NEBEN MOSAMBIK UND SIMBABWE IST AUCH MALAWI VOM ZYKLON IDAI HART GETROFFEN. Eine Woche vor dem heftigen Sturm hat ein Vorläufer des Zyklons Flüsse über die Ufer treten lassen und Malawis Ernten zerstört. Die Nahrung könnte knapp werden.
Als Felix Fabiano und seine Familie um vier Uhr nachts aus dem Schlaf gerissen wurden, war es schon zu spät. Es war der Morgen des achten März, und die Fluten hatten sein Dorf unweit des Shire-Flusses im südlichen Malawi bereits komplett umschlossen. Der Familie blieb keine Zeit, um ihr Hab und Gut und ihre sechs Ziegen zu retten. Gemeinsam mit seinen Nachbarn baute Fabiano hektisch ein Floß aus herumliegenden Holzpfählen und begann damit, Frauen und kleine Kinder zu retten. „Als die zwei Boote von Hilfsorganisationen kamen, stand bereits alles unter Wasser", erinnert er sich.
Vier Wochen später sitzt Fabiano, 39, mit seiner Frau Faless, 39, und seinem fünf Monate alten Sohn Miracle vor seiner Notunterkunft, einer geduckten Hütte aus Stroh und Plastikplanen in einem zwei Kilometer entfernten Flüchtlingslager. Der Boden ist staubtrocken und die brennende Mittagssonne lässt den Großteil der Bewohner in den Schatten flüchten. „Die Regierung hat Medikamente gebracht und medizinische Tests gemacht", sagt Fabiano. Dennoch habe er Angst vor Krankheiten. Mehr als 1000 Flüchtlinge teilen sich rund 20 Toiletten. Immerhin können zwei seiner drei älteren Kinder zur Schule gehen, denn diese ist höher gelegen und intakt geblieben.
Mit ihrem Schicksal ist Felix Fabiano nicht allein. Zyklon Idai, einer der schwersten Tropenstürme auf der Südhalbkugel überhaupt, forderte in Malawi bisher 59 Menschenleben. Insgesamt sind nach offiziellen Angaben rund 900.000 Menschen betroffen, 87.000 Flüchtlinge leben in Camps. Die Regierung hat den Notstand erklärt. Malawi hatte schon vor der Flutkatastrophe mit zahlreichen Widrigkeiten zu kämpfen. Der globale Hungerindex stufte die Lage bereits im November 2018 als ernst ein. Die Mo Ibrahim Foundation, die jährlich die politisch-ökonomische Situation aller afrikanischen Staaten bewertet, sieht die Hälfte der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Die soziale Ungleichheit ist beträchtlich. Das Bevölkerungswachstum ist mit 4,4 Kindern pro Frau sehr hoch, die Inflation in Höhe von zehn Prozent ebenfalls. Lichtblicke sind die vergleichsweise hohe Sicherheit und ein stabiles Wirtschaftswachstum.
Auch wenn Malawi weniger hart getroffen wurde als Mosambik und Simbabwe, warnen Hilfsorganisationen bereits vor einer Nahrungsmittelknappheit: In den betroffenen Provinzen im südlichen Malawi an der Grenze zu Mosambik ist Erntezeit. Doch die Bevölkerung, auf dem Land meist Kleinbauern, hat einen großen Teil der Feldfrüchte verloren. Nahe des Shire-Flusses im Distrikt Chikwawa sind die Schäden unübersehbar: Links und rechts der Straße erstrecken sich Felder mit totem Mais, der Wind spielt mit den schlaffen, ausgebleichten Halmen.
Das Dorf Mwalija, wo auch Felix Fabiano lebte, ist heute eine Geisterstadt. Die Ingenieurin Ipyana Mkangama läuft durch die Überreste des Dorfzentrums entlang verfallener Häuser aus roten Ziegeln. Sie deutet auf einen Erdhaufen: „Das hier war einmal ein Haus. Weil die Bewohner kein Geld hatten, es mit Beton zu verfugen und stattdessen mit Lehm gemauert haben, ist davon außer einigen Ziegeln nichts mehr übrig." Sie arbeitet für die Nichtregierungsorganisation Welthungerhilfe und ist eigentlich für den Bau einer Bewässerungsanlage für die Felder rund um das Dorf verantwortlich, doch in den vergangenen Wochen stand die Nothilfe im Vordergrund.
Die Welthungerhilfe ist eine der Organisationen, die die Menschen in den Flüchtlingslagern mit dem Allernötigsten versorgen: Nährstoffreiches Mehl, Seife, Tabletten zur Wasseraufbereitung, Salz, Moskitonetze, Wasserkanister, Eimer, Teller und Besteck. Auch in dem Camp, das die Bewohner des zerstörten Dorfs Mwalija beherbergt, ist die NGO aktiv. Sandra Schuckmann-Honsel vom Nothilfe-Team läuft durch das Lager, vorbei an Holzhütten und Iglu-Zelten einer japanischen Hilfsorganisation. Hühner und Ziegen laufen umher, spielende Kinder beäugen die Besucherin neugierig. Das Leben hier sieht auf den ersten Blick fast nach dörflicher Normalität aus.
Tatsächlich gibt es in Malawi Camps mit deutlich mehr Problemen. „In einem der Camps, das ich besucht habe, gab es nur sechs Toiletten für 6.000 Menschen, das ist weit unter Standard. Die Menschen schlafen im Freien, nur geschützt von einer Plastikplane", sagt Schuckmann-Honsel. Viele Menschen auf engem Raum, schlechte Beleuchtung, keine Rückzugsräume – all das bringe Gefahren mit sich. Dazu sähen manche Frauen bisweilen in ihrer Not keine andere Möglichkeit, als dringend benötigte Dinge wie Lebensmittel mit Sex zu bezahlen. Auch deshalb gilt die Aufmerksamkeit der Organisation vor allem Schwangeren, stillenden Müttern und kleinen Kindern.
Nach Ausklingen der Nothilfe-Maßnahmen gehe es darum, den Menschen wieder Perspektiven zu bieten, sagt Mkangama von der Welthungerhilfe: „Die Regierung hat Land in höheren Lagen bereitgestellt, damit das Dorf umsiedeln kann. Das ist nicht weit entfernt, sodass die Bauern sogar dieselben Felder bestellen könnten."
Die Welthungerhilfe will auch Kantholze und Wellbleche bereitstellen, damit die Bewohner des Mwalija-Camps entlang des häufig über die Ufer tretenden Shiwe-Flusses zumindest temporäre neue Häuser bauen können. Umsiedlungsversuche nach den Flutkatastrophen von 2010 und 2015 sind aus verschieden Gründen bisher gescheitert. Misstrauen gegen die Regierung und Verwurzelung mit dem Land können Gründe dafür sein. Außerdem seien die letzten Überflutungen längst nicht so stark gewesen wie diesmal. „Ich bin sicher, dass die Menschen jetzt umsiedeln werden", meint Mkangama.
Auch in höheren Lagen Malawis wurden die Menschen von den Fluten überrascht. In der Region Mulanje am Fuße des gleichnamigen Dreitausenders sorgten die starken Regenfälle für Sturzfluten. Auch dort ist das Wasser weg, doch die Not bleibt. Offensichtlich wird das beim Besuch der Nsuka-Grundschule, die man nur über eine holprige, unbefestigte Straße erreicht. Die Schule dient als Notunterkunft für 174 Menschen. Die dunklen Klassenräume werden morgens für die rund 1000 Schüler genutzt. Abends rollen die unfreiwilligen Gäste dort Decken und Plastikplanen aus und schlafen nach Männern und Frauen getrennt auf dem Betonboden. Zu ihnen gehört auch Teresa Nahawa, 41, die hier mit ihrem Mann und drei Kindern untergekommen ist. „Wir schlafen hier sehr schlecht. Wir sind über 100 Frauen und Kinder in einem Raum", sagt sie. „Und es gibt zu wenig zu essen – nur morgens und abends etwas Brei." Dazu kommt, dass es nur drei Toiletten gibt. Das Wasser hat hier mehrere Toiletten zerstört. Gerade sind Arbeiter eilig dabei, die Grube für eine neue auszuheben.
Nahawa sagt, es sei schon das dritte Mal in neun Jahren, dass ihr Haus durch Überschwemmung zerstört worden sei. Immerhin kommt auch bei ihr Hilfe an: Die Organisation PLAN International versorgt in der Region mehrere Camps mit dem Nötigsten und hat dabei vor allem Frauen und Kinder im Fokus. Unterstützt werden nicht nur die Gemeinden und das Lebensumfeld der PLAN-Patenkinder, sondern auch ganze Camps. „Die Frauen erhalten von uns Hygiene-Kits, die unter anderem Binden beinhalten", sagt Mitarbeiter Frank Chifuno.
Felix Fabiano und seine Familie in Chikwawa sind trotz allem optimistisch. „Wir sind jung, wir können unser Leben wieder aufbauen. Aber was ist mit den Älteren aus unserem Dorf? Das macht mir Sorgen." Er hat sich bereits entschieden: Mit ein wenig Unterstützung würde er sofort umsiedeln, sagt Fabiano. Einige Ziegel aus seinem zerstörten Haus könne er sogar wiederverwenden.
Nico Damm
Der Autor ist freier Journalist und Fotograf.