SÜDAFRIKAS WIRTSCHAFTSKRISE UND DER CORONAEFFEKT. Nach einem Jahr wirtschaftlichen Rückschlags und einem großen Hilfspaket zur Bewältigung des Corona-Lockdowns sucht Südafrikas Regierung mit Sparmaßnahmen einen Weg aus der Krise – und stößt dabei auf Widerstand.
Ein Jahr – genau genommen am 5. März 2020 – ist es her, dass in Südafrika der erste Covid-19-Fall erkannt wurde. 10 Tage später rief Präsident Cyril Ramaphosa den Katastrophenzustand aus und ließ die Grenzen für Hochrisikoländer schließen. Mit knapp 1,5 Mio. Fällen zu Anfang März 2021 ist Südafrika das am stärksten von der Pandemie betroffene Land des Kontinents. Es hat nahezu die Hälfte aller Covid-19-Todesfälle (ca. 50.000) in Afrika zu beklagen. Allerdings hat Südafrika mit über 9 Millionen Menschen auch am meisten testen können.
Präsident Cyril Ramaphosa hatte von Anfang an eine viel gelobte Strategie mit einem ausgefeilten 5-Stufen-Plan zur Bekämpfung des Virus verfolgt, für die er freilich eher bei der WHO als bei der eigenen Bevölkerung Beifall erhielt. Noch bevor die Zahl der Infizierten im dreistelligen Bereich angelangt war, kündigte Ramaphosa am 26. März 2020 einen entschlossenen Kampf gegen das Virus an und verhängte eine dreiwöchige, später auf fünf Wochen verlängerte Ausgangssperre.
Den strikten Lockdown musste sich Südafrikas Wirtschaft, die bereits in der längsten Rezession seit 28 Jahren verharrte, allerdings mit starken Einbrüchen erkaufen. Während der ersten Phase der Corona-Beschränkungen schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Vergleich zum Vorquartal um mehr als 16 Prozent. Mehr als drei Millionen Menschen hatten in diesen Wochen ihre Arbeitsplätze verloren. Neben der Ungleichheit, die Südafrikas Wirtschaft auszeichnet, stieg in kurzer Zeit die Armut dramatisch an. Während des Lockdowns, der unter der zuerst verhängten Stufe 5 als einer der härtesten der Welt galt, durften die Menschen ihr Haus nur für Lebensnotwendiges wie Lebensmittel, Medikamente oder einen Arztbesuch verlassen. Für die zahlreichen Tagelöhner, die mit ihrem geringen Lohn eine bis zu 10-köpfige Familie ernähren müssen, bedeutete das, von einem Tag auf den anderen ihrer einzigen Einnahmequelle verlustig zu gehen. Der Verkauf von nicht lebensnotwendigen Gütern, einschließlich Alkohol und Zigaretten, war während des Lockdowns verboten. Millionen Menschen klagten, kein Geld mehr zum Kauf von Lebensmitteln zu haben. Nach Berechnungen der University of Cape Town hatten bis zu fünf Millionen Haushalte, die von Tätigkeiten im informellen Sektor abhängig sind, kein oder kaum noch Einkommen.
In den Townships wuchsen die Schlangen vor den Suppenküchen, an Abstandhalten und der Einhaltung von Hygienestandards war in den dicht besiedelten Shack-Siedlungen ohne fließendes Wasser ohnehin nicht zu denken. 30.000 Menschen wurden wegen Verstoßes gegen die Ausgangssperre verhaftet. In der Hoffnung auf ein baldiges Ende des Lockdowns nahmen die Menschen die Repression trotz oft unverhältnismäßiger Übergriffe des Militärs zumeist geduldig murrend, mancherorts auch zornig, hin, nur, um dann unter der ab 1. Mai 2020 geltenden Stufe vier der Coronamaßnahmen auch noch eine von 70.000 Soldaten kontrollierte nächtliche Ausgangssperre über sich ergehen zu lassen. Mit Stufe vier wurde die begrenzte Wiederaufnahme wirtschaftlicher Aktivitäten erlaubt, in der Industrie durften 20 Prozent der Belegschaft wieder arbeiten, im Bergbau konnte zumindest über Tage wieder voll gearbeitet werden. Soziale Einschränkungen und auch das umstrittene, der Vermeidung von Gruppenansammlungen geltende Verkaufsverbot von Tabak und Alkohol blieben weitgehend erhalten. Zusätzliche Geschäfte außerhalb der Lebensmittelbranche durften wieder öffnen, Restaurants, Bars und die meisten Geschäfte blieben in Stufe vier aber geschlossen.
Um die Auswirkungen der Maßnahmen auf die Menschen abzufedern, legte die Regierung am 21. April 2020 ein umfangreiches Sozial- und Wirtschaftspaket in Höhe von 500 Milliarden Rand (25 Mrd. Euro) auf – eine Summe, die knapp 10 Prozent des BIP von 2019 entspricht. Kindergeld, Sozialhilfe und Arbeitslosenunterstützung wurden für die nächsten sechs Monate erhöht und zusätzliche Mittel für Lebensmittelpakete bereitgestellt. Klein- und mittelständische Unternehmen konnten Zuschüsse beantragen, Steuererleichterungen sollten den Unternehmen aus dem Gröbsten heraus helfen.
Vorsichtige Lockerung
Man muss der südafrikanischen Regierung zugute halten, dass sie zu Beginn der Pandemie im gleichen guten Glauben an die Erkenntnisse und Vorhersagen der Wissenschaft und Virologen gehandelt hatte, wie so viele andere Staaten. Angesichts der Zustände in den Townships, in denen ein großer Teil der Bevölkerung mit HIV oder TB infiziert ist und deren Bewohner als große Risikogruppen galten, schien die Sorge um Hunderttausende von Todesfällen begründet. Die negativen sozioökonomischen Folgen wurden deshalb als unvermeidlich erachtet.
Das Schreckensszenario blieb allerdings aus, die registrierten Fallzahlen hielten und halten sich in Grenzen. Um sich ein genaueres Infektionsbild zu verschaffen, versuchte die Regierung, möglichst flächendeckend zu testen. Doch selbst wenn die Zahl von bislang neun Millionen Tests sich sehen lassen kann (auf eine Mio. Einwohner umgerechnet etwas mehr als Brasilien), so reichten die Tests bei weitem nicht aus, um ein wirkliches Bild der Infektionen zu erhalten. Die Hoffnung bestand, dass die Behandlung der HIV-Infizierten mit antiretroviralen Medikamenten oder die Impfung gegen TBC bessere Immunität gegen das Virus bedeuten könnte. Zumindest bei TB-Geimpften zeichnet sich ein weniger starker Covid-19-Verlauf ab.
Angesichts dieser unklaren Situation ging die Regierung bei der Lockerung vorsichtig zu Werke. Ab Juni 2020 fuhr sie die Beschränkungen auf Stufe 3 zurück, mit der die persönliche Bewegungsfreiheit wieder erweitert wurde, mit Stufe 2 ab 18. August fiel auch das Verkaufsverbot von Tabak und Alkohol und die Reisebeschränkungen zwischen den Provinzen wurden aufgehoben. Zu der Zeit wurden nur noch ca. 2.000 Covid-19-Fälle pro Tag gemeldet, eine zweite Infektionswelle schien wie im europäischen Sommer der Leichtigkeit und Verblendung in weiter Ferne.Anfang Oktober wurde Stufe 1 eingeführt.
Das Virus folgt allerdings seinem eigenen Script, und als sich im November die zweite Welle zunächst in der Ostkap-Provinz anbahnte, dauerte es nicht mehr lange, bis Südafrika im Dezember, mitten im heißen Südsommer, in seine bisher heftigste Welle mit zeitweise 20.000 Neuinfektionen am Tag geraten war. Die Regierung scheute von einer Wiederholung des strikten Lockdowns zu Beginn der Pandemie zurück, obwohl die Zahl der Neuinfektionen jetzt mehr als doppelt so hoch war. Der wirtschaftliche wie soziale Schaden aus dem ersten Lockdown war bereits so hoch, dass ein weiterer Lockdown von gleicher Intensität das Land ruiniert hätte. Mit ständig neuen Corona-Regulationen und Anpassungen versuchte die Regierung auf die neue Situation zu reagieren. Ab 29. Dezember galt wieder Stufe 3, als 90.000 Infizierte innerhalb einer Woche gemeldet wurden. Erst am 1. März 2021 ließ Ramaphosa wieder Stufe 1 zu, nachdem sich in der letzten Februarwoche trotz Auftauchens der besonders infektiösen Virus-Mutation B1.351 nur noch 10.000 Menschen angesteckt hatten. Zu den wichtigsten Lockerungen gehören eine Verkürzung der Ausgangssperre von Mitternacht auf 4 Uhr und die Aufhebung des Verbots von politischen Versammlungen mit einer Obergrenze für den Innen- und Außenbereich. Das Tragen von Gesichtsmasken bleibt verpflichtend, eine Zuwiderhandlung wird mit einer Geldstrafe oder bis zu sechs Monaten Gefängnis geahndet.
Wirtschaftliche Folgen
Südafrikas Wirtschaft ist von den Corona-Maßnahmen extrem hart getroffen. Die Wirtschaftsleistung ist 2020 Schätzungen zufolge um 8 bis 10 Prozent gesunken. Besonders der Tourismus, die Weingüter und die Gastronomie liegen am Boden. Verzweifelt werben die Lodges in und um die Nationalparks im Kampf ums Überleben mit Rabatten bis zu 60 Prozent. An beiden Branchen hängen zahlreiche Arbeitsplätze. Im dritten Quartal ist die Zahl der Arbeitslosen um 1,7 Mio. Menschen, im vierten Quartal um weitere 701.000 auf 7,2 Millionen Erwerbslose gewachsen. Die Zahl der schwer vermittelbaren Arbeitsuchenden stieg zwischen beiden Quartalen um 8,7 Prozent. Zwar wurden in den letzten vier Monaten im Rahmen des Sonderbeschäftigungsprogramms der Regierung beeindruckende 450.000 Arbeitsplätze geschaffen und für weitere 180.000 Stellen ausgeschrieben. Doch die Arbeitslosigkeit stieg stärker als die Zahl der Erwerbstätigen. Die offizielle Arbeitslosenquote lag zum Jahresende bei 42,6 Prozent.
Die Bereitstellung des 25 Mrd. Euro starken Hilfspakets belastete den ohnehin überstrapazierten Staatshaushalt, der in mehreren Schritten angepasst werden musste, als zusätzliche Mittel an Steuererleichterungen für Unternehmen (70 Mrd. Rand) und für ein Kreditgarantieprogramm (20 Mrd. Rand) bereitgestellt wurden. Hatte Finanzminister Tito Mboweni Anfang 2020 noch mit positiven Wachstumsprognosen geliebäugelt, so ist Südafrika im ersten Coronajahr in eine gefährliche Schuldenspirale geraten. Bereits im September hieß es aus dem Finanzministerium, dass dem Staat 2020 umgerechnet rund 15 Mrd. Euro an Steuereinnahmen fehlen würden. Das Haushaltsdefizit Südafrikas wird nach Ansicht von Ökonomen in diesem Jahr voraussichtlich 13,9 Prozent des BIP erreichen. Das ist mehr als das Doppelte des prognostizierten Defizits von vor einem Jahr, bevor die Auswirkungen der Pandemie eintraten. Bis zum Ende des Finanzjahres stieg die Schuldenlast auf knapp 82 Prozent des BIP. Die Ratingagenturen Fitch und Moody's haben Südafrikas Kreditwürdigkeit am 20. November weiter in Richtung Ramsch-Status herabgestuft.
Mbowenis Haushalt 2021
Am 24. Februar – zwei Wochen nach der SONA-Rede zur Lage der Nation von Ramaphosa – stellte Finanzminister Tito Mboweni seinen Haushaltsentwurf für 2021 vor, dessen Kern die Fortsetzung des mit Rückendeckung von Ramaphosa eingeschlagenen Kurses der Konsolidierung und Reformen bildet. Ein Kurs, der sich daran orientiert, die von den Märkten, Ratingagenturen und der Wirtschaft geforderten Reformen zu beschleunigen.
Auf eine geplante Steuererhöhung von etwa 40 Mrd. Rand konnte Mboweni verzichten, weil ihm nach neueren Berechnungen aufgrund des Rohstoff-Booms gegenüber früheren Prognosen zusätzliche 100 Mrd. Rand (5,5 Mrd. Euro) in die Kasse flossen. So sendete er gegenüber der Wirtschaft mit einer Senkung der Unternehmenssteuer um 1 Prozent auf 27 Prozent – zum ersten Mal seit 12 Jahren – ein Signal. Im Gegenzug erhöhte er die Steuern auf Kraftstoff, Alkohol und Zigaretten und führte eine neue Steuer auf Schrottexporte ein. Das mehrmonatige Verkaufsverbot von Alkohol und Tabak war ihm ohnehin ein Dorn im Auge, weil der Staat sich den Verlust solcher Steuereinnahmen nicht leisten könne.
Nach der letztjährigen wirtschaftlichen Schrumpfung prognostiziert das Finanzministerium nun ein Wachstum für 2021 von 3,3 Prozent, gefolgt von 1,9 Prozent Wachstum in den beiden Folgejahren. Mbowenis längerfristiges Ziel, das Haushaltsdefizit bis 2023-2024 von derzeit rund 14 Prozent auf 6,3 Prozent des BIP zu senken, wird mit Skepsis begegnet. Moody's glaubt, dass der Druck, der aufgrund der langsamen wirtschaftlichen Erholung und der Finanzierungsanforderungen der staatlichen Unternehmen auf der Regierung lastet, einer Reduzierung der Staatsverschuldung entgegenwirkt. Mboweni stellte im November unverblümt die Frage nach der Existenzberechtigung eines so überschuldeten Staatsunternehmens wie der South African Airways, nachdem er einen Monat zuvor erst 10,5 Mrd. Rand zur Rettung der angeschlagenen Fluglinie freigegeben hatte.
Eine Reduktion des Haushalts kann nur über Kürzungen geschehen, und das ist politisch äußerst heikel, denn die 308 Mrd. Rand (17 Mrd. Euro), die Mboweni bei den Staatsausgaben zu kürzen plant, will er hauptsächlich bei den Löhnen einsparen. Angesichts der in diesem Jahr bevorstehenden Kommunalwahlen wäre ein Lohnstopp ein Spiel mit unsicherem Ausgang und Potenzial für eine Revolte gegen die Regierung, träfe der wirtschaftliche Schmerz doch die Angestellten des öffentlichen Sektors, die den Kern der Basis des regierenden ANC ausmachen.
„Wenn in diesem Tarifvertrag kein Lohnstopp vereinbart wird, sind die Annahmen und Bilanzberechnungen des Haushalts 2021 Makulatur", fasst Marianne Merten Mbowenis Dilemma im Daily Maverick (24.2.2021) zusammen. Während er in der Frage der Lohnverhandlungen die Verantwortung an seinen Kabinettskollegen Senzo Mchunu, den Minister für öffentlichen Dienst und Verwaltung, weitergebe, halte er stur an seinem Mantra der Haushaltsdisziplin fest, was dazu führe könnte, dass das Kabinett überstimmt wird – der „Tito-Exit", wie Merten einen Analytiker zitiert.
Die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes ziehen da naturgemäß nicht mit. Das Vertrauen zwischen ihnen und der Regierung ist zerstört, nachdem die Regierung vor Gericht gegangen ist, um die Vereinbarung über staatliche Gehälter zu kippen, nach der Tarifabkommen drei Jahre Gültigkeit besitzen. Cosatu-Präsident Zingiswa Losi hatte mit Rückendeckung aus höheren ANC-Kreisen von Ramaphosa den Rücktritt von Mboweni gefordert: „Wir können keinen Minister haben, der sich dem Druck des IWF und der Weltbank beugt und vergisst, was das Mandat der Regierung ist." Ins gleiche Horn stieß Blade Nzimande, Generalsekretär der Kommunistischen Partei SACP, der das Finanzministerium des „neoliberalen Fundamentalismus" bezichtigte.
Auch andere Ministerien rebellieren gegen die Übermacht des Finanzministeriums und dessen Kontrolle über ihre Kassen. Zudem schmeckt ihnen nicht, dass die meisten Mitarbeiter des Finanzministeriums keine ANC-Kader sind, sondern außerhalb des ANC-Pools nach Qualifikationen ausgesucht werden. Für Ramaphosa ist das angesichts des immer noch starken Gegenwinds durch das Zuma-Magashule-Lager ein schwieriger Balanceakt. Er wird schon allein mangels Alternativen, aber eben auch mit Blick auf den Druck von IWF und Weltbank Richtung Strukturreformen, seinem Finanzminister den Rücken decken. Ramaphosa bemühte in der Rede zur Lage der Nation das Bild vom Fynbos, dem Strauch, der nach verheerenden Bränden wächst, während die Aloe von Finanzminister Tito Mboweni die Trockenperioden überlebt. Das klingt nach harten Zeiten für die Menschen Südafrikas. Nicht wenige haben den Glauben verloren und sagen, das Feuer habe der ANC gelegt – mit Korruption und Inkompetenz.
Lothar Berger