Heft 3/2014, Südafrika: Jugend

Südafrikas Jugend – Akteure des Wandels

NIEMAND WIRD ALS GUTER STAATSBÜRGER GEBOREN. Keine Nation ist eine geborene Demokratie. In diese Prozesse müssen Jugendliche von Geburt an einbezogen werden – Kofi Annan.

 

Südafrikas Jugend gilt als Nutznießer der Post-Apartheidzeit, etliche Jugendliche wurden erst nach der Abschaffung der Apartheid geboren. Sie können heute Vorteile genießen, für die frühere Generationen kämpften. Das ehrt deren Kampf. Die Herausforderungen, mit denen junge Südafrikaner heute konfrontiert sind, unterscheiden sich sehr von denen während der Apartheid. Ihre Ziele sind aber nicht unwichtig, schließlich werden aus ihren Reihen zukünftige Führungskräfte hervorgehen. Heute umwerben die politischen Parteien die Jugendlichen, da ihre Stimmen ausschlaggebend bei Wahlen sein können. Vor den Parlamentswahlen 2014 wurde versucht, die politischen Einstellungen von Jugendlichen zu ergründen und Prognosen zu ihrem Wahlverhalten zu erstellen.

 

Probleme

Die nationalen Leitlinien zur Jugendpolitik für die Jahre 2009 bis 2014 definieren alle Südafrikanerinnen und Südafrikaner zwischen 15 und 35 Jahren als Jugendliche, 2011 waren das 28,9 Prozent der Bevölkerung. Somit zählen auch alle „born free“ (frei Geborene) – also alle Menschen, die nach den ersten demokratischen Wahlen 1994 geboren wurden – zu dieser Gruppe.

 

Jugendliche sind mit enormen Herausforderungen konfrontiert, die ihre Selbstbilder und ihre Weltsicht beeinflussen. 2011 waren 72 Prozent dieser Altersgruppe arbeitslos, laut Arbeitslosenstatistik waren das 1.042.000 junge Menschen zwischen 15 und 24 Jahren auf. Da muss man sich nicht wundern, dass etliche Jugendliche mutlos sind, was ihre eigene Situation und die Zukunft des Landes betrifft. Einige politische Beobachter warnen, Jugendliche seien anfällig für Drogenabhängigkeit, Selbstmord und Krankheiten. Teenagerschwangerschaften, Rassismus und Diskriminierung würden die Schwierigkeiten verschärfen.

 

Die Politiker ignorieren diese Probleme vollständig. Die Tatsache, dass einige Jugendliche drogenabhängig und kriminell werden, erweckt den Eindruck, als ob die Jugend generell apolitisch wäre. Das mag für einige zutreffen, aber viele stellen die Bedingungen, unter denen sie leben, in Frage. Jugendliche beteiligen sich an den Protesten, die überall im Land stattfinden. Das zeigt, wie frustriert sie über die schlechten staatlichen Dienstleistungen und Infrastrukturprobleme auf lokaler Ebene sind. Sie sind bereit, dagegen aufzustehen und Veränderungen einzufordern.

 

Wahlverhalten

Von einer Wahl zur nächsten stieg der Anteil der Jungwähler/-innen. Bei den Parlamentswahlen 2009 registrierte die unabhängige Wahlkommission (IEC) 47 Prozent junge Stimmberechtigte, davon waren 23,69 Prozent unter dreißig Jahre. Allerdings war die Wahlbeteiligung der Jungwähler/-innen im Vergleich mit anderen Altersgruppen die geringste. Auch der nationale Forschungsrat bestätigte die geringe Bereitschaft junger Südafrikaner/-innen zum Wählen. Wie schwierig es allerdings ist, grundsätzliche Aussagen über politische Einstellungen von Jugendlichen zu treffen, zeigt die Tatsache, dass sich 2009 72 Prozent der 18 bis 29-Jährigen für die Stimmabgabe registrieren ließen. Ende September 2013 hatten sich 162.234 Jungwähler/-innen von 1.500.000 Wahlberechtigten dieser Altersgruppe registrieren lassen. Selbst wenn man meint, aus dem Wahlverhalten der Jungwähler/-innen 2009 Aussagen über deren Stimmabgabe 2014 treffen zu können, so ist die Gruppe der Erstwähler darin nicht berücksichtigt. Diese Gruppe der so genannten „born frees“ kann man durch verschiedene Perspektiven anschauen. Sie waren nicht mehr von der direkten Gewalt und Unterdrückung in der Apartheid betroffen.

 

Umfragen ergaben, dass 35 Prozent der 18- bis 30-Jährigen eher von den Parlamentswahlen 2014 fernbleiben wollten, als den existierenden Parteien ihre Stimme zu geben. Falls sie wirklich keine Stimme abgeben haben, sagt das viel über den Wert dieser Wahlen; schließlich bilden sie über ein Drittel der Wahlberechtigten. Die „born frees“ werden wohl nicht mehr den Parteiloyalitäten der älteren Generation folgen, deshalb rückt ihr Wahlverhalten auch in den Fokus der Medien.

 


 

Wahlverhalten Jugendlicher
Laut der unabhängigen Wahlkommission IEC waren 49,57 Prozent der für die Parlamentswahlen am 7. Mai 2014 registrierten Wählerinnen und Wähler unter 40 Jahren. 6,18 Mio. Stimmberechtigte zwischen 30 und 39 Jahren hatten sich registrieren lassen. Aus der Gruppe der 20- und 29-Jährigen hielten 5,7 Mio. Staatsbürgerinnen und Staatsbürger die Registrierungsfrist ein. 683.201 der 18- und 19-Jährigen trugen sich in die Wählerlisten ein, das waren 2,5 Prozent aller Wahlberechtigten.


Mit Blick auf das Geschlechterverhältnis ergibt sich folgendes Bild: 52,9 Prozent der jungen Frauen unter 30 Jahren wollten ihre demokratischen Rechte wahrnehmen, demgegenüber meldeten sich 47,1 Prozent der gleichaltrigen jungen Männer als Wahlberechtigte an.


Im Vorfeld der Wahlen hatte die IEC Jung- und Erstwähler über das Wahlverfahren und die Stimmabgabe aufgeklärt. Dabei nutzte die Wahlkommission gezielt unterschiedliche soziale Medien. Bereits im Oktober 2013 fand eine Unterrichtswoche zur Demokratie in den Schulen statt. Ansprechendes didaktische Unterrichtmaterialien standen Lehrkräften und Schülern elektronisch zur Verfügung. Zudem hatte die IEC ein nationales Koordinationsforum zivilgesellschaftlicher Organisationen eingerichtet, es sollte ebenfalls wahlberechtigte Staatsbürgerinnen und Staatsbürger informieren. Am Wahltag rühmte die IEC die Euphorie der Jung- und Erstwähler.


Bei den Wahlen 2009 waren 15 Prozent der Parlamentarier unter 30 Jahren. Allerdings erhielten sie ihre Sitze über die Parteilisten, deshalb waren sie vorrangig auf ihre jeweilige Parteispitze ausgerichtet. Somit war das Alter keine Garantie, dass sie die Interessen junger Südafrikaner vertraten. Ob die nun gewählten jungen Parlamentarier/-innen sich gezielt für gleichaltrige Staatsbürger/-innen einsetzen, wird sich zeigen.

 


 

Die Herausforderungen, die junge Südafrikaner/-innen bewältigen müssen, beeinflussen nicht nur ihr Wahlverhalten, sondern auch ihre Rolle in Gesellschaft und Wirtschaft. Als der frühere Chef der Reserve Bank, Tito Mboweni, sich zur Umsetzung des nationalen Entwicklungsplans (NEP) äußerte, bezeichnete er Südafrikas Jugendliche als tickende Zeitbombe, schließlich beschreibt auch der NEP die Jugend als größtes Risiko für soziale Instabilität. Auch eine Umfrage zur Versöhnungsbereitschaft junger Südafrikaner/-innen trug den plakativen Titel „Tickende Zeitbombe oder demokratische Dividende“. Demnach würden zahlreiche Jugendliche eine andere Partei wählen als ihre Familie oder Freunde. Einerseits zeichnet sich also ein Einstellungswandel ab, andererseits darf nicht übersehen werden, dass die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe Identität stiftet und die Unterstützung für Parteien auch dort weitervermittelt wird. Gleichzeitig sind Jugendliche in sozialen Netzwerken aktiv und erhalten über Twitter, Facebook und das Internet zahllose Informationen; manchmal werden sie mit Meldungen regelrecht überflutet. Auch diese Nachrichten, die sie mit Gleichaltrigen teilen, beeinflussen ihr Wahlverhalten.

 

Zerrbilder und Perspektiven

Entgegen der Schlagzeilen in manchen Medien über die verlorene Generation heutiger Jugendlicher ergab eine Studie des nationalen Forschungsrats: Jugendliche sind sehr wohl politisch interessiert. Dabei handeln sie eher zukunftsorientiert und weniger unter Bezugnahme auf die Vergangenheit. Viele setzen sich aktiv in ihrem direkten sozialen Umfeld ein, deshalb muss sich das verbreitete Bild ändern. Wir sollten aufpassen, dass negative Berichte nicht zu selbst erfüllenden Prophezeiungen werden. Allerdings stehen etliche Jugendliche einem System, das sie ausschließt, skeptisch gegenüber. Das Institut für Gerechtigkeit und Versöhnung (IJR) dokumentiert, wie das Vertrauen der Jugendlichen gegenüber Politikern sinkt. Die Jugendlichen kennen deren mangelnde Führungsqualitäten und die Korruptionsfälle, der Vertrauensverlust wird sich auf ihr Wahlverhalten auswirken. Sie engagieren sich weniger in etablierten Parteien als vielmehr in zivilgesellschaftlichen Gruppen.

 

Die jungen Stimmberechtigten sind sich ihrer staatsbürgerlichen Pflichten bewusst. Sie sind aber nicht nur potenzielle Wähler, sondern kämpfende Träumer, die auf ein besseres Südafrika hoffen. So betonten Jugendliche im Rahmen eines großen Treffens des Institut für Gerechtigkeit und Versöhnung: „Wir sind weder apathisch noch apolitisch. Aktivismus bedeutet, das eigene Bewusstsein zu schärfen.“ Andere unterstrichen: „Wir wollen keine Anteilnahme, wir brauchen Solidarität.“ Deshalb sollte sich die Gesellschaft an ihre Seite stellen und nicht auf sie herabschauen. Viele Jugendliche lehnen den Konformitätszwang ab. Junge Südafrikanerinnen und Südafrikaner sollten nicht dazu gedrängt werden, die Parteien ihrer Eltern zu wählen. Vielmehr sollte man ihre Bereitschaft, aktiv am gesellschaftlichen Wandel mitzuwirken, anerkennen und ermutigen.

 

Angelique Thomas

 

Die Autorin ist Forschungsassistentin. Ihr Text ist eine leicht gekürzte Fassung des Briefing Paper 335, Southern African Catholic Bishops’ Conference, Parliamentary Liaison Office 2013.