Global führende Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Unternehmensberatungen haben State Capture nicht verhindert. Im Gegenteil: Sie machten aktiv mit.
State Capture war ein weit gesponnenes Netzwerk von Kriminellen, die Behörden und Staatsbetriebe unterwanderten und von innen plünderten. Die Taten geschahen für die Öffentlichkeit im Verborgenen. Dennoch hinterließen die Täter:innen deutliche Spuren: Überteuerte oder nicht erbrachte Leistungen, irreguläre Ausschreibungen, Übertretungen von Kompetenzen, regelwidrige Verträge und entsprechende Unregelmäßigkeiten in der Buchführung. Korrupte Machenschaften zu erkennen und zu verhindern, war die Aufgabe von international angesehenen Berater:innen und Kontrolleur:innen. Drei der vier größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften der Welt und zwei der Top-3-Unternehmensberatungen waren in Südafrikas Behörden und Staatsbetrieben engagiert. Doch beim lukrativen Griff in die Kassen machten sie offensichtlich lieber mit, als Alarm zu schlagen.
Wie Bain & Company profitierte
Wie dreist sie dabei mitunter vorgingen, zeigt das Beispiel der Unternehmensberatungsgesellschaft Bain & Company. Der Global Player mit Sitz im US-amerikanischen Boston, 2021 mit fast sechs Milliarden US-Dollar Umsatz gesegnet, verfügt seit 1997 über eine Dependance in Johannesburg. Im November 2013 schloss Bain einen Geschäftsentwicklungs- und Stakeholdermanagement-Vertrag mit einem Unternehmen namens Ambrobrite ab. Wie die State-Capture-Kommission in ihrem Bericht schreibt, hatte Bain selbst erkannt, dass das Unternehmen weder eine Website noch irgendeine sonstige Internet-Präsenz hatte. Ambrobrite hatte auch nie Finanzberichte abgegeben, hatte keine Geschäftsgeschichte und ein Steuerzertifikat, das die südafrikanische Steuerbehörde SARS für betrügerisch hielt. Dafür hatte Ambrobrite jedoch zwei Direktoren, von denen einer – ein gewisser Mpumelelo Ngema – laut Berichten von Open Secrets und der Platform to Protect Whistleblowers in Africa (PPLAAF) ein „enger Freund" von Präsident Jacob Zuma war.
Zwar beschrieben die Eigner Ambrobrites ihr Unternehmen als Eventmanagementfirma, für Bain schien es aber der ideale Partner zu sein, um mit Behörden und Staatsunternehmen ins Geschäft zu kommen. So jedenfalls stand es im Vertrag mit Ambrobrite, aus dem Open Secrets weiter zitiert, dass Sinn und Zweck der Partnerschaft waren, damit „kommerziellen Erfolg für Bain & Company SA im Bereich Regierung und Öffentliche Unternehmen voranzubringen". Wie dieses Ziel erreicht wurde, umriss der Wirtschaftsethikexperte Athol Williams, den Bain nach Auffliegen des Skandals 2019 engagiert hatte, vor der State-Capture-Kommission. Seiner Ansicht nach „war die wahre Absicht hinter dem Vertrag, dass Bain von der Nähe Ambrobrites zu Präsident Zuma und anderen hochrangigen Politiker:innen profitiert und dies nutzen kann, um an nicht-öffentliche Informationen für ihren geschäftlichen Vorteil zu gelangen", heißt es im Bericht zur Aussage Williams'. Dass der Experte derlei Klartext redete, lag auch daran, dass er seinen Posten bei Bain aus Protest gegen mangelnde Transparenz des Unternehmens nach nur sechs Monaten wieder niedergelegt hatte.
Ambrobrites Eigner wurden für ihre Dienste üppig entlohnt. 3,6 Millionen Rand (200.000 Euro) jährlich zahlte Bain der Eventmanagementfirma, was sie dem Kommissionsbericht zufolge „zum am zweithöchsten bezahlten der 53 Berater machte, mit denen Bain weltweit zusammenarbeitete". Verglichen mit dem, was Bain an den in der Folge abgeschlossenen Verträgen verdiente, waren die Beratungshonorare jedoch Peanuts. Denn das ausgesprochene Engagement Ambrobrites – die „Geschäftsentwickler" organisierten bereits im September 2013, also zwei Monate vor Vertragsabschluss mit Bain, eine Party, zu der auch Zuma erschien – sollte sich schon bald auszahlen. Innerhalb eines Jahres konnte Bain einen 91-Millionen-Rand-Vertrag (5,1 Millionen Euro) mit dem halbstaatlichen Telekommunikationskonzern Telkom abschließen. Berichten mehrerer südafrikanischer Medien zufolge gab es dafür keinen Ausschreibungsprozess und auch kein formelles Angebot Bains. Telkom war der erste Fang, ein dickerer Fisch sollte aber noch folgen.
State Capture pur: Anschlag auf Südafrikas Steuerbehörde
Im Januar 2015 schloss Bain einen Unternehmensberatungsvertrag mit der Steuerbehörde SARS ab. Die Behörde hätte für einen solchen Auftrag eigentlich eine öffentliche Ausschreibung durchführen müssen, initiierte im Oktober 2014 aber lediglich eine „geschlossene Ausschreibung", informierte also nur ausgewählte Unternehmen. Der Vergabeprozess war eine Farce. Bain war längst als Partner gewählt, obwohl das Unternehmen laut Kommission „wusste, dass es nicht die nötige Expertise hatte". Fachwissen war für den Plan bei SARS aber auch nicht nötig. Im Gegenteil: Das Ziel war die Lähmung der Steuerbehörde. Die 167 Millionen Rand, die Bain für eine „tiefgreifende Strategie-Erneuerung" und eine komplette Restrukturierung der Organisation abgriff, waren deshalb noch der kleinste Schaden. Die Verluste, die Südafrika durch die beinahe vollständige Paralysierung seiner zuvor international für ihre Effizienz hoch angesehenen Steuerbehörde entstanden sind, können gar nicht bemessen werden.
Der Anschlag war von langer Hand geplant. Bereits zwischen August 2012 und Juli 2014 hat es laut Kommissionsbericht „etwa 17 Treffen" zwischen Bains Managing-Partner und führendem Repräsentanten in Johannesburg, Vittorio Massone, und Jacob Zuma gegeben – Massone zufolge angeblich zu Marketingzwecken. Bei einem der Treffen mit Zuma erhielt Bain einen Hinweis, dass Tom Moyane neuer SARS-Chef werden würde, was sieben Monate später auch eintrat. Massone hatte somit genügend Zeit, Moyane immer wieder zu treffen – der Darstellung des Bain-Mannes nach zu „CEO-Coachings", also Ausbildungszwecken. Das „Coaching" ging so weit, dass Moyane schon vier Monate, bevor Zuma ihn an die Spitze der Steuerbehörde hob, von Bain ein Dokument erhielt. Dessen Inhalt: Die Änderungen, die Moyane in seinen ersten 100 Tagen bei SARS in Gang setzen sollte.
Das Resultat war verheerend. „SARS wurde systematisch und absichtlich geschwächt, hauptsächlich durch die Umstrukturierung seiner institutionellen Kapazität, strategische Ernennungen und Entlassungen von Schlüsselpersonen und ein allgegenwärtiges Klima der Angst und des Tyrannisierens. Es ist ein eindeutiges Beispiel von State Capture", heißt es im Kommissionsbericht. Dies führte demnach zu „einem massiven Verlust von Integrität und Kontrolle bei SARS". Moyanes Agieren nennt die Kommission „mehr als nur Missmanagement", den Fall SARS ein „klares Beispiel dafür, wie die Privatwirtschaft mit der Exekutive, Präsident Zuma eingeschlossen, konspiriert hat, um eine international hoch angesehene Institution zu unterwandern und wirkungslos zu machen". Das Motiv dafür ist klar: „Die Ermittlungs- und Strafverfolgungsfähigkeiten von SARS stellten eine Hürde für jene dar, die in organisiertes Verbrechen verstrickt waren, und waren daher ein Ziel für diejenigen, die State Capture betrieben."
KPMG-Bericht: „Akt absoluter Unehrlichkeit"
SARS war als Ziel sogar so wichtig, dass sich Moyane, gegen den die State-Capture-Kommission aufgrund von Falschaussagen bei einer Befragung im Parlament eine Anklage wegen Meineids empfiehlt, für sein zerstörerisches Werk noch einen weiteren Global Player ins Boot holte: die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG. Nur zwei Wochen nach seinem Amtsantritt im September 2014 löste Moyane aufgrund eines Zeitungsartikels über eine angebliche „Schurken-Einheit" („Rogue Unit") bei SARS das gesamte Exekutivkomitee der Behörde auf. Der Schritt entsprach der Vorgabe Massones, wonach Moyane Führungskräfte „neutralisieren" sollte, die der „Umstrukturierung" von SARS im Wege standen. Die Berichterstattung der Wochenzeitung Sunday Times, die bis 2016 mehr als 30 Artikel zu der angeblichen „Rogue Unit" veröffentlichte, war jedoch eine reine Fake-News-Kampagne. Die betroffenen SARS-Mitarbeitenden äußerten vor der State-Capture-Kommission zudem ihr Unverständnis darüber, dass Moyane sie trotz schwerwiegender Vorwürfe – unter anderem wurde sogar die Ente publiziert, SARS-Führungskräfte hätten ein Bordell betrieben – nie zu den Anschuldigungen befragt hatte. Doch an Gesprächen schien der Chef kein Interesse zu haben, stattdessen ließ er KPMG einen Bericht über die „Rogue Unit" verfassen.
Die Wirtschaftsprüfer lieferten das, was der Auftraggeber hören wollte, bereiteten sich dazu aber keine großen Mühen. In weiten Teilen schrieben sie – Rechtschreib- und Grammatikfehler inklusive – aus einem vorherigen Bericht einer südafrikanischen Kanzlei ab, in dem die Einheit für gesetzeswidrig befunden worden war. Wie Open Secrets in einem Exposé darlegt, kam eine interne Überprüfung KPMGs schließlich zu dem Schluss, dass der für den KPMG-Bericht verantwortliche Prüfer „unprofessionell und faul" gewesen sei. Eine Untersuchung des Berufsverbands South African Institute of Chartered Accountants (SAICA) sprach von einem „Akt absoluter Unehrlichkeit". KPMG musste schließlich eingestehen, dass der Report nicht intern gegengelesen worden war, und entschuldigte sich für mangelnde Qualitätsstandards. Für 50 führende Beamte der Steuerbehörde kam die Einsicht zu spät: Sie wurden auch aufgrund des KPMG-Berichts entlassen.
Für KPMG war der SARS-Bericht weder der erste Skandal in Südafrika noch sollte er der letzte bleiben. Schon 2013 hatte ein KPMG-Buchprüfer mitgeholfen, 30 Millionen Rand (1,7 Millionen Euro), die eigentlich für den Aufbau einer Milchbauernkooperative vorgesehen waren, für eine extravagante Hochzeitsfeier der Familie Gupta abzuzweigen. Obwohl die Firma, durch die das Geld gewaschen wurde, als Bauunternehmen registriert war, und obwohl die 30 Millionen, die es für Hochzeitsplanung in Rechnung stellte, mehr als die Hälfte ihrer Jahreseinnahmen darstellten, wollte niemand bei KPMG an der Transaktion etwas Anstößiges sehen. Wobei: Ein Buchprüfungsauszubildender meldete durchaus Bedenken an, diese wurden aber beiseite gewischt. Stattdessen ließen sich der verantwortliche Buchprüfer Jacques Wessels und der damalige CEO von KPMG South Africa, Moses Kgosana, auf die Glamour-Hochzeit einladen.
2017 nahm dann ein KPMG-Buchprüfer eine zentrale Rolle im Skandal um die Bank VBS ein. Verantwortliche des Geldhauses und deren Komplizen brachten die Anleger:innen um insgesamt zwei Milliarden Rand (111 Millionen Euro), was auch deshalb zunächst nicht auffiel, weil der KPMG-Buchprüfer Sipho Malaba gefälschte Finanzberichte als korrekt unterzeichnete. Einem Untersuchungsbericht der Südafrikanischen Notenbank zufolge wusste Malaba dabei, was er tat. Laut Open Secrets soll er für seinen Beitrag zur Verschleierung des Verbrechens bezahlt worden sein. Auch bei VBS versuchte demnach zwar ein niederrangiger KPMG-Mitarbeiter zu intervenieren, auch er wurde aber letztlich zum Schweigen gebracht.
In „bester" Gesellschaft
KPMG ist mit diesen Fällen in bester schlechter Gesellschaft. Während Dudu Myeni und ihre Gefolgsleute South African Airways in Grund und Boden wirtschafteten, kontrollierten Buchprüfer:innen von PricewaterhouseCoopers (PwC) die Finanzen. Es überrascht wenig, dass auch dieser Vertrag 2013 infolge eines irregulären Auftragsvergabeprozesses zustande kam. Noch gravierender waren allerdings die schweren Fehler, die die Kontrollierenden machten. Trotz massiv überhöhter Preise und teils gar nicht gelieferter Leistungen zeigten die externen Prüfenden keine Vergehen in ihren Berichten auf. Als dem verantwortlichen PwC-Prüfer Pule Mothibe vor der State-Capture-Kommission deshalb eine Dienstpflichtverletzung vorgeworfen wurde, bestand dieser jedoch darauf, sein Handeln habe lediglich ein „Versäumnis" dargestellt. Mothibe erklärte, Unregelmäßigkeiten zwar identifiziert und dem internen Buchprüfungskomitee bei SAA auch gemeldet zu haben. Er hatte diese Verstöße aber nicht in den Prüfungsberichten festgehalten. Open Secrets zitiert dazu aus einem Ermittlungsbericht der Unabhängigen Regulierungsstelle für Buchprüfer:innen (Independent Regulatory Board for Auditors, IRBA), dass die Kontrolleur:innen von PwC und dessen südafrikanischer Partnerfirma bei SAA, Nkonki, „es versäumten, wesentliche Nichteinhaltung von Gesetzen offenzulegen", und „entsprechende Buchprüfungsbeweise zu (...) irregulären Ausgaben sowie vergeblichen und verschwenderischen Ausgaben zu erlangen". Zudem hätten sie es versäumt, gravierende interne Kontrollmängel bei SAA anzuzeigen.
PwCs Mitbewerber Deloitte hielt sich derweil ab 2016 bei Eskom schadlos. 207 Millionen Rand (11,5 Millionen Euro) verdiente der Konzern dort an einem Vertrag, für den er bereits ein Angebot abgegeben hatte, bevor es überhaupt eine Ausschreibung gab, der monatelang nicht offiziell abgeschlossen wurde und bei dem Deloittes Angebot bis zu fünfmal so teuer war wie die Offerten von Mitbewerbern. 2019 bezeichnete der damalige Interimschef von Eskom, Jabu Mabuza, den Deloitte-Deal öffentlich als „pure Korruption", ein Vorwurf, den der Konzern selbstredend vehement bestritt. In einem außergerichtlichen Vergleich erklärte Deloitte sich schließlich bereit, 150 Millionen Rand zurückzuzahlen.
Retourüberweisungen musste auch der Unternehmensberatungskonzern McKinsey tätigen, der in Kooperation mit der Gupta-Firma Trillian einen Milliarden-Vertrag bei Eskom ergattert hatte, ebenfalls ohne reguläres Bieterverfahren. Während McKinsey zwar 900 Millionen Rand der zunächst erhaltenen einen Milliarde Rand (55,6 Millionen Euro) zurückzahlte und später auch noch fast 100 Millionen Rand an Zinsen überwies, sind die mehr als 500 Millionen Rand, die Eskom im Rahmen des Geschäfts an McKinseys Partnerfirma Trillian zahlte, vermutlich für immer verloren. Der Schaden, den die Machenschaften beim Stromversorger hinterlassen haben, ist ohnehin für ganz Südafrika sichtbar, wenn infolge von Notabschaltungen des Netzes inzwischen täglich die Lichter ausgehen.