Heft 2/2023, Editorial

Die „Normalisierung der Diktatur“

Von einer „Normalisierung der Diktatur" sprach die mosambikanische Anwaltskammer angesichts der zahlreichen Verhaftungen und Angriffe der Polizei, die mit Tränengas und Gummigeschossen gegen demonstrierende Jugendliche in Mosambiks Städten vorgeht, die auf den Straßen den Tod ihres Idols Azagaia betrauerten. Mosambiks beliebter Rapper war am 9. März an den Folgen seiner Epilepsie gestorben. Aus dem Trauerzug von tausenden Jugendlichen in Maputo entwickelten sich in den Folgetagen und -wochen friedliche Demonstrationen mit Rufen nach der Macht des Volkes. Doch der Staatsapparat lässt solche Demonstrationen nicht zu.

In Angola wie in Mosambik gehen die Sicherheitskräfte unvermindert gegen oppositionelle Kräfte vor, wie die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in ihrem Jahresbericht von 2022 beklagt. Repression und Beschneidungen der in den einzelnen Verfassungen garantierten Versammlungsfreiheit gehören zum Standardrepertoire der Machtapparate in mehreren Ländern der Region. Die Opposition in Simbabwe kann davon ein Lied singen, und auch in Swasiland, dessen Allmachtsherrscher König Mswati III. „seinen" Staat per Dekret in eSwastini hat umbenennen lassen, hat sich die Diktatur „normalisiert". Nach dem Mord an dem Menschenrechtsaktivisten Thulani Maseko ist dort die seit Oktober 2021 anhaltende Protestwelle gegen den Monarchen eskaliert. Viele Oppositionelle werden verhaftet oder fliehen aus dem Land, wie Simone Knapp in dem einleitenden Beitrag dieser Ausgabe berichtet.

Immerhin, in Tansania hat Präsidentin Samia Suluhu Hassan das Versammlungsverbot ihres Vorgängers Magufuli für politische Parteien wieder aufgehoben. Oppositionsführer Tundu Lissu konnte wieder aus dem Exil zurückkehren – ein erleichtertes Aufatmen auch für die Zivilgesellschaft. Doch beim Erstellen der Nachrichten für diese Ausgabe holt uns die umgekehrte Realität wieder ein: In Sambia wurden Frauenrechtlerinnen verhaftet, weil auch die Regierung von Hichilema die Propagierung von LGBTQI-Rechten nicht toleriert, eine sich hartnäckig haltende Diskriminierung, die ähnlich wie in anderen Ländern der Region mit der Unvereinbarkeit von angeblich „afrikanischen" oder „christlichen Werten" begründet wird. Und in Madagaskar hat das Innenministerium im Vorfeld der dieses Jahr anstehenden Präsidentschaftswahlen Demonstrationen der Oppositionsparteien verboten. Klingt, als hätte sich Präsident Andry Rajeolina am autoritären Gebaren von Tansanias Ex-Präsident Magufuli orientiert.

Sicher, „Normalisierung der Diktatur" ist ein – aus der Sicht der Opposition legitimer – Kampfbegriff, denn formal handelt es sich – mit Ausnahme Swasilands – immer noch um Mehrparteiendemokratien. Doch die Normalisierung von De-Facto-Einparteienstaaten mit repressivem Machtapparat und eingeschüchterter Opposition gehört leider in vielen Staaten der Region ebenso zum Alltag wie ausufernde Korruption. Diese Missstände aufzudecken, gehört zur journalistischen Pflicht. So befasst sich das beigeheftete, von Christian Selz verfasste, Dossier mit dem spezifischen Fall der Kaperung des südafrikanischen Staates in der Zuma-Ära und den Ergebnissen der Zondo-Kommission, die den State-Capture-Skandal in langen Anhörungen aufgearbeitet hat.

Komplexer und schwieriger wird die journalistische Einordnung, wenn es um die „Normalisierung von Kriegen" geht. Der Konflikt im Osten der DR Kongo ist so ein Krieg, der scheinbar „normal" geworden ist. Die „taz" wartete in ihrer Ausgabe vom 5. April mit der Schlagzeile „Tutsi warnen vor neuem Völkermord" auf. Das klingt erschreckend und widerspricht den üblichen Berichten, die die im Ostkongo aktiven, aus Tutsi rekrutierten M23-Milizen verkürzt als Ruanda-treue Terrorgruppe und eigentlichen Aggressor darstellen. Tatsächlich wuchsen die M23-Kämpfer, wie es im dazugehörigen Bericht heißt, nach dem Völkermord an den Tutsi von 1994 in Flüchtlingslagern in Ruanda auf, gingen zur Schule und zur Universität, während die Täter des Völkermords nach dem Machtverlust der Hutu-Armee in den Osten Kongos flohen. Ruandas Interesse ist es, die in der heutigen FDLR organisierten Völkermordtäter von 1994 kampfunfähig zu machen, Kinshasa will die Kontrolle über den Osten behalten und lässt die Tutsi verfolgen. Das Drama von Gewalt und Gegengewalt in der DR Kongo, das sich seit Jahren unter den verschlossenen Augen der Weltöffentlichkeit abspielt, ist viel zu komplex, um einfache Antworten darauf zu finden. Es ist, wie bei allen anderen Konflikten auf dieser Erde, von unterschiedlichen Interessen geleitet – auch denen der Industriestaaten, die um die wertvollen Rohstoffe Kongos wetteifern. Sich dabei nicht mit einer Konfliktseite gemein zu machen, sondern aufzuklären, sollte eine journalistische Selbstverständlichkeit sein.

Lothar Berger