Heft 2/2021, DR Kongo

Punktsieg für Tshisekedi

WIE KONGOS PRÄSIDENT FÉLIX TSHISEKEDI DAS KRÄFTEVERHÄLTNIS ZU JOSEPH KABILA UMKEHRTE. Mit Unterstützung der USA ist es dem kongolesischen Präsidenten gelungen, sich von der Vormundschaft seines Vorgängers Joseph Kabila zu lösen. Aus einer Position der Stärke heraus ernannte er Jean-Michel Sama Lukonde, einen engen Vertrauten, zum Premierminister, um seine Macht und Autorität zu konsolidieren. Allein am Ruder in Kinshasa sollte er sich gelassen der Zukunft stellen können. Doch seine Macht bleibt wegen der verschiedensten Wünsche seiner Verbündeten zerbrechlich.

Präsident Félix Tshisekedi hat den 43-jährigen Jean-Michel Sama Lukonde Kyenge am 15. Februar 2021 zum Premierminister der DR Kongo ernannt. Der ehemalige Minister für Jugend, Sport und Freizeit unter der Regierung von Ex-Präsident Joseph Kabila war 2015 von seinem Amt zurückgetreten und hatte sich dem Oppositionspolitiker Moïse Katumbi angenähert. Im Vorfeld der Wahlen von Dezember 2018 distanzierte er sich von Katumbi und unterstützte die Kandidatur von Félix Tshisekedi. Einmal an der Macht, ernannte ihn Tshisekedi zum Generaldirektor von Gécamines, der staatlichen Bergbaugesellschaft des Kongo. „Er ist ein Kind des Hauses", sagte ein Vertrauter des kongolesischen Staatsoberhauptes.

Die Ernennung von Sama Lukonde Kyenge ist ein bedeutender Wendepunkt in der politischen Geschichte der Demokratischen Republik Kongo. Sie markiert das Ende einer politischen Ära, die von Joseph Kabilas Parteienbündnis FCC (Front commun pour le Congo) dominiert wurde. Sie ist zugleich Höhepunkt der politischen Konfrontation zwischen den beiden Verbündeten, die seit den Dezember-Wahlen eine Regierungskoalition aus der FCC und dem Parteienbündnis von Félix Tshisekedi, CACH (Cap pour le changement), bildeten.

In weniger als drei Monaten hat die DR Kongo einen großen politischen Umbruch erlebt, wie man ihn in diesem Land selten gesehen hat. Innerhalb weniger Wochen konnte Félix Tshisekedi, der im Parlament wie im Senat nur über eine sehr kleine Minderheit verfügt, das Kräfteverhältnis gegen seinen Verbündeten Joseph Kabila umkehren, der beide Kammern über die FCC mit absoluter Mehrheit kontrollierte.

Lange Zeit als „Marionette" seines Vorgängers betrachtet, kann sich Tshisekedi rühmen, sich aus der erdrückenden Vormundschaft Kabilas befreit zu haben, ohne größeren Schaden anzurichten. Wer hätte das vor sechs Monaten noch gedacht? Aus einer Position der politischen Stärke heraus hat Félix Tshisekedi nun den nötigen Handlungsspielraum, um die von ihm angestrebten politischen Reformen voranzutreiben. Als kongolesischer Staatschef mag er zwar optimistisch in die Zukunft blicken, doch seine Macht bleibt noch recht fragil.

Auflösung der Regierungskoalition
Die Beziehungen zwischen den beiden in einer Koalition vereinten Bündnissen (FCC-CACH) verliefen alles andere als reibungslos. Seit Félix Tshisekedi an die Macht kam, war die Koalition von Tiefschlägen, gegenseitigem Misstrauen und Streitigkeiten gekennzeichnet. Die Spannungen zwischen beiden Seiten erreichten im Oktober 2020 ihren Höhepunkt, als Premierminister Sylvestre Ilukamaba, Parlamentssprecherin Jeanine Mabunda und Senatssprecher Alexis Thambwe Mwamba, alle von der FCC geprägt, die Amtseinführungszeremonie der von Félix Tshisekedi ernannten Verfassungsrichter boykottierten. Frustriert beschloss Tshisekedi, die Koalition zu beenden und sich neue Mehrheiten über eine, wie er es nannte, „union sacrée" („heilige Vereinigung") der Nation zu sichern.

Vor dem Hintergrund der drohenden Auflösung der Nationalversammlung, aber auch und vor allem dank einer gut geführten Abwerbeaktion gelang es dem Tshisekedi-Lager, eine bedeutende Anzahl von FCC-Mitgliedern davon zu überzeugen, der „union sacrée" beizutreten. Für ein paar Dollar und Versprechungen aller Art verließen etwa hundert von ihnen das Schiff, um sich dem Lager des Präsidenten anzuschließen. Über Nacht schwenkte die Mehrheit im Parlament zu Gunsten von Félix Tshisekedi um. Am 11. Dezember 2020 stimmten die Abgeordneten mit 281 zu 200 Stimmen bei einer Enthaltung und einer leer abgegebenen Stimme für die Absetzung von Parlamentssprecherin Jeanine Mabunda, Schützling von Joseph Kabila. Ihre Entlassung markierte einen wichtigen Wendepunkt in der Innenpolitik der DR Kongo, sie wirft ein Licht auf die Zerrissenheit der FCC und zeigt ihre Zerbrechlichkeit.

Ende Januar 2021 stimmte die neu gewonnene Mehrheit der Abgeordneten mit deutlicher Mehrheit für einen Misstrauensantrag gegen Premierminister Sylvestre Ilunga Ilukamba, einem engen Vertrauten von Ex-Präsident Joseph Kabila. Nach vergeblicher Gegenwehr reichte Ilukamba, der nach eigenen Angaben die Konsequenzen aus der veränderten politischen Situation des Landes gezogen hatte, schließlich seinen Rücktritt bei Tshisekedi ein. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, versetzte das Tshisekedi-Lager dem, was von der FCC übrig geblieben war, den Todesstoß, indem es am 6. Februar den Rücktritt der Nummer Zwei des Kongo erwirkte, dem engen Kabila-treuen Senatssprecher Alexis Thambwe Mwamba. Mit dessen Rücktritt ist die Festung des Kabila-Lagers in sich zusammengebrochen.

Eine diskrete, aber sehr effektive Hilfe
Ein radikaler Perspektivwechsel, der viele Beobachter*innen sowohl in der DR Kongo als auch im Ausland überrascht hat. Wie konnte Félix Tshisekedi das FCC-Gebäude so einfach einreißen? Wie ist es ihm gelungen, das Kräfteverhältnis umzukehren angesichts eines Joseph Kabila, der in Bezug auf Sicherheit und Politik die wichtigsten Hebel der Macht behalten hatte?

Ein Teil der Antwort auf diese Fragen liegt bei den USA. In der Tat hat Washington seit dem Machtantritt von Félix Tshisekedi, der unter katastrophalen Bedingungen stattfand, immer wieder versucht, die Schlinge um den kongolesischen Staatschef zu lockern. Im Herzen der amerikanischen Strategie steht der US-Botschafter in Kinshasa, Mike Hammer, der sich gerne Mike „Nzita" Hammer, bisweilen auch „Amani Hammer" („Frieden" auf Suaheli) oder „Elikia" Hammer („Hoffnung" auf Lingala, wie Suaheli eine Verkehrssprache in Teilen des Kongo) zu nennen beliebt.

Hammer kam im Dezember 2018 in Kinshasa an, nur wenige Tage vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen. Am Tag nach der Bekanntgabe des umstrittenen Sieges von Félix Tshisekedi begab er sich diskret ins Hotel Béatrice, wo Tshisekedi sein Hauptquartier eingerichtet hatte. Der US-Botschafter bekundete seine Unterstützung für das neue kongolesische Staatsoberhaupt, auch wenn sich einige westliche Regierungen zurückhaltend zum Wahlergebnis äußerten.

Ohne sich Illusionen über die derzeitigen Machtverhältnisse der kongolesische Regierung zu machen, die das Ergebnis eines Deals zwischen Félix Tshisekedi und seinem Vorgänger Joseph Kabila sind, beschloss Mike Hammer, Félix Tshisekedi zum zentralen Element der amerikanischen Strategie im Kongo zu machen. Als Befürworter des Bruchs mit Kabila übte er subtil starken Druck auf den neuen kongolesischen Präsidenten aus, um ihn dazu zu bringen, Entscheidungen zu treffen, die den Status quo allmählich in Frage stellen. Er war es, der Tshisekedi dazu veranlasst hat, Veränderungen in der Armee und den Sicherheitsdiensten vorzunehmen.

Aus zivilen und sicherheitspolitischen Quellen erfuhr der Autor dieses Textes, dass Mike Hammer, der heute in Kinshasa als eine Art „Zusatz-Präsident" betrachtet wird, Dreh- und Angelpunkt der jüngsten Verschiebung auf der politischen Bühne des Kongo war. „Er hat mit vielen Leuten hier gesprochen; sowohl in der FCC als auch im Militär", so eine anonyme Quelle.

Ein weiterer Grund für den erfolgreichen Coup des US-Vertreters ist, dass die FCC Félix Tshisekedi so herablassend behandelte, dass dieser sich gezwungen sah, sich den US-Vertretern auszuliefern, um die Demütigung zu beenden, denen er seit seiner Machtübernahme ausgesetzt war. Einige Quellen in Kinshasa behaupten, dass der kongolesische Staatschef, der mit Kabila durch einen Geheimvertrag verbunden bleibt, dennoch einen sehr diskreten Kommunikationskanal mit seinem Vorgänger unterhält. Das würde vom US-Botschafter, für den Kabila unbedingt von der kongolesischen politischen Bühne verschwinden sollte, wiederum gar nicht gerne gesehen.

Es ist nicht das erste Mal, dass die USA unauffällig im Hintergrund agieren, um den Lauf der Geschichte in der DR Kongo zu verändern. 1996 hatte Washingtons Botschafter in Kinshasa, Dan Simpson, mit einer Unterwanderungsstrategie intensiv daran gearbeitet, einige hochrangige Armeeoffiziere dazu zu bringen, das Regime von Präsident Mobutu fallenzulassen, das sich damals einer bewaffneten Rebellion gegenübersah, die von Ruanda, Uganda und – den USA unterstützt wurde. Kongolesische Offiziere, die sich weigerten mitzuspielen, wurden geradezu bedroht. Die Ereignisse der letzten Wochen in Kinshasa zeigen, dass einige bewährte Rezepte immer noch funktionieren.

Herausforderungen für Tshisekedi
Nun, da er mit US-amerikanischer Unterstützung aus einer Position der Stärke agiert und sich das Blatt für Joseph Kabila gewendet hat, kann Félix Tshisekedi zumindest für den Moment hoffen, in aller Ruhe regieren zu können. Mit der Ernennung eines Premierministers, auf dessen Loyalität er vertrauen kann, darf er sich sicher sein, seine Wünsche umsetzen zu können, ohne dabei vor Störmanövern Angst haben zu müssen, wie es zu Zeiten der FCC-CACH-Koalition der Fall war.

Die kongolesische Regierung bleibt jedoch fragil. Die Partei des Präsidenten, die UDPS (Union pour la démocratie et le progrès social), ist in einer sehr kleinen Minderheitenposition, weswegen er sich mit einer Vielzahl von politischen Parteien auseinandersetzen muss, von denen die überwiegende Mehrheit aus der FCC stammt. Die aktuelle parlamentarische Mehrheit spiegelt diese Realität wider. Eine Mehrheit, die nur Bestand haben kann, wenn Félix Tshisekedi seinen Teil der Abmachung einhält und die Wünsche aller Seiten befriedigt.

Auf den ersten Blick deutet alles darauf hin, dass die „Union sacrée" den Test der Zeit und der kongolesischen Politik nicht überstehen wird. In diesem kongolesischen politischen Habitat, in dem sich alle Mitstreiter entsprechend den ihnen versprochenen Posten und finanziellen Vorteilen bewegen, wird Félix Tshisekedi viel zu tun haben, um seine Mehrheit zu halten. Die Erwartungen derjenigen, die beschlossen haben, die FCC zu verlassen, um die „Union sacrée" zu unterstützen, sind sehr hoch. Die Bildung der nächsten Regierung unter Führung von Premierminister Jean-Michel Sama Lukonde, bei der jeder ein Wörtchen mitzureden hofft, wird sicherlich ein Test für die regierende parlamentarische Koalition sein.

Tshisekedi mag unbesorgt regieren, doch die Dauerhaftigkeit seiner Macht bleibt doch abhängig von den Bündnissen, die er mit den ehemaligen Kabilaisten, aber auch mit dem Ensemble von Moïse Katumbi und der MLC (Mouvement de Libération du Congo) des Opponenten Jean-Pierre Bemba geschmiedet hat. Er wird also den gefräßigen Appetit seiner neuen Verbündeten stillen müssen, wenn er bis zu den Wahlen 2023 durchhalten will. Das ist alles andere als eine ausgemachte Sache.

Patrick Mbeko

Der Autor ist ein kanadischer Politikwissenschaftler kongolesischer Herkunft und Spezialist für geopolitische Fragen in der Region der Großen Seen in Afrika. Er ist Verfasser mehrerer Bücher, darunter „Le Canada et le Pouvoir Tutsi du Rwanda: Deux décennies de complicité criminelle en Afrique centrale" (2012) und „Stratégie du chaos et du mensonge: Poker menteur en Afrique des Grands Lacs" (2014, gemeinsam mit Honoré Ngbanda Nzambo). Sein neustes Buch „Objectif Kadhafi" ist 2016 bei Libre-Pensée erschienen.

 


BIDEN-REGIERUNG VERHÄNGT ERNEUT SANKTIONEN GEGEN BERGBAUMAGNATEN DAN GERTLER
Es gehörte zu den letzten Last-Minute-Untaten von Donald Trump: Die Aufhebung der Sanktionen gegen den israelischen Bergbaumagnaten Dan Gertler. Das US-Finanzministerium hatte im Dezember 2017 und Juni 2018 Sanktionen gegen Gertler verhängt und ihn beschuldigt, seine Freundschaft mit dem ehemaligen Präsidenten der DR Kongo, Joseph Kabila, ausgenutzt zu haben, um sich „Sweetheart"-Bergbaugeschäfte im Wert von mehr als einer Milliarde US-Dollar zu sichern. Die Trump-Administration hat die Sanktionen in ihrer letzten Amtswoche im Januar in einer geheimen Aktion gelockert. Dafür hatten auch von Gertler teuer bezahlte Lobbyisten wie Alan Dershowitz, der Trump in seinem ersten Amtsenthebungsverfahren vertrat, der ehemalige FBI-Direktor Louis Freeh oder der Anwalt Boaz Ben Zur gesorgt, zu dessen Klienten der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu und David Friedman, der damalige US-Botschafter in Israel, gehören.

Die willkürliche Aufhebung der Sanktionen empörte kongolesische und internationale Menschenrechtsgruppen sowie mehrere US-Gesetzgeber, die einen Brief an US-Finanzministerin Janet Yellen schrieben und die Biden-Regierung drängten, die Aufhebung der Sanktionen rückgängig zu machen. Am 8. März setzte die Biden-Regierung die finanziellen Sanktionen gegen Gertler wieder in Kraft. Dieser dürfte die sanktionsfreien Tage dazu genutzt haben, einen großen Teil seines Vermögens aus den USA abzuziehen.

Der „Sergei Magnitsky Rule of Law Accountability Act" von 2012 ermächtigt die US-Regierung, Menschenrechtsverletzer zu sanktionieren, ihr Vermögen einzufrieren und ihnen die Einreise in die USA zu verbieten. Gertler war die erste Person, die 2017 unter das Gesetz fiel. Damals begründete das Finanzministerium seine Entscheidung damit, dass er „sein Vermögen durch undurchsichtige und korrupte Bergbau- und Ölgeschäfte in der Demokratischen Republik Kongo im Wert von Hunderten von Millionen Dollar angehäuft" habe. Allein seine unterbewerteten Bergbauanlagen sollen die DR Kongo zwischen 2010 und 2012 1,36 Milliarden US-Dollar gekostet haben.
Der größte Teil der Korruption geschah in Absprache mit der früheren Regierung von Präsident Joseph Kabila. Der aktuelle Präsident Félix Tshisekedi gilt dagegen als Partner der USA.