen Amts, Walter Lindner, in Namibia konnte die Gemüter wieder etwas beruhigen und die Situation entschärfen. Um eine Entschuldigung drückte sich auch er.


Offensichtlich dürfen deutsche Politiker erst dann den Genozid als solchen bezeichnen, wenn sie aus dem Amt geschieden sind. So sprach der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler bereits im März 2014 und nun erneut im Februar 2015 ganz unumwunden vom Genozid: „Zum historischen Bewusstsein gehört die Erinnerung an den Völkermord an den Hereros, der 1904, also vor genau 110 Jahren, durch den 'Vernichtungsbefehl' des preußischen Offiziers Lothar von Trotha begann."

 

Wachsende Ungeduld in Namibia

Von namibischer Seite gibt es da auch von Amtsträgern weitaus mehr Druck. Als 2009 der „Namibia-Gedenkstein" neben dem Gedenkstein für die in „Deutsch-Südwestafrika" gefallenen Berliner Kolonialsoldaten angebracht wurde, sprach der damalige namibische Botschafter Neville Gertze als einziger Redner ganz unverblümt das entscheidende Wort, ebenso wie bei seiner Abschiedsrede im Februar 2015. Die namibische Nationalversammlung hat den Völkermord bereits im Oktober 2006 anerkannt, insbesondere durch den Druck des kürzlich verstorbenen Paramount Chief Kuaima Riruako. Namibische Politiker setzen sich offensiv für eine Entschuldigung und für wiederherstellende Gerechtigkeit („restorative justice") ein. Jedoch plädieren sie – mit der Warnung vor Tribalismus – für Verhandlungen auf Regierungsebene, wie Hage Geingob in seiner Funktion als Premierminister letztes Jahr wiederholt betonte.

 

Im Januar 2015 hat Bethuel Katjimune, Sekretär der Ovaherero Traditional Authority (OTA), der namibischen Regierung eine Frist bis zum 6. Oktober 2015 gesetzt, um die Vertretungen der Herero- und Nama-Communities als Akteure in einen Wiedergutmachungs-Trialog aufzunehmen. Dieselbe Frist setzte er auch der deutschen Regierung, die sich bis dahin entschieden haben soll, ob sie in Verhandlungen über Reparationen eintreten wolle oder nicht. Unklar blieb jedoch, was nach Ablauf des Ultimatums passieren würde.

 

Namibische Opferverbände wie das Ovaherero Genocide Committee, das Nama Technical Committee oder der regierungsnähere Ovaherero/Ovambanderu Council for the Dialogue on the 1904 Genocide sowie zahlreiche Organisationen in Deutschland, die sich hinter das Kampagnenbündnis "Völkermord verjährt nicht!" gestellt haben, setzen sich für eine offizielle Bitte um Entschuldigung und für Wiedergutmachung seitens der Bundesregierung ein.

 

Auch wenn die politische und juristische Anerkennung des Völkermordes noch nicht erreicht wurde, gelingt es zivilgesellschaftlichen Strukturen in Namibia, in der Diaspora und in Deutschland immer häufiger, das Thema politisch und medial zu platzieren. Sei es bei den überfälligen Übergaben von Gebeinen wie 2011 und 2014 oder beim kritischen Umgang mit kolonialen Spuren im öffentlichen Raum, wie zum Beispiel in Bremen, München und Berlin.

 

Way forward?
Der Kampf um ein offizielles Schuldeingeständnis, um die Anerkennung des Genozids und um möglicherweise juristisch abzuleitende Reparationszahlungen hält an. Wie die Reparationsforderungen sich schließlich detailliert darstellen, liegt vor allem bei den Opfergruppen. Der mit dem Staatsbesuch von Walter Lindner begonnene direkte Kontakt zwischen namibischen Gruppen und der Bundesregierung ist dafür notwendig und muss von deutscher Seite konsequent weitergeführt werden. Das forderte unter anderem Ueriuka Tjikuua vom Ovaherero/Ovambanderu Council for the Dialogue on the 1904 Genocide (OCD 1904) beim Besuch des neuen Regionalbeauftragten des Auswärtigen Amts für Subsahara-Afrika und Sahel, Botschafter Georg Schmid im Januar 2015. Tjikuua betonte zu diesem Anlass, dass nun Taten folgen müssten und eine Entschuldigung des deutschen Bundestages weiterhin aussteht. Das wurde auch von Ida Hoffmann, der Vorsitzenden des Nama Genocide Committee, unterstrichen. Entwicklungspolitische Aktivitäten, finanziert durch die Sonderinitiative, sind kein adäquates Mittel für Reparationszahlungen und gelten weiterhin nur als Feigenblatt.

 

Daneben gilt es, Außenminister Frank-Walter Steinmeier an den von der damaligen SPD-Opposition selbst eingereichten Antrag zu erinnern und zu fragen, warum in seiner Amtszeit die Anerkennung des Genozids durch die Bundesregierung noch immer nicht erfolgt ist. Aufschluss wird dazu hoffentlich eine geplante Kleine Anfrage von MdB Mutlu (B90/Die Grünen) bringen, für April 2015 geplant ist. Die Antworten, welche die Vertreter des NRO-Bündnisses „Völkmord verjährt nicht!" bei der Petitionsübergabe im März 2015 in Berlin vom Afrikabeauftragten Georg Schmidt erhielten, gaben allerdings wenig Anlass zur Hoffnung. Deutlich wurde vielmehr, dass Initiativen, die über eine gewisse Dialogbereitschaft hinausgehen und zur offiziellen Anerkennung und Wiedergutmachung des Völkermords beitragen könnten, von der jetzigen Bundesregierung kaum erwartet werden können.

 

Der Paramount Chief der Ovaherero, Vekuii Rukoro, hatte letztes Jahr den 2. Oktober 2015 als Frist für eine Einigung zwischen den Ovaherero, der namibischen und der deutschen Regierung gesetzt. Dann jährt sich von Trotha's Befehl zum Genozid im einstigen „Deutsch-Südwestafrika" zum 111. Mal.

 

Andreas Bohne

 

Der Autor engagiert sich in dem Kampagnenbündnis „Völkermord verjährt nicht!"

 

Völkermord verjährt nicht
Das zivilgesellschaftliche Kampagnenbündnis „Völkermord verjährt nicht!" hat sich 2011 gegründet. Das Bündnis setzt sich für die offizielle Anerkennung des Genozids in der ehemaligen Kolonie „Deutsch-Südwestafrika" durch die Bundesrepublik und für eine regierungsseitige Entschuldigung ein. Das Bündnis erklärt sich solidarisch mit den Forderungen der Herero und Nama nach symbolischer und materieller Wiedergutmachung für das unermessliche Leid, das erlittene Unrecht und die gravierenden Verluste an Hab und Gut.
Die jüngst veröffentlichte Bündnis-Website www.genocide-namibia.net soll zu einer informativen Onlineplattform werden, welche die vielfältigen Materialien und Dokumente zum Genozid, namibische Stimmen und politische Initiativen bündelt und für Interessierte bereitstellt.
www.genocide-namibia.net