DIE SOZIALE SEITE DER KONFLIKTS IN CABO DELGADO – TEIL 2. In der letzten Ausgabe haben wir über die Mitverantwortung der mosambikanischen Regierung an der humanitären Krise im Norden des Landes sowie über die Fluchtursachen und -schicksale berichtet. Der größte Teil der geflüchteten Menschen aus den umkämpften Gebieten kam nicht in Auffanglagern unter, sondern bei anderen Familien in Pemba, Mueda oder in den Nachbarprovinzen. Sie sind nicht registriert, erhalten keine oder unregelmäßige Lebensmittelhilfe und haben kaum sanitäre Einrichtungen zur Verfügung. Teil 2 des Berichts beschreibt die Probleme bei der Versorgung, die agierenden Organisationen sowie die Siedlungspläne der Regierung.
Wie befürchtet, hat sich die Lage im Krisengebiet Cabo Delgados weiter verschärft: OCHA, das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten, meldete Ende Februar 2021 erschreckende Zahlen für die Provinz: 670.000 Binnenflüchtlinge, 242.000 unterernährte Kinder, 468.000 Menschen, die mit dem HI-Virus leben und von denen ein großer Teil auf antiretrovirale Medikamente (deren Lieferketten durch die Corona-Epidemie teilweise unterbrochen sind) angewiesen ist, sowie 4.900 Cholera-Fälle. Insgesamt leben 950.000 Menschen in den drei Nordprovinzen Cabo Delgado, Niassa und Nampula in schwerer Ernährungsunsicherheit, der Löwenanteil von ihnen in Cabo Delgado (665.000). Amnesty International berichtet von 1.300 Menschen, die im Konflikt getötet wurden.
Missbrauch der Nothilfe
Doch zunächst noch einmal zurück zur Studie von CIP (Centro de Integridade Pública) vom Oktober 2020: Für die „Kenneth"-Nothilfe 2019 wurden in Pemba die Strukturen des UN-Cluster-Systems aktiviert und die vor Ort präsenten UN-Strukturen sowie die Caritas begannen aus eigenen Mitteln mit der Versorgung von Geflüchteten aus der Provinz. Laut CIP-Bericht beteiligten sich die zuständigen Provinzbehörden anfangs nur sporadisch an der Organisation. Der staatliche Krisenstab CENOE (siehe Kasten) wurde bis dahin offensichtlich nicht aktiviert. So wurden die Listen der begünstigten Familien, das Kernstück jeglicher Nothilfe, anfangs vom Welternährungsprogramm (WEP/WFP) sowie der Caritas für die Personengruppen erstellt, für die sie Nothilfe beschaffen konnten.
Später aber wurde die Identifizierung und Listung der Geflüchteten an „Chefs von 10 Häusern", „Chefs eines Quartiers" oder „Stadtteil-Sekretäre" gegeben – wer immer in der Regierungspartei irgendeine Funktion ausübte. Die meisten verfügten über keinerlei berufliche Ausbildung, und sie wurden weder qualifiziert noch kontrolliert. Auch wurden die Listen nicht von weiteren neutralen Autoritäten, wie z.B. Kirchen- oder Moscheenvorständen, gegengezeichnet, und es gab keinen offiziellen Beschwerdemechanismus.
Die Umsetzung der heiklen Aufgabe der Listenerstellung erfolgte nicht mehr dem Grundsatz „do no harm" entsprechend transparent und von neutralen Personen. Sie wurde den qualifizierten und neutralen Hilfsorganisationen entzogen und an Nichtqualifizierte und nicht qua Amt autorisierte Personen übergeben. So wurde politisch motivierter Missbrauch der wenigen zur Verfügung stehenden Nothilfe möglich.
Sexuelle Nötigungen und Manipulation der Listen
Trotzdem wurden Mängel bekannt: In einem Beschwerdekasten der Caritas fanden sich Hinweise von Frauen, die bei ihrer Registrierung für die Nothilfe sexuell genötigt wurden. Andernfalls wären sie nicht auf die Verteilungslisten gekommen. Obwohl konkrete Orte dieses Missbrauchs benannt wurden, begann keine staatliche Stelle mit der Ermittlung oder Ahndung der Täter. Auch die informierten UN-Institutionen reagierten nicht, zumindest wurde davon nichts bekannt.
Die gelieferten Mengen der Hilfsgüter reichten nicht für alle bereits Registrierten (noch weniger für die jeden Tag neu Ankommenden!). Die Verteilung erfolgte analog der Nummerierung der Haushaltsvorstände auf den Listen. Die Aufgerufenen erhielten Lebensmittel und Hygieneartikel, waren aber oft keine Geflüchteten, sondern Ortsansässige. Es kam zu Tumulten. Was war passiert? Mehrere Beteiligte berichteten, dass die ersten fünf Namen auf den Listen die der „Chefs" und enger Verwandter waren. Diese hatten ihre Machtposition für sich und ihre Familien ausgenutzt. Diese unlautere Praxis sei im Land bekannt, werde aber von den Regierungsstellen toleriert, weil die „Chefs" wichtige Unterstützer bei der Parteimobilisierung seien. Dass es auch anders gehen kann, zeigte die Distrikt-Administration von Mueda: Um Missbrauch zu verhindern, stellte sie den ca. 12.000 Geflüchteten einen Ausweis aus (Cartão de Deslocado) und erntete viel weniger Reklamationen.
Auch in den vier Auffanglagern, die der Distrikt Metuge errichtete, klappten Registrierung und Verteilung besser, weil die 12.500 Menschen in vier Schulgebäuden untergebracht wurden. Trotzdem gab es gravierende Mängel: Die Gebäude waren nicht für die Unterbringung von Flüchtlingen ausgestattet und boten keine Privatheit. Es mangelte an Kochmöglichkeiten und sanitären Anlagen, die gerade in Corona-Zeiten notwendig wären. Die widrigen Umstände erhöhen auch die Risiken anderer Infektionskrankheiten wie Malaria, weil es an Moskitonetzen fehlt.
In der Provinz Nampula lief es besser. Dort waren die staatlichen Organe präsenter und die Zahl der zu Versorgenden geringer: 25.000 Geflüchtete (ca. 5.000 Familien) verteilten sich auf 17 Distrikte, von denen ca. 10.000 in der Stadt Nampula „strandeten", ca. 7.000 in Meconta und knapp 3.000 in Nacala. Die restlichen 5.000 verteilten sich auf weitere 14 Distrikte.
Ca. zwei Drittel der nach Nampula Geflüchteten wurden von Familienmitgliedern, Freunden oder Bekannten aufgenommen. Ca. 1.000 mieteten Häuser und nur etwa 1.300 Menschen zogen in das Auffangzentrum in Namialo im Distrikt Meconta. Dort wurden sie in vier Schulgebäuden untergebracht, die wegen der Corona-Pandemie nicht für Unterricht benutzt wurden, nach Schulöffnung aber dringend wieder gebraucht werden.
In den Distrikten erfassten die Verwaltungen die Geflüchteten nach den Regularien der staatlichen Kriseneinheit INGC und erstellten die Listen der Berechtigten. Manche Distrikte wurden dabei durch die Provinzverwaltung kontrolliert, andere nicht.
Frühehen und frühe Schwangerschaften
Neben den oben erwähnten Fällen sexueller Nötigung von Frauen leiden besonders die Mädchen und jungen Frauen. So berichtet die Organisation CARE, dass bereits elfjährige Mädchen von ihren Eltern verheiratet werden – an Männer zwischen 40 und 50 Jahren. Die Eltern täten dies, um Lobolo, den Brautpreis, zu erhalten oder „um eine Esserin weniger versorgen zu müssen". Andere Mädchen verlieren bei den Überfällen oder auf der Flucht ihre Eltern, müssen dann für die jüngeren Geschwister sorgen und willigen unter diesen Umständen aus Sorge vor alleiniger Verantwortung in solche Ehen ein.
In Mosambik laufen seit einigen Jahren Aufklärungsaktionen über die schädlichen Folgen von Frühehen und frühen Schwangerschaften. Diese sind gerade in den ländlichen Gebieten für Mädchen zwischen 12 und 17 Jahren nicht selten. In der Krisensituation in Cabo Delgado zeigt sich nun, dass noch jüngere Mädchen darunter zu leiden haben. Zumindest in den Auffanglagern kann CARE mit den Frauen und Mädchen arbeiten, sie über ihre Rechte aufklären und sie trainieren, wie und wo sie Missbrauch anzeigen, aber auch wie sie sich verteidigen können.
Regierung plant 100 Dörfer zur Neuansiedlung
Die mosambikanische Regierung setzt bei Nothilfe darauf, Flüchtlinge nicht lange in Auffanglagern zu belassen, sondern ihnen Grundstücke und Material für den Hausbau zur Verfügung zu stellen. Diese Praxis bewährte sich z.B. in Gebieten, die immer wieder überschwemmt wurden. So wurden neue Dörfer in sicheren Gebieten gegründet, Dorfgemeinschaften zogen gemeinsam in die Neubaugebiete und nahmen ihre sozialen Strukturen mit.
Diese Lösung strebt die Regierung nun offensichtlich auch für Geflüchtete aus Cabo Delgado an. 100 neue Dörfer sollen laut Staatssekretär Armindo Ngunga entstehen. Im Distrikt Ancuabe soll im Ort Mesa ein neuer Stadtteil (Bairro) entstehen. 950 Grundstücke sowie entsprechende Grundstücke für Schulen, Gesundheitszentren, Kirchen und eine Polizeistation werden parzelliert. Allerdings liegen weder Finanzierungs- noch Zeitpläne vor. Laut CIP wollten alle Befragten so ein Grundstück und Ackerland, um sich niederzulassen und rasch wieder in Frieden zu leben und unabhängig zu werden.
Konkreter wird es im Ort Corrane im Distrikt Meconta/Provinz Nampula. Dort sollen 1.000 Grundstücke zu je 600 qm sowie 1,5 ha Ackerland vermessen und übergeben werden – zuerst an Familien aus den Auffanglagern und erst danach an diejenigen, die bei Familienangehörigen oder sonstwo leben. Die ökumenische Organisation CEDES aus Maputo hat in Corrane bereits mit Mitteln vom Tearfund UK im Oktober/November 2020 an 1.000 Familien Haushalts- und Hygieneartikel (auch Moskitonetze und Seife) sowie Saatgut, Hacken und Buschmesser verteilt. Die Liste der Begünstigten erhielten sie vom INGC, Behördenvertreter waren bei den Verteilungen anwesend. CEDES konnte weitere Mittel einwerben und wird – von der DKH finanziert – den Hausbau nach Vorgaben der Regierung unterstützen. Für das Neubaugebiet Corrane waren zu dem Zeitpunkt allerdings erst 453 Familien ausgewählt, so dass die anderen Kits an geflüchtete Familien gingen, die sich im Ort Namialo im gleichen Distrikt niederlassen werden.
Als positive Erfahrungen schildert CEDES die Informationsveranstaltungen vor der Verteilung, an der viele Organisationen der Region teilnahmen. Es wurde über Konfliktprävention und über Covid-19 informiert und die Rahmenbedingungen des Projekts – was an wen verteilt werden kann – transparent gemacht. Für die Mithilfe bei der Verteilung wurden Leute eingestellt und ausgebildet und es trug zur Akzeptanz bei, dass einige aus der Gruppe der Begünstigten dafür ausgewählt wurden.
Resümee
Mosambik verfügt eigentlich über ein gut funktionierendes Katastrophenhilfe-System. Das INGC war in guten Zeiten eine hervorragend arbeitende Behörde. Eingebunden in internationale und regionale Frühwarnsysteme hat der staatliche CENOE-Mechanismus mit dem UN-Cluster, in dem auch alle NRO eingebunden waren, koordiniert auf Krisen reagieren können. Für das gute Funktionieren ist es aber notwendig, dass bestimmte Regeln eingehalten werden. Dazu gehört Transparenz bei der Listenerstellung, Validierung durch mehrere neutrale Stellen/Akteure, Anwesenheit neutraler Personen bei der Verteilung sowie ein Beschwerdemechanismus und die Anlage von Reserven.
Es muss dringend an die internationale Gemeinschaft appelliert werden, die Ausmaße der Humanitären Katastrophe anzuerkennen und die dringend notwendigen Finanzmittel zur Verfügung zu stellen, damit alle Geflüchteten angemessen versorgt werden können. Die mosambikanische Reaktion, Hilfsorganisationen an der Unterstützung der geflüchteten Menschen zu hindern, verletzt die Allgemeinen Menschenrechte aufs Schwerste. Der Staat kommt seiner Fürsorgepflicht nicht nach.
Die Strategie der 100 neuen Dörfer für je 1.000 Familien zeigt einerseits die Akzeptanz des Exodus, reicht aber bei weitem nicht aus, denn es sind nun schon 670.000 Geflüchtete unterzubringen – einschließlich benötigter Gesundheitseinrichtungen, Schulen, Kirchen, Friedhöfen und Arbeitsmöglichkeiten. Wo sollen die Fischer fischen, wenn sie nicht wieder in Küstennähe leben können?
Es müssen partizipative Wiederaufbau-Strategien entwickelt werden, in denen die grundlegenden Rechte wie die traditionellen Landrechte sowie die Lebensbedürfnisse der Menschen berücksichtigt werden. Auch dafür müssen Finanzmittel her. Schuldenstreichung bei gleichzeitiger Umleitung des Schuldendienstes in einen Aufbau- und Entwicklungsfonds könnte eine Möglichkeit sein. Ein transparentes und faires Schiedsverfahren, in das auch private Gläubiger und China einbezogen werden, würde die Mittel dafür frei stellen.
Petra Aschoff
DIE STRUKTUR DER KRISENINTERVENTION
Grundsätzlich haben die Staatsorgane die Planungs- und Weisungshoheit. Im Katastrophenfall wird das Innenministerium (Administração Estatal) durch seine besondere Einheit, das INGC (Instituto Nacional de Gestão de Calamidades), aktiv. Dieses ruft den Krisenstab zusammen, in das alle relevanten Ministerien Vertreter*innen entsenden. Der Krisenstab heißt abgekürzt CENOE und verfügt über drei regionale (Süd, Mitte, Nord) sowie Provinz- und Distriktstrukturen. CENOE kooperiert mit den UN-Institutionen sowie nationalen und internationalen NRO im von der UN entwickelten und erprobten Cluster-Modell. Die thematischen Cluster (Ernährungssicherung, WASH, Logistik, Bildung, etc.) werden je nach Kapazität von staatlichen oder UN-Einheiten geleitet. In diesem System sind alle Organisationen mit Kontaktdaten erfasst. Sie werden im Katastrophenfall informiert und zu den Sitzungen eingeladen. Das System funktioniert auch außerhalb von Krisen, informiert über die Notfallpläne (Contingency-Plan) und gibt Wettervoraussagen weiter.
Das INGC entwickelte sich mit viel fachlicher Unterstützung aus Lateinamerika, aber auch aus Deutschland zur einst bestfunktionierenden Einheit des Landes. Aber schon bei den Wirbelstürmen Idai und Kenneth wurde Kritik laut, dass Nothilfemittel nicht bei den Zielgruppen ankommen. Dies wird auch in der CIP-Studie deutlich.
BISCHOF VON PEMBA NACH BRASILIEN VERSETZT
Die Kirche versuche stets, auf der Seite der Wahrheit zu stehen und den einzelnen Menschen zu verteidigen. „Meistens ist das unbequem", sagte Bischof Dom Luis Fernando Lisboa gegenüber Rádio Renascença aus Brasilien. Dom Luis war seit 2013 Bischof von Pemba und hat sich seitdem unermüdlich für die Menschen seiner Diözese eingesetzt, die unter dem Wirbelsturm „Kenneth" und mehr noch unter den terroristischen Anschlägen litten. Im Februar 2021 hat Papst Franziskus die Versetzung von Bischof Dom Luis Fernando Lisboa nach Brasilien verkündet. Hat sich der Papst dem Druck der mosambikanischen Regierung gebeugt? Schließlich scheute der Bischof nie davor zurück, die mosambikanischen Behörden für ihre Ineffizienz im Umgang mit der Krise zu kritisieren. Er wurde zum Ziel andauernder Verleumdungskampagnen durch Regierungskreise. Die Versetzung galt aber auch der Sorge um sein Leben. Bischof Luiz Fernando Lisboa hat wiederholt eindeutige Drohungen erhalten. Er selbst hätte „niemals" darum gebeten, Pemba zu verlassen. Doch die Angst um sein Leben könnte hinter der Entscheidung des Papstes gestanden haben, ihn in die Diözese Cachoeiro de Itapemirim in seiner brasilianischen Heimat zu versetzen. „Wir sind ja nicht naiv", meinte der Bischof. Journalisten, Menschenrechtsaktivisten, Mitglieder der Kirche, sie alle erhielten Drohungen. „Das passiert überall, und es passiert auch in Mosambik."
In Pemba wird er schmerzlich vermisst. Sein Nachfolger wird der Weihbischof von Maputo, D. António Juliasse Ferreira Sandramo. Eine gute Wahl, meinte Dom Luiz, er sei furchtlos und die Kirche werde die Hilfe für die Vertriebenen fortsetzen.