Corona ist wie ein Brennglas: Es verstärkt und deckt unweigerlich Missstände auf, die solange gerne als Petitessen abgetan werden, wie das sozio-ökonomische Umfeld einigermaßen in Lot ist. Steckt ein Land aber bereits so tief im Schlamassel wie etwa Simbabwe, sind korrupte Geschäfte mit Corona-Schutzausrüstung besonders dreist. Die Täter finden sich mit zuverlässiger Regelmäßigkeit in der „Familie" von Partei und Regierung: So haben der Sohn von Simbabwes Präsident Emmerson Mnangagwa, der bisherige Verteidigungsminister und der Leibwächter des Präsidenten alle an lukrativen Aufträgen mitverdient, in Südafrika gehörten u.a. die Söhne von ANC-Generalsekretär Ace Magashule zu den Beschuldigten in einem ähnlich gelagerten Fall.
Aber hoppla – was hören wir da aus dem christlich-konservativen Lager in Deutschland? „Maskenaffäre", weil sich Abgeordnete von CDU und CSU bei der Vermittlung von Schutzmasken ordentlich bereichert haben? Das ist angesichts der Corona-Epidemie nicht nur unappetitlich, man muss es schlichtweg Korruption nennen. Korruption, die sich in nichts von dem unterscheidet, was hiesige Medien im Zusammenhang mit Afrika reflexartig als Korruption brandmarken, während solches Vergehen bei uns verharmlosend als „Affäre" abgetan wird.
Die Welt wird sichtbarer, im Positiven wie im Negativen, Corona macht es möglich. Allerorten Fehlentwicklungen und menschliches Versagen, aber auch Impulse, die Mut machen. Da ist z.B. Ngozi Okonjo-Iweala. Die nigerianische Entwicklungsökonomin konnte im Februar nach einer monatelangen Blockade durch die Trump-Administration endlich zur neuen Generaldirektorin der Welthandelsorganisation (WTO) ernannt werden. Sie ist die erste Frau und erste Vertreterin Afrikas auf diesem verantwortungsvollen Posten. Als Finanz- und Wirtschaftsministerin ihres Landes hatte Okonjo-Iweala eine Gratwanderung im Kampf gegen Korruption zu bewältigen. Dabei konnte sie trotz Drucks aus dem Verteidigungsministerium verhindern, dass sich Nigeria auf ein unseriöses Geschäftsangebot der Schiffsbaufirma Privinvest einließ, ein verhängnisvoller Deal, auf den sich später Angola und vor allem Mosambik fatalerweise einließen. Ob sie die WTO im Sinne eines faireren Handels auch für Afrika umkrempeln kann, wird sich noch zeigen.
Bleiben wir bei den positiven Impulsen aus Afrika: Über den ganzen Kontinent verteilt gibt es zahlreiche Start-Ups, die den weit verbreiteten Gebrauch von Mobiltelefonen nutzen, um über digitale Verfahren kreative und erschwingliche Lösungen für lokale Bedürfnisse zu entwickeln. So z. B. die von der Kenianerin Muthoni Matinde entwickelte Wettervorhersage-App ITIKI (s. S. 30). Afrika wäre auch auf dem Gebiet der Malaria-Bekämpfung viel weiter, wenn die Regierungen ihren eigenen Wissenschaften und Kenntnissen mehr vertrauen würden, statt vor dem Druck global agierender Phamakonzerne und den Bedenken der WHO einzuknicken. Der Film „Das Fieber – Der Kampf gegen Malaria", der Ende April in den (Online-)Kinos anläuft, zeigt das eindrucksvoll (s. S. 47). Die Wirkung von Artemisinin, gewonnen aus „Artemisia annua", gegen den Malaria-Erreger ist hinreichend erwiesen. Aber erschwingliche und lokal erprobte Rezepte mit der Heilpflanze werden als störender Sand im gigantischen Getriebe der Pharmaindustrie gesehen.
Es kann aber auch nicht die Lösung sein, alles, was vom „Westen" kommt, als teuflische Wiederkehr der kolonialen Unterdrückung zu betrachten: Unter „Bulldozer" John Magufuli hat sich Tansania beharrlich geweigert, Impfstoffe gegen Corona zu bestellen. Gegen was soll geimpft werden, was es offiziell gar nicht gibt? In Tansania starben infizierte Menschen an einer „Lungenkrankheit", aber nicht an Covid-19. Es wäre schon eine bittere Ironie, wenn sich bewahrheiten sollte, dass John Magufuli, um dessen Gesundheitszustand es seit seinem Verschwinden aus der Öffentlichkeit etliche Gerüchte gab, tatsächlich an Covid-19 statt an „Herzversagen", wie es offiziell hieß, gestorben wäre. Mag sein, dass Magufuli blind der Heilkraft von „Covid Organics" vertraute, dem in Madagaskar entwickelten Kräuter-Extrakt aus Artemisia annua und anderen Wirkstoffen. Was gegen Malaria hilft, muss aber noch lange nicht gegen dieses heimtückische Virus wirken. Ernsthafte Forschungen über die Wirksamkeit von Artemisin gegen das SARS-CoV-2-Virus, an denen sich im Übrigen auch das Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam beteiligt, stehen noch am Anfang. „Afrika hat mit einzigartigen Schwierigkeiten zu kämpfen, es verfügt aber auch über einzigartige Stärken. Dort gibt es viele nationale Erfolge und effektive regionale Antworten. Zukünftige Maßnahmen müssen von Afrika aus geleitet werden – und der Rest der Welt sollte zuschauen, was man davon lernen kann", heißt das Resümee eines mit „no room for complacency" überschriebenen Beitrags über Covid-19 in der renommierten medizinischen Fachzeitschrift Lancet.
Kein Grund zur Selbstzufriedenheit – man kann es als Aufforderung lesen, überall in der Welt Lösungsansätze, die auf eine bessere Gesundheit und Zukunft für die Menschheit hinarbeiten, ernst zu nehmen und ihnen mit Respekt zu begegnen. Das schafft die Synergieeffekte, die es nicht nur zu Coronazeiten braucht.
Lothar Berger