Heft 3/2016, Südafrika: Recht auf Bildung

Rugby-Gewalt in Schulen

SPORT HAT SICH BEWÄHRT, um Südafrikaner in den Jahren nach der Apartheid zusammenzubringen. Das zeigte sich bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2010. Während solcher Großereignisse vergeben und vergessen wir einige Probleme, die das Land belasten. Doch um welchen Preis?

 

Wir sind tatsächlich sehr sportbegeistert, junge Menschen genauso wie Erwachsene. Sport ermöglicht Kindern, körperliche Fitness zu entwickeln und mit Gleichaltrigen etwas gemeinsam zu unternehmen. Das hilft ihnen im späteren Leben – auch wenn sie schwierige Situationen meistern müssen. Deshalb ist es schwer, sich für ein Ende der bevorzugten Freizeitbeschäftigungen nach Schulschluss einzusetzen. Hiermit meine ich Rugby an Schulen.

 

Rugby und Rassismus
Welche Gegenwehr zu erwarten ist, zeigte sich in folgendem Zusammenhang: Während ich diesen Text schreibe, hat Sportminister Fikile Mbalula neben den Nationalteams für Kricket, Leichtathletik und Netzball die südafrikanische Rugby-Föderation von der Bewerbung an internationalen Meisterschaften ausgeschlossen, da alle vier nicht den politischen Maßregeln zur Transformation entsprechen. Konkret bedeutet das: Sie sollten mehr schwarze Spieler in die Nationalteams integrieren. An der Rugby-Weltmeisterschaft 2015 nahmen vorrangig weiße Spieler teil. Dem damaligen nationalen Rugby-Trainer Heyneke Meyer wurde nachgesagt, weiße Spieler zu bevorzugen, was dieser bestritt.


Über vierzig Jahre war die schwarze Bevölkerungsmehrheit von diesem Nationalsport komplett ausgeschlossen – eine Form der rassistischen Exklusion. Seit 1994 hat sich laut Minister Mbalula zu wenig geändert. Seine Ankündigung kam kurz vor der Bewerbung des nationalen Rugby-Teams für die Weltmeisterschaft 2023. Als Antwort darauf gab es einen Aufschrei, der sich in rassistischen Vorwürfen in den sozialen Medien äußerte. Diese wurden sanktioniert, aber die Frage bleibt, wie oder warum Sport derartig heftige rassistische Ausbrüche hervorbringen kann.


Während der Apartheid diente Rugby dazu, Afrikaans-sprachige Jugendliche zu militarisieren, bevor sie in die Armee rekrutiert wurden. Vorrangig weiße junge Männer spielten Rugby. Dieser an Schulen und in Schulteams institutionalisierte Sport war wichtiger Bestandteil der Afrikaaner-Erziehung. Zwar kam Rugby aus England nach Südafrika, aber den Afrikaaner-Kulturnationalisten gelang es in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, dieses Spiel mit ihrer Politik zu verbinden. Die Springbok-Nationalmannschaft galt als Repräsentation der Afrikaaner. Zwar gibt es inzwischen auch etliche junge schwarze Spieler, doch behält Rugby den Ruf, ein Sport der Unterdrücker zu sein. Dieses Vermächtnis ist bis heute stark, zumal Rugby sich selbst gern als Bindeglied der Afrikaaner-Kultur darstellt. Ich habe keinen Zweifel, dass Rugby-Unterstützer diese Bedeutung verteidigen werden – zur Not mit Gewalt.

 

Rugby an Schulen
Rugby ist von Grund auf aggressiv und gewalttätig. Wenn Schüler Rugby spielen, steigt ihr Adrenalinpegel – und zwar so, dass sie nach einem Spiel nicht einmal mehr ihre Namen schreiben können. Ihr logisches Denken ist komplett ausgeschaltet. Rugby-Wettkämpfe sind wie Krieg, es herrscht eine Mob-Mentalität, bei der die Mitspieler zu Waffenbrüdern werden. Das gegnerische Team wird zum Feind, den es zu vernichten gilt. Die Mentalität „Macht ist Recht" ist tief verankert, sie steuert die Entscheidungen – gegen alle anderen, besseren Überlegungen. Das stellt alle Grundlagen zwischenmenschlichen Verhaltens auf den Kopf.


Die Gewalt manifestiert sich in verschiedenen Formen. Beobachtest Du die Spieler genauer, siehst Du, dass es ihnen nichts ausmacht, die Mitglieder der anderen Mannschaft vorsätzlich zu verletzen, um damit eine Teamaufstellung zum eigenen Vorteil zu erreichen. Die Mannschaftsbindungen durch die Wettkämpfe schaffen lebenslange Kameradschaft und Vertrauen, doch zu welchem Preis? Selbst nach einer Gehirnerschütterung fordern verwundete Spieler, sie wollten wieder aufs Feld, um weiter zu kämpfen. In einem Falle, den ich beobachtete, geschah das sogar, als ein Junge das Augenlicht verloren hatte und gar nicht wusste, wer er war. Die Schiedsrichter können die häufigen Kämpfe auf dem Platz nicht stoppen, auch aus Furcht, dabei selbst angegriffen zu werden.

 

Trainer fordern Gewalt
Bei jedem Spiel sind Aufrufe zum Angriff zu hören. Vor allem wenn ein Kampf ausbricht, sind Aufrufe zur Unterwerfung der Gegner zu hören. Diese Rufe dienen offensichtlich dazu, jungen Menschen Gewalt anzutrainieren und diese als eine normale Art der sozialen Interaktion zu betrachten. Oft zeigen die Trainer von der Seite auf einzelne Spieler und rufen: „Take him out". Es ist eine typische Strategie auf Seiten des einen Teams, ein Mitglied des gegnerischen Teams so zu verletzen, dass dieser nicht mehr spielen kann. Mein eigener Trainer hat exakt diese Worte gerufen: „Holt Euch schnell den kräftigen Jungen raus, dann braucht Ihr Euch für den Rest des Spiels keine Sorgen mehr über ihn zu machen." Solche Mantras hört man häufig vor einem Spielbeginn. Darüber hinaus applaudieren Trainer solchen Spielern, die den meisten Schaden anrichten; das steigert deren Status im Team und an ihrer Schule, sowie das Prestige der Schule.


Bedauerlicherweise nehmen die Trainer einer Mannschaft keinen Anteil an den Verletzten in ihrem eigenen Team; sie erscheinen nicht an den Krankenhausbetten derjenigen Spieler, die gewaltsam vom Spielfeld gedrängt wurden. Ein weiteres Problem ist der weit verbreitete Hormonmissbrauch unter den Spielern. Oft werden Steroide (Anabolika) auch von den Trainern zur Verfügung gestellt. Denn Rugby hängt von der Stärke und Körpergröße der Spieler ab. Doch diese Hormone haben massive Nebenwirkungen; unter anderem verursachen sie ein Phänomen, das als „Roid Rage" bezeichnet wird – also exzessiv gesteigerte Aggressivität, die wiederum die blinde Gewaltbereitschaft verstärkt.

 

Die Rolle der Eltern
Fehler machen auch die Eltern. Sie ignorieren oft die Verletzungen ihrer eigenen Kinder oder Verletzungen, die ihre Kinder anderen zufügen. Oft sind die Eltern so stark in ein Spiel involviert, dass sie die Schiedsrichter beleidigen, falls diese ihrer Meinung nach die falschen Entscheidungen treffen. Wenn große Kämpfe ausbrechen, werden diese noch Jahre später in den Erinnerungen zelebriert. Und sie werden bei jeder Gelegenheit stolz weitererzählt.


Es beunruhigt mich zutiefst, dass Eltern ihren Kinder erlauben, bei dieser verletzungsreichen Sportart mitzumachen. Immer wieder passiert es, dass eine Mutter, die das brutale Spiel mit ansieht, ihrem Sohn von der Seitenlinie begeistert zuruft. Wenn ein Kind auf einer Bahre herausgetragen wird, fragt sie mich, ob ihr Kind das gleiche Schicksal ereilen wird. Da ich als Lehrer teilnehmen muss, antworte ich: „Ja, Ihr Sohn wird genau die gleichen fürchterlichen Verletzungen erleiden, wenn er weiterhin Rugby spielt." Sehr hoch ist die statistische Wahrscheinlichkeit, dass Spieler, die aufeinander zu laufen, mit ihren Köpfen gegeneinander knallen und sich gegenseitig verletzen.

 

Hohe Gewaltbereitschaft
Die Mentalität „Macht ist Recht" hat tiefe Wurzeln in Südafrika. Früher war sie mit dem Herrschaftsanspruch der Weißen verkoppelt. Es ist eine Einstellung, die jede Facette der sozialen Beziehungen durchdringt, sogar das Familienleben und die Partnerschaften. Die hohe häusliche Gewaltrate lässt einen taumeln, sie ist wie ein Widerhaken unserer Sozialisation. Sie spiegelt, wie wir erzogen wurden, denn Kinder wurden gelobt und bejubelt, wenn sie gewalttätig waren; das wirkt sich langfristig auf die Persönlichkeitsstruktur aus. Die Art und Weise, wie Herausforderungen gelöst werden, hat oft einen gewaltsamen Unterton.


Sogar beim bekannten Paralympic-Sportler Oscar Pistorius gibt es Indizien dafür, dass er seine Partnerin in einem Beziehungsstreit aus Ärger und Wut umgebracht hat. Gewalttätige Umgangsformen sind so sehr Teil unseres Lebens geworden, dass wir in unseren aggressiven Tendenzen gefangen sind und kommende Generationen ebenfalls diesen gefährlichen Pfad beschreiten werden.


Der einzige Ausweg aus diesen fortgesetzten Gewaltzyklen besteht darin, ernsthaft darüber nachzudenken, wie unser Handeln Menschen in unserem Umfeld beeinflusst. An den Schulen ist ein Neubeginn notwendig, um Werte wie Anteilnahme, Verständnis und Geduld zu vermitteln. Sport kann hierzu einen wichtigen Beitrag leisten: Es sollte darum gehen, Spaß zu haben, Freundschaften zu schließen und einen Weg zu finden, den eigenen Körper anzunehmen. Ich würde dafür plädieren wollen, das Rugbyspielen an Schulen abzuschaffen. Doch meine einsame Stimme ist sehr leise. Zwar kenne ich Menschen mit einer ähnlichen Einstellung in meinem Umfeld, aber wir sind nicht organisiert. Wir sprechen nicht mit einer gemeinsamen Stimme. Mein schrecklichster Alptraum ist, dass ich mich eines Tages in der Position von Mbuyisa Makhubu befinden werde und ein totes Kind in meinen Armen halte, so wie er Hector Pieterson am 16. Juni 1976 in den Armen hielt. Mein Schüler wäre für den Stolz, das Ansehen und die Konformität mit den Vorgaben seiner Schule gestorben.


Stefan Knoppersen

 

Der Autor ist Lehrer an einer Schule in Gauteng.