Heft 2/2023, Angola

Ein Ölstaat möchte diverser werden

Während Angola in Fragen der Menschenrechte, Demokratie und Korruption stagniert oder gar Rückschritte verzeichnet, ist außenpolitisch und wirtschaftlich vieles in Bewegung geraten. Bei den Friedensbemühungen zum Ostkongo hat sich Luanda erfolgreich als Vermittler profilieren können und wird gleichzeitig heftig als Energielieferant umworben. Angolas Wirtschaft ist derzeit noch hochgradig vom Ölexport abhängig, doch bringt sich bereits für alternative Energiequellen in Stellung.

Von Daniel Düster

Um Angolas Wirtschaft anschaulich auf den Punkt zu bringen, eignet sich am besten eine Tafel Schokolade. Man nehme ein handelsübliches längliches Produkt, viereckig, mit sechs Riegeln à vier Schokoladenkammern. Das sind Angolas Exporte im Jahr 2020 in Höhe von 21 Mrd. US-Dollar. Man bricht einen Riegel ab, legt ihn zur Seite und in der Hand hält man noch den allergrößten Teil der Schokolade. Das ist der Anteil des Rohöls an Angolas Exporten. Vom abgebrochenen Riegel nimmt man sich zwei Stücke, das sind Erdgas und raffiniertes Erdöl. Dann sind noch zwei Stücke übrig, das sind ganz überwiegend Diamanten. Möchte man es ganz genau nehmen, dann muss eine der beiden letzten Kammern noch mühsam mit einem Messer in vier Teile zerlegt werden. Das letzte Viertel vom letzten Stück Schokolade, das inzwischen in lauter winzige Stückchen zerbröselt ist – das sind alle anderen Exporte. 86 Prozent jedoch entfallen auf Erdöl, 6 Prozent auf Erdgas und 7 Prozent auf Diamanten.

An dieser Aufteilung hat sich im Wesentlichen seit Mitte der 1990er-Jahre nicht viel geändert, außer dass das Exportvolumen exponentiell zugenommen hat. Nach dem Ende des Bürgerkriegs 2002 begann der Ölboom, das Land konnte seine Rohöl-Produktion innerhalb weniger Jahre vervielfachen und rückte zu den wichtigsten erdölexportierenden Staaten der Welt auf. Während dieser Bonanza-Jahre, die etwa bis 2013 anhielten, häufte eine kleine Elite um Staatspräsident José Eduardo dos Santos unglaubliche Reichtümer an und dementsprechend gering war die Motivation, die vielbeschworene Diversifizierung der Wirtschaft voranzutreiben. Ab dem Jahr 2014 jedoch sanken die globalen Ölpreise und für die angolanische Wirtschaft begann eine lange Phase der Stagnation und Rezession, die in der Corona-Krise der vergangenen Jahre ihren vorläufigen Höhepunkt fand. Erst jetzt zeigen sich langsam erste Anzeichen einer wirtschaftlichen Erholung, wiederum getrieben durch den steigenden Ölpreis. Aufgrund versäumter Investitionen ist aber auch die Ölproduktion in absoluten Zahlen erheblich zurückgegangen, obwohl sie immer noch den Löwenanteil der angolanischen Exporte ausmacht.

Öl und Gas noch lange Brückentechnologie

Allerdings gibt es zuletzt Anzeichen dafür, dass die angolanische Regierung das Ziel der Diversifizierung nun mit etwas größerer Ernsthaftigkeit vorantreibt. Zunächst hat sich die Rhetorik verändert. Bei der COP 26 in Schottland 2021 versprach Präsident João Lourenço bis 2025 eine Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien auf 70 Prozent von Angolas Energiebedarf. In einem Interview sprach er davon, dass die Tage der fossilen Energien gezählt seien und er jetzt die Weichen dafür stellen müsse, dass Angola in Zukunft Anteil an der postfossilen Energieproduktion hat.

Obwohl gerade in der Klimapolitik Worte und Taten mitunter sehr verschieden sein können, ist es für ein Mitglied der OPEC eine ungewöhnliche Positionierung. Angola hat auch – im Gegensatz zu Saudi-Arabien – nicht versucht, eine Einigung zum aktiven Ausstieg aus fossilen Brennstoffen zu torpedieren. Stattdessen tastet man sich in ersten Projekten an ein postfossiles Geschäftsmodell heran. So unterzeichnete der staatliche Brennstoffkonzern Sonangol im Juni 2022 mit den deutschen Unternehmen Gauff Engineering und Conjuncta in Berlin eine Absichtserklärung, ab 2024 rund 280.000 Tonnen grünes Ammoniak für den Export nach Deutschland zu produzieren. Das Ammoniak soll nach Fertigstellung einer entsprechenden Produktionsstätte im Hafen Barra do Dande nördlich der Hauptstadt Luanda produziert und dann zum Export auf Schiffe verladen werden. Die dafür benötigte Energie soll von Wasserkraftwerken im Landesinneren stammen.


Ammoniak und Wasserstoff
Ammoniak, mit der chemischen Summenformel NH3, wird bislang hauptsächlich als Mineraldünger genutzt, kann jedoch auch als Energieträger eingesetzt werden. Gewonnen wird es üblicherweise durch das Haber-Bosch-Verfahren aus atmosphärischem Stickstoff (N) und Wasserstoff (H). Entweder kann Ammoniak direkt als Treibstoff in Verbrennungsmotoren zum Einsatz kommen oder unter Abscheidung von gasförmigem Stickstoff, das zu 78 Prozent unsere Atemluft ausmacht, in Wasserstoff verwandelt werden. Gegenüber Wasserstoff hat Ammoniak den Vorzug, dass es schon bei einfacheren Temperaturen und geringerem Druck (z.B. bei 20° C und 8,58 bar) flüssig und damit lager- und transportfähig wird. Wasserstoff hingegen muss unter hohem technischem und energetischem Aufwand auf -253° C heruntergekühlt werden, um wie LNG verflüssigt und transportiert zu werden. Von grünem Ammoniak kann man sprechen, wenn bei der Erzeugung grüner Wasserstoff verwendet wurde, der wiederum nur durch erneuerbare Energiequellen hergestellt wurde.


Doch diese ersten Schritte sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass Förderung und Export fossiler Energieträger noch auf lange Zeit als „Brückentechnologie" das Kerngeschäft Angolas bleiben werden. Allerdings lohnt auch hier ein genaueres Hinsehen. Erst Ende Februar gab der Vorstand von Sonangol bekannt, dass das Großprojekt „Falcão 2" in der nördlichen Provinz Zaire in die finale Phase eintritt. Das 36 Millionen Dollar teure Projekt zielt auf den Umbau und die Erweiterung einer bestehenden Anlage zur Aufbereitung und Speicherung von Erdgas. Nach Abschluss des Projektes sollen die Kapazitäten von 2,1 Mio. m³ auf 3,5 Mio. m³ Erdgas ansteigen.

Mithilfe von Projekten dieser Art gelang es Angola immerhin, innerhalb weniger Jahre seine Erdgasexporte fast zu verzehnfachen. Auch ist man darum bemüht, beim Erdöl lukrative Wertschöpfungsketten ins Land zu holen. So wird derzeit massiv in Raffinerien investiert, namentlich in der Provinz Luanda, in der ölreichen Exklave Cabinda und am Hafen Soyo in der Provinz Zaire, an der Mündung des Flusses Kongo. Mit diesen Raffinerien möchte Angola, das paradoxerweise derzeit trotz aller Rohölexporte noch raffiniertes Erdöl importiert (mit knapp 4 Prozent sogar das wichtigste Importgut), sich von Treibstoff-Importen unabhängig machen und mittelfristig den eigenen Bedarf sowie den seiner Nachbarländer decken.

Für den Klimaschutz, das muss man konstatieren, wäre damit überhaupt nichts gewonnen und auch die Diversifizierung hielte sich in engen fossilen Grenzen. Allerdings würde es Angola ein Stück weit gelingen, aus der klassischen Rolle des Rohstofflieferanten auszubrechen und die lukrativeren Glieder der Wertschöpfungskette ins Land zu holen. Den Handel mit den afrikanischen Nachbarstaaten, der derzeit exportseitig ein absolutes Nischendasein fristet, könnte dies auch beleben und damit Angolas Stellung in der Region weiter stärken. Und die ist auch ohnedies im Moment gar nicht schlecht, und Angolas Präsident derzeit auf der internationalen Bühne ein sehr gefragter Mann.

Europäisches Interesse an fossiler Energie

Anfang Februar kam der spanische König Felipe VI. mit seiner Frau Leticia zu seinem ersten Staatsbesuch in Subsahara-Afrika für drei Tage nach Angola. Obwohl der Besuch natürlich rein repräsentativer Natur war, kam doch die Botschaft an, dass Spanien sehr an einer noch engeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit interessiert ist. Spanien ist bereits Angolas fünftgrößter Rohöl-Importeur und möchte beim derzeitigen Run auf alternative (d. h. nicht-russische) Energiequellen auch nicht zu kurz kommen. Auch Portugals Ministerpräsident António Costa und Außenminister João Gomes Cravinho, die bei einem Gipfeltreffen der Afrikanischen Union in Addis Abeba am 18. Februar als Gäste eingeladen waren, ließen es sich nicht nehmen, Lourenço am Rande des Gipfels aufzusuchen.

Die ehemalige Kolonialmacht Portugal, mit 14 Prozent nach China der zweitgrößte Importeur Angolas, kündigte für Juni einen Staatsbesuch mit mehreren Minister:innen an, um das neue Paket zur strategischen Zusammenarbeit beider Länder zu unterzeichnen, das derzeit ausgearbeitet wird. Kern des neuen Abkommens ist ein Logistik-Korridor, der zwischen dem Hafen Dandé nördlich von Luanda und dem Tiefseehafen Sines im Alentejo südlich von Lissabon entstehen soll. Gehandelt werden soll hier in erster Linie Erdgas und Erdöl. Ähnlich wie andere europäische Staaten wie Deutschland oder Italien ist auch Portugal auf der Suche nach Alternativen für russisches Gas, auch wenn Portugal, das die Hälfte seines Gasbedarfs in Nigeria deckt, sich nie in eine vergleichbare Abhängigkeit von russischem Gas begeben hat wie Deutschland.

Und schließlich besuchte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Anfang März Luanda im Rahmen einer mehrtägigen Reise nach Zentralafrika. Kurz vor seiner Tour nach Gabun, Angola und die beiden Kongo-Staaten sorgte Macron mit einer Rede für Aufsehen, in der er einen Kurswechsel in der französischen Afrikapolitik ankündigte: Ab sofort wolle sich Frankreich militärisch in Afrika zurückziehen, die Truppenstärke in seinen ehemaligen Kolonien von 5000 auf 3000 reduzieren und die bestehenden Militärbasen stärker „afrikanisieren", d. h. mit lokalen Truppen besetzen. Diese neue „demütige Haltung", wie Macron sie nannte, folgt auf herbe politische Rückschläge in der Sahelregion, wo inzwischen eine anti-französische Stimmung weit verbreitet ist und Frankreich nach zwei Staatsstreichen in Burkina Faso und Mali seine dortige Militärpräsenz aufgeben musste.

Im Gegenzug zum militärischen Rückzug stellte Macron ein verstärktes wirtschaftliches Engagement auf dem afrikanischen Kontinent in Aussicht. Das deckt sich mit der angolanischen Agenda, die auf der Suche nach Investitionen jenseits des Ölsektors ist. Mit Frankreich, dessen Energie-Konzern Total bereits stark in Angola vertreten ist, hat Angola vor allem stärkere Investitionen im Landwirtschaftssektor vereinbart. Um weitere Investitionen bemühte sich Präsident Lourenço auch explizit bei seinem Staatsbesuch in Japan Mitte März, wo beide Staatschefs eine stärkere Zusammenarbeit in Aussicht stellten, die aktuell noch beidseitig in den Kinderschuhen steckt.

„Luanda-Prozess": Vermittlung in der DR Kongo

Daneben kann Präsident Lourenço auch diplomatische Erfolge einheimsen: Im sich aktuell erneut zuspitzenden Ostkongo-Konflikt gelang es Angola, sich erfolgreich als Vermittler zu etablieren. Bei den Verhandlungen im vergangenen November in der angolanischen Hauptstadt Luanda wurde zwischen den Konfliktparteien ein Waffenstillstand vereinbart, der inzwischen als „Luanda-Prozess" eine feste Größe in den seitherigen Friedensverhandlungen ist. Präsident Lourenço brachte dabei sowohl den Präsidenten des Kongo, Félix Tshisekedi, als auch den Präsidenten Ruandas, Paul Kagame, dem eine Unterstützung der kongolesischen Tutsi-Rebellengruppe M23 vorgeworfen wird, an einen Verhandlungstisch. Zwar wurde die Waffenruhe im November nur kurz nach Inkrafttreten gebrochen, jedoch erhielt Angola international viel Anerkennung für seine Vermittlungsbemühungen.

Laut dem kongolesischen Politiker Juvenal Munubo geht das Vertrauen der kongolesischen Führung in Angola auf das Jahr 1998 zurück. Damals unterstützte Angola den neuen Präsidenten Laurent Kabila, als dieser durch Rebellengruppen aus dem Osten bedrängt wurde, die wiederum aus den Nachbarstaaten Uganda und Ruanda finanziert wurden. Daher würde sich Kongos Präsident Tshisekedi eher auf Vermittlungsversuche der SADC einlassen als auf Initiativen der Ostafrikanischen Gemeinschaft (EAC), deren Mitglieder Uganda und Ruanda selbst Konfliktparteien sind. Folgerichtig wurde die angolanische Regierung später beauftragt, Kontakt mit der Rebellengruppe M23 aufzunehmen und weitere Schritte diplomatisch vorzubereiten. Nachdem eine im Februar ausgehandelte neue Waffenruhe im März erneut kurz nach ihrem Beginn gebrochen wurde, beschloss das angolanische Parlament, 500 Soldaten für ein Jahr zur Friedenssicherung in den Ostkongo zu entsenden. Ob sich dieser Schritt als erfolgreich erweisen wird, oder die eigene Stellung als neutraler Vermittler untergraben wird, bleibt abzuwarten.

Das alles fügt sich zu einem Bild zusammen von einem Land, das geschickt auf der internationalen Bühne agiert, als Vermittler auftritt und sich auch nicht auf eine Seite im Konflikt zwischen Russland und dem Westen ziehen lässt. Angola wird aufgrund seiner reichlichen Energieressourcen, v. a. wegen des vorhandenen Erdöls, aber zusehends auch wegen seines Potenzials für alternative Energieträger, derzeit heftig umworben. Es ist aber auch seinerseits aktiv auf der Suche nach neuen Partnerschaften, um einerseits die starke Abhängigkeit vom Exportgut Erdöl und andererseits auch die Abhängigkeit vom wichtigsten Gläubiger, größten Import-Herkunftsland und Export-Ziel, der Volksrepublik China, zu verringern. Ob die derzeitige Politik einen Beitrag zum Klimaschutz darstellt, erscheint zweifelhaft. Solange es Durst nach Öl gibt, wird Angola ihn stillen, zu rentabel ist das Geschäft. Doch zweifellos nutzt Angolas Präsident Lourenço die Gunst der Stunde und stellt sein Land geostrategisch günstig auf. Ob die Bevölkerung jenseits der schicken Viertel Luandas etwas davon spüren wird, steht auf einem anderen Blatt.