Isabel dos Santos mag die prominenteste Vertreterin der angolanischen Kleptokratie sein – die einzige ist sie nicht. Der langjährige Vizepräsident Manuel Vicente, die Generäle »Dino« und »Kopelipa« sowie eine Gruppe treuer Verbündeter haben ein Netzwerk aus Banken und Unternehmen geschaffen, um Staatsgeld unbemerkt ins Ausland zu schaffen. Auf diese Weise haben sie jahrelang die angolanische Bevölkerung systematisch um die Gewinne aus den Ölressourcen betrogen. Doch das Netzwerk ist immer noch intakt und die Betrüger auf ihren Posten.
Das Beispiel Manuel Vicente zeigt, dass auch die zweite Reihe der Macht durchaus lukrativ sein kann. Im Schatten der langen Herrschaft des José Eduardo dos Santos brachte es der diplomierte Elektrotechniker Vicente in einer beeindruckenden Karriere bis an die Spitze der staatlichen Ölgesellschaft Sonangol. Dreizehn Jahre blieb er der Chef des Unternehmens, das sich unter seiner Ägide in den Goldesel für Angolas Elite verwandelte. In dieser Zeit, in die auch das Ende des Bürgerkriegs fiel, konnte Sonangol seine Förderkapazität um gut 250 Prozent steigern und produzierte im Jahr 2010 zwischenzeitlich 92 Millionen Tonnen Erdöl.
Angola war inzwischen zum zweitgrößten Mineralölproduzenten Afrikas hinter Nigeria und zur Nummer 15 weltweit avanciert, als Manuel Vicente 2012 sogar die Vizepräsidentschaft übernahm. Ein lebenslanges Vertrauensverhältnis verbindet Vicente mit seinem ehemaligen Mentor José Eduardo dos Santos. Wie dieser wuchs der Sohn einer Wäscherin und eines Schuhmachers in einfachen Verhältnissen in Luandas Arbeiterviertel Sambizanga auf. Für den vierzehn Jahre jüngeren Vicente übernahm anstelle der Eltern oft dos Santos' älteste Schwester die Fürsorge. Auch durch dieses fast familiäre Verhältnis galt er lange als Thronerbe des Langzeit-Präsidenten, doch an seiner Stelle übernahm 2017 schließlich João Lourenço dessen Nachfolge.
Lourenço und die Wespen
Und Lourenço machte sich seit Amtsantritt daran, die Familie seines Vorgängers, allen voran dessen Tochter Isabel und Sohn José Filomeno dos Santos, von den Schaltstellen der Macht zu verdrängen. Das Zurückdrängen des einstigen Förderers und jetzigen Rivalen dos Santos dient Lourenço neben der Konsolidierung seiner Macht zudem als Aushängeschild seines – vermeintlichen oder wirklichen – Kampfes gegen die Korruption im Land. Tatsächlich ist der Kampf gegen die »marimbondos« (Wespen), wie Lourenço die korrupten Politiker immer wieder bezeichnete, ein zentrales Wahlversprechen und weckte im In- und Ausland Hoffnungen auf einen Wandel hin zu mehr Demokratie und Integrität.
Wie weit Lourenços Wille oder Macht reicht, die „Wespen", abgesehen von der Familie dos Santos, wirklich von ihren Posten zu entfernen, ist derzeit noch völlig offen. Für Vicente verlief der Machtwechsel in der ersten Reihe bis jetzt jedenfalls einigermaßen glimpflich. Als Kongressabgeordneter und Mitglied des Zentralkomitees der Regierungspartei MPLA bekleidet er weiterhin hohe Ämter in Partei und Staat. Darüber hinaus hat er als Sonderberater des Präsidenten für Ölfragen immer noch einen direkten Zugang zum Präsidentenpalast. Auch sein weites und unübersichtliches Firmenimperium blieb bislang weitgehend intakt.
Nachforschungen des »Organized Crime and Corruption Reporting Project« (OCCRP) brachten nun etwas Licht in das Dunkel seiner Geschäfte. Diese zeigen, dass Isabel dos Santos zwar die reichste Frau Afrikas sein mag – Vicente aber ist noch immer der reichste Mann Angolas und Schätzungen zufolge übersteigt sein Vermögen sogar noch das Ihre.
Ein einflussreiches Trio
Die Recherchen des OCCRP enthüllen ein beeindruckendes und verwirrendes Geflecht aus Firmen und Banken, das Manuel Vicente gemeinsam mit einigen Vertrauten errichtet hat. Neben Manuel Vicente kommt dabei vor allem den beiden Generälen Leopoldino »Dino« Fragoso do Nascimento und Manuel Hélder Vieira Dias Júnior, genannt »Kopelipa«, eine Schlüsselrolle zu (der Einfachheit halber werden die beiden im Folgenden nur bei ihren Spitznamen genannt). Dieses Trio wird in Angola sogar häufig als das »Triumvirat« bezeichnet. Ex-General Dino war unter Präsident dos Santos neben seinen militärischen Funktionen fünfzehn Jahre lang Staatsminister und Vorsitzender des Kommunikationsdienstes, ferner ist er einer der erfolgreichsten Geschäftsmänner des Landes – u.a. ist er Geschäftspartner des großen internationalen Metall-Konzerns Trafigura. General Kopelipa war unter dos Santos jahrelang Chef verschiedener Geheimdienste, besitzt einen Medienkonzern, zu dem eine Tageszeitung, ein Radiosender und Angolas bislang einziger Privatsender »TV Zimbo« gehören. Er ist noch immer Chef der Präsidentengarde.
Diese Drei sind die Kerngruppe von etwa einem Dutzend einflussreicher Regierungsbeamter samt ihrer Familien, die das Netzwerk bilden und nutzen. Dabei tauchen die gleichen Namen immer wieder an verschiedenen Positionen bei den jeweiligen Banken und Unternehmen des Netzwerkes auf. Mal fungiert bei einer Firma der eine als CEO, ein anderer als Aufsichtsrat, ein weiterer als Stellvertreter – dann wieder ist bei der nächsten Firma der eine ein Anteilseigner, der andere der CEO, der dritte der Aufsichtsrat und der nächste ein Auftragnehmer. In endlosen Variationen dieses Vater-Mutter-Kind-Spiels der Korruption hat sich die Clique einen Anschein von Legalität gewahrt, um beachtliche Summen außer Landes zu schaffen und wiederum in die eigenen Geschäfte zu investieren.
Undurchsichtiges Geflecht von Beteiligungen
Um eine Ahnung von dem weitverzweigten Geflecht aus Unternehmen und Institutionen zu bekommen, lohnt sich ein Blick auf eine der Banken, die zu dem Netzwerk um Vicente gehört: die »Internationale Geschäftsbank« BNI (Banco de Negócios Internacional). Mario Palhares, ein enger Vertrauter des Trios, ist hier nicht nur mit 37 Prozent Mehrheitsaktionär, sondern gleichzeitig auch der CEO. Das alleine ist weder illegal noch ungewöhnlich, allerdings war er früher parallel auch der stellvertretende Leiter der angolanischen Zentralbank. Diese gab einen Kredit über 200 Millionen Dollar an die BNI. Dem angolanischen Investigativjournalisten Rafael Marques zufolge nutzte die BNI diesen Kredit jedoch nicht, dem offiziellen Verwendungszweck entsprechend, für sozialen Wohnungsbau. Stattdessen leitete sie das Geld an einige Briefkastenfirmen auf den Kapverden weiter, deren Eigentümer allesamt Anteilseigner der BNI sind. Somit zauberte Palhares als Entscheidungsträger bei der Zentralbank 200 Millionen Dollar aus dem Hut, ließ sie seiner eigenen Bank zukommen und leitete das Geld von dort aus an Mantelfirmen weiter, die ihm selbst und seinen Partnern bei der Bank gehörten. Niemandem fehlte das Geld, denn es kam ja von der Zentralbank, nur die Währung verlor geheimnisvollerweise immer weiter an Wert, und die Menschen konnten sich für das gleiche Geld weniger leisten.
Ähnliches gilt für andere Banken des Netzwerks. An der »Banco Angolano de Investimentos« (BAI) etwa, die bis vor kurzem als größte Geschäftsbank Angolas eingestuft wurde, ist Palhares auch zu fünf Prozent beteiligt und war gleichzeitig lange Zeit der CEO. In seiner Funktion als Vorsitzender von Sonangol war Manuel Vicente ebenfalls zu 8,5 Prozent beteiligt. Damit war er Mehrheitsaktionär und nahm den Platz des stellvertretenden Vorsitzenden ein. Über eine Mantelfirma namens ABL hält er ebenfalls ganz anonym fünf Prozent der profitablen Bank und bekommt entsprechende Dividenden.
Exemplarisch sei auch die kapverdische BPI (Banco Privado Internacional) genannt, an der Vicente 35 Prozent hält, Palhares 20 Prozent und ein weiterer Kompagnon namens João Baptista de Matos 25 Prozent. Der gleiche Matos ist auch zu 11 Prozent Anteilseigner bei der eingangs erwähnten BNI sowie zu fünf Prozent an der BAI beteiligt. Eine weitere Figur namens José Garcia Boyol hält die restlichen 10 Prozent der kapverdischen BPI sowie 5 Prozent an der BNI, bei der er zudem stellvertretender Vorsitzender ist. Ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, und auch ohne dass es notwendig wäre, sich alle Namen der Protagonisten und Banken zu merken, veranschaulicht dieser Einblick in das angolanische Bankenwesen, wie sich die beschriebenen personellen Verflechtungen darstellen.
Odebrecht und die Zuckerbäcker
Das Herzstück bei all diesen Geschäften ist das eingangs erwähnte staatliche Mineralölunternehmen Sonangol, dem Manuel Vicente jahrelang vorstand. Sonangol erwirtschaftete bis zum jüngsten Einbruch der Ölpreise durch die Corona-Krise weit über 90 Prozent der Exporteinnahmen bzw. mindestens 75 Prozent der angolanischen Devisen, wie das OCCRP konstatiert. Laut dem Oxford-Professor Ricardo Soares de Oliveira, der von dem Journalismus-Projekt zitiert wird, hat Manuel Vicente die Erdölgesellschaft nachhaltig verändert. Von einem Staatsunternehmen mit recht klar umrissenem Geschäftsbereich habe er die Unternehmensstruktur in ein Labyrinth aus international agierenden Tochtergesellschaften und Joint Ventures verwandelt, das heute weit jenseits des Ölsektors operiert.
Geradezu beispielhaft ist ein Fall aus dem Jahr 2007, in den Sonangol, der brasilianische Großkonzern Odebrecht und drei gewisse Personen aus dem näheren Umfeld des Präsidenten involviert sind. Odebrecht und Sonangol hatten das Konsortium BIOCOM gegründet, um in den Zuckerrohranbau in der nördlichen Provinz Malanje zu investieren. Ziel war es, Zucker, Alkohol und Elektrizität zu produzieren. Zu 40 Prozent beteiligte sich der Mischkonzern Odebrecht, zu 20 Prozent eine Tochterfirma von Sonangol und zu 40 Prozent ein frisch gegründetes Unternehmen namens Damer Indústrias. Hinter Damer standen laut Rafael Marques zu gleichen Teilen Manuel Vicente, Dino und Kopelipa, die die Gesellschaft über ein paar Strohfirmen kontrollierten. Zwei Jahre später machten sie ihren Einfluss in der Regierung geltend – Kopelipa saß als Staatsminister und Vicente als Sonangol-Vorsitzender mit am Kabinettstisch –, um das BIOCOM-Projekt staatlich zu fördern. So erhielt ein Joint Venture, an dem sie zu 40 Prozent beteiligt waren, 272 Millionen Dollar aus der Staatskasse. Dieses Geld stammte letztlich zu einem überwiegenden Teil aus den Einnahmen von Sonangol selbst.
Der Fall zeigt deutlich, wie ein einflussreicher Führungszirkel seine Macht missbraucht, um öffentliche Gelder in seine privaten Unternehmen zu lenken. Diese Unternehmen sind jedoch häufig reine Investmentgesellschaften, deren Geschäftsmodell in der Regel nicht ohne äußere Investitionen von Kapital und Know-how auskommt. Der ausländische Investor erkauft sich daher den Zugang zur gewünschten Ressource, in diesem Fall die Ackerfläche zur Zuckerrohrproduktion, indem er die lokalen Entscheidungsträger etwa über dubiose Joint Ventures an den Profiten beteiligt. Im vorliegenden Beispiel gingen 40 Prozent an den Investor, 40 Prozent an die lokalen Eliten und 20 Prozent an den angolanischen Staat, nicht ohne dass sich die lokalen Eliten nach zwei Jahren jedoch noch einen Bonus in Höhe von einer Viertelmilliarde Dollar vom Staat holten. Der Investor war in diesem Fall – als Exempel einer gelungenen Süd-Süd-Kooperation – ein brasilianischer Großkonzern, doch in der Regel sind es westliche oder chinesische Firmen. In den kommenden Jahren brachte das Zuckerrohrprojekt dem Konsortium gute Gewinne ein, allerdings wurde Odebrecht später wegen der Arbeitsbedingungen in Malanje verurteilt, die das brasilianische Gericht als »sklaverei-ähnlich« bezeichnete. Von den 10 Millionen Dollar Strafe, zu denen der Multi verurteilt wurde, kam jedoch nichts bei den 400 Arbeitern in Angola an.1
Der BESA-Portmill-Deal
Anhand der veröffentlichten Fakten hat u.a. das Journalismus-Kollektiv ICIJ (International Consortium of Investigative Journalists) bereits viele Seiten damit gefüllt, das gesamte Netzwerk der angolanischen Kleptokratie auszuleuchten und viele Einzelfälle von Betrug, Vorteilsgewährung, Nepotismus, Bestechung und Menschenrechtsverletzungen aufzuarbeiten. An dieser Stelle können also lediglich einige Beispiele dieser Praktiken angeführt werden, denn der portugiesischen Ex-Europaabgeordneten Ana Gomes zufolge ist das, was man heute weiß, wahrscheinlich kaum mehr als die Spitze des Eisbergs. Um also eine Vorstellung von der kriminellen Energie zu bekommen, die Vicente, Dino, Kopelipa und ihre Kompagnons aufbrachten, betrachten wir beispielhaft den Fall der BESA. Diese Tochterbank des ehemaligen portugiesischen Kreditinstituts BES wird zunächst teilweise verkauft, gerät dann in den Bankrott, wird gerettet, geteilt, umbenannt – und am Ende steht immer das Trio als Sieger dar.
Stellen Sie sich vor, Sie wollen Anteile an einer Bank erwerben. Sie möchten knapp ein Viertel der Bank kaufen, für 375 Millionen Dollar. Doch anstatt diese 375 Millionen einfach zu bezahlen, bekommen Sie von derselben Bank, die Sie kaufen wollen, einen zinsgünstigen Kredit in Höhe von 375 Millionen, um damit ihre Anteile zu erwerben. Und obendrein bekommen Sie von einer anderen Bank noch einmal den gleichen Betrag als Darlehen rückerstattet. Dieses Schlaraffenland ist Angola inmitten der Finanzkrise des Jahres 2009 und die Herren, die sich die Brathähnchen in den Mund fliegen lassen, heißen, kaum verwunderlich, Manuel Domingos Vicente, General Dino und General Kopelipa. Doch wie haben sie das geschafft?
Im Jahr 2009 gerät die portugiesische Traditionsbank BES (Banco Espírito Santo) durch die Erschütterungen der internationalen Finanzmärkte ins Trudeln. Um sich mehr Liquidität zu verschaffen, verkauft die Bank 24 Prozent ihrer angeschlagenen angolanischen Tochter BESA (Banco Espírito Santo Angola), die auf vielen faulen Krediten sitzt. Ein Käufer findet sich rasch, es ist eine unbekannte angolanische Aktiengesellschaft namens »Portmill Investimentos e Telecomunicações«. Wie der angolanische Recherchejournalist Rafael Marques berichtet, ist Portmill wiederum ein Tochterunternehmen von »Grupo Aquattro«. Dino, Kopelipa und Vicente sind die Eigentümer dieses Mischkonzerns, aus dem in den Jahren 2007 und 2008 noch ca. 40 weitere Tochterfirmen gegründet wurden, darunter auch große Firmen und Gruppen wie die Medianova Group oder die Supermarktkette Kero.
Somit geht der Verkauf der BESA-Anteile an eine formell eigenständige Firma, die letztlich aber Dino, Kopelipa und Manuel Vicente untersteht. Unter den 40 Tochterfirmen von »Grupo Aquattro« hat die Tochter Portmill allerdings noch drei »Schwesterfirmen«, mit denen sie nicht ganz zufällig die Adresse in Luanda, nämlich ein Apartment in der Rua Luís Mota Fêo Nr. 3, teilt. Man kann diese Firmen also mit einiger Berechtigung als Briefkastenfirmen bezeichnen.
Am 20. November 2009 bewerben sich diese drei Scheinfirmen jeweils um ein Darlehen bei BESA. Die »große Schwester« Portmill bürgt für die drei Firmen und eine Woche später erhalten zwei der Firmen jeweils 120 Millionen überwiesen, die dritte 135 Millionen – insgesamt also einen Summe von 375 Millionen Dollar. Innerhalb von wenigen Stunden nach Eingang der Zahlung heben alle drei Firmen das Geld ab, und am gleichen Tag noch geht der gleiche Betrag bei Portmill ein. Als Bürge für die Millionen-Kredite an die drei Strohfirmen fungierte übrigens Rafael Marques zufolge António Carlos Oliveira, ein Cousin von General Dino. Die Briefkastenfirma Portmill, die indirekt dem Trio gehört, erhält also über drei weitere Briefkastenfirmen, die ebenfalls dem Trio gehören, ein Darlehen von BESA, um sich damit einen Anteil von BESA zu kaufen. Darüber hinaus erhalten sie von einer anderen Bank, der BAI (Banco Angolano de Investimentos), an der Manuel Vicente über Sonangol mit einem Anteil von 8,5 Prozent auch Hauptaktionär war (neben den fünf Prozent, die er privat über die Mantelfirma ABL hielt), einen weiteren Kredit in Höhe von 375 Millionen Dollar. Dieser Betrag war offiziell ebenfalls zum Anteilskauf bei der BESA bestimmt, über den Verbleib der Summe ist jedoch bislang nichts Weiteres bekannt.
Warum das Ganze? Denn, wie Rafael Marques richtigerweise anmerkt, kam diese vermeintliche Kapitalspritze doch in erster Linie der strauchelnden Mutterbank BES in Portugal zugute. Obwohl man nur mutmaßen kann, scheint es plausibel, dass das Trio nicht nur eingriff, um seinen alten Geschäftspartner Ricardo Salgado, CEO der BES Portugal, nicht hängen zu lassen. Zu groß waren wohl die Befürchtungen, ein Bankrott der BES könnte auch die BESA mit herabziehen, an der letztlich zu viele Eigeninteressen der Drei hingen. So war etwa General Dino über das Unternehmen Geni Novas Tecnologias, bei dem er mit 62 Prozent Mehrheitsaktionär ist, selbst mit 19 Prozent Aktionär bei BESA. Sicherlich wäre ein Konkurs von BES und BESA nicht in seinem Interesse gewesen. Mit dem scheinbar frischen Kapital ausgestattet stieg überdies der Wert der Bank wieder an.2 Außerdem wollte Dino gewiss Verluste für sein Unternehmen Dinagest verhindern, das dort Einlagen von 300 Millionen Dollar hatte. Darüber hinaus wurden die Drei mit einem Mal einer der wichtigsten Aktionäre bei der BESA, immerhin eine der größten Banken des Landes.
Um es nochmals kurz zusammenzufassen: Die drei Kompagnons haben sich Kredite in Höhe von 0,75 Milliarden US-Dollar von zwei Banken beschafft, bei denen sie wichtige Aktienpakete halten, um von der Hälfte dieser Kredite ihren Anteil an der ersten Bank, der BESA, zu erhöhen. Damit konnten Sie ihre Anteile und Einlagen an der Bank schützen, ihren Einfluss in der Bank ausbauen und hatten obendrein noch die andere Hälfte der Kredite übrig, um sie anderweitig zu investieren.
Doch damit ist die Geschichte noch nicht vorbei, denn erwartungsgemäß änderte die BESA ihr Geschäftsgebaren nicht. Das »Geschäftsmodell« der Bank, die die Europapolitikerin Ana Gomes lapidar als »Sparschwein für Angolas Oberschicht« bezeichnete, bestand nämlich weiterhin darin, ohne Prüfungen Kredite an die Elite und ihre Familienangehörigen zu vergeben. Die Bank war also wahrscheinlich von vornherein nicht dafür geschaffen, Gewinne zu erwirtschaften, sondern – bis zum Zeitpunkt der Insolvenz, den man so weit wie möglich aufschob – Geld an die Mächtigen im Land zu verteilen, um sich selbst die Taschen zu füllen oder um Gefälligkeiten zu erweisen und sich auf diese Weise Loyalität einzukaufen. Auf diese Weise veruntreute die Bank 80 Prozent ihres Kapitals, sodass 2014 ein Loch von mindestens drei Mrd. Euro in den Geschäftsbüchern der Bank klaffte. Unter anderem dadurch geriet die Mutterbank BES in Portugal erneut in erhebliche Turbulenzen, auch wenn die Verantwortung dafür keineswegs nur in Angola lag. Die BES musste schließlich vom portugiesischen Staat gerettet werden und zog sich in der Folge unter entschädigungsloser Aufgabe ihrer Anteile aus ihrer Tochterbank in Angola zurück. So musste die BESA schließlich doch liquidiert werden.
Man spaltete die Bank auf: Es wurde eine neue Bank namens »Banco Económico« (BE) gegründet, auf die die gesunden Geschäftsanteile entfielen, während die BESA als »Bad Bank« auf ihren faulen Krediten sitzen blieb und abgewickelt wurde. An dieser Stelle trat wiederum ein neues, unbekanntes Unternehmen namens »Lektron Capital« auf den Plan und erhielt 31 Prozent der Anteile der neuen Bank. Sein Geschäftsführer heißt Zandré Endénio de Campos und war bereits Geschäftsführer von Portmill, der Briefkastenfirma vom Trio Vicente, Dino und Kopelipa. Und das ist kein Zufall. Obwohl das Trio dies stets geleugnet hatte, bestätigte die angolanische Staatsanwaltschaft im Juni 2019, dass die Endbegünstigten der Firma Lektron drei wohlbekannte Politiker waren: Manuel Vicente und die beiden Generäle, die sich nicht mal die Mühe gemacht hatten, für ihre neue Strohfirma einen neuen Strohmann zu suchen. So blieb Zandré de Campos auf seinem Posten, nur dass er jetzt anstelle von Portmill das Mäntelchen von Lektron Capital trug und seine Bank nun Banco Económico hieß und nicht mehr BESA.
Einen Unterschied gab es aber: Der Anteil von Lektron an BE beträgt noch heute 31 Prozent anstelle der 24 Prozent, die Portmill an BESA hielt. Um sich selbst für die entstandenen Kosten zu entschädigen, die der höhere Anteil mit sich brachte, wählte man einen einfachen Trick. Als Leiter der Erdölgesellschaft Sonangol überwies Manuel Vicente kurzerhand einen »Gründungszuschuss« in Höhe von 125 Millionen Dollar an seine Strohfirma Lektron. Außerdem übernahm Sonangol die gesamten Kosten in Höhe von 650 Millionen Dollar, die zur Transformation der insolventen BESA in die neue Banco Económico anfielen. Daneben bezahlte das Staatsunternehmen nicht nur die eigenen Anteile in Höhe von 40 Prozent, sondern auch die Anteile von Geni Novas Tecnologias (19 Prozent), das ja, wie erwähnt, ebenfalls General Dino gehört. Vicente und seine Freunde nahmen also die Einnahmen ihres Landes aus dem Erdölgeschäft und gaben sie an ihre eigenen Firmen weiter, um davon eine Bank zu retten und zu übernehmen, die sie zuvor systematisch in den Ruin getrieben hatten.
Manuel Vicente und seine Freunde nahmen die Einnahmen ihres Landes aus dem Erdölgeschäft und gaben sie an ihre eigenen Firmen weiter, um davon eine Bank zu retten und zu übernehmen, die sie zuvor systematisch in den Ruin getrieben hatten.
Dies alles geschah nicht nur zum Schaden der Bürgerinnen und Bürger Angolas, sondern auch, wie Rafael Marques betont, zum Nachteil Portugals. Von den 78 Milliarden, die sich Portugal unter der Aufsicht der Troika leihen musste, gingen 12 Milliarden an die Banken, fünf davon an die BES. Als sich die finanzielle Lage der Bank 2014 bis hin zu einer drohenden Insolvenz zuspitzte, griff der portugiesische Staat der BES mithilfe europäischer Kredite unter die Arme und rettete sie für 4,9 Milliarden Euro. Für Portugal war dies eine gewaltige Summe, die mehr als zwei Prozent des jährlichen BIP ausmachte (in Deutschland entspricht das ca. 80 Milliarden Euro). Allerdings tragen zahlreiche Akteure der ehemaligen Kolonialmacht ebenso viel Verantwortung für die Korruption wie die berüchtigte angolanische Kleptokratie. Niemals hätte die angolanische Tochter BESA so handeln können, wie sie gehandelt hat, wenn nicht die »Mutter«, die altehrwürdige Banco Espírito Santo in Lissabon, beide Augen fest zugedrückt hätte. Deren einstiger Chef und Urenkel des Bankengründers, Ricardo do Espírito Santo Salgado, hatte das Familienunternehmen und ehemals zweitgrößte portugiesische Kreditinstitut, das er gemeinsam mit seinem Onkel und seinem Cousin leitete, durch schwerwiegende Korruption seinerseits in den Bankrott getrieben.3 Auch den ehemaligen Vorsitzenden der BESA, Álvaro Sobrinho, der während seiner Amtszeit etwa 600 Millionen Dollar veruntreut und somit maßgeblich zum Bankrott der Bank beigetragen hatte, hatte Salgado persönlich ernannt und protegiert.
Doch auch andere Akteure kommen laut Ana Gomes nicht gut dabei weg. Der Troika, die damals u.a. die Bankenaufsicht in Portugal an sich gezogen hatte, wirft sie vor, mutwillig weggesehen zu haben, während europäisches Recht gebrochen wurde. Auch die anderen portugiesischen und europäischen Behörden hätten versagt und trotz ihrer zahlreichen Beschwerden nicht reagiert. »Es hätte ihnen nicht gleichgültiger sein können«, äußerte Gomes resigniert. Doch nicht zuletzt die portugiesische Justiz blieb auffällig unauffällig. Hohe Wellen schlug es in Portugal, als bekannt wurde, dass der portugiesische Staatsanwalt Orlando Figuira mit ca. 750.000 Euro bestochen wurde, um von einer strafrechtlichen Verfolgung Manuel Vicentes wegen des BESA-Portmill-Deals abzusehen. Dieser spektakuläre Korruptionsfall reiht sich jedoch nur ein in eine Kette von Ereignissen, bei denen die portugiesische Justiz trotz vorliegender Hinweise nicht tätig wurde, die Aufnahme von Untersuchungen zum BESA-Portmill-Deal zunächst verschleppte und den Fall schließlich 2015 zu den Akten legte. Die Begründung des zuständigen Staatsanwalts Matos, die alle weiteren Umstände geflissentlich ignorierte, lautete damals: »Portmill zeigte, dass es ein Darlehen über 375 Millionen Dollar von der Angolanischen Investmentbank BAI erhalten hatte, um die Aktien [der BESA] am 7. Dezember 2009 zu erwerben.« Er urteilte daher, es lägen keine weiteren Informationen vor, um eine weitere Untersuchung der Umstände zu rechtfertigen.
Inzwischen ist Vicente zwar in Portugal rechtskräftig verurteilt, doch Angola weigert sich, den ehemaligen Vize-Präsidenten auszuliefern. Und selbst wenn man darin übereinstimmt, dass die Auslieferung eines hochrangigen Politikers an die einstige Kolonialmacht einen unangenehmen Beigeschmack hätte, so fällt doch auf, dass die eigene Generalstaatsanwaltschaft in Luanda bislang keinerlei Schritte unternimmt, Vicente und seine Clique unter die Lupe zu nehmen. Zu gut vernetzt und zu tief verwurzelt in den bestehenden Machtstrukturen sind das Trio und seine Komplizen, als dass ein Wechsel an der Spitze sie ernstlich erschüttern könnte, ohne einen entschlossenen Machtkampf auszutragen.
Und während die glamouröse Isabel dos Santos mitsamt ihrer illustren Familie in Ungnade gefallen ist und es sogar im Westen in die Schlagzeilen geschafft hat, fliegt ein Großteil der ehemaligen und aktuellen Elite weiter unter dem Radar. Ob die gegenwärtige Corona-Krise, die Präsident Lourenço derzeit eher zu schaden als zu nützen scheint, neben allen anderen Kollateralschäden auch den Protagonisten der alten Ordnung wieder mehr Auftrieb verleiht, werden die kommenden Monate zeigen.
Daniel Düster
Operation Fizz
Unter dem Namen »Operação Fizz« wurde in Portugal 2014 ein Justizskandal publik. Der Staatsanwalt Orlando Figueira von der Zentralstelle für Untersuchungen und Strafverfolgung hatte erwiesenermaßen einen Betrag von 763.000 Euro angenommen, um im Gegenzug laufende Ermittlungen fallenzulassen. Die zu unterlassenden Ermittlungen betrafen den Verkauf von Anteilen der BESA an das Unternehmen Portmill. Daher zählte Manuel Vicente logischerweise zu den Hauptverdächtigen für die Bestechung und wurde schließlich auch dafür in Abwesenheit verurteilt.
Allerdings äußerte Ana Gomes zufolge der Staatsanwalt Figueira sowohl vor Gericht als auch ihr im Gespräch gegenüber eine andere Version der Geschichte: Nicht Manuel Vicente habe ihn bestochen, sondern zwei Mittelsmänner, über die das Schmiergeld vermittelt werden sollte. Diese Mittelsmänner waren der bekannte portugiesische Anwalt Daniel Proença de Carvalho und der CEO von BNI Europe (die Tochterbank von BNI Angola unter der Leitung von Mario Palhares), Carlos Silva, die auf Geheiß von Isabel dos Santos handelten, um somit ihren Rivalen Manuel Vicente in Europa in Misskredit zu bringen und seine mögliche Präsidentschaft zu verhindern. »Trotz dieser schweren Anschuldigungen wurden aber weder Proença de Carvalho noch Silva rechtlich belangt. Ich war mehrmals im Fernsehen und habe öffentlich gefragt, warum sie nicht vorgeladen werden, aber anscheinend genießen sie in der Judikative Schutz«, so Ana Gomes.
Ob es sich hierbei um eine bloße Nebelkerze des Staatsanwalts handelt oder um einen ernstzunehmenden Vorwurf, bleibt unklar. Doch gleichgültig, ob Figueira zuletzt die Wahrheit gesagt hat oder nicht, ist dieser Fall ein Beleg für die Rivalität zwischen Isabel dos Santos und Manuel Vicente. Denn entweder hatte Figueira Recht und Isabel dos Santos wollte Vicente schaden – oder er hat gelogen und wollte Vicentes Reputation zulasten der Präsidententochter schützen.
Fußnoten
1 Bereits früher ist es im Rahmen von Odebrechts Investitionen in die Diamantenförderung in Angola zu schweren Menschenrechtsverletzungen gekommen. Laut Deutscher Welle und Rafael Marques wurden Fälle von Vergewaltigung, Folter und Mord an Dorfbewohnerinnen und Bergleuten dokumentiert. Im Rahmen des großen Korruptionsskandals »Lava Jato« (»Waschanlage«) in Brasilien wurde außerdem enthüllt, dass Odebrecht 20 Millionen Dollar an ein Regierungsmitglied in Angola gezahlt hat, dessen Name jedoch nicht veröffentlicht wurde. Odebrecht unterhielt offenbar eine eigene Unternehmensabteilung für »strukturierte Operationen«, wie die Bestechungsgelder an ausländische Entscheidungsträger verklausuliert wurden.
2 Rafael Marques führt als Vergleich den Fall der Bank Lehman Brothers an, die angesichts einer immer auswegloseren finanziellen Lage im Jahr 2008 begann, illegal Kredite für den Kauf der eigenen Aktien zu gewähren, um verzweifelt eine Wertsteigerung zu bewirken. Wenige Monate später war das Institut bankrott.
3 Zur Schieflage führte vor allem die Verschleierung von Verlusten der Finanzholding ESI (Espirito Santo International) in Höhe von 1,3 Mrd. Euro durch Ricardo Salgado. Das Geld war großteils an eine Mantelgesellschaft in der Schweiz geleitet worden, über die Salgado heimlich das Firmennetzwerk seiner Familie finanzierte. Als Rioforte, eine Unternehmensgruppe aus diesem Geflecht und Hauptschuldner der BES, in finanzielle Schwierigkeiten geriet, vertuschte Salgado dies solange, bis Rioforte Konkurs anmeldete und die BES als ihre Gläubigerin mit sich in die Insolvenz zog.