DER KAMPF DER GRIQUA UM LAND UND IDENTITÄT IM NEUEN SÜDAFRIKA
„Sie töteten die Sprache, Kunst und Kultur", erklärt Johannes Kraalshoek. Er ist Kapitän, also eine politische Autorität der Griqua im Süden der Provinz Freistaat. Herr Kraalshoek berichtet sichtlich berührt von der Enteignung des Landes seiner Vorfahren durch das Apartheidregime in den 1960er Jahren. Die Konsequenzen bringt er so auf den Punkt: „Ein Griqua ohne Land ist ein nackter Griqua."
Wer sind die Griqua?
Die Griqua sind Nachfahren von Khoekhoe-Viehzüchtern, europäischen Siedlern, San-Jägern und -Sammlerinnen, Sklaven aus der Kapkolonie und bantusprachigen Afrikanern. Im 18. Jahrhundert erlebten die Griqua ihre wirtschaftliche und kulturelle Blüte im kolonialen Grenzgebiet, vor allem in den heutigen Provinzen Nord-, Ostkap und Freistaat. Aufgrund der kolonialen Expansion durch europäische Siedler und der ab 1948 folgenden Apartheidpolitik verloren die Griqua wie viele andere indigene Gruppen das Land ihrer Ahnen. Zudem klassifizierte das Apartheidregime die Griqua als Farbige („Coloureds") und versuchte, ihnen damit ihre indigene Identität und Kultur zu nehmen. Darüber hinaus wurde ihre Sprache durch alltägliche Diskriminierungen und ein staatliches Verbot in den Schulen systematisch verdrängt.
„Wir haben überlebt", versichert der Griqua-Aktivist Cecil le Fleur. „Jetzt ist es an der Zeit, den Platz in der südafrikanischen Gesellschaft einzufordern, der uns gebührt." Viele Griqua stellten Anträge auf die Rückgabe von Land. Die Landrückgabe erweist sich jedoch als langwieriger Prozess, der die staatlichen Einrichtungen heillos überfordert. „Niemand hatte eine Ahnung davon, wie kompliziert die Landrückgabe ist. Es warten buchstäblich noch Millionen von Südafrikanern auf den Abschluss ihres Verfahrens", erklärt der Menschenrechtsanwalt Rudolph Jansen bei einer Gemeindeversammlung. Neben der hohen Anzahl der Anträge sind überlappende Landforderungen und fehlende Ressourcen Herausforderungen für die Post-Apartheid-Verwaltung. Aufgrund der Verzögerung der Landrückgabe fühlen sich manche Griqua von der neuen Regierung diskriminiert. „Während der Apartheid waren wir zu schwarz, im neuen Südafrika sind wir zu weiß." Das unbeliebte Apartheid-Label „Farbige" wird von vielen Griqua heute abgelehnt. Stattdessen verstehen sie sich wieder als Untergruppe der Khoekhoe.
Die Farm Ratelgat
Auf der Farm Ratelgat im semiariden Nordwesten des Westkaps verbinden die Bewohner neuere mit tradierten Elementen im Hausbau und Kunsthandwerk. Griqua aus ganz Südafrika besuchen Ratelgat, um an kulturellen Festen teilzunehmen. Die junge Yvette le Fleur erzählt voller Enthusiasmus: „Wenn ich hierher komme, fühle ich mich zuhause. Da schon unsere Vorfahren hier waren, fühlt es sich großartig an, hier zu sein." Eine der größten Griqua-Gruppierungen in Südafrika, die Griqua-Nationalkonferenz, hat 1999 im Rahmen der Landreform die Farm Ratelgat erhalten.
Die Farm setzt auch auf selbst bestimmten Kulturtourismus. „Ratelgat ist für mich eine Vision, die ein Traum wurde und ein Traum, der Realität wurde", schwärmt der Tourismusmanager der Griqua-Farm Jan Joseph. Er berichtet davon, wie die 7.000 Hektar große Farm für touristische, landwirtschaftliche und kulturelle Zwecke erfolgreich genutzt wird. Hier ist das Land mit der Wiederbelebung indigener Identität und Kultur eng verbunden.
Neue Landrechtspolitik
Seit 2013 kann historisch enteignetes Land, das bisher aufgrund formal-rechtlicher Gründe nicht Teil des Rückgabeverfahrens war, nun doch zurückgefordert werden. Diese Ausnahmereglung ist das Ergebnis jahrelanger Bemühungen von Griqua und anderen indigenen Aktivisten. Möglicherweise könnte damit die Prognose des Griqua-Aktivisten Cecil le Fleur eintreffen: „Ich bin davon überzeugt: Die jüngere Generation der Griqua wird diesen Kampf fortsetzen. Die Tatsache, dass wir eine gemeinsame Tradition teilen, stimmt mich zuversichtlich. Wir werden diesen Kampf für unser Land gewinnen."
Das Filmprojekt
Yvette und Cecil le Fleur, Jan Joseph und der eingangs vorgestellte Johannes Kraalshoek sind Protagonisten des Dokumentarfilms „What is a people without land?". Die Drehorte befanden sich in verschiedenen Provinzen, in denen Griqua heute leben. Durch die geographische Vielfalt dokumentiert der Film eine große Diversität der Stimmen von Betroffenen, er veranschaulicht lokale Besonderheiten und allgemeine Tendenzen. Die Dreharbeiten erfolgten im Rahmen einer sechsmonatigen ethnographischen Feldforschung. Im Filmteam arbeitete ich mit meiner Kollegin Kathrin Gradt zusammen, am späteren Schnitt wirkte Martin Lintner mit. Kooperationspartner war das Dokumentations- und Kooperationszentrum Südliches Afrika (SADOCC) in Wien.
Erwin Schweitzer
Der Autor ist promovierter Ethnologe und derzeit in der Flüchtlingsberatung und -betreuung in Wien tätig.
Erwin Schweitzer, Kathrin Gradt und Martin Lintner: What is a people without land? Griqua und ihr Kampf um Land im neuen Südafrika. Dokumentarfilm. 58 Min., OmU. Südafrika, Österreich 2015. Der Film kann auf DVD bei Erwin Schweitzer bestellt werden erwin.schweitzer@gmx.at
www.facebook.com/apeoplewithoutland/
Erwin Schweitzer: The Making of Griqua, Inc.: Indigenous struggles for land and autonomy in South Africa. Wien und Münster: LIT-Verlag, 2015.
Historische Informationen http://www.sahistory.org.za/people-south-africa/griqua