Heft 2/2023, afrika süd-dossier: Wie Südafrika gekapert wurde

Die State-Capture-Kommission – Entstehung, Auftrag und Fokus

Mitte März 2016 erschütterte ein politisches Erdbeben Südafrika. In einer öffentlichen Stellungnahme erklärte der damalige Vizefinanzminister Mcebisi Jonas, dass „Mitglieder der Gupta-Familie" ihm den Posten des Finanzministers angeboten hätten. Er habe umgehend abgelehnt, weil das Angebot „unsere hart erkämpfte Demokratie und das Vertrauen unseres Volkes der Lächerlichkeit preisgegeben" hätte. In der derselben Woche erklärte die vormalige ANC-Parlamentsabgeordnete Mabel Patronella „Vytjie" Mentor, dass die Gupta-Brüder auch ihr einen Ministerposten – den für Unternehmen der Öffentlichen Hand – angeboten hatten, wenn sie dafür bei der Staatsairline SAA die Route nach Indien streichen würde, zugunsten einer Airline von den Guptas. Einen Monat später berichteten dann drei ehemalige Gupta-Bodyguards – anonym – der Wochenzeitung Mail & Guardian von Kartons und Sporttaschen voller Bargeld sowie davon, dass ihr Boss Ajay Gupta bis zu dreimal wöchentlich den damaligen Staatspräsidenten Jacob Zuma besucht habe.

Damit schien sich zu bestätigen, was der damalige Generalsekretär des Gewerkschaftsbunds Cosatu bereits im Dezember 2015 über die Guptas gesagt hatte: „Sie sind die Schattenregierung. Sie sind ein Zeichen dafür, was in diesem Land schief läuft."

Der südafrikanische Staat selbst war allem Anschein nach von Kriminellen unterwandert worden, der Begriff „State Capture" machte die Runde. Nach öffentlichen Beschwerden begann Thuli Madonsela, als Public Protector eine Art unabhängige Ermittlerin zu Vergehen hochrangiger politischer Funktionsträger, eine Untersuchung. Ihr im November 2016 vorgestellter Bericht „State of Capture" enthielt schwere Vorwürfe gegen Zuma und die Guptas. Zugleich forderte Madonsela den Präsidenten darin auf, eine Richterliche Untersuchungskommission einzusetzen. Es war die Geburtsstunde der State-Capture-Kommission.

Dass bis zum ersten Sitzungstermin jener Judicial Commission of Inquiry into Allegations of State Capture am 20. August 2018 noch fast zwei Jahre vergingen, dürfte maßgeblich damit zu tun gehabt haben, dass Zuma offensichtlich wenig Interesse an einer Untersuchung seiner Geschäfte mit den Guptas hatte. Der Präsident hatte zunächst versucht, die Forderung des Büros des Public Protectors als nicht bindend darzustellen und den damit verbundenen Auftrag an ihn zu ignorieren. Schließlich wollte er den „State-of-Capture"-Bericht gar vor Gericht für nichtig erklären lassen, scheiterte mit seinem Antrag aber. Das Gericht wies stattdessen den Obersten Richter am Verfassungsgericht an, über die Besetzung der Kommission zu entscheiden. Zuma war schließlich gezwungen, die Kommission im Januar 2018 ins Leben zu rufen.

Ursprünglich war für die Arbeit der Kommission ein Zeitraum von sechs Monaten angesetzt, im Juli 2018 waren aber noch nicht einmal die Vorbereitungen für den Beginn der Anhörungen abgeschlossen. Die Vernehmungen von Zeugen und Verdächtigen dauerten schließlich bis zum 12. August 2021 an, als Letzter erschien Staats- und ANC-Präsident Cyril Ramaphosa vor der Kommission. Insgesamt bekam die Kommission sieben Verlängerungsanträge bewilligt, ehe der Kommissionsvorsitzende Raymond Zondo die letzten Teile des finalen Reports am 22. Juni 2022 – mit nochmal sieben Tagen Verspätung – an Ramaphosa übergab. Im Oktober nahm die Kommission dann noch einmal Korrekturen am finalen Bericht vor. Die Kosten der Kommission lagen bei etwa einer Milliarde Rand (55,6 Millionen Euro).

Die enorme zeitliche Ausdehnung der Kommissionsarbeit lag auch darin begründet, dass ihr Mandat gegenüber den ursprünglich im „State of Capture"-Report aufgeworfenen Fragen deutlich ausgeweitet wurde. Hatte Madonsela den Fokus noch eng auf das Verhältnis des damaligen Präsidenten Zuma zur Gupta-Familie gelegt, so befasste sich die State-Capture-Kommission letztlich mit dem Gesamtkomplex von Korruption und gesetzeswidrigen Auftragsvergaben in Behörden und Staatsbetrieben. In Punkt 1.5. ihrer Aufgabenbeschreibung (terms of reference) nannte die Kommission gar eine Untersuchung „des Wesens und des Ausmaßes von Korruption, wenn gegeben, bei der Vergabe von Verträgen, Aufträgen an Unternehmen, Geschäftseinheiten und Organisationen durch öffentliche Einrichtungen". In der Praxis der Kommissionsarbeit und noch stärker in den finalen Empfehlungen der Kommission lag der Fokus dann aber hauptsächlich auf den Vergehen politischer Funktionsträger und Akteure innerhalb von Behörden sowie Betrieben der Öffentlichen Hand und weit weniger auf den Vergehen privatwirtschaftlicher Akteure.

Der vollständige Bericht kann auf der Website der State-Capture-Kommission unter www.statecapture.org.za/site/information/reports heruntergeladen werden.


Hintergrund: Die Guptas

Ein Gupta-Reich gab es in Indien bereits im 4. bis 6. Jahrhundert. Mit der Herrschaft, die die ebenfalls aus Indien stammende Gupta-Familie in Südafrika aufbaute, hatte es aber mit Ausnahme des Herkunftslands nichts zu tun. Wenn in Südafrika von „den Guptas" die Rede ist, dann sind in aller Regel die Brüder Ajay, Atul und Rajesh gemeint, wobei letzterer auch unter dem Namen „Tony" bekannt ist. Das Trio war 1993 mit weiteren Familienmitgliedern nach Südafrika gekommen und hatte dort zunächst die Firma Sahara Computers gegründet. Die Gupta-Brüder suchten den Kontakt zu hochrangigen Regierungspolitikern und fanden ihn bereits unter dem zweiten demokratisch gewählten Präsidenten Thabo Mbeki (1999-2008). Mbekis Minister im Büro des Präsidenten, Essop Pahad, gab Ajay Gupta 2006 gar einen Vorstandsposten beim International Marketing Council of South Africa (IMC, heute: Brand South Africa).

Schon drei Jahre zuvor hatten die Gupta-Brüder bei einem von ihnen organisierten Empfang den damaligen Vizepräsidenten Jacob Zuma kennengelernt. Ein halbes Jahr nachdem Zuma im Dezember 2007 zum ANC-Präsidenten – und damit zum designierten Spitzenkandidaten der Regierungspartei – gewählt worden war, bekam sein Sohn Duduzane im Juli 2008 einen Vorstandsposten in der Gupta-Firma Mabengela Investments. Während Vater Jacob Zuma 2009 zum Staatschef aufstieg, wurde Sohn Duduzane in den folgenden gut zwei Jahren in elf weiteren Gupta-Unternehmen in den Vorstand berufen.

Der Einfluss der Familie auf den Präsidenten wurde schließlich so groß, dass sie vorab über die Ernennung von Ministern informiert wurden. Geleakte E-Mails aus dem Firmenimperium der Guptas deuten gar daraufhin, dass die Guptas über die Besetzung wichtiger Posten in Regierung und Staatsbetrieben direkt mitentscheiden konnten. Ihre Firmen profitierten in der Folge stark von korrupten Auftragsvergaben, entweder direkt als Auftragnehmer oder als „Vermittler" für internationale Konzerne.

Nach Bekanntwerden der State-Capture-Vorwürfe flohen die Guptas 2006 nach Dubai, wo Atul und Rajesh im Juni 2022 aufgrund einer Interpol Red Notice verhaftet wurden. Südafrika bemüht sich um eine Auslieferung. Wo sich der dritte Bruder Ajay aufhält, ist nicht bekannt.

Durch ihre exponierte Rolle im State-Capture-Skandal besteht die Gefahr, die korrupte Unterwanderung des Skandals einzig als Gupta-Affäre fehlzudeuten. Die Annahme einer derartigen Singularität wäre jedoch vollkommen irreführend. Denn in der Mehrheit der Fälle waren bei den korrupten Aktivitäten neben Akteuren aus Staat und Staatsbetrieben sowie den „Vermittlern" (die im Übrigen auch längst nicht immer aus dem Gupta-Lager stammten) eben auch international agierende Konzerne involviert. Würden letztere sich bei der Jagd um Aufträge und Profite nicht über ihre eigenen Geschäftsregularien und staatliche Antikorruptionsgesetze hinwegsetzen, könnte ein kriminelles System wie das der State Capture gar nicht aufgebaut werden. Die Rolle der Guptas macht das nicht weniger verwerflich, aber sie waren nicht allein.