Heft 2/2019, Editorial

Mehr als eine Naturkatastrophe

Mosambik ist binnen kurzer Zeit mit „Idai" und „Kenneth" von zwei heftigen Zyklonen getroffen worden: Rund 600 Tote, 1.600 Verletzte, 135.000 Menschen in Aufnahmezentren und fast 1,8 Millionen direkt Betroffene, 3.500 Klassenräume und 90 Gesundheitszentren zerstört – diese Zahlen geben nur eine vage Vorstellung von dem Leid, das die Menschen in Zentralmosambik getroffen hat. Eine Tragödie. Aber war das Ausmaß und seine Folgen nur eine Naturkatastrophe oder trägt die mosambikanische Regierung nicht auch eine erhebliche Mitschuld?

Verschließen wir nicht die Augen vor ihrer Mitverantwortung für die erbärmliche Situation, in der sich das Land befindet. In der Saison von Februar bis April wird die mosambikanische Küste regelmäßig von Zyklonen von mehr oder weniger starker Intensität heimgesucht. Die letzten schweren Überschwemmungen ereigneten sich im Jahr 2000. Außer im Ernstfall wirkungsloser Frühwarnsysteme wurde seitdem nichts unternommen, um das Ausmaß der Folgen des nächsten Wirbelsturms seit der Katastrophe vor fast 20 Jahren zu mildern. Die korrupte Regierungselite hat nichts getan, um mit konkreten und wirksamen Maßnahmen Beira, eine Stadt praktisch auf Meereshöhe, und die dahinter liegende Region vor diesen zyklischen Zerstörungen zu schützen.

Die Mehrheit der Bevölkerung lebt nach wie vor im Elend, oft ohne ausreichende Nahrung, Einkommen und die Möglichkeit, stabilere Häuser zu bauen, die sie schützen würden. Seit dem Kriegsende 1992 hat sich der Lebensstandard der Bevölkerung kaum verbessert. Mosambik rangiert im HDI-Index auf Platz 180 unter den acht ärmsten Ländern der Welt – und das, obwohl es über riesige landwirtschaftliche Flächen und reichlich natürliche und mineralische Ressourcen verfügt.

Führende Mitglieder der Frelimo-Regierung haben sich derweil obzön bereichert. Der ehemalige Finanzminister Manuel Chang, dem Korruption und Geldwäsche vorgeworfen wird und der maßgeblich mitverantwortlich ist für die „versteckten Schulden" von 2,2 Mrd. Dollar am Parlament vorbei, befindet sich derzeit auf Ersuchen der USA in südafrikanischer Haft. Weitere 20 Personen, von denen viele mit dem ehemaligen Präsidenten Guebuza in Verbindung stehen, wurden von der Staatsanwaltschaft beschuldigt, Bestechungsgelder in Höhe von 60 Mio. Dollar angenommen zu haben. Die Zahlung von Zinsen auf illegale Schulden hat das Land in eine Finanzkrise gestürzt, die seine ohnehin unzureichenden Gesundheits- und Bildungssysteme sowie das Frühwarn- und Katastrophenschutzsystem weiter schwächt. Die Mehrheit der Bevölkerung leidet, während hohe Regierungsbeamte und europäische und russische Banken von diesen schmutzigen Geschäften profitieren.

Wo sind angesichts der Katastrophe die reichen Mosambikaner, die bei der humanitären Hilfe an vorderster Front stehen sollten? Ach es ist ja so einfach, um internationale Hilfe zu bitten. Und ob die Katastrophenhilfe wirklich bei den Bedürftigen ankommt, ist mehr als fraglich. Die Frauenorganisation GMPIS aus Beira berichtet, es sei gängige Praxis, Hilfe nach dem Parteibuch zu verteilen, und zwar von allen Parteien. Wer in keiner Partei ist, gehe leer aus, und deshalb haben sich die Frauen unabhängig organisiert. Das Center for Public Integrity hat deshalb vorgeschlagen, dass glaubwürdige zivilgesellschaftliche Organisationen oder würdige Bürger sowie organisierte religiöse Institutionen in das Hilfsmanagement einbezogen werden sollten.

All dies ist leider die traurige Realität Mosambiks. Es ist schon lange an der Zeit, dass sich das mosambikanische Volk von seinen damaligen „Befreiern", die es inzwischen ebenfalls nur ausbeuten, endlich befreit.

Welche Lehren zieht die internationale Gemeinschaft aus den Katastrophen und der Handlungsunfähigkeit der mosambikanischen Regierung? Warum wird diese seit Jahrzehnten mit Entwicklungshilfe und Krediten unterstützt, wenn die Ergebnisse zu keiner Änderung der Lebenssituation der Menschen führen? Wo bleibt die konzertierte Aktion, wie sie etwa gegenüber Venezuela geführt wird? Warum wird mit unterschiedlichem Maß gemessen? Liegt es etwa daran, dass die westlichen Partner daran interessiert sind, das Feld nicht den Chinesen zu überlassen, und über die jetzige Regierung sich weiterhin den Zugang zu strategischen Rohstoffen wie Gas, Graphit, Bauxit und anderen Zuliefermetallen sichern wollen und können? Auge zu angesichts einer solch korrupten Regierung und mit ein bisschen Nothilfe versuchen, das Schlimmste zu lindern?

Auch in Mosambik haben wir es mit dem gleichen Doppelspiel zu tun, das ebenso in West- und Nordafrika gespielt wird, wo Despoten generös dafür kompensiert werden, dass sie bereit sind, die Flüchtlinge zurückzuhalten, die Grenzen zu schließen und die Menschen lieber in der Sahara als im Mittelmeer sterben zu lassen. Auf der anderen Seite wird fortgefahren mit Agrarsubventionen für europäische Überproduktion und ungerechte Freihandelsabkommen, die die afrikanischen Staaten massiv benachteiligen und den Exodus der Menschen provozieren. Sich über Trump aufregen, aber eine so klare „Europa First"-Politik auf Kosten der Menschen in Afrika zu betreiben, ist deshalb nicht weniger verwerflich als das Verhalten der mosambikanischen Regierung gegenüber ihrer Bevölkerung.

Michael Hagedorn