Heft 2/2019, Südafrika

Nicht weiß, nicht schwarz

FARBIGE IDENTITÄT IN SÜDAFRIKA. Schwarz, weiß, asiatisch und farbig, das waren die rassistischen Kategorien während der Apartheid. 25 Jahre später beklagen sich ‚farbige' Südafrikaner über Vorurteile und Diskriminierung. Die Kulturszene in Kapstadt nimmt diese Debatte auf.

Die Vorfreude steht ihnen ins Gesicht geschrieben. „Wir gehen auf eine Reise, auf den Spuren unseres Kulturerbes", kündigen Sarah Summers und Kelly-Eve Koopman zu Beginn ihrer Web-Serie „Coloured Mentality" an. Tausend Kilometer wollen sie gemeinsam mit Aktivisten für indigene Rechte wandern. Bevor es losgehe, müssten sie sich aber mit ihrer eigenen Identität und gesellschaftlichen Rolle beschäftigen. Während der Apartheid wären die beiden jungen Frauen als ‚Coloured' also ‚Farbige' klassifiziert worden. Nun wollen sie herausfinden, was das heutzutage bedeutet. „Was ist ein Farbiger?" Diese Frage stellen sie in der ersten Episode ihrer Serie. Künstler, Kultur- und Medienschaffende antworten.

Viele erzählen, dass sie sich früher als „sogenannte Farbige" bezeichnet hätten, weil ihnen diese Bezeichnung als rassistische Kategorie aufgedrückt worden war. Aber das ändert sich offenbar. So erzählt Radiomoderatorin Sherlin Barends, dass sie lange nicht mit dem Begriff ‚farbig' assoziiert werden wollte. Heute sei ihr das jedoch „fast peinlich" und sie ärgere sich, wenn prominente ‚Farbige' vor der Bezeichnung zurückschreckten. Nicht so Schauspieler Brendon Daniels, der betont, der Begriff umschreibe für ihn mittlerweile eher eine Einstellung als seine Hautfarbe. Richtig stolz zeigt sich Musiker Keeno Lee Hector: Sie seien eine Mischung aus all dessen, was in Südafrika passiert sei. Es sei wie bei einem Eintopf mit vielen verschiedenen Zutaten: „Schmeckt lecker, sieht gut aus."

‚Coloureds' kämpfen gegen Vorurteile und Diskriminierung
Zu den Vorfahren der ‚Coloureds' gehören die Ureinwohner Südafrikas ebenso wie die europäischen Einwanderer und ihre Sklaven aus asiatischen und afrikanischen Staaten. Eine homogene Gruppe waren sie nie. Trotzdem würden sie bis heute mit pauschalen Vorurteilen konfrontiert, sagt der Künstler Rory Emmett bei einem Atelierbesuch in Kapstadt. „Die Medien stellen Farbige als Rowdys dar, als Gangster, die mit Drogen, Diebstahl und Gewalt assoziiert werden. Als Leute, die einen komischen Dialekt sprechen, die eigentlich keine Wurzeln und keine eigene Kultur haben." Die Apartheid lebe auf diese Art in den Köpfen, Definitionen und Kategorien weiter. Wer offizielle Formulare ausfülle, müsse in Südafrika bis heute angeben, ob er weiß, schwarz oder farbig ist. „Es wird dauern, bis wir all das überwunden haben und uns als Teil dieser Gesellschaft fühlen können."

Früher seien sie nicht weiß genug gewesen, heute nicht schwarz genug, kritisieren politische Aktivisten am Kap mit Blick auf die Aufstiegschancen Farbiger, die rund neun Prozent der Bevölkerung ausmachen. Die Bürgerrechtsgruppe „Camissa Movement for Equality" brachte vor dem UN-Menschenrechtsrat einen Antrag für die Anerkennung der „systemischen Diskriminierung der ‚Coloureds'" ein. Bei der Vergabe von Regierungsaufträgen würden sie meist übergangen, zudem werde die Infrastruktur in ihren Gegenden vernachlässigt. Diese Kritik wird auch bei Demonstrationen und Protesten in den Townships laut, in denen farbige Südafrikaner früher angesiedelt wurden und oft bis heute leben. Sie fühlen sich diskriminiert und angesichts maroder Infrastruktur sowie eskalierender Gewalt in ihren Vierteln von Regierung und Polizei allein gelassen. Es sind Probleme, die auch Rory Emmett in seinem künstlerischen Werk thematisiert – allerdings eher auf spielerische Weise.

Der ‚Colourman' nimmt Farbig-Sein wörtlich
Passanten drehen sich um, als sie ihn als kunterbunten ‚Colourman' bei einer öffentlichen Performance sehen. Sein Oberkörper und sein Gesicht sind von Farbklecksern in allen Schattierungen bedeckt. „Als ‚Colourman' nehme ich den Begriff ‚farbig' wörtlich. So wird ein farbiger Mann wirklich bunt", erklärt der 26-Jährige Künstler sein Konzept. „Es ist meine Art, mich mit dem Konstrukt des ‚Farbigen' auseinanderzusetzen. Ich definiere es neu und werde nach meinen eigenen Bedingungen ‚farbig'." Und so sitzt er als ‚Colourman' etwa auf der überdimensionalen Sonnenbrillen-Skulptur der Strandpromenade in Kapstadt, die zu Ehren Nelson Mandelas errichtet wurde. Den Blick hat er fest auf die Gefängnisinsel Robben Island gerichtet. „Mit dieser Performance hinterfrage ich, wie wir Freiheit eigentlich wahrnehmen", betont er. Natürlich schwingt dabei auch die Frage mit, wie es um die Regenbogennation heute steht und welchen Platz ‚Farbige' darin haben.

Noch deutlicher wird diese Aussage bei seiner Performance auf der Brache des ehemals multikulturellen Viertels District Six, das die Bulldozer der Apartheid dem Erdboden gleichgemacht haben. Mit einem Vorschlaghammer reißt der ‚Colourman' eine Mauer ein, die er zuvor bunt angemalt hat. Er trägt die alten Arbeitsstiefel und –hosen seines Vaters, eines Anstreichers, als Hommage und als Symbol für die ‚farbige' Arbeiterklasse. In Kapstadt werde man auch heute noch jeden Tag damit konfrontiert, dass Bauarbeiter dunkelhäutig seien, ebenso wie Putzfrauen, bemerkt der junge Künstler. Diese weiterhin sichtbare Folge der rassistischen Klassengesellschaft wirke sich auch auf die junge Generation aus.

„So sollten die Bürger einer Regenbogennation aussehen!"
Es gebe nur wenige erfolgreiche ‚farbige" Vorbilder, sowohl in der Wirtschaft als auch in der Kunst, sagt Rory Emmett. Deshalb sei er besonders dankbar, dass er während des Studiums bei der renommierten Professorin Berni Searle lernen konnte. „Die Zusammenarbeit war einfach unglaublich, denn sie war eine der ersten ‚farbigen' Künstlerinnen, die sich intensiv mit dem Thema Identität auseinander gesetzt haben", sagt er bewundernd. Ähnlich würde es wohl jungen Sportlern nach dem Olympiasieg des Kurzstreckenläufers Wayde Niekerk ergehen. Wo es keine Vorbilder gibt, schafft Rory Emmett in gewisser Weise welche: Überall in seinem kleinen Atelier stehen kleine, kunterbunte Actionfiguren verteilt. Buchstäblich farbige Superhelden, die spielerisch mit dem Klischee der kriminellen ‚Coloureds' brechen und gleichzeitig auf die Macho-Kultur anspielen.

An den Wänden hängen neben großformatigen Gemälden, von denen eines für die letzte Kunstmesse in Kapstadt ausgewählt wurde, auch historische Schwarz-Weiß-Fotos, die der Künstler mit seiner Farbpalette bearbeitet. Er habe sich Fotos aus der Apartheid angesehen und überlegt, wie die ‚Coloureds' in diesen Kontext passen. „Da wir weder schwarz noch weiß sind, haben mich vor allem die Grautöne interessiert. Weil sie undefiniert sind, kann man sie mit jedweder Farbe füllen."

Und das tut er. Er bedeckt die Gesichter und die Hände der Menschen auf den Fotos über und über mit kleinen bunten Punkten. „Es fühlt sich bestärkend an und es ist natürlich auch humorvoll gemeint", meint Emmett. „Ich führe die Absurdität der rassistischen Kategorien vor Augen und zeige, wie bunt schillernd die Bürger unserer Regenbogennation wirklich aussehen sollten!"

Damit trifft der junge Künstler den Nerv der Zeit in Südafrika. Aktivisten fordern, dass es statt der alten rassistischen Terminologie endlich einen neuen Begriff geben müsse, mit dem sich alle Südafrikaner identifizieren. Der ‚Colourman' macht vor, wie es geht.

Leonie March

Die Autorin ist freie Journalistin mit Sitz in Durban und Mitglied des Netzwerks freier Auslandskorrespondenten weltreporter.net.