Heft 3/2017, Südafrika

Dammbruch nach Kathradas Tod

IN SÜDAFRIKA BRICHT SICH DER ÄRGER ÜBER PRÄSIDENT JACOB ZUMA BAHN. Nach dem Tod von Ahmed Mohamed Kathrada, der die Werte des alten ANC hoch hielt (siehe folgenden Beitrag), mehren sich die Stimmen, die Zumas Rücktritt fordern. Dieser reagierte mit einer mehr als umstrittenen Kabinettsumbildung. Demnächst wird sich Zuma einem Misstrauensantrag der Opposition stellen müssen.

 

Als habe der Tod von Ahmed Mohamed Kathrada wie ein Katalysator gewirkt. Seitdem bekämpfen die ANC-Fraktionen einander offen. Zuma hat seine Regierung massiv umgestaltet, ohne Beratung mit der Führung des ANC, der kommunistischen Partei SACP und des Gewerkschaftsbundes Cosatu. Diese Regierungsallianz hat ihre politische Kontrolle über Zuma offensichtlich verloren. Strategische Ministerien wie Finanzen, Energie, Transport, Polizei und Sicherheit sind in der Hand von treuen Kunden der sogenannten Gupta-Kneipe im Saxonwold (siehe afrika süd Nr.1/2017). Der ANC-Generalsekretär Gwede Mantashe meinte sogar, die Liste der gefeuerten und neu berufenen Minister und ihrer Stellvertreter sei außerhalb des ANC entstanden – sprich: im Haus der Gupta-Familie, die sich unter Zumas Herrschaft bei Schlüsselsektoren der südafrikanischen Wirtschaft bedienen konnte. Dafür entschuldigte er sich zwei Tage später; aber so etwas kann man nicht ungesagt machen.


Regierungsumbildung als Symptom für „state und governing party capture"? Die Vereinnahmung des Staates besteht in den Bemühungen privater Firmen, die Gesetze, politischen Leitlinien und Regulierungen des Staates zu ihrem eigenen Vorteil zu gestalten, indem sie Beamten und/oder Politikern verbotene private Gewinne zuspielen. Da diese Firmen ihren Einfluss nutzen, um jede Reform zu blockieren, die ihren Vorteil entwertet, hat sich die Vereinnahmung des Staates vom bloßen Symptom zur grundlegenden Ursache schlechter Regierungsführung gewandelt, so formuieren es Daniel Kaufmann und Joe Hellman vom Internationalen Währungsfonds.
Sowohl die kommunistische Partei und der Gewerkschaftsbund Cosatu als auch die Veteranen der Ethik-Kommission des ANC haben Präsident Zuma öffentlich zum Rücktritt aufgefordert.

 

Schrott-Status und Demos
Die Ratingagenturen Standard & Poor und Fitch haben auf die Regierungsumbildung reagiert, indem sie Südafrikas ausländische Staatsanleihen auf Schrott-Status herabsetzten. Die Randwährung hat gegenüber dem US-Dollar um bis zu 11 Prozent an Wert eingebüßt. Die lokalen Banken können keinen höheren Status haben als der Staat selbst; aufgrund ihres neuen Schrott-Status verloren sie rund 80 Milliarden Rand bzw. etwa 11 Prozent ihres Aktienwertes. Weitere Verluste bis zu 150 Mrd. Rand könnten der Börse in Johannesburg entstehen, wenn ausländische Kapitalanleger ihre Investitionen in Südafrika eiligst verramschen.


Am Freitag, den 8. April – einem Werktag –, haben sich 60.000 Menschen in Kapstadt und jeweils ca 20.000 in Pretoria, Johannesburg, Durban und Port Elizabeth mit der Forderung nach Zumas Rücktritt an umfassenden regierungskritischen Protesten beteiligt. Von einer „gemieteten Protestgruppe", wie Zuma-Anhänger sie denunzierten, kann bei den Massen keine Rede sein. Dabei hatte die Cosatu sich nicht an diesem politischen Streiktag beteiligt, weil ihre Mitglieder sich nicht mit der Opposition und den nicht-organisierten Protestlern verbrüdern wollten.


In der Tat waren die Demonstranten eine recht gemischte Gruppe: Terror Lekota von der Oppositionspartei Cope marschierte in einer Reihe mit dem anglikanischen Bischof Joe Seoka und dem Generalsekretär des neu gegründeten Gewerkschaftsbundes Saftu, Zwelinzima Vavi, in der nächsten Reihe sah man Sipho Pityana (Sprecher der NRO „Save South Africa", beruflich Aufsichtsratsvorsitzender von Anglo American-Ashanti-Gold) neben Solly Mapaila, stellvertretender Generalsekretär der kommunistischen Partei. Aber im Zug wandelten auch Weiße, die den Toyi-Toyi nicht tanzen und die alten Protestsongs nicht mitsingen konnten. Teils waren sie politisch nicht organisierte Personen guten Willens, teils trugen sie Fahnen der rechtsextremen Freedom Front Plus, vermischten sich aber mit den Rothemden der angeblich radikalen Economic Freedom Fighters (EEF) und den Blauhemden der wirtschafts-liberalen Democratic Alliance. Ein spöttischer Kommentar meinte, die Demonstrationen hätten ein so kunterbuntes Gesicht gezeigt, wie es „Madiba" (Nelson Mandela) nur in seinem schlimmsten Fiebertraum hätte phantasieren können.


Am 12. April war eine nächste Großdemo der Oppositionsparteien vor dem Amtssitz des Präsidenten in Pretoria angesetzt. Die EFF brachten 80.000 rot gekleidete Demonstranten auf die Beine. Am 27. April soll die nächste Protestkundgebung in Soweto erfolgen. Dennoch: Demonstrationen allein stürzen keinen Präsidenten.

 

DA stellt Vertrauensfrage
Die Democratic Alliance will – einmal mehr – die Vertrauensfrage im Parlament stellen, um Zuma als Präsident abzusetzen. Die ANC-Führung hat ihre Abgeordneten aufgefordert, dies abzulehnen. Gleichzeitig stemmt sie sich gegen eine geheime Wahl im Parlament. ANC-Mitglieder, die sich gegen ihre Partei und offen für die Absetzung Zumas entscheiden, müssen mit einem Disziplinarverfahren und einem Rauswurf aus dem Parlament rechnen, weil der elektronische Wahlmechanismus eine genaue Analyse erlaubt, wer wie gestimmt hat.


Aus diesem Grund hat die United Democratic Movement (UDM) unter Bantu Holomisa einen Antrag beim Verfassungsgericht gestellt. Dieses habe schon früher den parlamentarischen Misstrauensantrag als wichtigsten Mechanismus bezeichnet, den das Parlament nutzen kann, um den Präsidenten bzw. die Exekutive zur Rechenschaft zu ziehen. Die UDM argumentiert nun, ohne geheime Abstimmung könne der Misstrauensantrag seine Funktion nicht erfüllen, denn nur sie erlaube eine Abstimmung ohne Furcht vor Vergeltungsmaßnahmen oder Verlust des Parlamentarierstatus. Das Gericht kann den Antrag erst zulassen, wenn es die Haltung der Parlamentspräsidentin und der anderen im Parlament vertretenen Parteien kennt. Es kann daher eine Entscheidung über den Antrag erst nach dem 21. April fällen. Das hieße, dass der Misstrauensantrag auf Anfang Mai verschoben wird.


Nach Auffassung des Verfassungsrechtlers Pierre de Vos von der Universität Kapstadt erlaubt schon die parlamentarische Hausordnung dem/der Parlamentspräsident/in als auch den Abgeordneten eine Ausnahme von der Regel, damit etwa ein Misstrauensantrag in geheimer Wahl stattfinden kann. Deren Verweigerung könnte auch eine Verletzung von Abschnitt 8 des Powers and Privileges-Gesetzes darstellen. Denn nach diesem Gesetz darf ein Abgeordneter weder durch Betrug noch durch Gewaltanwendung, Einschüchterung oder Bestechung dazu genötigt werden, seine politische Überzeugung zu ändern, sich von einer Abstimmung fernzuhalten oder sein Wahlverhalten zwangsweise zu revidieren. Der Parlamentspräsident hat eine Verpflichtung, die Mitglieder des Parlamentes vor derartiger Beeinflussung zu schützen.


Es ist dennoch sehr fraglich, ob im Falle einer geheimen Wahl ein Abgeordneter der Regierungspartei den Misstrauensantrag der Opposition unterstützen würde. Die Erfahrung lehrt, dass in Südafrika die Unterordnung unter die Parteidisziplin wichtiger genommen wird als die Stimme der Vernunft oder des Gewissens. Immerhin hat die UDM damit die Hoffnung auf eine dem Gewissen verpflichtete Abstimmung beim Misstrauensantrag erheblich gestärkt.


Die andere Möglichkeit ist die Absetzung Zumas als Präsident des ANC durch dessen 100-köpfiges Nationales Exekutivkomitee. Der erste Versuch Ende November 2016 scheiterte. Der damalige Antragsteller, der frühere Tourismusminister Derek Hanekom, ist inzwischen abgesetzt. Ob sich die Mehrheitsverhältnisse im NEC nun verschoben haben, ist fraglich, denn auch hier lässt die Partei keine geheime Wahl zu.

 

Verurteilung wegen Amtsvergehens?
Eine dritte Möglichkeit ist Amtsenthebung nach erfolgreicher Verurteilung wegen mehrerer Amtsvergehen. Zwei Verfahren laufen derzeit. Das eine war acht Jahre auf Eis gelegt (Waffenskandal) und ist jetzt zugelassen: eine Klage wegen Korruption, Betrugs und exzessiver Gewinneinnahmen in 783 Fällen. Bis alle Einsprüche gegen die Wiederaufnahme des Gerichtsfalles abgewehrt sind, wird es noch viel Zeit kosten. Der zweite Fall ginge schneller: die Klage des ehemaligen obersten Staatsanwalts Mxolisi Nxasana. Er musste 2015 gegen seinen Willen sein Amt verlassen, obwohl Zuma eidesstattlich aussagte, er habe dies freiwillig und auf eigenen Beschluss getan.


Hintergrund ist Zumas Einfluss auf die Anwältin Nomgcobo Jiba. Diese hatte im Korruptionsfall Schabir Shaik 2009 den Tonbandmitschnitt eines Zuma belastenden Gesprächs zwischen dem Staatsanwalt und dem Polizeichef der Ermittlungseinheit „Skorpione" dem Gericht vorenthalten. Dann wollte sie, wenn auch vergeblich, die Klage gegen Richard Mduli, den Chef der Verbrechensaufklärung, wegen schwerwiegenden Betrugs und Korruption fallenlassen. Und schließlich hatte sie nach dem Massaker von 2012 an den Streikenden von Marikana eine Mordanklage gegen die 270 überlebenden Bergarbeiter erhoben, die sie nur wegen nationaler wie internationaler Empörung wieder fallenließ. Als Jibas Chef hatte M. Nxasana Zuma im Juni 2014 gebeten, Jiba wegen unethischen Verhaltens im Fall Richard Mduli zu entlassen. Stattdessen feuerte Zuma aber seinen obersten Staatsanwalt und versüßte den Rauswurf mit 17 Mio. Rand. Die Vereinigung der Rechtsanwälte hat Jiba inzwischen ihre Lizenz als Anwältin wegen unethischen Verhaltens aberkannt. Aber Zuma hält sie weiterhin in Amt und Würden.


Nun hat Nxasana am 12. April 2017 eine Erklärung bei Gericht eingebracht, nach der er entgegen der eidesstattlichen Erklärung des Präsidenten nicht freiwillig um Entlassung aus dem Amt als oberster Staatsanwalt gebeten habe. Zumas Rechtsanwalt habe ihn gedrängt, einen Eid darauf zu leisten, dass er freiwillig aus dem Amt scheide. Das habe er aber nicht getan. Nxasana kann seine Darstellung des Präsidenten-Meineids mit schriftlicher Korrespondenz belegen. Wegen des „Geschenks" von R 17 Mio. – die Nxasana gern zurückgibt – können noch Korruption und Vereitelung von Gerechtigkeit als Klagen gegen Zuma erhoben werden. Sollte Zuma deswegen verurteilt werden, drohen ihm nicht nur 15 Jahre Gefängnis seitens des Gerichts, sondern auch die Streichung seiner Rente nach einem Amtsenthebungsverfahren durch das Parlament.


Gottfried Wellmer