Wie der deutsche Softwarekonzern mit Hilfe dubioser Business-Development-Partner Leistungen verkaufte, die weder benötigt noch in Anspruch genommen wurden.
Melissa Lea hatte da bereits 2016 so eine Ahnung. In einem internen Schreiben, aus dem die Recherche-Organisation amaBhungane im September 2020 in einem Artikel für das Nachrichtenportal Daily Maverick zitierte, warnte die damalige Leiterin der Compliance-Abteilung des Software-Riesen SAP vor den Risiken, die aus der Zusammenarbeit mit sogenannten Business-Development-Partnern erwachsen. „Anfällig für Missbrauch" und „sehr häufig im Mittelpunkt von Korruptionsfällen, über die man weltweit lesen kann", seien die Geschäftsvermittler:innen.
Sonderlich viel Gehör wollte Lea bei SAP aber offensichtlich niemand schenken. Jedenfalls zahlte der Konzern in Südafrika üppige Provisionen an Unternehmen aus dem Gupta-Netzwerk. Als die Deals aufflogen, lieferte SAP dann ein weiteres Paradebeispiel, wie große Unternehmen damit umgehen, ertappt zu werden: Zunächst wurde eine Handvoll Manager der südafrikanischen Tochtergesellschaft gefeuert, dann größtmögliche Transparenz sowie Kooperation mit den lokalen Ermittlungsbehörden versprochen und anschließend nach altbekannter Salami-Taktik immer nur so viel zugegeben, wie ohnehin bereits bekannt war. Entsprechend läuft die juristische Aufarbeitung: Die südafrikanische Sonderermittlungsbehörde für Korruptionsdelikte (Special Investigating Unit, SIU) hat vor dem Special Tribunal für State-Capture-Fälle bereits eine Rückzahlung erwirkt. In einem weiteren noch nicht entschiedenen Fall fordert die SIU ebenfalls Geld von SAP zurück, und mindestens ein dritter Fall könnte noch folgen.
AmaBhungane
Seit seiner Gründung 2010 war das AmaBhungane Centre for Investigative Journalism an nahezu allen wichtigen investigativen Recherchen zu Korruption in Südafrika beschäftigt. Wichtigste Recherche der Nichtregierungsorganisation, deren Name das IsiZulu-Wort für „Mistkäfer" ist, waren die Gupta-Leaks 2017, mit denen der State-Capture-Skandal offengelegt wurde.
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Rückzahlungsforderungen an SAP
Im März 2022 hatte das Special Tribunal SAP erstmals angewiesen, 413 Millionen Rand (23 Millionen Euro) an die Wasser- und Sanitärbehörde (Department of Water and Sanitation, DWS) zurückzuzahlen. Der Betrag entsprach der Gesamtsumme, die das DWS in den Jahren 2015 und 2016 für Softwarelizenzen und Support an SAP gezahlt hatte. Um die Aufträge zu bekommen, hatte SAP 86 Millionen Rand Kommission an einen Business-Development-Partner gezahlt. Das DWS hatte aller Wahrscheinlichkeit nach keinen Nutzen aus dem Vertragsabschluss. Es gebe keinen Beleg dafür, dass die Behörde „irgendwelche Dienstleistungen erhalten hat oder jedwede Produkte und/oder Softwarelizenzen eingesetzt wurden", konstatierte der SIU-Jurist Jason Schmidt im Antrag auf Rückzahlung der Auftragssumme. Sein Fazit lautete: „Das Projekt wurde nie umgesetzt." SAP weigerte sich zunächst dennoch, 83 Millionen Rand aus der Gesamtsumme zurückzuzahlen, da entsprechende Kosten durch Zahlungen an Dritte entstanden seien. Im September entschied das Special Tribunal allerdings, dass der Konzern auch die damals noch ausstehende Summe von 81,5 Millionen Rand vollständig zurückzahlen müsse. SAP stimmte dem Urteil schließlich zu.
Kurze Zeit später kam bereits die nächste Rückzahlungsforderung auf SAP zu. Mitte November berichtete amaBhungane, dass die SIU insgesamt eine Milliarde Rand (55,6 Millionen Euro) zurückverlangt, die der Software-Riese aus Aufträgen des staatlichen Stromversorgers Eskom generiert hatte. Auch im Zusammenhang mit diesen Verträgen hatte SAP hohe Kommissionen an Business-Development-Partner gezahlt. Den umfangreichsten Einzeldeal mit Eskom – über 495 Millionen Rand (27,5 Millionen Euro) – hatte SAP laut amaBhungane 2016 sogar erst abgeschlossen, als bereits Hinweise zum State-Capture-Geflecht der Guptas öffentlich bekannt geworden waren. Das Special Tribunal hat über die Rückzahlungsforderung der SIU bisher nicht entschieden. Für SAP dürfte der Fall im Zusammenhang mit mutmaßlich korrupten Geschäften in Südafrika ohnehin noch nicht der letzte gewesen sein: Im Bericht der State-Capture-Kommission werden auch zwei Geschäfte mit dem staatseigenen Logistikkonzern Transnet aufgelistet, bei denen „Schmiergeld in Form von Verkaufskommissionsgebühren an Gupta-Entreprise-Firmen" geflossen sein soll.
NBS Infosys: Unbekannt, abkassiert und aufgelöst
Bemerkenswert ist allerdings, dass es im Zusammenhang mit den Aufträgen der Wasser- und Sanitärbehörde – anders als bei den Transnet- und Eskom-Deals – nach bisherigem Erkenntnisstand keine Gupta-Firma war, die die Provisionen von SAP kassierte. Für den Abschluss des inkriminierten Vertrags sorgte demnach die damalige stellvertretende Generaldirektorin des DWS, Zandile Mathe, die ihren Vorgesetzten die Falschinformation unterjubelte, ein bereits bestehender Kontrakt mit SAP laufe innerhalb weniger Tage aus. Tatsächlich hatte der Vertrag noch mehr als ein Jahr Gültigkeit. Trotzdem kam es zum Neuabschluss, für den die kaum bekannte Firma NBS Infosys eine Provision von 14,9 Prozent des Vertragsvolumens erhielt, was in diesem Fall 14,9 Millionen Rand (830 000 Euro) entsprach. Über eine weitere Firma, die das an sie gezahlte Geld dem Anschein nach lediglich weiterreichte, flossen nach amaBhungane-Recherchen noch einmal 14,9 Prozent an NBS Infosys. Demnach wurde so die SAP-interne Provisionsobergrenze von 20 Prozent umgangen – für einen Auftrag mit einer Behörde, die bereits seit 2001 SAP-Bestandskunde war.
Was aber tat NBS Infosys für dieses Geld? Die Rechercheure von amaBhungane wollten dazu den alleinigen Eigner der Firma aufsuchen, der sie schon auf dem Parkplatz abfing, ein baldiges Interview versprach, anschließend aber lediglich mit Klagen drohte. Wenig später war die Firma unbekannt verzogen und die Telefonnummer tot. SAP zeigte dann auf Nachfrage der Nachrichtenagentur Reuters, was die angekündigte Transparenz für den Konzern in der Praxis bedeutet, und schickte eine Standardantwort, deren Kernzitat hier der lyrischen Schönheit wegen wiedergegeben sei: „Unser Grundsatz ist, und wird immer sein, alle Unternehmensaktivitäten in Übereinstimmung mit den Buchstaben und dem Geist der anzuwendenden Gesetze durchzuführen."
SAP-Mutterkonzern war in Deals eingeweiht
Vorausgesetzt, der Vorsatz stimmt, so gab es offensichtlich eine beträchtliche Diskrepanz zwischen Grundsatz und tatsächlichem Handeln bei SAP – und das den amaBhungane-Recherchen zufolge nicht nur bei der südafrikanischen Tochtergesellschaft, deren Führung nach Bekanntwerden des Skandals schleunigst ausgetauscht wurde. Auch der Mutterkonzern war in die Deals eingeweiht. Offenkundig wurde das, weil NBS Infosys sich im Gegenzug für Vertragsabschlüsse zwischen dem DWS und SAP Vorschüsse zahlen ließ, was nach den Richtlinien des deutschen Softwarekonzerns nicht vorgesehen war. Den Recherchen von amaBhungane zufolge soll der inzwischen entlassene Finanzvorstand von SAP Africa, Deena Pillay, deshalb Ausnahmegenehmigungen hochrangiger Manager in der deutschen Firmenzentrale eingeholt haben. Nachdem das Geld geflossen war, gab es den unterschriebenen Vertrag. Für amaBhungane steht deshalb fest: „Die von der SIU zusammengetragenen Beweise zeigen nun, dass Personen quer durch die globale Organisation SAPs von den 86 Millionen Rand Kommission wussten, aber anscheinend nicht 'nein' sagen wollten zum größten Geschäft in der Geschichte von SAP South Africa."
In einem Interview mit der öffentlich-rechtlichen SABC ging amaBhungane-Rechercheurin Susan Comrie im November vergangenen Jahres noch einen Schritt weiter. „Wir neigen dazu, diese multinationalen Konzerne, die in State-Capture-Vorwürfe verwickelt sind, so zu sehen, als seien sie vielleicht von den Guptas in die Irre geleitet worden", erklärte die Journalistin, ehe sie genau diese Sichtweise widerlegte: „Was den Fall von SAP so interessant macht, ist, dass sie das gleiche Geschäftsmodell, das gleiche Modell der Business-Development-Partner, benutzt haben, um sich riesige Aufträge bei anderen Regierungseinrichtungen zu sichern." Comries Fazit: „Das scheint eher ein SAP-Problem zu sein als ein Gupta- oder State-Capture-Problem."
Denselben Schluss lässt auch ein internes SAP-Dokument zu, das unter dem Titel „Road to Closure" die Rolle der Business-Development-Partner beschreibt. AmaBhungane zitiert daraus, dass es Aufgabe dieser „Vermittler" gewesen sei, „sich informell mit der Ministerin, der Generaldirektorin und dem Finanzvorstand zu treffen, um Budgetverfügbarkeit und Zuteilung zum Projekt sicherzustellen", sowie die „Zusage" des „Top-Managements" innerhalb der Behörde einzuholen. Comrie wies schließlich im SABC-Interview daraufhin, dass das „Business-Development-Partner-System keine ausschließlich in Südafrika angewandte Methode war, sondern etwas, was sie weltweit betrieben haben", obwohl SAP selbst „in Dokumenten das hohe damit verbundene Korruptionsrisiko dargelegt" habe. Die Geschäfte seien zudem so groß gewesen, dass sie auf globaler Ebene abgesegnet werden mussten.
Belege, dass NBS Infosys mit den im „Road to Closure"-Dokument SAPs erwähnten Funktionsträgern tatsächlich zusammengekommen ist, hat die SIU nicht gefunden. Die in Frage stehenden Personen streiten einen Kontakt ab. SAP hat vor dem Special Tribunal bisher auch nicht versucht, eine eigene Version darzulegen. Stattdessen scheint der Konzern es vorzuziehen, möglichst geräuschlos Geld zurückzuzahlen, um die Fälle schnell abzuschließen. Comrie nennt SAP deshalb „unglaublich unwillig", wenn es um einen Beitrag zur Aufklärung der Fälle geht, „sowohl vor Gericht als auch gegenüber den Medien".