Am 25. Januar 2023 legte das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) die neue Afrikastrategie vor: „Gemeinsam mit Afrika Zukunft gestalten". In der Öffentlichkeit kaum beachtet, von einigen Ressorteinrichtungen begrüßt und lediglich von Wirtschaftskreisen ein wenig unter die Lupe genommen. Dort ist die Enttäuschung besonders groß, während die zivilgesellschaftlichen Organisationen sich weitgehend in tiefes Schweigen gehüllt haben.
Von Robert Kappel
Angesichts der vielen Ankündigungen und der zahlreichen Herausforderungen waren alle Afrikaakteure gespannt, was wohl an neuen Ideen auf den Tisch kommen würde. Nicht zuletzt hatte Bundeskanzler Scholz wegweisende Ziele genannt. Ende November 2022 bei der Verleihung des Deutschen Afrikapreises betonte er: „Die Welt des 21. Jahrhunderts wird keine Welt mit nur einem oder zwei starken Machtzentren sein." Es werde eine multipolare Ordnung mit „einem globalen Gravitationszentrum Afrika" geben. Aber er sagte ergänzend: „Auch andere haben diesen Bedeutungszuwachs Afrikas längst erkannt – und nutzen ihn auf ihre Weise."
Antizipieren heißt verstehen lernen
Noch etwas anderes ist von großer Bedeutung: Afrikanische Länder sehen sich in neuen geopolitischen Konstellationen, die nichts mehr mit der alten Zeit nach der Unabhängigkeit zu tun haben. Dies wird an den neuen strategischen Optionen (bspw. mit China oder Indien) und den anti-europäischen Stimmungen in Teilen des Kontinents deutlich. So ist Frankreichs Image auf dem Kontinent auf den Tiefpunkt gesunken. Doch etwas anderes ist viel wichtiger, für eine neue Strategie berücksichtigt zu werden: Ein neues afrikanisches Selbstbewusstsein von der eigenen Stärke. Afrikanische Länder können sich aussuchen, mit wem sie ihre Industrialisierung und die Landwirtschaft, die Digitalisierung, den Wandel zu grüner Energie und den Drive für mehr Jobs für Frauen und Männer und für die Jugend voranbringen wollen.
Es brummt auf dem Kontinent, nicht in allen Ländern gleichermaßen. Allenthalben ist in den meisten Ländern ein Aufbruch zu spüren und die Bereitschaft, sich weniger abhängig zu machen. Die urbanen Zentren strahlen aus. In einigen Jahren wird die überwiegende Mehrheit der Bevölkerungen in Städten leben. Zwischen Abidjan und Lagos entwickelt sich eine riesige Agglomeration mit bald 400 Millionen Menschen. Dazu kommen Zentren wie Gauteng, Kapstadt, Dakar, Casablanca, Kairo, Luanda, Nairobi oder Addis Abeba und die vielen Mittelstädte, in denen die ländlichen Migrant:innen Jobs suchen. Die Produktivität steigt, die Einkommen zumindest der Angestellten wachsen, die Volkswirtschaften brummen. Produktivitätswachstum wird durch industrielle Cluster befördert. Eine neue Dynamik, die vom Tourismus, den Nahrungsmittelindustrien, den Transport- und Mediensektoren, den IKT-Bereichen – Industrien ohne Schornsteine – angeheizt wird. Lokale Unternehmen investieren und die Märkte werden größer. Es geht um Produktion, Arbeit, Lokalismus und lokale Wertschöpfung und nicht mehr – wie viele externe Akteure glauben – um Finanzen, fossile Rohstoffe, Konsum und Globalismus. Produktion und Produktivismus sind die Leitlinien, d. h. im Zentrum der wirtschaftspolitischen und sozialen Agenda vieler afrikanischer Regierungen, der Afrikanischen Union und der Bevölkerungen steht die Ausweitung produktiver wirtschaftlicher Möglichkeiten in allen Regionen und für alle Beschäftigten. China hat das seit längerem erkannt und kann daher frühzeitig die Früchte der Kooperation mit afrikanischen Ökonomien ernten.
Dies sollte auch das deutsche Engagement in Afrika auszeichnen. Es gilt, diese Entwicklungen zu verstehen und zu antizipieren, wohin Afrikas Reise geht. Hier wäre ein Anknüpfungspunkt für eine neue Afrikastrategie gewesen. Für die wirtschaftliche Kooperation heißt dies, vor allem langfristig zu investieren und mit lokalem Unternehmertum zusammenzuarbeiten. Verknüpfungen herstellen in Wertschöpfungsketten, Unteraufträge mit lokalen Unternehmen organisieren, um langfristig vom entstehenden Industrialisierungsschub gerade in den afrikanischen Großagglomerationen zu partizipieren. So ließe sich auch Technologie nach Afrika transferieren und zugleich neues Wissen in Afrika auflesen. Entsprechend sollte deutsche Afrikapolitik seine Handels-, Agrar- und Entwicklungspolitik anpassen. Entwicklungspolitik kann eine Rolle einnehmen, wenn sie sich auf eine angemessene Strategie konzentriert: d. h. Kooperation, um Rohstoffabhängigkeiten zu reduzieren und einen Beitrag zur Schaffung von Jobs zu leisten. Das ist es, was afrikanische Länder und Akteure erwarten.
Rohstoff- und Infrastrukturfallen
Alle Welt entdeckt plötzlich, wie wichtig Afrika und die einzelnen Länder geworden sind. Die USA haben eine neue „Leader-Partnerschaft" ins Leben gerufen, sie wollen ihr Image loswerden, sich nicht für Afrika zu interessieren. Dringend notwendig, hatte doch Präsident Trump Afrika als „Drecksloch" beschimpft. Nicht gut für die Beziehungen, vor allem, weil China sich deutlicher denn je positioniert. China will Energie, Rohstoffe und Märkte. Alles zum Wohle des eigenen Landes. Die durch China in die Schuldenkrise geratenen Länder wissen ein Lied von den harten chinesischen Bandagen zu singen. Dann ist da auch noch Russland, das auf dem Kontinent ein wirtschaftlicher Winzling ist, aber militärisch große Bedeutung als Lieferant von Waffen hat und durch die Einsätze der Wagner-Truppe in vielen Ländern für Unruhe sorgt und sich zugleich als Garant für Regierungen aufspielt. Und dann agiert auch die Europäische Union (EU), der bei weitem wichtigste Kooperationspartner afrikanischer Staaten, mit ihrem „Global Gateway". Diese sieht vor, umfangreiche Investitionen in die Infrastrukturentwicklung zu finanzieren.
Die globalen Wirtschaftsakteure schauen weiterhin auf die afrikanischen Länder, die über Öl, Gas, Bauxit, Platin, Gold, Eisenerz, Lithium, Kobalt und Holz verfügen. Keine Frage – Rohstoffexporte bringen Devisen. Die meisten chinesischen, amerikanischen und europäischen Investitionen sind Rohstoff- und Energieinvestitionen. Vereinfacht gesagt, tragen sie auch zu einer einseitigen Handelsstruktur bei: Exporte von Rohstoffen und Einfuhr von Investitionsgütern. Lediglich Deutschland ist stärker in der verarbeitenden Industrie, bspw. Automobilproduktion in Marokko, Ägypten und Südafrika, tätig. Rohstoffinvestitionen sowie große Infrastrukturprojekte schaffen kaum Jobs, sind klimaschädlich und kosten mehr als sie nutzen.
Das scheint Minister Habeck angedacht zu haben, als er vor „grünem Energie-Imperialismus" warnte. Er möchte in Namibia eine Kooperation zur Produktion von „grünem" Wasserstoff voranbringen und den Aufbau lokaler Wasserstoffwirtschaften fördern. Davon sollen einerseits die Menschen vor Ort profitieren, andererseits soll auch ein Beitrag zur nationalen Wasserstoffstrategie der Bundesregierung geleistet werden. Mit Marokko, Algerien, Tunesien und Südafrika arbeitet das BMZ in diesem Bereich bereits zusammen. Deutschland soll sich laut Habeck aber deutlich von anderen „energiehungrigen" Ökonomien unterscheiden. Dass chinesische, amerikanische, französische und niederländische multinationale Konzerne vollkommen anders agieren, zeigen die riesigen Investitionen in Rohstoffvorhaben. Diese erhöhen deutlich Klimarisiken und Umweltkatastrophen. Insofern ist die Just Energy Transformation zum Schutz von Ökosystemen, Wäldern und zugleich verantwortlicher Ressourcennutzung eine wesentliche Neuerung des deutschen Engagements. Wenn das gelänge, wäre das vielleicht die entscheidende Wende in der deutschen Afrikapolitik. Besser noch würde es sein, wenn die EU entsprechend agieren würde. Europa will zwar alles grün und klimaneutral machen, europäische Unternehmen investieren aber zugleich in fragwürdigen Rohstoff- und Energiebereichen und verschärfen damit die Klimakrise. Es braucht eine dringende Umsteuerung im Kampf gegen die schädlichen Folgen des Klimawandels. Wie das am besten geschieht, sollte mit den afrikanischen Regierungen beraten werden.
Afrikapolitische Strategie
Zahlreiche gute Themen und Ideen finden sich in der Afrikastrategie. Bspw. sollen Frauen besonders gefördert werden, um Jobs zu bekommen. Oder weibliche Unternehmen sollen privilegiert werden. Es leuchtet ein, bei der Verbesserung der Gesundheitsversorgung zu helfen. Es ist sinnvoll, die Produktion von Impfstoffen auf dem Kontinent zu unterstützen.
In den Strategien der AU und der afrikanischen Länder nimmt die African Continental Free Trade Area (AfCFTA) eine bedeutende Rolle ein. Durch sie entsteht eine größere Arbeitsteilung auf dem Kontinent und die Mobilität von Arbeitskräften und Kapital und der intra-afrikanische Handel erhöhen sich. Der Handelsaustausch innerhalb des Kontinents wird immer größer und ist intra-industrieller Austausch, d. h. vor allem Fertigwarenhandel – ganz anders als der Handel zwischen Afrika und der Europäischen Union oder China. Afrika will die asymmetrischen Wirtschaftsbeziehungen überwinden. Die AfCFTA soll dabei eine wichtige Rolle spielen. China engagiert sich bereits beim Ausbau der Infrastruktur. Deutschland unterstützt die Aktivitäten der AfCFTA durch Beratung.
Eine schwer zu bewältigende Aufgabe ist es, Handel fair zu gestalten. Dies war bereits im Marshallplan intendiert und es fragt sich, wie man dem Ziel Fairness nach vielen Verhandlungsjahren näherkommen kann. Man hätte sich hier eine eindeutigere Stellungnahme erwünscht, zumal afrikanische Länder seit langem für eine neue Handelskooperation mit der EU votieren.
Das BMZ-Konzept will den Compact with Africa (CwA) weiterführen, aber der CwA ist keine Erfolgsgeschichte, sondern konzeptionell falsch angelegt. Eigentlich eine Wiederholung altbekannter Denkmuster der Strukturanpassung. Es sollen Finanzen fließen, um die Infrastruktur auszubauen, so dass ausländische Unternehmen investieren, aber es wird nicht entsprechend der afrikanischen Agenda auf Industrialisierung gesetzt. Der CwA will die Staaten in die Lage versetzen, die aufgenommenen Kredite auch zurückzahlen zu können. D. h. es wird mehr Einfluss von in Washington ansässigen Institutionen, die die Bedingungen festlegen, geben. Es ist bedauerlich, dass der CwA ohne Evaluierung der bisherigen Aktivitäten einfach weitergeführt wird. Die Ampel nahm wohl Rücksicht auf die neo-liberalen Ideen des Finanzministers. Es wäre doch ein leichtes gewesen, das Deutsche Evaluierungsinstitut der Entwicklungszusammenarbeit (Deval) zu beauftragen, eine Bewertung des CwA nach klaren Kriterien vorzunehmen.
Einen deutlichen Strategieschwenk will das Ministerium bei der Migration vornehmen. In Zukunft soll der Fokus darauf liegen, legale Migration zu ermöglichen. Dafür sollen Beratungszentren in den afrikanischen Partnerländern entstehen. So werde zugleich ein Beitrag zur Umsetzung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes geleistet. Grundlegend besteht die Gefahr des Braindrains, wenn es um Hochqualifizierte geht. Geringqualifizierte hingegen nach Deutschland zu holen, bedeutet eher eine Entlastung der dortigen Arbeitsmärkte. Es gibt mittlerweile einige konkrete Vorschläge für die Ausgestaltung legalisierter Wanderarbeitersysteme. Bei deren Umsetzung könnte man – wie Theo Rauch1 kürzlich schrieb – von einem „Triple-win" für Herkunftsländer, Migrierende und für Zielländer sprechen.
Soziale Sicherungssysteme sollen Armut und Hunger reduzieren. Hier gibt es substanzielle Ansätze, die sowohl die Landwirtschaft, nachhaltigen Konsum, Lieferketten und Bildungsmaßnahmen einbeziehen. Es ist jedoch sicher, dass die afrikanischen Jobkrisen vor allem durch landwirtschaftliche Modernisierung, durch die Entwicklung der kleinen und mittleren Unternehmen und des informellen Sektors, von Industriezonen und Einbindung von afrikanischen Unternehmen in globale Lieferketten überwunden werden können. So ließen sich auch die Dynamiken zwischen der ländlichen und urbanen Entwicklung befördern. Da vor allem die Landwirtschaft bislang nicht die notwendige Unterstützung erfährt, wären die Weichen für höhere lokale Wertschöpfung so zu stellen, dass die Versorgung mit Nahrungsmitteln gewährleistet und zugleich Armut und Hunger verringert werden.
Ein Thema treibt das BMZ zurecht um. Wie kann man in Zukunft mit afrikanischen Partnerländern umgehen, die bereits Autokratien oder Militärdiktaturen sind, wie Ägypten, Guinea, Ruanda oder andere? Hier gilt es Kriterien zu entwickeln und Entscheidungen zu treffen. Wird die Bundesregierung auf Maßnahmen zur Stärkung der Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte bspw. durch die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen setzen und/oder wird man die Kooperation mit staatlichen Akteuren auf diplomatische Aktivitäten runterfahren?
Die feministische Entwicklungspolitik soll zum Kern der Entwicklungszusammenarbeit werden. Sie will an den Wurzeln der Ungerechtigkeiten ansetzen, an den Machtverhältnissen zwischen den Geschlechtern, sozialen Normen und Rollenbildern. Starke Frauen als Basis für starke Gesellschaften. Es fragt sich, wie so eine Politik aussehen kann? Denn sie bedeutet Einmischung in die gesellschaftlichen Angelegenheiten eines jeden Landes – nach unseren Normen und Werten. Die zahlreichen afrikanischen Initiativen verdeutlichen, wie selbstbewusst zahlreiche Akteure in allen Ländern für Veränderungen kämpfen – nach ihren eigenen Normen und Wertevorstellungen. Brauchen sie deutsches Engagement?
Wie will Deutschland sich in Zukunft auf dem Kontinent aufstellen?
Noch bewegt sich die deutsche Afrikapolitik auf ausgetretenen Pfaden. Sie geht vom Grundgedanken aus, Afrikas Gesellschaften benötigen die Unterstützung von außen und Deutschland verfüge über die erforderlichen Kompetenzen. Dass afrikanische Staatsoberhäupter, Unternehmerverbände, Kulturschaffende, zivilgesellschaftliche Organisationen, Expert:innen und die Medien dies nicht besonders attraktiv finden, lässt sich seit Langem erkennen. Sie wollen kooperieren, aber nicht länger die Empfänger von Finanzen, von Expertise und guten Ratschlägen aus dem Ausland sein. Expertise ist in den afrikanischen Ländern weitgehend vorhanden.
Afrikanische Gesellschaften wollen industrielle Investitionen, Bildungsaustausch, verstärkte Kooperation mit deutschen Universitäten und Fachhochschulen. Sie wollen mit uns auf zahlreichen Gebieten zusammenarbeiten, bspw. im Kampf gegen die Klimakrise oder für eine Energiewende. Hingegen sind wir in Fragen der Digitalisierung weniger gefragt, andere Länder bieten weitaus mehr, wie bspw. China oder Indien. Afrikanische Länder wollen Netzwerke aufbauen und die Beziehungen für Wirtschafts-, Bildungs- und Kulturkooperation und Forschung vertiefen. Technologische Kooperation, Kooperation von Wissenschaftler:innen und Unternehmen, um für zentrale Themen gemeinsam neue Lösungen zu finden, bspw. im Kampf gegen die Armut, für den Zugang zu Elektrizität, für technologische Innovationen oder neue Verkehrssysteme.
Anstatt weiterhin die Position des braven Samariters einzunehmen, hätte das BMZ die Latte für eine inhaltlich gut begründete Afrikapolitik höher legen und antizipieren sollen, wohin die afrikanischen Entwicklungswege gehen. Eine zehnseitige Strategie mit Kernaussagen hätte besser verdeutlicht, welche die deutschen Interessen und wo gemeinsame Aktivitäten sinnvoll sind. Es hätte der neuen strategischen Afrikapolitik gutgetan, das große Ganze in den Blick zu nehmen und Orientierung für Kooperation in der fragmentierten Welt anzubieten. Das entwicklungspolitische Konzept wird dem nicht gerecht. Nun blühen tausend Blumen von unzähligen Projekten und Partnern. Weniger Intervention in die inneren Angelegenheiten nach unserem Gusto und unseren Werten würde der deutschen Afrikapolitik ebenfalls guttun. Dafür sind etwas mehr Demut und Realismus notwendig, und vor allem ein Verständnis der Dynamiken auf dem Kontinent.
Das Afrikakonzept verspricht Aufbruch in eine neue Zeit. Das wäre zu wünschen gewesen. Man hätte sich nicht so sehr hinter all den Stellungnahmen afrikanischer Institutionen verstecken sollen, sondern stattdessen selbstbewusst einen Neustart für eine kohärente deutsche Entwicklungs-, Sicherheits- und Außenpolitik auf den Weg bringen müssen. Angesichts des neuen Wettlaufs um Afrikas Rohstoffe, Märkte, Einflusszonen und angesichts der Dynamik auf dem Kontinent hätte man sich eine Afrikapolitik gewünscht, die eigene Interessen auf dem Kontinent – wie Sicherheit – neu formuliert und die geostrategischen Herausforderungen einbezieht.
1 Triple-Win durch Migrationszentrum in Accra? – Weltneuvermessung (wordpress.com)