Heft 2/2023, afrika süd-dossier: Wie Südafrika gekapert wurde

Falsch verbunden

Die lokale Tochter des deutschen Telekommunikationskonzern T-System war in Südafrika zweitgrößter Profiteur von State-Capture-Aufträgen. Korruptionsvorwürfe streitet der Konzern aber bis heute ab.

„We enable mobility", den Slogan hatte sich die Telekom-Tochter T-Systems in den 2010er-Jahren auf die Fahnen geschrieben. In Südafrika galt die Ermöglichung von Mobilität dabei offensichtlich auch Sporttaschen voller Bargeld, die im Zusammenhang mit Aufträgen von Staatskonzernen an die lokale Tochter des deutschen Telekommunikationsunternehmens den Besitzer wechselten. Lukrativ waren die Geschäfte dabei längst nicht nur für die Empfänger:innen der Schein-Bündel, sondern in erster Linie auch für T-Systems. Insgesamt 12,3 Milliarden Rand (680 Millionen Euro) ließ sich das Unternehmen vom staatlichen südafrikanischen Logistikkonzern Transnet und vom Stromversorger Eskom überweisen. T-Systems war damit nach den inzwischen zusammengeschlossenen Eisenbahnbauern China South Rail und China North Rail der größte Profiteur von Aufträgen im Zuge der State Capture in Südafrika.

Lukrative Vertragsverlängerungen dank Gupta-Verbindungen

T-Systems hatte mit Transnet im Dezember 2009 einen ursprünglich auf fünf Jahre befristeten Vertrag über die Bereitstellung von IT-Ausstattung und Datenverarbeitungsdiensten abgeschlossen. Noch bevor die fünf Jahre abgelaufen waren, arbeitete das Unternehmen jedoch mit Firmen aus dem Umfeld der mit Staatschef Jacob Zuma verbundenen Gupta-Brüder zusammen. „Dem Anschein nach hat T-Systems Gupta-Entreprise-Verbindungen genutzt, um seine Position bei Transnet zu sichern sowie Länge und Wert seines MSA-Vertrags (Master Service Agreement, deutsch: Dienstleistungsrahmenvereinbarung) mehr als zu verdoppeln", heißt es dazu unter der Zwischenüberschrift „Die Mittel der Öffentlichen Hand, die durch State Capture zum Gupta-Entreprise abgezweigt wurden" im State-Capture-Bericht.

Für den „Anschein" folgen im Bericht eine ganze Reihe von Belegen. So begann T-Systems bereits ab August 2012 Geld an die Firma Zestilor zu überweisen, die von der Ehefrau des Gupta-Vertrauten Salim Essa geführt wurde. Im Dezember 2014, kurz bevor der ursprüngliche Vertrag mit T-Systems ausgelaufen wäre, trat das Unternehmen zudem den Auftragsteil über Verkauf und Vermietung von Ausstattung an Zestilor ab. Anschließend verlängerte Transnet den Kontrakt mit T-Systems um zwei weitere Jahre. In den Folgejahren gab es weitere Interims-Verlängerungen des T-Systems-Auftrags, reguläre Ausschreibungen wurden hingegen immer wieder zurückgezogen, obwohl ein besseres Angebot eines südafrikanischen Mitbewerbers vorlag. Transnet habe „nicht nur das Ausstattungsgeschäft an Zestilor abgetreten, sondern auch die Umleitung von Transnet-Mitteln an die Gupta-Firma Sechaba ermöglicht", heißt es im State-Capture-Report weiter. T-Systems machte Sechaba zum „Zulieferer-Entwicklungspartner" und überwies in drei Jahren mehr als 320 Millionen Rand (18 Millionen Euro).

Die State-Capture-Kommission ließ in ihrem Bericht keinen Zweifel daran, wozu diese Zahlungen dienten. „Transnet belohnte T-Systems für seine neue Beziehung zum Gupta-Entreprise nicht nur mit der Verlängerung des T-Systems-MSA, sondern auch mit einer dramatischen Erhöhung der Zahlungen im Rahmen des MSA", heißt es darin. In den ersten fünf Jahren des Vertrags zahlte Transnet demnach insgesamt etwas mehr als 1,3 Milliarden Rand (72 Millionen Euro) an T-Systems, in den beiden Verlängerungsjahren 2015 und 2016 flossen dann mehr als 1,5 Milliarden Rand (83 Millionen Euro). Das entsprach nahezu einer Verdreifachung der jährlichen Zahlungen. Diese Teuerungsrate erscheint noch bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass T-Systems den Verkauf und die Vermietung von Ausstattung mit Effekt von Mai 2015 an Zestilor abgegeben hatte. Der Trend der teuren Interimsverlängerungen setzte sich bis zur Kündigung des Vertrags im Dezember 2018 fort.

Auch der Stromversorger wurde geschröpft

Dieselbe Masche wandte T-Systems beim staatlichen südafrikanischen Stromversorger derart baugleich an, dass die State-Capture-Kommission ohne Umschweife feststellte: „Bei Eskom nutzte T-Systems seine Beziehung mit dem Gupta-Entreprise mit noch größeren Auswirkungen aus." Aus einem Ursprungsvertrag über Leistungen von knapp drei Milliarden Rand (167 Millionen Euro) generierte T-Systems schließlich Einnahmen von fast acht Milliarden Rand (444 Millionen Euro). Im Kommissionsbericht wird dabei auch auf einen internen Compliance-Report von T-Systems verwiesen, in dem das Unternehmen selbst feststellte, dass eine formale Zusammenarbeit mit dem Gupta-Mann Essa Risiken im Zusammenhang mit Anti-Korruptionsgesetzen bergen würde. Die Konsequenz: Die Zusammenarbeit mit Essa, dem der T-Systems-Report ein „starkes Netzwerk zu Eskom-Offiziellen" attestierte, wurde informell fortgesetzt. Die State-Capture-Kommission stellte daher fest, dass T-Systems „seine eigenen internen Regeln missachtet" hat.

Während das Geld reichlich floss, ließen die Dienste zu wünschen übrig. So fiel bei Transnet 2015 beispielsweise auf, dass die Sparte Transnet Group Capital zwar für 2200 Computer bezahlte, aber nur 1100 der Geräte auch nutzte. 450 weitere Computer wurden zwar ausgeliefert, verschwanden aber und konnten auch nicht geortet werden, weil die dazu nötige Software nicht installiert worden war. Laut Kommissionsbericht zahlte Transnet dennoch jahrelang weiter Leasing-Gebühren für nicht-existente Computer an Zestilor. Als der MSA-Vertrag schließlich Anfang 2017 neu vergeben werden sollte, lag Transnet ein Angebot des südafrikanischen Unternehmens Gijima vor, das dem staatlichen Logistikkonzern eine Einsparung von einer Milliarde Rand (55,6 Millionen Euro) gegenüber dem Angebot von T-Systems gebracht hätte. Die folgerichtige Entscheidung des Transnet-Managements für Gijima kippte der von Gupta-Getreuen durchsetzte Verwaltungsrat jedoch wieder und optierte schließlich für eine weitere kostspielige Verlängerung des T-Systems-MSA.

Morddrohung vom Chef

Der Kommissionsbericht zeigt in schockierenden Details, wie solche Entscheidungen zustande kamen. Exemplarisch ist der Fall des Eskom-Verwaltungsratsmitglieds Norman Baloyi. Erst im Dezember 2014 in das Gremium berufen, wunderte er sich bald, weshalb die Ausschreibung des MSA-Vertrags aufgrund des hohen damit verbundenen Werts nicht zügig fertiggestellt wurde. Baloyi erschien es zudem fragwürdig, weshalb die Verlängerung des Kontrakts mit T-Systems nicht dem Verwaltungsrat, sondern nur einem Untergremium, dem Board Tender Committee, vorgelegt wurde. Als er den Vorsitzenden dieses Gremiums, den inzwischen verstorbenen Ben Ngubane, dazu befragen wollte, habe dieser ihn lediglich angeschrien. T-Systems bekam in der Folge die Verlängerung des Vertrags. Baloyi wurde bereits im April 2015, nur gut vier Monate nach Dienstantritt, wieder entlassen.

Noch drastischer ist die Geschichte, die die damalige Verantwortliche für Informationstechnik bei Transnet, Makano Mosidi, vor der Kommission von einem Treffen mit dem damaligen Transnet-Vorstandsvorsitzenden Siyabonga Gama berichtete. Bei dem Meeting in einem Johannesburger Hotel hatte Mosidi versucht, Gama davon zu überzeugen, dass eine Entscheidung für den günstigeren T-Systems-Konkurrenten Gijima die richtige wäre. Zur Antwort bekam sie eine kaum verhohlene Drohung, die im Kommissionsbericht wie folgt zitiert wird: „Beschaffungswesen kann ein lebensgefährliches Geschäft sein, wenn man eine Party ruiniert."

Nachvollziehbar wird die Ernsthaftigkeit dieser Drohung, wenn man sich ansieht, wen die Kommission als Teilnehmende dieser „Party" identifizierte. Namentlich genannt werden im Zusammenhang mit der Korruption bei Transnet der Vorstandsvorsitzende Brian Molefe (der später die gleiche Funktion bei Eskom übernahm), sein Vorgänger und Nachfolger Gama, Finanzchef Anoj Singh (später ebenfalls bei Eskom), Interimsfinanzchef Garry Pita und schließlich Malusi Gigaba, damals Minister für Öffentliche Unternehmen.

Die Guptas, in deren Firmengeflecht die Transnet-Mittel unter anderem via T-Systems abgezweigt wurden, mussten sich ihren politischen Schutz selbstverständlich erkaufen. An dieser Stelle kamen die Sporttaschen ins Spiel, auf denen sich ebenso selbstverständlich nie ein unmittelbarer Fingerabdruck eines T-Systems-Offiziellen würde finden lassen. In solchen und ähnlichen Behältnissen haben die fünf Inkriminierten nach Aussagen ihrer Leibwächter und Fahrer große Mengen Bargeld aus dem Anwesen der Guptas in Johannesburg abgeholt. Einer der Zeugen berichtete zudem von expliziten Drohungen vor seiner Aussage. Alle drei sagten persönlich vor der Kommission aus, ihre Identitäten wurden jedoch geschützt.

Beste Freunde: Die Gupta-Brüder und Präsident Zuma

Ob die Liste der Korruptionsbegünstigten mit den fünf Genannten erschöpft ist, darf bezweifelt werden. Gigabas von ihm inzwischen getrennte Ehefrau Nomachule jedenfalls berichtete vor der Kommission, dass ihr Gatte zeitweise Anrufe der Guptas zu ignorieren versucht habe. Letztere hätten dem Minister daraufhin aber klargemacht, dass sie es gewesen seien, die ihn ins Amt gebracht hätten – und dass sie ihn entsprechend auch wieder daraus entfernen könnten. Es war nicht das einzige Mal, dass Zeug:innen vor der Kommission erklärten, die Guptas hätten mit ihrem direkten Einfluss auf den damaligen Staatspräsidenten Jacob Zuma gedroht, der das Brüder-Trio ohnehin öffentlich als seine „Freunde" bezeichnete. Mit Bezug auf dahingehende Anschuldigungen sowohl des damaligen Chefs der Regierungsinformationsbehörde Government Communication and Information System (GCIS), Themba Maseko, und des Vizefinanzministers Mcebisi Jonas, die sich beide geweigert hatten, mit den Guptas zu arbeiten, stellte die State-Capture-Kommission in ihrem Bericht fest: „Die Darstellung ist nicht nur, dass Herr Ajay Gupta und Herr Tony Gupta gesagt haben, dass Präsident Zuma alles tun könne, was sie von ihm wollten, sondern der Kommission wurden Beweise vorgelegt, die zeigen, dass Präsident Zuma bereit war, selbst Leute aus ihren Ämtern zu entfernen, die ihre Arbeit sehr gut machten, wenn die Guptas diese Leute entfernt haben wollten oder wenn die Guptas mit ihnen verbundene Leute in diesen Positionen haben wollten." Dass Zuma dabei nicht auch selbst finanziell profitierte, ist schwer vorstellbar. Zugleich ist ein entsprechend kriminelles Handeln seinerseits offensichtlich noch schwerer nachweisbar. Die Kommission jedenfalls schlug keine Ermittlungen gegen den Ex-Präsidenten vor.

Das jähe Ende

Eingestürzt ist das Korruptionsgebäude dennoch. 2017 ließ Gijima die erneute Vergabe des MSA-Vertrags an T-Systems vor Gericht anfechten. Das Unternehmen wurde dabei vom Finanzministerium unterstützt. Unter diesem Druck beantragte schließlich auch Transnet, die Auftragsvergabe zu annullieren. T-Systems wehrte sich dagegen zunächst, zog seinen Gegenantrag aber letztlich doch zurück. Das Urteil, das Richterin Raylene Keightley schließlich 2018 am North Gauteng High Court sprach, hätte für die Transnet-Führung und für T-Systems kaum vernichtender sein können. Gesetzeswidrig und irregulär sei der Auftrag vergeben worden, befand Keightley und entschied: „Eine derart behaftete Entscheidung Bestand haben zu lassen, wäre schädlich für die Verfassungsanforderung, dass Auftragsvergabeverfahren fair, unparteiisch, transparent, wettbewerblich und kosteneffektiv sein sollen."

Gama, Molefe, Singh und Pita wurden 2022 allesamt wegen der noch umfangreicheren und ebenfalls korrupten Geschäfte mit China South Rail und China North Rail verhaftet. Die Verfahren laufen noch, die Männer wurden auf Kaution freigelassen. Gupta-Mann Essa war noch 2017, kurz nach Bekanntwerden des Skandals, aus Südafrika geflohen. Die State-Capture-Kommission empfahl auch gegen Gigaba die Aufnahme von strafrechtlichen Ermittlungen, angeklagt wurde er bisher aber nicht. Stattdessen durfte der Politiker sogar unter Zumas Nachfolger Cyril Ramaphosa zunächst ein weiteres Ministeramt belegen. Als Chef der Innenbehörde musste er Ende 2018 jedoch zurücktreten, nachdem ein für eine Geliebte bestimmtes Masturbationsvideo in sozialen Netzwerken verbreitet worden war.

Die 1997 gegründete südafrikanische Tochtergesellschaft von T-Systems hingegen bestand schon nicht mehr, als das Urteil im Auftragsvergabeprozess am North Gauteng High Court 2018 gesprochen wurde. Wie die südafrikanische Anti-Korruptions-Organisation Open Secrets auf ihrer Website berichtet, hatte das deutsche Mutterunternehmen die Sparte nach Bekanntwerden der Vorwürfe bereits im Oktober 2017 eilig an den Mitbewerber Gijima verkauft. Der Mutterkonzern in Deutschland streitet allerdings jegliche Korruptionsvorwürfe weiterhin ab, entsprechende Anfragen von Open Secrets blieben unbeantwortet. Im September 2022 wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main wegen der Korruptionsvorwürfe gegen T-Systems Ermittlungen aufgenommen hat. In Südafrika hingegen gibt es bisher kein Verfahren gegen das Unternehmen.