Heft 3/2020, Paradise Watch: Luanda Leaks

Auf halbem Weg stecken geblieben

In 715.000 Dokumenten aus E-Mails, Verträgen und Memos zeigen die »Luanda Leaks« auf, wie westliche Unternehmen und professionelle Dienstleistungsberater dabei halfen, das Imperium von Angolas Expräsident José Eduardo dos Santos und seines Familienclans zu errichten und aufrechtzuerhalten.

Es ist schon erstaunlich, wie viele Machenschaften und Skandale in Politik, Wirtschaft und Finanzwelt im Zeitalter der Digitalisierung in den letzten Jahren aufgedeckt wurden. Da gab es die Panama Papers von 2016 und ein Jahr später die Paradise Papers, mit denen vertrauliche Unterlagen über Steuerparadiese und Geldwäsche an die Presse geleitet wurden. Sie stammten aus Zig-Millionen von geleakten Dokumenten aus Anwaltskanzleien, deren Offenlegung so manchen Politiker und Geschäftsmann zu Fall gebracht hat.

Der Whistleblower dahinter

Und immer stecken hinter diesen Enthüllungen mutige Whistleblower und investigative Journalistinnen und Journalisten. Viele Jahre lang hat der angolanische Journalist Rafael Marques akribisch die illegalen Geschäfte der Herrscherfamilie des langjährigen Präsidenten José Eduardo dos Santos aufgedeckt und angeprangert und dabei sein Leben riskiert. Und dann platzte, nachdem in Luanda dos Santos von seinem Nachfolger João Lourenço abgelöst worden war, im Januar 2020 aus einer Haftanstalt in Portugal eine Bombe: Der portugiesische Hacker und Whistleblower Rui Pinto, der jahrelang unter dem Pseudonym »John« agierte und der entscheidende Informant hinter den »Football Leaks« von 2015 war, ließ über seine Anwälte mitteilen, er sei der Whistleblower hinter den sogenannten »Luanda Leaks« – 715.000 Dokumente, die u.a. aufzeigen, wie Angolas Ex-Präsidententochter Isabel dos Santos zur reichsten Frau Afrikas aufsteigen konnte.

Pinto saß seit 21. März 2019 in Portugal in Untersuchungshaft, nachdem er aufgrund eines internationalen Haftbefehls in Ungarn festgenommen und ausgeliefert worden war. Am 8. April 2020 wurde er nach einer Vereinbarung mit den portugiesischen Polizeibehörden unter Hausarrest gestellt. Der Zugang zum Internet ist ihm untersagt. Bis heute wartet er darauf, dass er als Whistleblower anerkannt und die europäische Richtlinie gegen Geldwäsche auf ihn angewandt wird, damit er als freier Mann mit den Behörden bei der Korruptionsbekämpfung zusammenarbeiten kann.

Pinto hatte die auf einer Festplatte gespeicherten Datenleaks Ende 2018 der »Plattform zum Schutz von Whistleblowern in Afrika« (Plateforme de protection des lanceurs d'alerte en Afrique, PPLAAF) zugespielt, einem Interessenverband mit Sitz in Paris, der die Informationen mit dem Internationalen Konsortium Investigativer Journalisten (ICIJ) geteilt hat. Ein Jahr lang hat das ICIJ zusammen mit 36 Medienpartnern und über 120 Journalisten aus 20 Ländern an der Auswertung der Dokumente gearbeitet. In Deutschland gehören NDR, WDR und die Süddeutsche Zeitung zu dem Rechercheverbund, der die Erkenntnisse in Anlehnung an die Hauptstadt Angolas als »Luanda Leaks« veröffentlicht hat.

Kleptokratie unter dos Santos

Angola ist eine der ungleichsten Gesellschaften der Welt und gehörte zu Dos-Santos-Zeiten zu den korruptesten Ländern Afrikas. Von Transparency International wurde es auf Platz 14 der korruptesten Länder der Welt gereiht. Trotz sozialistischer Rhetorik der früheren Befreiungsbewegung und späteren Regierungspartei MPLA entwickelte sich das Land zu einer kapitalistischen Kleptokratie, in der, wie eine Überprüfung durch den IWF 2011 ergab, durch „quasi-fiskalische Operationen" der staatlichen Ölgesellschaft Sonangol sage und schreibe 32 Milliarden Dollar nicht in den offiziellen Haushaltskonten auftauchten.

Zu den dubiosen Milliardengeschäften von Isabel dos Santos und ihrem Umfeld gehören mehr als 400 Firmen in 41 Ländern, fast 100 davon wurden in Steueroasen wie Malta, Mauritius und Hongkong gegründet. Immer wieder haben diese Firmen von öffentlichen Aufträgen in Angola und Darlehen profitiert. Die Justiz in Angola hat aufgrund der Enthüllungen Ermittlungen wegen Veruntreuung von Staatsgeldern aufgenommen, Konten von Isabel dos Santos und ihrem Mann Sindika Dokolo eingefroren und Firmenanteile beschlagnahmt. Auf mehr als eine Milliarde US-Dollar schätzt sie den Reibach der Ex-Präsidententochter aus den Staatskonzernen des Landes.

Im Fokus des Skandals stehen auch große Beratungs-, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Anwaltskanzleien, die dos Santos dabei berieten, undurchsichtige Firmengeflechte zu konstruieren und ihr Vermögen in Steueroasen zu verschieben. Geleakte Unterlagen beweisen die tatkräftige Unterstützung durch Boston Consulting, PwC, KPMG und anderen bekannten Beraterfirmen unter anderem in Malta, Portugal und der Schweiz. Auch die alte Kolonialmacht Portugal ist zugleich Opfer und Komplize der Geldgier von Isabel dos Santos. Sie soll dort an 22 portugiesischen Unternehmen und Gesellschaften beteiligt sein.

Wie nervös man in Lissabon reagierte, zeigt der vermeintliche Selbstmord des portugiesischen Bankiers Nuno Ribeiro da Cunha, Direktor der kleinen Privatbank EuroBic. Als rechte Hand von Isabel dos Santos wickelte er ihre Geschäfte in Portugal ab. Seine Leiche wurde im Februar 2020 in der Garage seines Hauses gefunden, gerade als sich Portugals Generalstaatsanwältin Lucília Gago mit ihrem angolanischen Kollegen Hélder Pitta Grós in Portugals Hauptstadt traf, um Informationen zum Ermittlungsverfahren Luandas gegen dos Santos auszutauschen.

Ein Gericht in Lissabon hat mittlerweile die präventive Einziehung von 26 Prozent der Aktien des portugiesischen Telekommunikationsunternehmens NOS angeordnet. Die Aktien befinden sich im Besitz von Isabel dos Santos, ihr Wert belief sich auf 441 Millionen US-Dollar.

Lourenço als Reformer?

Für das unter den Jahrzehnten der Dos-Santos-Herrschaft geplünderte Angola bleibt indes noch offen, ob neue Besen besser kehren. Als José Eduardo dos Santos statt des zuvor gehandelten Vizepräsidenten Manuel Vicente, Ex-Chef der staatlichen Erdölgesellschaft Sonangol, oder seines ebenso ins Spiel gebrachten Sohnes Filomeno »Zénu« dos Santos Verteidigungsminister João Lourenço zu seinem Nachfolger erkor, ging man im politischen Luanda wie auch im Ausland davon aus: Dos Santos, der vor seinem Rückzug von der Macht durch verschiedene Dekrete noch schnell dafür gesorgt hat, dass er und hohe Generäle von späterer Strafverfolgung verschont bleiben, schiebt einen früher in Ungnade gefallenen, dann aber geläuterten treuen Gefolgsmann als schwachen Politiker vor, um weiter im Hintergrund die Fäden in den Hand zu halten. Lourenço wurde im August 2016 zum Vizepräsidenten der Partei gewählt, war damit automatisch Präsidentschaftskandidat und trat schließlich als Sieger der Wahlen vom 23. August 2017 einen Monat später die Nachfolge von Präsident dos Santos an. Wider die Erwartungen beließ er es nicht bei den üblichen Versprechungen von Entwicklung, Fortschritt und verbessertem Gesundheits- und Bildungswesen, er überraschte auch mit einem energischen Vorgehen in Sachen Korruption. Der neue Präsident ließ ca. 300 Personen im öffentlichen Sektor und in Staatsbetrieben entmachten und löste sich bei der Regierungsbildung und nachfolgenden kleineren und größeren Kabinettsumbildungen mehr und mehr vom Personal seines Vorgängers.

So sehr der Elan des neuen Präsidenten in Sachen Korruptionsbekämpfung auch überraschte, es zeigte sich schnell, dass die verordneten Ermittlungen einzig und alleine dos Santos und seinem Umfeld galten. Die verfügte Entlassung von Isabel dos Santos als Chefin des von Sonangol im November 2017 und die spätere Beschlagnahmung ihrer Vermögenswerte war nur der spektakulärste Fall bei der gezielten Entmachtung der alten Dos-Santos-Elite. Der Beifall aus dem Ausland war ihm sicher, Lourenço konnte mit Unterstützung vom IWF rechnen, mit dem er schließlich einen Kredit in Höhe von 3,7 Mrd. US-Dollar aushandeln konnte, um seine geplünderte Staatskasse und vom Ölpreisverfall angeschlagene Wirtschaft vor dem endgültigen Zusammenbruch zu retten. Die Fokussierung auf den Dos-Santos-Clan nährte aber auch den Verdacht, dass der Präsident sein eigenes Patronagenetz aufbauen will. Spätestens mit seiner Wahl zum Präsidenten der MPLA im September 2018 konnte sich Lourenço seines Vorgängers entledigen und seine Stellung innerhalb der regierenden MPLA stärken.

Jlo, wie der Präsident allgemein in Kurzform genannt wird, erwarb sich im Volksmund schnell den Ruf als »Terminator«. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger legt er Wert auf ein bescheidenes Image in der Öffentlichkeit. Er bestand darauf, dass sein Gesicht nicht auf den Banknoten erscheint. Doch ist das Land wirklich im Wandel? Oder ist der »Terminator« auf halbem Weg stecken geblieben? Kritiker wie Rafael Marques de Morais bleiben trotz einiger Erleichterungen skeptisch. Die Regierung sei zwar rasch gegen Teile des alten Regimes vorgegangen, doch andere, die mit Korruption behaftet waren, sind an der Macht geblieben. Eine Amnestie für gewaschenes Geld, das im Ausland deponiert wurde, habe zu keiner sinnvollen Rückgabe illegaler Gelder geführt.

Sicher, der Pfuhl ausgebildeter Politiker, aus dem Lourenço seine regierungstauglichen Technokraten schöpfen kann, ist klein und so mancher Funktionär des alten Regimes musste übernommen werden, doch die Unantastbarkeit eines Manuel Vicente, der es mit seinen Geldwäschekumpanen zu noch größerem Reichtum gebracht hat als Isabel dos Santos (s. Beitrag S. 17-24), zeigt, wo die Antikorruptionspolitik des Präsidenten zu kosmetischer Natur verkommt. Der ehemalige Vizepräsident und Ex-Sonangol-Chef, mittlerweile Sonderberater Lourenços für Öl- und Gasfragen, war von portugiesischen Staatsanwälten 2018 der Korruption und Geldwäsche beschuldigt worden. Er soll einen Staatsanwalt bestochen haben, um den Geldwäsche-Prozess gegen ihn zu stoppen. Lourenço drängte mit Nachdruck auf einen Prozess in Angola statt in Portugal und beschuldigte Lissabon, sich in die Souveränität Angolas einzumischen. Die geschwächte frühere Kolonialmacht Portugal übergab das Verfahren kleinlaut an Luanda. Dort genießt Vicente ebenso wie José Eduardo dos Santos fünf Jahre Immunität vor Strafverfolgung.

Eine effektive Anti-Korruptionspolitk müsste sich gegen die Hegemonie der seit der Unabhängigkeit regierenden MPLA richten. Die Partei »war im Wesentlichen die Brutstätte derer, die das Land plünderten, und diese Menschen sind nicht beseitigt worden«, sagt Rafael Marques. Der Präsident hätte aggressiver gegen die MPLA vorgehen müssen. »Er kann kein Reformer sein, indem er die Partei rettet und dem Volk Brotkrumen und falsche Versprechungen zuwirft.« (Financial Times, 9.7.2019)

Das freilich zeigt das Dilemma auf: In letzter Konsequenz hieße das, sich selbst als Präsident in der Erkenntnis zu entmachten, dass Jlo als Verteidigungsminister unter dos Santos seinen Teil der Verantwortung für die Korruptheit des Regimes trug. Die »Luanda Leaks« und weitere Recherchen mögen noch so viele Ungeheuerlichkeiten ans Tageslicht gebracht haben – die Bevölkerung wird die Regierung letztlich daran messen, ob sie eines Tages wieder Essen, Geld und Arbeit haben, und hoffen, dass die Regierung endlich auch die verhassten Polizei- und Geheimdienstorgane angeht, die im Zuge der Maßnahmen gegen das Coronavirus wieder ihr hässliches Gesicht zeigen.

Lothar Berger