DER ZYKLON IDAI TRAF MIT MOSAMBIK EINEN FRAGILEN STAAT, der von einem extraktivistischen Entwicklungsmodell geschwächt und fest in der Hand des internationalen Kapitals ist. Die arme Bevölkerung war der Naturkatastrophe schutzlos ausgeliefert. Stimmen nach Klima-Reparationszahlungen werden lauter.
Am Donnerstag, den 14. März 2019, prallte der Zyklon Idai auf die mosambikanische Hafenstadt Beira in der Provinz Sofala und zerstörte sie zu großen Teilen, bevor er entlang einem der bevölkerungsreichsten Korridore der Region in Richtung Simbabwe fegte. Begleitet wurde Idai von starken Stürmen von 220 km pro Stunde und heftigen Regenfällen, die die Flüsse Pungwe und Buzi über ihre Ufer treten ließen und zu schweren Überschwemmungen führten. Im Distrikt Buzi kämpften tausende Menschen auf Bäumen und Dächern um ihr Leben, während ihre Dörfer sich in Ozeane verwandelten. Obwohl die Regenfälle nach einer Woche nachgelassen hatten und das Wasser zurückging, hielt die Überschwemmungsgefahr an, weil stromaufwärts die Dämme ihre Kapazitätsgrenzen erreicht hatten.
Noch ist es zu früh, um das ganze Ausmaß von Zerstörung zu erfassen. Nach Angaben des Nationalen Instituts für Katastrophenmanagement (INGC) von Mosambik von Ende März starben 447 Menschen infolge des Zyklons, 128.941 Personen leben in 143 Notunterkünften. Mittlerweile ist die offizielle Todeszahl auf über 600 Menschen gestiegen, insgesamt sind 1,7 Millionen Menschen betroffen. Die Weltorganisation für Meteorologie (WMO), eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen, geht davon aus, dass Idai zu den schlimmsten wetterbedingten Katastrophen der südlichen Hemisphäre zählt.
Alarmstufe Rot
„Wir haben nicht erwartet, dass es so schlimm wird", sagte ein Idai-Überlebender in Beira. Präsident Filipe Nyusi wohl auch nicht – er setzte am Tag des Zyklon seinen Staatsbesuch im Königreich Eswatini (Swasiland) fort. Zwei Tage zuvor hatte die Regierung die höchste Alarmstufe ausgerufen und die Bewohner der betroffenen Region aufgefordert, sich in Sicherheit zu bringen. Doch in einem Land, in dem 46,1 Prozent der Bevölkerung in absoluter Armut leben, können sich nur wenige eine Evakuierung ohne institutionelle Hilfe leisten.
Nur langsam wurde bekannt, was der Zyklon alles angerichtet hatte. Telefon- und Stromleitungen waren heruntergerissen, Straßenverbindungen abgeschnitten, dazu ohrenbetäubendes Schweigen der Regierung. Sieht man sich die Originalfilmaufnahmen eines kleinen südafrikanischen Rettungsteams an, das im Wettlauf mit der Zeit Leben rettete, fragt man sich: Wo sind das INGC und die mosambikanische Armee? Wo sind die internationalen Entwicklungshilfeorganisationen? Was bedeutet eigentlich „Alarmstufe Rot" in Mosambik?
Zwar könnten wohl nur wenige Länder adäquat auf eine Katastrophe solchen Ausmaßes reagieren – mit Sicherheit nicht Mosambik, ein Land mitten in einer Schuldenkrise, dessen jährliches Bruttoinlandsprodukt kaum 12 Milliarden US-Dollar übersteigt. Die Schuldenkrise ist Folge eines Zusammenspiels verschiedener Faktoren. Das sind unter anderen eine übermäßige Abhängigkeit vom extraktiven Sektor, wodurch das Land anfällig für schwankende Rohstoffpreise ist, öffentliche Anleihen für großangelegte Infrastrukturprojekte und weitreichende Steueranreize, um multinationale Konzerne anzulocken.
Die Enthüllung von 2,2 Milliarden „fauler Kredite" im Jahr 2016, die illegalerweise von führenden Mitgliedern der Frelimo-Regierung aufgenommen worden waren, brachten das Fass zum Überlaufen. Laut einer Anklage der US-Justiz gibt es für 700 Millionen Dollar keine Erklärung, während 200 Millionen Doller als Schmier- und Bestechungsgelder an Bänker und Politiker flossen. Der Versuch der Frelimo, die Kredite rückwirkend auf Kosten der Steuerzahler zu legalisieren, löste eine Widerstandsbewegung von Bürgern unter dem Hashtag #eunãopagodívidasocultas (Ich zahle keine geheimen Schulden).
Selbsthilfe
In einer ironischen Wende haben der Internationale Währungsfonds und internationale Geldgeber die Mittel für den Staatshaushalt und sektorale Budgets eingefroren – nachdem sie zuvor die in politische Patronage eingebettete nationale Bourgeoisie toleriert, ja sogar gefördert hatten. Derart in die Enge getrieben, führte die Regierung eine Reihe von Sparmaßnahmen ein, unter anderem eine Einstellungssperre im öffentlichen Dienst und Kürzungen in sozialen Bereichen wie Gesundheit, Bildung, Sozialhilfe, Sanitär- und Hygienemaßnahmen. Als Idai auf Mosambik prallte, traf der Zyklon auf einen Staat, der vom extraktivistischem Entwicklungsmodell geschwächt und vom internationalen Kapital überwältigt worden ist.
Obwohl viele Staatsbedienstete unter schwierigsten Umständen rund um die Uhr alles taten, was ihnen nur möglich war, rettete sich die große Mehrheit der Überlebenden letztendlich selbst. In Beira bildeten sich auf ad hoc WhatsApp-Nachbarschaftsgruppen, über die sich Familienangehörige nach Vermissten erkundigen konnten. In Maputo beluden über 4500 Freiwillige unter dem Banner der „Unidos por Beira" 76 Container mit Spenden wie haltbaren Lebensmitteln, Hygieneprodukten, Kleidung, Bettzeug, Werkzeug, Medikamenten und Konstruktionsmaterial für Beira. Die linke Medienplattform Alternactiva startete einen Crowdfunding-Aufruf, um den Wiederaufbau zu unterstützen.
Für die meisten Betroffenen geht der Kampf ums Überleben jedoch weiter. Sauberes Wasser ist rar, Typhus, Malaria, Cholera und Durchfallerkrankungen haben sich ausgebreitet. Ohne ein Zuhause mussten Überlebende tagelang im Freien schlafen, ungeschützt vor Witterung, Gewalt und sexuellen Übergriffen. In den Notunterkünften bekommen sie eine einzige Mahlzeit am Tag – Mais oder Reis mit Bohnen.
Außerhalb der Zentren aber sind die Preise für Lebensmittel explodiert. Eine Portion Hühnerfleisch soll in Beira 25 Dollar kosten und damit mehr als die durchschnittlichen monatlichen Pro-Kopf-Ausgaben. In ihrer Verzweiflung haben Einwohner Warenhäuser gestürmt und dabei ihr Leben riskiert, weil die Polizei mit scharfer Munition auf sie geschossen hat. Nicht nur die physische Infrastruktur muss wieder aufgebaut werden, sondern auch das gesamte soziale und wirtschaftliche Leben.
Klima-Reparationen
Das UN-Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (UNOCHA) koordiniert die Nothilfe in Mosambik, Malawi und Simbabwe. Mehr als ein Dutzend Regierungen und zahlreiche internationale NGOs haben materielle und finanzielle Unterstützung zugesagt. Doch die frühere First Lady und ehemalige Ministerin für Bildung und Kultur, Graça Machel, hält die Hilfe für nicht ausreichend angesichts des Ausmaßes der Katastrophe: „Wir haben weit über drei Millionen betroffene Menschen und dafür reichen all die Hilfsmittel immer noch nicht aus... Dies ist eine Katastrophe, wie wir sie in unserer Geschichte noch nicht erlebt haben... Wir müssen feststellen, dass sie eine Folge des Klimawandels ist, ...dass es die Armen sind, die den höchsten Preis dafür bezahlen werden."
Zwar sind tropische Stürme zu dieser Jahreszeit nichts Außergewöhnliches, aber ihre Auswirkungen verstärken sich, weil die Gewässer wärmer werden, der Wasserdampf in der Atmosphäre zunimmt und der Meeresspiegel ansteigt.
Die Umweltorganisation Justiça Ambiental hat die Industrienationen aufgefordert, ihre Umweltschulden zurückzuzahlen. Das INGC schätzt, dass mindestens 474.154 Hektar Anbaufläche zerstört worden sind. Kleinbauern haben ihre Existenzgrundlage (Nahrungskulturen), ihr Sicherheitsnetz (Vieh) und ihre Ersparnisse (Saatgut) verloren. In einem Land, in dem 71,7 Prozent der Arbeitskräfte überwiegend von kleinbäuerlicher Landwirtschaft leben, könnten Klima-Reparationen ein Mittel sein, Menschen zu entschädigen, die von der Natur abhängig sind. Und sie könnten dem Staat Investitionen ermöglichen, um sie vor den Naturgewalten zu schützen. Momentan aber hofft das mosambikanische Center for Public Integritiy (CIP) einfach nur, dass die Hilfsmittel, die dem Nationalen Institut für Katastrophenmanagement zufließen, streng kontrolliert werden.
Ruth Castel-Branco
Die Autorin ist Wissenschaftlerin und Arbeitsmarktaktivistin an der University of the Witwatersrand und Redakteurin von „Alternactiva", einer progessiven mosambikanischen Medienplattform. Ihr Beitrag erschien am 25.3.2019 auf www.africasacountry.com.
Übersetzung: Ingrid Lorbach