Heft 2/2023, afrika süd-dossier: Wie Südafrika gekapert wurde

Zu hoch, zu korrupt, zu straflos

Wie die spanische Tochter eines deutschen Konzerns Lokomotiven nach Südafrika lieferte, die nie auf die Schiene durften – und die Staatsbahn Prasa so ins Chaos stürzte.

Welche Stilblüten die Unterwanderung von Auftragsvergabeprozessen durch korrupte Netzwerke treiben kann, zeigt das Beispiel der südafrikanischen Eisenbahngesellschaft Passenger Rail Agency of South Africa (Prasa). Der für den Personenverkehr auf der Schiene zuständige Staatsbetrieb hatte gegen Ende der Nullerjahre Modernisierungsbedarf bei den Lokomotiven auf seinen Langstrecken erkannt. Also veröffentlichte Prasa im Juli 2009 ein Ersuchen um Interessenbekundung (Request for Expression of Interest, REOI), um herauszufinden, welche Firmen in der Lage wären, die gesuchten Lokomotiven zu liefern. Danach passierte eine Weile nicht viel, ehe im Mai 2011 eine Delegation des Unternehmens Vossloh España, der spanischen Tochter des deutschen Eisenbahnbauers Vossloh AG, die Lokomotivenflotte von Prasa inspizierte und anschließend Empfehlungen zum Bedarf des Staatsunternehmens aussprach. Die vorgebliche Lösung für Prasas Nöte hatte Vossloh passenderweise auch gleich parat, leider nur buchstäblich eine Nummer zu groß.

Doch der Reihe nach: Die State-Capture-Kommission weist in ihrem Bericht im Kapitel zur Auftragsvergabe für die Lokomotiven darauf hin, dass nach der Vossloh-Inspektion bei Prasa sich zunächst eine „Entwicklung" zutrug, „die keine Verbindung zu Lokomotiven zu haben scheint", nämlich der Kauf von Klimaanlagen der ebenfalls zum Vossloh-Konzern gehörenden Vossloh Kiepe. Zustande kam das Geschäft im Juni 2011 auf Empfehlung des damaligen Leiters für Technische Dienste bei Prasa, Daniel Mthimkulu. Zwar zog der Deal zunächst einige Kritik auf sich, weil die Klimaanlagen importiert und mit 3,6 Millionen Euro (damals 24,6 Millionen Rand) obendrein doppelt so teuer wie vergleichbare Modelle lokaler Hersteller waren. Doch für Mthimkulu und Vossloh war das Geschäft erst der Anfang.


Open Secrets

Ursprünglich hervorgegangen aus einem Fellowship der Open Society Foundation arbeitet Open Secrets seit 2012 zu Wirtschaftskriminalität in Südafrika, zunächst mit Fokus auf die Apartheid-Ära, inzwischen verstärkt zu gegenwärtigen Themen. Seit 2017 ist Open Secrets eine eigenständige Non-Profit-Organisation, die mit investigativen Recherchen, juristischer Aufarbeitung und Lobby-Arbeit Verbrechen von Konzernen aufdeckt und die Täter:innen zur Verantwortung zieht. In seiner Analyse-Reihe „The Unaccountables" (Die, die keine Rechenschaft ablegen) hat Open Secrets sich mit der Rolle internationaler Konzerne im Rahmen des State-Capture-Skandals auseinandergesetzt.

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Vosslohs „Mittelsmann" gründet eine Scheinfirma

Im Juli 2011, zwei Monate nach der Vossloh-Inspektion, schrieb Prasa-Chefingenieur Mthimkulu an seinen CEO Lucky Montana, um nochmals auf den veralteten Zustand der eigenen Lokomotiven hinzuweisen und den Kauf von 100 neuen zu empfehlen. Im November desselben Jahres wurde der Auftrag zur Beschaffung der Lokomotiven, reduziert auf 70 Exemplare, dann ausgeschrieben. „Vossloh España konnte sich um einen derart großen Auftrag nach südafrikanischem Vergaberecht nicht allein bewerben", erklärt die Anti-Korruptions-NGO Open Secrets, die den Fall ausführlich aufgerollt hat, dazu auf ihrer Website. Die Lösung dieses Dilemmas bot demnach ein Geschäftsmann namens Auswell Mashaba, den Open Secrets als „Vosslohs Mittelsmann" beschreibt. Mashaba kaufte am 7. Februar 2012 eine Vorratsgesellschaft – also letztlich eine bloße Unternehmenshülle – namens Mafori Finance Vryheid, die er später in Swifambo Rail Leasing umbenannte. Keine drei Wochen später, am 27. Februar, gab die Firma ihr Angebot für den 3,5 Milliarden Rand (194 Millionen Euro) schweren Lokomotivenauftrag ab. Unter Berufung auf die Aussage eines forensischen Ermittlers vor der State-Capture-Kommission schreibt Open Secrets zudem, dass Swifambo von Vossloh Geld erhalten hatte, um die Firma „aufzubauen" – bereits zu einem Zeitpunkt, als Swifambo weder mit Prasa noch mit Vossloh ein offizielles Vertragsverhältnis hatte. Noch als Swifambo 2013 den Zuschlag bekam, hatte die Firma laut Open Secrets nicht einen einzigen Angestellten, keine weiteren Kunden und auch keinen weiteren Zulieferer.

Entscheidend dafür, dass Swifambo dennoch den Auftrag zur Beschaffung der Lokomotiven bekam, war einmal mehr Chefingenieur Mthimkulu, über den allerdings 2015 herauskam, dass seine Jobbezeichnung irreführend war. Dann nämlich fiel dem neuen Prasa-Vorstand auf, dass Mthimkulu nicht nur seinen Doktortitel gefälscht und sich mit einer Lüge eine Gehaltserhöhung erschlichen hatte, sondern dass er auch gar kein qualifizierter Ingenieur war. Dieser Umstand hatte ihn drei Jahre zuvor jedoch nicht davon abgehalten, die technischen Anforderungen für den Auftrag allein und ohne das dafür vorgesehene Expertengremium zusammenzustellen, was einen klaren Verstoß gegen Prasas Regeln darstellte. Mthimkulu nutzte diese vorschriftswidrige Gestaltungsfreiheit, um die Ausschreibung exakt so zu gestalten, dass Swifambo (und damit de facto Vossloh) als passendster Bieter für den Auftrag erschien. Dennoch wurden bei der Auftragsvergabe eine ganze Reihe von Ausschlusskriterien missachtet: Swifambo legte keine steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung für seinen Partner Vossloh España vor. Das Angebot erfüllte auch nicht die Anforderungen in Bezug auf den Anteil an in Südafrika produzierten Komponenten, da die Lokomotiven vollständig in Spanien entwickelt und hergestellt wurden. Und schließlich konnte Swifambo auch keinerlei Erfahrung in der Branche nachweisen.

Das Lokomotiven-Fiasko

Vielleicht wäre all das aber gar nicht aufgefallen, wenn bei dem korrupten Deal nicht ein kleines, aber entscheidendes Detail übersehen worden wäre: Die Lokomotiven, die Prasa letztlich von Vossloh kaufte, waren schlicht zu hoch für Südafrikas Schienennetz. Der Lapsus wurde schließlich 2015 bei einer Überprüfung durch die südafrikanische Kontrollstelle für Schienensicherheit entdeckt, die die Lokomotiven aufgrund der Überschreitung der maximal zulässigen Höhe als nicht einsatzfähig einstuften.

Bei Vossloh hätte man das eigentlich voraussehen können. Experten des Unternehmens hatten schließlich nicht nur 2011 die Infrastruktur bei Prasa inspiziert, sondern Vossloh España hatte auch auf eine Ausschreibung geantwortet, die die korrekten Maximalhöhen für die Lokomotiven enthielt. Zudem hatten mehrere mit dem Vertrag vertraute Prasa-Mitarbeitende sowie der staatliche Güterverkehrsbetrieb Transnet Freight Rail laut Open Secrets mehrmals darauf hingewiesen, dass die Lokomotiven die Maximalhöhe überschreiten würden. Open Secrets schlussfolgert daraus: „Vossloh hätte wissen müssen, dass es Lokomotiven baute und auslieferte, die auf Teilen des südafrikanischen Schienennetzes nicht fahren konnten."

Der Konzern hielt dennoch an dem Vertrag fest. Kurz nachdem das Fiasko bekannt geworden war, musste der Prasa-CEO Montana seinen Hut nehmen. Ende 2015 zog der – zwischenzeitlich teils neu besetzte – Prasa-Vorstand dann vor das Oberste Gericht in Johannesburg, um den Kontrakt für nichtig erklären zu lassen. Der Antrag war erfolgreich, der Schaden allerdings bereits beträchtlich. Obwohl Prasa zu diesem Zeitpunkt erst 20 Lokomotiven erhalten hatte, waren bereits 2,65 Milliarden Rand (147 Millionen Euro) an Swifambo überwiesen worden. Vossloh hatte davon 1,87 Milliarden Rand (104 Millionen Euro) bekommen.

Bemerkenswert ist auch, wie das Gericht das Geschäftsverhältnis zwischen Swifambo und Vossloh bewertete. „Swifambo", so zitiert Open Secrets aus dem Urteil, „war in dem Abkommen mit Vossloh lediglich ein Alibi-Teilnehmer, der eine finanzielle Kompensation für die Nutzung seiner B-BBEE-Einstufung erhalten hat." Vossloh habe jedoch „die vollständige Kontrolle über jeden Aspekt des Vertrags" gehabt. Der europäische Konzern, beziehungsweise dessen spanische Tochter, konnten so die Regularien des Broad-Based Black Economic Empowerment Acts (B-BBEE Act) umgehen, die auf eine Förderung schwarzer Menschen in der südafrikanischen Wirtschaft zielen. Die B-BBEE-Einstufung erfolgt danach, welchen Anteil schwarze Menschen an einem Unternehmen haben. In Südafrika, das strich auch das Gericht heraus, ist eine Umgehung der B-BBEE-Regeln, wie Vossloh sie mit Swifambo praktizierte, „eine Straftat". Ein Verfahren gegen Swifambo und Vossloh folgte daraus bisher dennoch nicht, weil es keine Anklage gibt. Zuständig dafür wäre die Generalstaatsanwaltschaft (National Prosecuting Authority, NPA), die im Zuge der State Capture aber selbst stark geschwächt worden war.

Vossloh kommt glimpflich davon

Auch vor der State-Capture-Kommission kam Vossloh, das seine spanische Tochter Ende 2015 an den Schweizer Schienenfahrzeughersteller Stadler Rail verkauft hat, glimpflich davon. Das Unternehmen wurde zwar an einigen Stellen genannt, die Kommission lud aber nicht einmal einen Repräsentanten vor. Stattdessen verwendete sie viel Zeit und Energie auf den Versuch, das kriminelle Netzwerk hinter der Auftragsvergabe auf südafrikanischer Seite offenzulegen. Bereits aus dem forensischen Bericht zu den Finanzflüssen aus dem Lokomotiven-Auftrag, den der Prasa-Vorstand 2015 in Auftrag gegeben hatte, um die Annullierung des Vertrags vor Gericht zu erreichen, ging hervor, dass Swifambo einen Teil des Geldes (56,6 Millionen Rand) an einen Geschäftsmann namens Makhensa Mabunda weitergeleitet hatte. Open Secrets weist darauf hin, dass das Gericht Swifambo-Eigner Mashaba seinerzeit beschuldigte, von Mabunda aufgefordert worden zu sein, sich in den Lokomotiven-Auftrag einzuschalten. Mabunda soll Mashaba demnach gesagt haben, er sei mit dem damaligen Prasa-CEO Montana befreundet und könne den Auftrag in die Wege leiten.

2017 fand die Compliance- und Strafverfolgungsabteilung der Finanzüberwachungsabteilung der Südafrikanischen Notenbank dann heraus, dass auch Vossloh in zehn Überweisungsvorgängen insgesamt 88,9 Millionen Rand (4,9 Millionen Euro) an Mabunda gezahlt hatte. Davon stammten 13,6 Millionen Euro (756 000 Euro) von Vossloh Kiepe, weshalb Open Secrets auch aufgrund der zeitlichen Nähe im Jahr 2011 von einem Zusammenhang zum Klimaanlagen-Auftrag ausgeht. Die restlichen 75,3 Millionen Rand kamen zwischen Februar 2014 und September 2015 von Vossloh España. Als das südafrikanische Nachrichtenportal News24 darüber 2018 berichtete, bestätigte Vossloh die Zahlungen und versuchte sie als Honorar für einen „unabhängigen Verkaufsrepräsentanten" darzustellen. Open Secrets sieht darin eine „dubiose" Verteidigung, da Vossloh schließlich schon drei Jahre zuvor den Aufbau seines „Kunden" Swifambo finanziert hatte.

ANC-Führung ignoriert Korruptionswarnungen

Die State-Capture-Kommission bestätigte die Verbindung von Mabunda zu Prasa-Chef Montana. Im Kommissionsbericht wird zudem eine Aussage des ANC-Veteranen und Anti-Apartheid-Aktivisten Popo Molefe erwähnt, der 2015 als Vorsitzender des neuen Prasa-Vorstands versuchte, die korrupten Netzwerke aufzudecken. Molefe sagte aus, dass er im Juli oder August 2015 darüber informiert worden sei, dass Mashaba geäußert habe, 2012 angewiesen worden zu sein, 79 Millionen Rand aus dem Lokomotiven-Deal an Personen weiterzureichen, die das Geld demnach an den ANC weitergeben sollten. Molefe trat mit diesen Vorwürfen an die Parteiführung heran, erhielt zu seiner Enttäuschung aber keine Unterstützung.

Die State-Capture-Kommission weist in ihrem Bericht zudem auf den großen Einfluss eines Mannes bei Prasa hin, dessen Beziehung zu Staatspräsident Zuma schon Gegenstand einer Frage im „State of Capture"-Report war, der Untersuchung also, die überhaupt erst zur Einsetzung der Untersuchungskommission geführt hatte. Der Name des Geschäftsmannes: Roy Moodley. Zuma hatte sich damals geweigert, auf die Fragen zu antworten. In eidesstattlichen Versicherungen gegenüber der Kommission lieferten Zeugen dann Beweise dafür, „dass mit Herrn Moodley verbundene Unternehmen bei Prasa bevorzugt behandelt wurden und dass Herr Montana in mehreren Fällen zu seinen Gunsten interveniert hat". Die Kommission schreibt zudem, dass es „öffentlich bekannt ist, dass es eine ziemlich enge Beziehung zwischen Präsident Zuma und Herrn Roy Moodley gab, dessen Royal Security Herrn Zuma für 15 Monate vor Beginn seiner Präsidentschaft und einen Monat danach ein Gehalt zahlte".

Prasa liegt in Trümmern

Wie genau die Geschehnisse bei Prasa durch diese Akteure beeinflusst wurden, konnte aber auch die Kommission nicht lückenlos aufklären. Viele Anhörungstage seien den Vorwürfen der Unterwanderung des staatlichen Bahnunternehmens gewidmet worden, schreibt der Kommissionsvorsitzende Raymond Zondo im Bericht und kommt dann zu dem bemerkenswert offenen Eingeständnis: „In mir bleibt das unbehagliche Gefühl, dass es viele Übel bei Prasa gibt, die noch nicht aufgedeckt wurden." Zondo fordert deshalb die Einsetzung einer Sonderuntersuchungskommission, die sich den Fragen widmen solle, „warum zugelassen wurde, dass Prasa in einen beinahe totalen Bankrott abrutschen konnte, wer dafür verantwortlich gemacht werden und wer davon profitiert haben kann". Die Kommission schlägt eine lange Reihe von Prasa-Offiziellen zur Strafverfolgung vor. In Bezug auf diejenigen, namentlich Mashaba und Mabunda, gegen die bereits Ermittlungen laufen, verlangt sie eine Beschleunigung der Verfahren. Keine Erwähnung in den Empfehlungen findet Vossloh.

Dafür bilanziert Open Secrets die Folgen des Lokomotiven-Deals ohne Umschweife. Die dadurch ausgebliebene Modernisierung der Langstreckenzüge habe Südafrikas Bahnverkehr ins Chaos gestürzt, einen 90-prozentigen Rückgang der Passagierzahlen in den vergangenen Jahren verursacht und reihenweise Horrorgeschichten produziert. So bleiben mitunter Züge tagelang in der Halbwüste Karoo zwischen den Metropolen Johannesburg und Kapstadt hängen, teils in Hitzewellen, ohne genügend Trinkwasser an Bord. Die Passagiere sind in der Regel diejenigen, die sich teurere Flüge oder Autofahrten nicht leisten können. Open Secrets kritisiert vor allem, dass es weder von Seiten Prasas noch von Seiten der Liquidatoren Swifambos ernsthafte Bestrebungen gebe, Geld aus dem Lokomotiven-Geschäft zurückzuverlangen. Die Organisation schließt ihren Bericht mit dem Fazit: „Vossloh profitiert weiter unbeirrt von den Früchten der Korruption, während Prasa in Trümmern liegt."