Heft 3/2020, Afrika: Covid-19

Herausforderung Covid-19

DIE AUSWIRKUNGEN DER COVID-19-PANDEMIE AUF SUBSAHARA-AFRIKA. Von den Mitte Mai weltweit über 4,5 Millionen gemeldeten Covid-19-Fällen und über 300.000 im Zusammenhang mit der Krankheit Verstorbenen steht Afrika mit bis dahin ca. 75.000 Covid-19-Infektionen und 2.500 gemeldeten Todesfällen vergleichsweise glimpflich da. Die Auswirkungen auf die Bewegungsfreiheit, den Nahrungsmittelzugang und bereits bestehende Konflikte sind gleichwohl erheblich.

Der Ausbruch von Covid-19 hat sich verheerend auf die globale Ordnung ausgewirkt und unsere sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bemühungen auf der ganzen Welt einschließlich Afrikas beeinträchtigt. Angesichts der raschen Ausbreitung in allen Ländern und des erheblichen Risikos für die weltweite öffentliche Gesundheit bezeichnete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Covid-19 am 11. März 2020 als eine globale Pandemie.

In Europa forderte der Ausbruch von Covid-19 die Reaktionsfähigkeit der Regierungen angesichts einer unvorhersehbaren und beispiellosen Situation heraus, die durch die mangelnde Vorbereitung auf eine solche unerwartete Epidemie und fehlende Testmöglichkeiten entstanden war. Zur Eindämmung der Pandemie werden weltweit noch nie dagewesene politische Maßnahmen ergriffen, darunter Vorschriften zur Einhaltung der sozialen Distanz bis hin zur vollständigen Abriegelung, einschließlich einer polizeilich durchgesetzten Vorgabe, die Wohnungen nicht zu verlassen, insbesondere in Italien, Frankreich, Spanien und dem Vereinigten Königreich.

In Afrika haben nach Angaben der UN-Wirtschaftskommission für Afrika (UNECA) mindestens 42 Länder die Bewegungsfreiheit und Aktivitäten ihrer Bevölkerung durch teilweise oder vollständige Ausgangssperren eingeschränkt. Angesichts einer sich rasch verändernden Situation mit großer Ungewissheit und so vielen Unbekannten haben die meisten Regierungen weltweit und in Afrika auf ähnliche Ansätze wie in der „entwickelten" Welt zurückgegriffen, um die Covid-19-Pandemie einzudämmen. Afrikanische Länder wie Südafrika, Ghana, Ruanda, Kenia, Sudan und Uganda haben schnell und entschlossen reagiert, um den potenziellen Zustrom und die Ausbreitung des Covid-19-Virus einzudämmen, ganz im Einklang mit den Erfahrungen der Industrieländer. Mit fortschreitender Entwicklung stellen sich zunehmend Fragen zur Eignung und möglichen Wirksamkeit einiger dieser Maßnahmen, wie z.B. der strikten Abschottung. Laut Weltbank gibt es mehrere Gründe, warum sich die in Subsahara-Afrika durchgeführten Covid-19-Maßnahmen von denen in fortgeschrittenen Ländern und (einigen) Ländern mit mittlerem Einkommen, die über ein Sozialversicherungssystem, Versicherungen und bezahlten Urlaub verfügen, unterscheiden sollten.

In Afrika haben Lockdowns und Ausgangssperren in den meisten Fällen zum Verlust von Arbeitsplätzen und Einkommensströmen für die etwa 85,5 Prozent der Menschen geführt, die im informellen Sektor tätig und auf Tageslöhne angewiesen sind, was das Risiko der Ernährungsunsicherheit und des Verlusts des Lebensunterhalts auf dem ganzen Kontinent erhöht. Man muss sich vor Augen führen, dass eine beträchtliche Anzahl von Konflikten auf dem Kontinent ressourcenbasiert ist und durch Klimaschocks, strukturelle Regierungsdefizite und das Fehlen institutionalisierter Konfliktlösungsmechanismen angeheizt wird. Das Covid-19-Umfeld wird diese Spannungen sicherlich noch verschärfen, da die Gemeinden mit Regierungsmaßnahmen zu kämpfen haben, die sich direkt auf ihre Fähigkeit auswirken, ihre Familien zu ernähren.

Wahlen und politische Krise
Nach Angaben der Kommission der Afrikanischen Union sollen bis Ende 2020 in mindestens 15 AU-Mitgliedstaaten Wahlen abgehalten werden. Die Pandemie hat hier entscheidende Bedenken aufgeworfen, ob die Wahlen innerhalb der festgelegten Frist organisiert und im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Bestimmungen abgehalten werden können. Nicht wenige politische Akteure und Bürger machen sich Sorgen, dass etliche Regierungen die Pandemie ausnutzen könnten, um sich über ihre verfassungsmäßigen Grenzen hinaus an die Macht zu klammern, während Bürger, Gruppen und politischen Parteien die Regierungen auffordern, die Wahlen bis zur Eindämmung der Pandemie zu verschieben. Das könnte den demokratischen Prozess gefährden und zu Spannungen zwischen den Regierungsparteien und der Opposition führen, mit möglichen Konsequenzen für die politische Stabilität.

Weltweit werden Wahlen aufgrund der Coronakrise verschoben. Im Zusammenhang mit Covid-19 haben mindestens 47 Länder in aller Welt beschlossen, ihre Wahlen zu verschieben, 14 Länder haben beschlossen, ihre Wahlen trotz der Gesundheitskrise wie ursprünglich geplant abzuhalten. In Afrika haben sich sieben Länder – Südafrika, Tunesien, Nigeria, Simbabwe, Gambia, Äthiopien und Kenia – für eine Verschiebung von Wahlen entschieden, während Guinea, Kamerun und Mali die Wahlen wie ursprünglich geplant durchgeführt haben. In Burundi bergen die für den 20. Mai 2020 geplanten Wahlen das Risiko, dass die Gewalt bei den Wahlen in dieser Zeit auch zur Flucht von Menschen sowohl innerhalb Burundis als auch in die Nachbarländer führen könnte, was die Gefahr einer weiteren Ansteckung erhöht. Darüber hinaus kann die Verschiebung von Wahlen auch als Gelegenheit genutzt werden, sich in laufenden Konflikten militärische und politische Gewinne zu verschaffen. In der Tat kann die Art und Weise, wie auf die Krise reagiert wird und wie damit andere Agenden ermöglicht werden, zu unabhängigen Konfliktbeschleunigern werden. Dazu könnte auch die Wahrnehmung voreingenommener Entscheidungen hinsichtlich der Frage beitragen, welche Bedürfnisse der Gemeinschaften als vorrangig angesehen werden.

Konfliktvermeidung und Mediation
Die Ausbreitung von Covid-19 in Afrika hat Auswirkungen auf die Bemühungen um Konfliktprävention und Mediation. Nach Angaben der AU-Kommission hat das neuartige Coronavirus die Umsetzung entscheidender Friedensabkommen verzögert und unsere Vermittlungsbemühungen auf lokaler Ebene behindert. Die Verhandlungen mit bewaffneten Gruppen im Sudan, die Umsetzung des Friedensabkommens der Zentralafrikanischen Republik sowie die laufenden Gespräche in Libyen sind in den Hintergrund getreten. Auch die vor kurzem eingesetzten Übergangsregierungen im Südsudan und im Sudan benötigen neben wirtschaftlicher Unterstützung eine robuste Vermittlung und diplomatische Unterstützung – Bemühungen, die durch die Covid-19-Pandemie behindert wurden.

Darüber hinaus nutzen auch terroristische und nichtstaatliche bewaffnete Gruppen die Pandemie für verstärkte Angriffe aus. In Westafrika starteten die Aufständischen von Boko Haram eine Offensive gegen einen Armeestützpunkt, bei der Hunderte von Friedenssoldaten ums Leben kamen. Am Horn von Afrika hat die al-Shabaab-Miliz mit dem jüngsten Angriff auf ein UN-Gelände in Somalia und Kenia die Angriffe auf die Zivilbevölkerung in Somalia und Kenia fortgesetzt. Im südlichen Afrika hat die dem Islamischen Staat angeschlossene Dschihad-Gruppe ihre Angriffe in Mosambik verstärkt. Als ob die Ausbreitung von Terrorismus und Extremismus auf dem Kontinent nicht schon beunruhigend genug wäre, ist es noch alarmierender zu sehen, wie Terrorgruppen den Ausbruch des Coronavirus nutzen, um Falschinformationen zu verbreiten und verschiedene Social-Media-Plattformen zu nutzen, um extremistische Ideologien zu verbreiten und die Rekrutierung zu fördern.

Soziale Spannungen, Konflikte und gefährdete Personen
Der AU-Kommission zufolge hat Covid-19 negative Auswirkungen auf die soziale und politische Stabilität und schafft die Voraussetzungen für Unruhen insbesondere in den am stärksten von einer Lebensmittelkrise gefährdeten Ländern. Steigende Lebensmittelpreise und soziale Spannungen als Folge des Ausbruchs und der damit verbundenen Verhaltensänderungen könnten zu vorübergehender Nahrungsmittelknappheit, Preisspitzen und Störungen auf den Märkten führen. Solche Preissteigerungen würden vor allem die gefährdeten Bevölkerungsgruppen zu spüren bekommen, die für den Lebensmittelerwerb von den Märkten abhängig sind, aber auch diejenigen, die zur Sicherung ihres Lebensunterhalts und des Zugangs zu Lebensmitteln bereits auf humanitäre Hilfe angewiesen sind. Die Ungewissheit über die künftigen Auswirkungen der Pandemie in Verbindung mit Bewegungseinschränkungen, steigender Arbeitslosigkeit, eingeschränktem Zugang zu Nahrungsmitteln und der Erosion bereits fragiler Lebensgrundlagen kann zu Unzufriedenheit in der Bevölkerung führen und Gewalt und Konflikte schüren.

Mit mehr als 30 Millionen Flüchtlingen und Binnenvertriebenen, die über unseren Kontinent verteilt sind, bleiben die am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen weiterhin in Gefahr. Es ist jedoch wichtig, darauf hinzuweisen, dass Krisenmomente auch Wendepunkte in einem Konflikt darstellen können, je nachdem, wie sich die Parteien verhalten und ob Friedensakteure Möglichkeiten zur Zusammenarbeit nutzen können.

Covid-19 wird die Errungenschaften in Bezug auf Demokratie und Menschenrechte in einigen Ländern vor große Herausforderungen stellen, doch einige herrschende politische Eliten nutzen die Pandemie, um sich über ihre verfassungsmäßigen Grenzen hinaus an der Macht zu halten. In naher Zukunft besteht ein großer Bedarf an detaillierter Forschung zu den Auswirkungen von Covid-19 und den Ausstiegsstrategien in Subsahara-Afrika.

Cosmas Bahali

Der Autor ist Forscher und Analyst für Sozialpolitik, Frieden und Sicherheit in Afrika am Institute of Peace and Conflict Studies in Africa mit Sitz in Daressalam, Tansania. Er ist regelmäßiger Kommentator für DW-Swahili, Voice of America und South African Broadcasting Corporation Channel Africa.