Heft 2/2018, DR Kongo

Transaqua – ein Unglücksprojekt für den Kongo

MIT WASSER AUS DEM KONGO SOLL DER TSCHADSEE GERETTET WERDEN. Das hat die dreitägige internationale Tschadsee-Konferenz vom 25.-28. Februar 2018 in Abuja beschlossen. Ein italienisch-chinesisches Gemeinschaftsunternehmen wurde mit der Erstellung einer Machbarkeitsstudie beauftragt. Hinter dem ehrgeizigen Infrastrukturprojekt, bei dem jährlich 100 Mrd. Kubikmeter Wasser aus dem Kongo in den Tschadsee gelenkt werden sollen, stecken vor allem China und die Afrikanische Entwicklungsbank als Geldgeber. Die Europäische Union hält sich aus dem umstrittenen Projekt raus, denn die Auswirkungen auf das Ökosystem des Kongo-Beckens dürften verheerend sein. Beide Kongo-Staaten, die DR Kongo und Kongo-Brazzaville, waren zu der Konferenz nicht eingeladen. Dortige Umweltorganisationen sehen die Mammutpläne mit großer Sorge.

Kurz nach der Erklärung von Abuja am 28. Februar 2018 über den Transfer von Wasser aus dem Kongobecken in den Tschadsee war das Thema in der Demokratischen Republik Kongo in aller Munde. In Kinshasa und allen größeren Städten des Landes ist das Interesse der Bevölkerung an der Wasserfrage wieder gewachsen. Viele betrachten Wasser dabei als Symbol der Souveränität des Staates.

„Mit Erstauen haben wir die Nachricht vernommen, dass die DR Kongo sich dazu bereit erklärt hat, ihr Flusswasser abzugeben, um den Tschadsee aufzufüllen. Unser Land gehört zu denen, die in der Region Afrikas südlich der Sahara am wenigsten Trinkwasser haben", regt sich Alain Muba aus Kinshasa auf, wobei er sich fragt, welche Zukunft das Land mit einem solchen Projekt haben wird. Zahlreiche Stimmen haben sich zu dem Thema geäußert, sie protestieren gegen die Entscheidung, die nicht nur die Verfassung der Republik verletzt, sondern auch unheilvolle Folgen für die Ökosysteme Kongos haben kann.

Die kongolesische Zivilgesellschaft hat sich lautstark dagegen gewandt, dass die Regierung eine Position bezogen hat, ohne die Bevölkerung vorher zu informieren. Die Koalition zivilgesellschaftlicher Organisationen zur Begleitung der Reformen von öffentlichen Aktionen (Coalition des Organisations de la Société Civile pour le Suivi des Réformes et de l'Action Publique, CORAP) hat eine Aufklärungskampagne begonnen unter dem Titel „Hände weg von unserem Wasser, lasst unsere Gewässer in Ruhe, lasst unseren Fluss in Ruhe". Ihr geht es um die Sensibilisierung der kongolesischen Bevölkerung, „damit die Menschen verstehen, dass die internationale Gemeinschaft ein Projekt ins Leben ruft, das negative Auswirkungen auf die Umwelt, die Gesellschaft und die Wirtschaft unseres Landes hat", erklärt Emmanuel Musuyu, technischer Sekretär von CORAP.


DAS PROJEKT TRANSAQUA AFRICASAHEL
Das Transaqua-Projekt ist eine italienische Initiative. Erstmals wurde sie 1972 von der italienischen Ingenieur-Firma Bonifaca S.p.A. unter Leitung von Marcello Vichi entwickelt. Seither hat die Idee multinationale Firmen und Geldgeber nicht wieder losgelassen: Die Idee des Baus eines Kanals von 1.300 Kilometern (oder sogar 2.400 km), um im Durchschnitt 100 Milliarden Kubikmeter Wasser zu transportieren, ungefähr also acht Prozent des Süßwassers der DR Kongo. Mitbeteiligt an den Überlegungen sind die Afrikanische Entwicklungsbank und Nepad (Neue Partnerschaft für Afrikas Entwicklung) durch sein Programm zur Entwicklung der Infrastrukturen in Afrika PIDA. Später erhielt die kanadische Firma CIMA International einen 28-monatigen Vertrag für eine Machbarkeitsstudie des Projekts, was die Tschadseebecken-Kommission CBLT in Höhe von 5,5 Mio. US-Dollar finanzierte. Zwei weitere Beratungsfirmen, Lasalle und Techniplan, kamen hinzu, sowie auch die Unesco und die CICOS (Commission Internationale du Bassin Congo Oubangui Sanga); es ging dabei um eine Untersuchung der hydrologischen Daten im Bereich des Kongo-Flusses von Brazzaville abwärts, des Sanga und des Ubangi bis Bangui; diese Studie wurde von der Afrikanischen Entwicklungsbank finanziert.
Die Datenerhebung von CICOS hatte zum Ziel, einen multimodalen Transport-Korridor für Straßen, Eisenbahn und Flussschiffahrt zwischen der Republik Kongo, der DR Kongo, der Zentralafrikanischen Republik und dem Tschad zu schaffen. Die Erklärung von Abuja sieht vor, dass die Afrikanische Entwicklungsbank einen „Fonds für den Tschadsee" ins Leben ruft. Der Fonds soll am Anfang 50 Mrd. US-Dollar umfassen, mit Unterstützung afrikanischer Staaten und Zuwendungen auch anderer Partner.


Funkstille in beiden Kongo-Staaten
Die Verhandlungsrunden über den Transfer von Kongo-Wasser zur Rettung des Tschadsees wurden ohne Einbeziehung der beiden Länder geführt, die sich den majestätischen Fluss teilen: die DR Kongo und die Republik Kongo-Brazzaville. Dabei könnten beide Staaten mit ihren Wasserresourcen eine Lösung für den Sahel anbieten. Beobachter vermuten, dass es sich dabei um eine Zwangslösung für den Zugang zur Ressource Wasser handelt – als ob der Kongo und sein Wasser nichts mit der Souveränität der beiden Staaten zu tun hätte, sondern es sich um ein universelles Erbe handele.

Noch erstaunlicher aber ist, dass sich beide Kongo-Staaten in Schweigen hüllen. Man erfährt nichts über die Kommission, die sich mit großer Energie daran macht, das Projekt umzusetzen. In der Tschadseebecken-Kommission (Commission du Bassin du Lac Tchad, CBLT) hat die DR Kongo, ebenso wie Kongo-Brazzaville und Angola, nur Beobachterstatus. Demgemäß hat Kinshasa kein Stimmrecht, da nur die Länder mit dem Status „ständiges Mitglied" sich an den Entscheidungsprozessen beteiligen können.

Die Haltung der kongolesischen Regierung wird in der öffentlichen Meinung des Landes mit Unverständnis aufgenommen. Denn die DR Kongo hat eine wichtige geostrategische Bedeutung und müsste daher eine Rolle spielen bei der Suche nach langfristigen Lösungen aller Art, besonders bei der Problematik des Tschadsees. Steckt hinter dem Schweigen der Regierung in Kinshasa, dass sie in der Angelegenheit schon eine Art Komplize ist, oder ist sie einfach unfähig? Das fragen sich viele besorgte Beobachter. „Seit vier, wenn nicht fünf Jahren steht die Frage auf der Tagesordnung. Man redet nicht darüber, derweil die Dinge voranschreiten. Ganz offenkundig haben wir im Kongo alles zu verlieren, aber in der Sache nichts zu gewinnen. Daher wohl ist die DR Kongo offiziell nicht zu den internationalen Zusammenkünften eingeladen worden", fragt sich Roger Mpanano, kongolesicher Abgeordneter. Er macht sich Sorgen um die Zukunft der DR Kongo, ihre Ökosysteme und ihre großen Projekte, die stark von den Wasserressourcen abhängig sind.

„Was bedeutet es, wenn man die Gewässer des Ubangi (Nebenfluss des Kongo) anzapft? Trocknet er dann aus? Was bedeutet das Abkommen für das große Staumdammprojekt Inga, das für den Kontinent bedeutsam ist? Und welche Folgen bedeutet das für die riesigen Wälder des Kongobeckens, die ja Wasser benötigen? Vor nicht allzu langer Zeit war der Kongo-Fluss für neun bis zehn von zwölf Monaten schiffbar, heute sind es zwei bis drei Monate. Zu trockener Jahreszeit kann man den Ubangi sogar zu Fuß überqueren. Also stellt sich die Frage an die Wissenschaft, was es bedeutet, wenn man Wasser von einem Becken in ein anderes überführt", argumentiert der Abgeordnete Mpanano und kritisiert zugleich das Schweigen vieler internationaler Organisationen und Forschungseinrichtungen, die sich mit der Umwelt in Zentralafrika beschäftigen, da auch sie nichts über die Umweltauswirkungen des Projektes in der DR Kongo sagen.

Mehr negative als positive Folgen
In einer Reaktion auf die Erklärung von Abuja veröffentlichte der Wissenschaftler Dieudonné Musibono, Professor an der Universität Kinshasa, eine Analyse, in der er feststellt, dass „keinesfalls belegt ist, dass das Problem des Tschadsees sich durch die Zuleitung von Wasser aus dem Ubangi lösen lässt." Wissenschaftlich gesehen zeigt keine Studie eine nachhaltige Lösung.
Professor Musibono hat die misslichen Folgen aufgezeigt, die auftreten können, wenn das Projekt direkt mittels des Ubangi umgesetzt werden soll: „Unsere Landwirtschaft ist auf Regen und Wasser angewiesen; mit Sicherheit wird sich unsere Ernährungslage und Unsicherheit verschlechtern", bekräftigt er angesichts der drohenden Austrocknung der Kongo-Zuflüsse.

Die Umleitung eines Teils des Ubangi-Wassers zum Tschadsee ohne Berücksichtigung von Ressourcen, wie Ersatz für die Absenkung des Wasserniveaus geschaffen werden kann, wird unvorhersehbare und katastrophale Folgen für das gesamte Ökosystem des Kongobeckens haben. Niemand kann verkennen, dass dieses Becken, zweitgrößtes Fluss- und Waldgebiet der Welt, unerlässlich ist für die Zukunft der Menschheit, weil es eine entscheidende Rolle für die Regelung des Klimas hat, wie Experten betonen.

Aus wirtschaftlicher Perspektive wird das Absenken des Kongopegels auf Grund der Ableitung des Ubangi-Wassers die Flussschiffahrt gefährden; das ist bereits jetzt absehbar, weil die Schifffahrtsgesellschaft Compagnie Maritime du Congo wie auch die nationale Elektrizitätsgesellschaft SNEL seit einiger Zeit bereits die niedrigen Wasserstände beklagen. So gesehen wird man sich wohl vom Bauprojekt des großen Inga-Staudamms verabschieden müssen, weil es schlichtweg an Wasser fehlt.

Der kongolesische Klimatologe Albert Kabasele Yenga Yenga warnt vor einer Katastrophe, die 2050 eintreten könnte, wenn nichts geschieht. Nach seiner Erkenntnis erfahren die Gewässer des Kongo auf dem Weg zum Ozean schon jetzt eine wachsende Versalzung auf Grund von Verschmutzungen. Deswegen appelliert er „an die umweltbewussten Bürger der Welt: Verhindern wir, dass unsere Süßwasser-Flüsse sich in Ozeane verwandeln. Mit unserem Müll verstärken wir die Versalzung der Süßwasser-Flüsse, was nichts anderes heißt, dass wir eine andere Katastrophe produzieren, die schlimmer wird als der Klimawandel."

Für Albert Kabasele ist das Projekt, den Tschadsee mit Wasser aus dem Ubangi aufzufüllen, ein Projekt des Todes, zumal der Kongo auf Grund klimatischer Veränderungen und von Umweltverschmutzung mehr und mehr Probleme aufweist. „In Russland und China hat es ähnliche Projekte gegeben, doch heute sieht man die Wirkungen sehr deutlich. Wenn vom Ubangi Wasser entnommen wird, wird das Grundwasser absinken und die Bäume werden sterben. Das haben verschiedene internationale Institutionen und Forschungseinrichtungen bestätigt. Im Jahr 2050 wird der Ubangi nur noch 2.000 bis 3.000 Kubikmeter Wasser pro Sekunde haben, der Fluss verliert unwiederbringlich seine Fließgeschwindigkeit", präzisiert er.

Auch wenn die kongolesischen Wissenschaftler skeptisch sind, was die Ableitung der Gewässer des Ubangi angeht, so sind sie doch der Auffassung, dass es aus afrikanischer Solidarität notwendig sei, den Sahel zu versorgen, indem man Wasser z.B. im Bereich der Mündung des Kongo nutzt. „Wir können ein derartiges Projekt nur akzeptieren, wenn Wasser von Bula Mbemba nahe der Flussmündung abgeleitet wird. So würden die Umweltfolgen minimiert werden. Physikalisch betrachtet wäre die einzige Folge, dass der Druck des Wassers sich verändert, was wohl unvermeidlich ist und was Einfluss auf die Mangroven und das Leben in den Gewässern hätte", verdeutlicht der Klimatologe Kabasele Yenga Yenga.

Statt Transaqua ein Projekt VULA?
Um Befürchtungen zu zerstreuen, dass der Kongo beeinträchtigt wird, hat die Nichtregierungsorganisation ARD/CIREP mit VULA ein neues Projekt entwickelt. Es sieht vor, das Kongo-Wasser nach dem großen Staudamm Grand Inga abzupumpen. Nach Einschätzung des Präsidenten der Organisation, François Kalwele, geht es darum, eine Alternative zu den Befürchtungen der Wissenschaftler zu entwickeln. „Direkt vom Ubangi Wasser zu entnehmen, ist aus verschiedenen Gründen problematisch: Der Fluss hat nicht genügend Wasser, die Umleitung würde die Bevölkerung sehr beeinträchtigen. Der Fluss schlängelt sich zudem durch das Bergbau-Gebiet unseres Landes, so dass unsere Reichtümer gefährdet wären", erklärte er. „Heute spricht man nicht mehr vom Projekt Transaqua, sondern eher vom Projekt VULA, das wir vertreten und das auf der Konferenz von Abuja am 28. Februar angenommen worden ist."

Das Projekt will ein Prozent des Kongowassers zum Tschadsee exportieren. „Wir werden 25.920 Kubikmeter Wasser pro Tag verkaufen, und zwar auf alle Zeit. Das sind 300 Kubikmeter pro Sekunde. Das Investitionsbudget beläuft sich auf ungefähr 40 Mrd. US-Dollar, die DR Kongo wird jährlich rund 60 Mrd. US-Dollar erlösen können", wie François Kalwele erläutert, der auch an der Abuja-Konferenz teilgenommen hat. Seine Erläuterungen im RFI (Radio France Internationale) hatten indes eine gewisse Verwirrung unter den Kongolesen zur Folge.

Die Tschadseebecken-Kommission CLBT hat für das Projekt zwei große Strukturen geschaffen: PowerChina hat für die Verwirklichungen der Bauarbeiten eine Vereinbarung in Höhe von acht Mrd. US-Dollar abgeschlossen; und die italienische Gesellschaft Bonifica S.p.A (Rom) soll das Projekt Transaqua in seiner neuen Version verwirklichen, die den Bau von Autobahnen von Mombasa-Hafen durch die DR Kongo bis nach Lagos-Hafen umfasst. Damit sollen die Ozeane auf beiden Seiten des Kontinents verbunden werden, zur Schaffung einer „neuen Seidenstraße", über die z.B. Rohstoffe und andere Waren zwischen Ost und Westafrika transportiert werden können.
„Wir müssen unseren Kontinent entwickeln; wenn wir die Resolutionen von Abuja umsetzen, ist der Krieg um Wasser von vorneherein gewonnen", beglückwünscht sich François Kalwele.

Mit rund 52 Prozent der Ressourcen an Süßwasser in Afrika ist die DR Kongo wie ein Huhn, das goldene Eier legt. Paradoxerweise ist das Land nie direkt oder indirekt an den Diskussionen des geschlossenen Klubs von Ländern beteiligt gewesen, die sich der Gewässer des Kongo bedienen wollen, um die trockenen Länder (und Mitglieder der CBLT) zu bedienen, Ländern also wie Kamerun, Niger, Nigeria, Tschad, Zentralafrika und Libyen. Daher stellen sich die Kongolesen eine Reihe von Fragen: Wie kommt es, dass Libyen Mitglied der CBLT ist, derweil es weit im Norden liegt und zudem auch weit entfernt ist vom Tschadsee? Und wie kommt es, dass die DR Kongo nur Beobachter bei der CBLT ist? Manche argwöhnen, dass man das Projekt zur Ableitung großer Mengen Kongo-Wassers geheim vereinbart habe, um mit unkontrollierten Wasserexporten auch jenseits des Tschadsees riesige Profite einzusacken.

Alfred Ntumba

Der Autor ist freier Journalist in der DR Kongo mit Schwerpunkt Umweltfragen und nachhaltige Entwicklung. Er ist Herausgegeber der Internetzeitung „Environews RDC" in Kinshasa, die sich als erste Zeitschrift der zentralafrikanischen Region mit Fragen der Umwelt, Ökologie und nachhaltigen Entwicklung auseinandersetzt.
http://www.environews-rdc.org/