Heft 2/2023, Südafrika

Von der Unregierbarkeit der Metropolen

Südafrikas städtische Metropolen leiden unter der Last instabiler Mehrparteienkoalitionen. Der Streit der Parteien um Einfluss und Macht, wie er etwa in Johannesburg tobt, lässt nichts Gutes erwarten für mögliche künftige Koalitionsregierungen, sollte der ANC bei den nächsten nationalen Wahlen seine absolute Mehrheit verlieren.

Von Lothar Berger

Es gab Zeiten, da hieß es: „Macht Südafrika unregierbar!" Das war Mitte der 1980er-Jahre, auf dem Höhepunkt der Anti-Apartheid-Kämpfe in den südafrikanischen Townships. Damals kämpfte die Vereinigte Demokratische Front (UDF) als Dachverband von über 600 Organisationen und Kirchengruppen dafür, bestimmte Gebiete Südafrikas zu „befreiten Zonen" zu erklären. Die UDF vertrat damals weitgehend die politischen Ziele des Afrikanischen Nationalkongresses ANC, der wie andere Befreiungsorganisationen lange schon verboten und ins Exil verbannt worden war. Es dauerte noch wenige Jahre, dann war die Herrschaft des Apartheidregimes vorbei. Seit den ersten demokratischen Wahlen 1994 stellt der ANC die Regierung. Dass er die im Anti-Apartheid-Kampf errungenen Vorschusslorbeeren bald verspielte und die Hoffnungen auf eine rasche Umkehr der von der Apartheid geerbten krassen Ungleichheit spätestens unter der korrupten Zuma-Regierung verspielte, ist hinlänglich bekannt und beschrieben worden.

Noch hält sich der ANC alleine an der Macht, was aber wird sein, wenn es bei den nächsten Wahlen 2024 weiteres Vertrauen unter der frustrierten Wählerschaft verliert und auf eine Koalitionsregierung angewiesen wäre? Ein Blick auf den Zustand von kommunalen Mehrparteienregierungen kann helfen, um zu erahnen, was da auf Südafrika zukommen könnte.

ANC verliert an kommunalem Einfluss

Bei den Kommunalwahlen 2021 gab es bereits ein böses Erwachen für den ANC, als er die Kontrolle über wichtige Gemeinden im Lande verlor, was vor allem in der Kernregion Gauteng schmerzte. Unter den acht großen Ballungsgebieten Südafrikas, den Metropolitan Municipalities, konnte sich der ANC nur in Buffalo City, das frühere East London, im Ostkap sowie in Mangaung (Bloemfontein) im Free State behaupten. Kapstadt wird ohnehin bereits seit 2006 von der Democratic Alliance (DA) regiert, in eThekwini, der 3,7-Mio.-Einwohner-Metropole Durban, konnte der ANC nur dank 12 Stimmen des Abantu Batho Congress eine Koalitionsregierung bilden, die allerdings im Dezember 2022 nach der Absetzung des stellvertretenden Bürgermeisters Philani Mavundla, dem Parteichef des ABC, zerbrach.

Die übrigen vier Metropolen werden von Mehrparteienkoalitionen regiert: In Nelson Mandela Bay (Port Elizabeth) im Ostkap regiert der ANC in einer Acht-Parteien-Koalition und konnte die mit Sitzen gleich starke DA somit in die Opposition drängen, umgekehrt ist es in den drei Gauteng-Metropolen Ekurhuleni (East Rand), Tshwane (Pretoria) und Johannesburg: Dort regiert – oder, je nach Entwicklung, regierte gerade – die jeweils nach dem ANC zweitplatzierte DA mit Mehrparteienkoalitionen, in Joburg sind es alleine 10 Parteien.

Weder auf nationaler noch auf Provinzebene kennt Südafrika bislang Koalitionsregierungen. Die Erfahrungen mit dem Gerangel unterschiedlicher Parteien auf Metropolenebene dürften für eine mögliche zukünftige Regierungskoalition allerdings wegen drohender Instabilität wenig vertrauenerweckend sein.

Die Metropole Johannesburg: ein Trauerspiel

Die Stadt Johannesburg ist das wirtschaftliche Zentrum des Landes in der Provinz Gauteng, aus der 70 Prozent der Industrieproduktion Südafrikas stammen. Mit über sechs Mio. Einwohner:innen ist die City of Johannesburg die wirtschaftlich bedeutendste Metropolregion in Subsahara-Afrika. Traditionell wurde die Stadt vom ANC regiert, doch seit den Kommunalwahlen von 2016, bei denen keine Partei eine absolute Mehrheit erreichen erreichte, steht die Metropole vor großen Herausforderungen. Obwohl der ANC bei den Kommunalwahlen 2016 mit 44,5 Prozent den größten Stimmenanteil erhielt, wurde er zunächst durch eine Koalition zwischen der Democratic Alliance und den Economic Freedom Fighters (EFF) von der Stadtregierung ferngehalten. Als Bürgermeister gewählt wurde Herman Mashaba von der DA. Als dieser im November 2019 nach einem Zerwürfnis mit seiner Partei von seinem Amt zurücktrat, konnte der ANC die Kontrolle über die Stadt von der DA-geführten Koalition durch die Wahl von Geoff Makhubo für den vakanten Posten des Bürgermeisters zurückerobern. Danach brach aber Unheil über das Bürgermeisteramt herein: Geoff Makhubo starb im Juli 2021 an den Folgen von Covid-19, worauf Eunice Mgcina für wenige Wochen als amtierende Bürgermeisterin fungierte, bis Jolidee Matongo im August 2021 in das Amt gewählt wurde. Matongo, der als humorvoller und professioneller Politiker ohne arrogantes Gehabe galt, war kaum im Amt, als er im September 2021 bei einem Autounfall ums Leben kam. Bis zu den Kommunalwahlen im November 2021 bekleidete daraufhin der ANC-Politiker Mpho Moerane das Amt des Bürgermeisters von Johannesburg.

Bei dieser kurzen Abfolge in der Stadtführung von Johannesburg ist es kein Wunder, dass die Stadträte kaum in der Lage waren, die drängenden Probleme wie Finanzverwaltung, Infrastruktur, Wohnraum, Sicherheit oder illegale Landbesetzungen anzugehen, zumal sich anhaltende Vorwürfe von Korruption und Veruntreuung von Geldern auf die Leistung der Metropole auswirkten. Als Mashaba 2019 an die Macht kam, gab seine Koalitionsregierung an, 5.597 korrupte Projekte unter den ANC-Verwaltungen vor 2016 untersucht zu haben, bei denen angebliche Bestechungsgelder in Höhe von 34 Mrd. Rand aufgedeckt wurden. Sein Nachfolger Makhubo warf dagegen Mashabas Verwaltung Missmanagement vor. Die Special Investigating Unit (SIU) wiederum deckte Veruntreuungen in Millionenhöhe bei Covid-19-Aufträgen und im Zusammenhang mit der Johannesburger Wohnungsbaugesellschaft unter der Amtszeit Makhubos auf. Die Vorwurfsliste ließe sich beliebig erweitern. Corruption Watch stellte Johannesburg bei einer Bewertung der Metropolen-Regierungen im Vorfeld der Kommunalwahlen von 2021 insbesondere in der Kategorie „Erbringung von Dienstleistungen" ein mieses Zeugnis aus.

Ein Kommen und Gehen

Bei den Kommunalwahlen vom November 2021 verlor der ANC zum ersten Mal mit landesweit knapp 46 Prozent die absolute Mehrheit. In Johannesburg blieb er zwar stärkste Partei, doch sein Stimmenanteil ging um knapp 11 Prozent zurück, von insgesamt 270 Sitzen hält der ANC nur noch 92, die DA, die ebenfalls 12 Prozent einbüßte, 71, die ActionSA 44 und die EFF 29.

Während Herman Mashaba auf dem Ticket der rechten ActionSA erneut für das Amt des Bürgermeisters kandidierte, schickte die DA Mpho Phalatse ins Rennen, die seit 2016 im Stadtrat von Johannesburg saß. Mit Hilfe der ActionSA, den Economic Freedom Fighters und der Freedom Front Plus wurde Mpho Phalatse am 22. November 2021 auf der ersten Ratssitzung nach den Wahlen zur geschäftsführenden Bürgermeisterin der Johannesburg Metropolitan Municipality gewählt. Sie erhielt 144 der 265 Stimmen und besiegte damit den amtierenden Bürgermeister Mpho Moerane vom ANC, der nur 121 Stimmen erhielt.

Mpho Louisa Phalatse wurde als erste schwarze Bürgermeisterin von Johannesburg gefeiert, doch auch sie konnte nicht bis zum Ende ihrer von mehreren Misstrauensvoten begleiteten Legislaturperiode durchregieren. Gegen die Anfeindungen des ANC, der ihr u. a. ihre Unterstützung Israels vorwarf, konnte Phalatse zunächst eine Mehrheitskoalition aus 10 Parteien schmieden, die allerdings bereits im Januar 2022 zerbrach, als sich die Al Jama-ah-Partei wegen der Unterstützung der DA für Israel aus der Koalitionsvereinbarung zurückzog. Dank einer mit Ashley Sauls, dem Fraktionsvorsitzenden der Patriotic Alliance in Johannesburg, getroffenen Vereinbarung konnte Phalatse die Mehrheit zwar kurzfristig zurückgewinnen. Doch das Gerangel um Posten belastete die Koalition. Abtrünnige Ratsmitglieder der DA-Partner von der Inkatha Freedom Party, der African Christian Democratic Party, dem Congress of the People und der United Independent Movement widersetzten sich den Anweisungen ihrer Parteien und schließlich brach ein Streit um den Sprecherposten aus, bei dem sich der ANC-geführte Block durchsetzen konnte. All dies endete schließlich in einem Misstrauensvotum gegen Phalatse, das die fehlenden Dienstleistungen des Stadtrats zum Gegenstand hatte.

Im September 2022 wurde Phalatse als Bürgermeisterin abgewählt und an ihre Stelle Dada Morero vom ANC gewählt. Der Oberste Gerichtshof von Johannesburg erklärte die Abwahl von Phalatse zwar für verfassungswidrig, doch am 26. Januar 2023 wurde Phalatse im Rahmen eines erneuten Misstrauensvotums zum zweiten Mal als Bürgermeisterin abgesetzt, nachdem Gespräche zwischen der DA und der Patriotic Alliance nach Korruptionsvorwürfen ersterer gegen letztere gescheitert waren. Da sich aber auch der ANC und die EEF nicht darauf einigen konnten, wer die Stadt nach der Abwahl von Phalatse führen soll, steht nun plötzlich der Imam Thapelo Amad von der muslimischen Al Jama-ah-Partei, die über nur drei Sitze im Stadtrat verfügt, an der Spitze der reichsten Metropole Südafrikas. Er wurde mit den Stimmen des ANC gewählt, wohl in dem Kalkül, nur ein Bürgermeister auf Zeit zu sein, bis sich ANC und EFF auf einen neuen Kandidaten einigen.

Mit dem Finanzressort, das über einen Haushalt von mehr als 77 Mrd. Rand verfügt, hat sich der ANC bereits das entscheidende Ministerium gesichert. Es ging an Dada Morero, nicht ohne Proteste der ActionSA, die gegen einen „kleptokratischen ANC" wetterte, während dieser zurückschoss und der ActionSA eine Mitschuld am Niedergang der städtischen Finanzen vorwarf. Johannesburgs Schulden gegenüber Lieferanten belaufen sich auf fünf Mrd. Rand, Morero verspricht großspurig, die Einnahmen um 90 Prozent erhöhen zu wollen.

Gegenwärtig wird Johannesburg also von Minderheitenparteien regiert. Zu den zehn ernannten Stadträten gehört auch ein so illustrer Geschäftsmann wie der Ex-Sträfling und „Sushi-König" Kenny Kunene, der für Verkehr zuständig ist. Doch ANC und EEF haben sich in Position gebracht, und dass Thapelo Amad nur ein Übergangsbürgermeister ist, ist ein offenes Geheimnis.

„Traurig für die Stadt"

Seit der dreijährigen Amtszeit von Herman Mashaba hat Johannesburg in vier Jahren acht, wahrscheinlich bald neun Bürgermeister verschlissen, ein Rekord, auf den sonst nur abstiegsbedrohte Fußballvereine mit ihren Trainerentlassungen kommen.

Ein ähnliches Gerangel wie in Johannesburg erleben auch die anderen beiden Gauteng-Metropolen Tshwane und Ekurhuleni. Wie ihre Kollegin aus Johannesburg musste Ekurhulenis Bürgermeisterin Tania Campbell von der DA nach einem Misstrauensvotum abdanken, wurde wieder gewählt und droht, demnächst erneut durch einen Misstrauensantrag abgesetzt zu werden. Tshwanes Bürgermeister Randall Williams (DA) ist im Februar 2023 unter dem Druck seiner Koalitionspartner zurückgetreten, nachdem ihm der Rechnungshof der Stadt verschwenderischen Umgang mit städtischen Geldern vorgeworfen hatte.

Es ist offensichtlich, dass insbesondere die Metropolen unter einer großen Instabilität durch mäandernde Koalitionsregierungen zu leiden haben, da die vielen Parteien eher ihre eigenen Interessen verfolgen als die ihrer Wählerschaft. „Die Menschen in Johannesburg haben genug gelitten. Die letzten Monate waren schwierig. Sie waren von politischer Instabilität geprägt, da wir uns gegenseitig die Kontrolle über die Stadt streitig gemacht haben", klagt die abgesetzte Mpho Phalatse gegenüber der Presse. Die Verwaltung sei in der Schwebe, man lasse sich von trivialen Fragen ablenken und vermeide chronisch schwierige Entscheidungen. „Ich bin traurig für die Stadt, ich bin traurig für die Einwohner", so eine frustrierte Phalatse, die wohl auch nicht über genügend Rückendeckung ihre Partei DA verfügt, auch wenn sie das Gegenteil beteuert.

Rebecca Davis hat im Daily Maverick (30.1.23) acht Gründe genannt, warum Südafrikas große Metropolen unter einem nie dagewesenen Ausmaß an Instabilität leiden und die Koalitionen implodieren. Hauptproblem sei eine fehlende gesetzliche Regelung für Koalitionsvereinbarungen, die eine Verbindlichkeit festlegen und die Häufigkeit von Misstrauensanträgen in der Legislative begrenzen. Allerdings, zitiert sie den Rechtsprofessor Marius Pieterse: „Man kann keine Gesetze gegen politische Kleinlichkeit erlassen." Und an politischer Reife fehle es weithin. Zu leicht ließen sich zudem Vereinbarungen von Parteien aufkündigen, die Patriotische Allianz unter Führung von Gayton McKenzie wird hier als „besonderer Übeltäter" genannt.

Der verzweifelte Versuch, eigene Kandidaten in Schlüsselpositionen zu bringen und die Gier nach Posten mit wirtschaftlichen Möglichkeiten durch Schielen auf Ressorts, die den größten Zugang zu Verträgen, Ausschreibungen und Geschäften versprechen, nennt Davis als weitere Gründe ebenso wie das Bestreben der Parteien, sich in kommunale Regierungsverantwortung zu hieven, je näher die nationalen Wahlen von 2024 rücken. Das Ignorieren eigener Aussagen gegenüber der Wählerschaft, keine Koalition mit bestimmten anderen Parteien einzugehen, ist ein weiteres Problem, das vor allem zwischen dem ANC und den EEF zu beobachten ist. So straft EEF-Führer Malema etwa den ANC in der Öffentlichkeit ab, um privat Koalitionsgespräche mit ihm in Ekurhuleni zu führen. Und dann nennt Davis noch das Problem des „Schmetterlingeffekts": Koalitionsstreitigkeiten an einem Ort führen zu Verwerfungen an anderer Stelle. Die EEF etwa versuchen die Inkatha Freedom Party in Gemeinden in KwaZulu-Natal von der Macht zu entfernen, um sich dafür zu rächen, dass die IFP in Johannesburg nicht mit ihnen gestimmt hat. Schließlich, resümiert sie, führt das Fehlen eines gesetzlichen Rahmens, der zur Kontrolle der Koalitionsbedingungen beiträgt, dazu, dass die Politiker:innen sich nicht an ihr Mandat gebunden fühlen, sondern nur daran interessiert sind, an die Macht zu kommen und dort zu bleiben.

Das sind alles keine guten Aussichten auf mögliche Parteienbündnisse nach 2024. Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa hat alle Hände voll damit zu tun, seine Regierung nach der ausufernden Stromkrise zusammenzuhalten und den Einfluss der „Zumaisten" zurückzudrängen. Will der ANC in Zukunft stabiler regieren, sollte er tunlichst vorausschauende Lehren aus den Turbulenzen der Metropolenregierungen ziehen, sonst stellt sich die Frage von der „Unregierbarkeit" plötzlich auf einer viel größeren Ebene.