Heft 3/2020, Paradise Watch: Luanda Leaks

»Deutschland ist ein Geldwäsche-Zentrum in Europa«

Interview mit dem Europaparlamentarier Sven Giegold

Sven Giegold sitzt seit 2009 für Bündnis90/Die Grünen NRW im Europäischen Parlament. Der Sprecher der deutschen Grünen im Europaparlament und Obmann der grünen Fraktion im Ausschuss für Wirtschafts- und Finanzpolitik engagiert sich seit Jahren gegen Geldwäsche und für die Einrichtung einer europäischen Anti-Geldwäschebehörde.

Immer wieder hört man, dass korrupte Politikerinnen und Politiker Geld aus ihren Ländern abziehen, indem sie es in Steueroasen leiten: Wie genau funktioniert so etwas?

Sven Giegold: Da gibt es natürlich verschiedene Wege. In der Regel werden Briefkastenfirmen-Konstruktionen aufgesetzt und dann zahlen Akteure, die vom Staat profitieren, entsprechend hohe Beträge an diese Briefkastenfirmen. Das ist der normale Weg, um Geld außer Landes zu schaffen. Also nehmen Sie an, Sie brauchen eine Genehmigung, dann zahlt das entsprechende Unternehmen – oder eine mit diesem Unternehmen verknüpfte Privatperson – hohe Beträge an die Briefkastenfirma der politischen Entscheidungsträger. Sodass diese Geldtransaktionen gar nicht direkt auf ein Konto des Politikers gehen, sondern an eine Briefkastenfirma, deren wirtschaftlicher Eigentümer nicht ordentlich überprüft wurde oder anderweitig verschleiert wurde. Theoretisch haben wir weltweit Gesetze, die verhindern sollen, dass politisch exponierte Personen, sogenannte PEPs, sich so ohne weiteres in die Eigentümerschaft von solchen Briefkastenfirmen mit hohen Zahlungseingängen bringen können. Aber es gibt immer wieder Banken und Länder, bei denen das nicht ordentlich überprüft wird und man kann sich natürlich auch immer Strohmänner besorgen. Frauen sind in diesem ganzen Geschäft deutlich unterrepräsentiert, deshalb bleibe ich beim männlichen Geschlecht.

Inwieweit sind europäische Akteure in die Luanda Leaks involviert?

Ich bin kein Experte für die Luanda Leaks. Alles was ich dazu weiß, weiß ich auch aus den Medien. Was ich aber zu der deutschen Seite ganz klar sagen kann: Dass KfW-Ipex diesen Kredit vergeben hat, verweist auf ein großes Problem im Bereich des Engagements von Förderbanken. Diese haben, weil sie ja staatliche Entwicklungsbanken sind, überdurchschnittlich viel mit PEPs zu tun. Das liegt in der Natur der Geschäfte, die sie machen. Vor wenigen Tagen wurde ja aufgedeckt, dass die europäische Investitionsbank – als größte Investitionsbank neben der KfW – bei der Überprüfung von Kundenkontakten offensichtlich sehr lax mit ihren Sorgfaltspflichten umgegangen ist. Und das bedeutet, dass sie seit rund zwanzig Jahren, seitdem es diese strengen Regeln gibt, bei vielen Geschäften alle Hühneraugen zugedrückt haben. Man muss die gleiche Vermutung bei der KfW haben, daher ist aus deutscher Sicht für mich das Zentrale, nicht nur diesen Fall zu überprüfen. Stattdessen muss man ex-post prüfen, ob die Sorgfaltspflichten gerade im Bereich Entwicklungsfinanzierung durch die Banken eingehalten wurden und es einmal mit einem eigenen Audit untersuchen und diesen Audit dann auch veröffentlichen. Das ist für mich zentral. KfW und EIB müssen das unverzüglich auf den Weg bringen. Und ich fürchte, dass dann noch einige weitere Luanda Leaks zutage gefördert würden, wenn man das ernsthaft macht. Für mich ist das nur die Spitze des Eisbergs, die da aufgedeckt wurde.

Sie haben ja gerade über sogenannte PEPs gesprochen. Gibt es da ein besonderes Verfahren oder Gesetze, wie mit diesen Personen umzugehen ist?

Ja natürlich, die Gesetzeslage ist ganz eindeutig. Ich selbst bin ja auch eine politisch exponierte Person, genau wie die meisten Politikerinnen und Politiker. Sobald wir irgendwelche Bank- oder Finanzgeschäfte machen, sieht das europäische und internationale Recht vor, dass verschärfte Prüfungen erfolgen müssen. Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel: Wir, das heißt meine Familie, haben hier einen alten Resthof gekauft und einen Teil aus Eigenmitteln finanziert und einen Kredit aufgenommen. In diesem Moment muss mich die Bank fragen: „Wo haben Sie eigentlich Ihr Geld her?" Sie muss dann prüfen, ob meine Eigenmittel in einem ordentlichen Verhältnis zu meinem Einkommen stehen. Und wenn das nicht in einem Verhältnis steht, dann dürfen die so ein Geschäft nicht machen. Das war die Kreissparkasse hier, und die hat das ganz ordentlich gemacht. Aber die KfW-Ipex bei Isabel dos Santos offensichtlich nicht. Im Gegenteil hat die KfW-Ipex ihre Sorgfaltspflichten ausgelagert an eine angolanische Bank, die wieder selbst im Zusammenhang mit der Familie stand. Das ist natürlich eine eklatante Verletzung der Sorgfaltspflicht und es ist davon auszugehen, dass das nicht nur einmal passiert ist. Daher fordere ich eine umfassende Prüfung nicht nur in dem einen Fall, sondern eine Prüfung der Einhaltung der Sorgfaltspflichten in der Vergangenheit, mindestens seit die Geldwäsche-Regeln auf europäischer Ebene verschärft wurden, und das war 2007. Die sogenannte Anti-Geldwäsche-Richtlinie III sieht nämlich vor, dass bei PEPs verschärfte Sorgfaltspflichten gelten.

Beabsichtigen die Grünen oder andere Parteien, ebenfalls Schritte zu unternehmen? Oder gibt es Initiativen der europäischen Grünen oder anderer Fraktionen für Gesetze, die Geldwäsche erschweren?

Nach den Vorwürfen gegen die Europäische Investitionsbank habe ich auf europäischer Ebene natürlich verlangt, dass ein entsprechender Audit durchgeführt wird, und ich werde das auch im Parlament zum Thema machen. Auf deutscher Ebene müssten Sie die Kolleginnen und Kollegen im Bundestag fragen. Da bin ich nicht der Pressesprecher. Ich kann Ihnen nur eins sagen: Wir werden weiter auf eine Verschärfung der Geldwäscheregelungen drängen und eine ganz zentrale Sache dabei ist, dass diese Sorgfaltspflichten auf nationaler Ebene überprüft werden. Die weltweiten Standards im Rahmen der FATF (Financial Action Task Force on Money Laundering) werden übersetzt in europäisches Recht. Das ist in dem Fall die Anti-Geldwäsche-Richtlinie; wir sind inzwischen bei der fünften Gesetzesnovelle dieser Richtlinie. Allerdings obliegt die Durchsetzung dieser Regeln den nationalen Behörden. Das Problem ist, dass hier Wettbewerb herrscht, d.h. jeder Standort sieht zu, es nicht zu streng zu machen, damit die Geschäfte eher im eigenen Land als woanders getätigt werden. Dies führt eben dazu, dass viele Länder – und dazu zählt leider Gottes auch Deutschland – das eher lax betreiben.

Deutschland ist ein Geldwäsche-Zentrum in Europa. Die italienische Polizei beschwert sich regelmäßig über die niedrigen Standards in Deutschland, dass die internationale Kooperation nicht richtig funktioniert und die Mafia hier ihr Geld wäscht. Wir wissen über die starke Präsenz der russischen und arabischen organisierten Kriminalität. Mit der lieben und hochkompetenten sozialdemokratischen Kollegin Ana Gomes habe ich mich so gut verstanden, weil sie das gleiche Elend in Portugal hat. Portugal hat auch lange Zeit immer weggesehen und ihre eigene Steueroase in Madeira betrieben, ebenso wie ihre dreckigen Geschäfte mit Angola und anderen ehemaligen Kolonien. Es ist so, dass national solche Überprüfungen schlecht funktionieren, weil man immer wieder Rücksicht nimmt auf die eigenen wirtschaftlichen Interessen. Deshalb brauchen wir europäische Anti-Geldwäschebehörden. Genau das will die Kommission jetzt auf den Weg bringen und das ist die Konsequenz, an der ich vor allem arbeite. Meine Aufgabe ist es also nicht, jetzt auf nationaler Ebene jeden Fall aufzuklären – ich bin ja nicht bei der Polizei oder der Staatsanwaltschaft –, sondern dafür zu sorgen, dass die Überprüfungen so streng werden, dass es zu solchen Geschäften immer weniger kommt. Und das ist die europäische Verantwortung.

Wie schätzen Sie denn da die Chancen ein, dass da etwas Wirkungsvolles entsteht?

Gut. Wir haben ja bereits große Fortschritte gemacht. Wir hatten 2007 die Anti-Geldwäsche-Richtlinie 3 und darauf folgten 4 und 5 jeweils mit starken Verschärfungen. Das Europaparlament hat ja mit einer ganzen Serie von Ausschüssen die Finanzskandale aufgespießt, die es gab, also Panama Papers, die Probleme in Malta, LuxLeaks, Paradise Papers etc. Es gab ja eine lange Serie von Leaks, die gezeigt hat, wie schwach das globale und auch das europäische Finanzsystem PEPs gegenüber ist. Wenn Sie die Panama Papers anschauen und die ganzen Personen sehen, die da offensichtlich Briefkastenfirmen hatten, dann ist das unerträglich. Das ist auch ein Sittengemälde für die politischen Eliten in vielen Ländern. Denn die hatten Schattenfirmen ja, um Geschäfte zu machen. Das ist das Gegenteil dessen, was in den Gesetzen und Richtlinien der FATF bzw. der AMLD (Anti-Money Laundering Directive) steht.

Was die Kommission jetzt auf den Weg bringen will, ist eine Verschärfung der Durchsetzung dieser Gesetze. Sie hat endlich auch die Unterstützung der Wirtschafts- und Finanzminister. Wenn dann das Gesetz für eine europäische Anti-Geldwäschebehörde vorgelegt ist, dann wird es sicherlich wieder die üblichen Konflikte geben, weil die Nationalstaaten nicht auf ihre Privilegien verzichten wollen. Meine Aufgabe sehe ich in erster Linie darin, auf europäischer Ebene die Position des Europaparlaments in dieser Frage zu härten.

Was sagen Sie denn zu europäischen Steuerparadiesen wie Malta, den Niederlanden, London etc?

Also erstmal würde ich Sie bitten, das Wort »Steuerparadies« zu streichen, das hat mit einem Paradies überhaupt nichts zu tun, denn das Paradies ist ja ein göttlicher Ort (lacht). Steueroase trifft es auch nicht, Steuersumpf aber schon eher. Warum haben wir so etwas in Europa? Weil in Europa Steuerfragen einstimmig geregelt werden und die Mitgliedsstaaten nicht bereit sind, den Nachbarländern bei Steuerfragen wirklich auf die Füße zu treten. Geldwäschefragen sind etwas anderes, die werden nach dem Mehrheitsprinzip entschieden, deshalb ist es eigentlich einfacher, scharfe Regeln im Bereich Geldwäsche durchzusetzen. Da war nur unser Problem, dass einige der Länder, die sich bei Steuern eher als geschädigt empfinden, so wie Deutschland, selbst Geldwäsche-Sümpfe sind. Gerade wenn wir über Geldwäsche reden, trägt diese Unterteilung in kleine Inseln auf der einen Seite und große Staaten auf der anderen Seite nicht. Sie haben ja vollkommen zurecht London erwähnt, aber wir könnten eben auch Deutschland nehmen. Auch in Deutschland wird in großem Maße Geld gewaschen.

Deutschland war auch bei vielen dieser großen Geldwäsche-Skandale, nehmen Sie etwa den »Laundromat«, zentral beteiligt. Schauen Sie auf die Deutsche Bank und das Treiben ihrer Tochterfirmen. Die Deutsche Bank behauptet zwar zum x-ten Mal, dass sie jetzt alles anders macht. Das werden wir allerdings erst in ein paar Jahren bewerten können, ob das stimmt oder nicht. Fakt ist aber, dass diese Vorstellung, da gäbe es einige Orte und die sind das Problem und der Rest des Finanzsystems ist weitgehend in Ordnung – diese Gegenüberstellung trägt nicht. Möglich ist all das deshalb, weil auf der einen Seite einige wenige Staaten sich gegen alles sträuben, was Europa da macht, und auf der anderen Seite die großen Mitgliedstaaten, die eigentlich ökonomisch eher ein Interesse an schärferen Regeln hätten, das nicht zur Priorität gemacht haben.

Das Interview mit Sven Giegold führte Daniel Düster am 1. Mai 2020.