Heft 3/2020, Sambia

Lungu und der Durst nach Macht

SAMBIA IN UNRUHIGEN ZEITEN.

Sambia durchlebt gegenwärtig unruhige Zeiten, politisch, sozial und wirtschaftlich. Noch Anfang des Jahres war die Öffentlichkeit geschockt und verängstigt von mysteriösen Gasüberfällen in verschiedenen Teilen des Landes, die zur panikartigen Verfolgung von vermuteten Tätern und zahlreichen Toten durch Lynchjustiz führten. Auch politische Vorwürfe zwischen Regierung und Opposition, wer welches Interesse an einer Destabilisierung des Landes habe, standen im Raum.

Nur Wochen später trat die Corona-Krise in den Vordergrund und die Gasüberfälle spielen seither keine Rolle mehr. Mitte März erließ die Regierung eine erste Verordnung, der weitere folgten, um die sich ausbreitende globale Corona-Pandemie, in Sambia aufzuhalten. Sie verfügte zuallererst die Schließung der Grenzen für Einreisen aus Hochrisikoländern und Quarantäne für alle rückkehrende Einheimische sowie Beschränkungen für Ausreisen Einheimischer in Risikoländer. COVID-19 und die Minimierung sozialer Kontakte prägt nun die öffentliche Debatte. Da in Sambia eine große Zahl von Menschen aus China lebt und arbeitet, galt es als gefährdet für eine schnelle Verbreitung des Virus. Dennoch hat die Regierung im Land keinen so rigorosen Lockdown verfügt wie andere Länder in der Region. Bisher ist die Zahl der festgestellten Infektionen überschaubar geblieben. Mitte Mai lag sie bei 654, und 7 Menschen waren an dem Corona-Virus gestorben.

Längerfristig von Bedeutung und in seiner Tragweite für die unruhigen Zeiten in Sambia noch grundlegender ist die wirtschaftliche Lage. Seit mehreren Jahren steigt die internationale Verschuldung des Landes, deren Bedienung die nationale Wirtschaft, zunehmend belastet. In dieser Situation haben Mitte April einige hochrangige Wirtschaftsfachleute, darunter drei frühere Finanzminister, zu dem ungewöhnlichen Schritt eines Offenen Briefs an Sambias Präsidenten Edgar Lungu und den amtierenden Finanzminister gegriffen, um eine schnelle Lösung des Verschuldungsproblems anzumahnen. Die Wirtschaft sei kurz vorm Kollaps, schreiben sie. Sie verkennen nicht äußere Faktoren wie Regenausfälle infolge des Klimawandels und die Corona-Pandemie. Der wichtigste Grund aber sei politischer Natur: die unkontrollierte Kreditaufnahme der Regierung und die ausufernde und wenig effektive Ausgabenpolitik.

Was der Offene Brief nicht anspricht, ist, dass die Ausgabenpolitik der sambischen Regierung unter der Partei „Patriotic Front" (PF) ein wesentlicher Teil ihrer Herrschaftsstrategie ist und dass der amtierende PF-Präsident Lungu diese Politik für seine Patronagepolitik und zur Sicherung seiner Macht bei der Präsidentschaftswahl 2021 fortzusetzen beabsichtigt. Sein Durst nach Macht hat die Entwicklung Sambias bereits seit seiner Machtübernahme 2015 geprägt.

Die Justiz im Dienste von Lungus Machtstreben
Nach dem frühzeitigen Tod des PF-Präsidenten Michael Sata Ende 2014 eskalierte der Machtkampf um seine Nachfolge. Satas Vize-Präsident, Guy Scott, ein Sambier britischer Herkunft, berief als Interimspräsident eine Nationale Konferenz ein. Der Flügel um Lungu, den Sata kurz vor seinem Tod zum PF-Generalsekretär ernannt hatte, hielt dagegen unter Einsatz von „cadre power und thuggery", wie Scott in seinen späteren Memoiren schrieb, eine eigene Nationale Konferenz ab, die Lungu zum PF-Kandidaten bestimmte. In einem hoch umstrittenen Urteil bestätigte der High Court Lungu als alleinigen PF-Kandidaten. Als der andere PF-Kandidat Sampa das Urteil am nächsten Tag anfechten wollte, erklärte sich die Richterin, die tags zuvor das Urteil abgesegnet hatte, für befangen, da sie mit Lungu verwandt sei.

Lungu gewann die Wahl Anfang 2015 und wurde 2016 bei der nächsten regulären Präsidentschaftswahl erneut mit knapper Mehrheit gewählt. Vor allem die letzte Wahl war mit erheblichen Unruhen und Unregelmäßigkeiten verbunden, die den unterlegenen Kandidaten der Oppositionspartei „United Party for National Development" (UPND), Hakainde Hichilema, veranlasste, eine Wahlbeschwerde beim Verfassungsgericht einzulegen. Erneut spielte die Justiz eine dubiose Rolle. Ohne die Wahlbeschwerde der UPND inhaltlich anzuhören, wie es die Verfassung vorschreibt, nahm das Gericht die Klausel, die eine 14-Tage-Frist für die Behandlung einer Wahlbeschwerde festlegt, zum Vorwand, den Antrag ohne Anhörung abzuweisen.

Oppositionsführer Hichilemas Weigerung, Lungu nach dieser willkürlichen Entscheidung als rechtmäßigen Präsidenten anzuerkennen, blieb der PF-Regierung ein Dorn im Auge. Nach einem glimpflich verlaufenen Verkehrszwischenfall, bei dem Hichilemas Autokonvoi den Konvoi des Präsidenten behindert hatte, bauschte sie den Zwischenfall zu einem versuchten Putschversuch auf und ließ Hichilema wegen des Verdachts des Hochverrats einsperren. Nach scharfer Kritik aus dem In- und Ausland wurde Hichilema nach vier Monaten – ohne Gerichtsverfahren – freigelassen. (vgl. afrika süd, Sept./Okt. 2017)

Kontroverse um eine dritte Amtszeit
Bereits ein Jahr nach seiner 2. Wahl zum Präsidenten erklärte Lungu, er werde 2021 erneut kandidieren. Diese Ankündigung war umstritten, denn dem Staatspräsidenten stehen nach der Verfassung Sambias nur zwei Amtsperioden zu. Zwar legt die 2016 verabschiedete reformierte Verfassung fest, dass die Amtsübernahme durch den Vize-Präsidenten nicht als Amtsperiode gilt, wenn die Amtsdauer weniger als drei Jahre beträgt. Nach Satas Tod hatte Lungu tatsächlich nur eineinhalb Jahre amtiert. Aber er war nach der alten Verfassung 2015 gewählt worden, während nach der 2016 reformierten Verfassung der bereits gewählte Vize-Präsident automatisch nachrückt. Erneut war das Verfassungsgericht gefragt. Entgegen allgemeingültigem Rechtsverständnis, dass Gesetze nicht rückwirkend gelten, übertrug das Gericht die Regelung der reformierten Verfassung auf Lungus Wahl 2015 und urteilte, seine erste Amtszeit sei keine gewesen. (vgl. afrika süd, Dez. 2018)

Auch danach ging die Kontroverse um eine dritte Amtszeit weiter. Insbesondere der Rechtsanwalt Sangwa, der die Law Association of Zambia (LAZ) vor dem Verfassungsgericht vertreten hatte, beharrte auf der Position, dass Lungu zweimal gewählt worden war und daher nicht erneut kandidieren könne. Er erwarte daher, dass die Wahlkommission einen erneuten Antrag Lungus, als Präsidentschaftskandidat anzutreten, zurückweisen werde. Mitte März 2020 machte die PF-Regierung Sangwa mundtot, indem sie ihm – unter Missachtung des dafür vorgeschriebenen Rechtswegs, insbesondere die Anhörung des Betroffenen – jegliches Auftreten vor den Gerichten Sambias untersagte. Diese Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien und offensichtlich politisch motiviertes Vorgehen gegen Sangwa führte zu einer nachdrücklichen Kritik führender regionaler und internationaler rechtlicher Institutionen, die darin eine Verletzung der Unabhängigkeit von Rechtsanwälten in Sambia sahen.

Angriffe auf die Pressefreiheit
Die autokratischen Anwandlungen der Lungu-Regierung im Vorlauf auf die Wahl von 2021 erstreckten sich auch auf die regierungskritischen Medien. Schon 2016 vor seiner zweiten Wahl zum Präsidenten war Lungu gegen „The Post", die wichtigste private Zeitung in Sambia, die im Nachfolgekampf nach Satas Tod den gegnerischen Flügel unterstützt hatte, vorgegangen. Unter dem Vorwand steuerpolitischer Vergehen hatte er sie in den Ruin getrieben.

In der Folgezeit richteten sich die Angriffe der Regierung gegen die Medien verstärkt auf private Fernsehsender und lokale Rundfunkstationen, die auch oppositionelle Stimmen zu Wort kommen lassen und dadurch die Einseitigkeit der regierungsoffiziellen Medien bloßstellen. Ihr Instrument dazu ist die für die Aufsicht der Medien zuständige „Independent Broadcasting Authority" (IBA). Zuletzt griff die IBA Anfang April 2020 in die Pressefreiheit ein, als sie dem privaten Fernsehsender Prime TV, der sich wegen seiner unabhängigen Berichterstattung großer Beliebtheit erfreute, die Sendelizenz entzog. Zur Begründung wurde ohne Angabe genauerer Verstöße lediglich das „öffentliche Interesse" angegeben, und auch die gesetzlich vorgeschriebene Anhörung des Senders wurde missachtet. Da Differenzen des Senders mit der PF-Regierung vorangegangenen waren, lag der Verdacht nahe, ähnlich wie zuvor bei „The Post", dass Lungu vor den Wahlen im nächsten Jahr eine kritische Stimme eliminieren wollte, zumal die Polizei ohne rechtliche Grundlage gleich auch das private Gelände von Prime TV besetzte.

Auf die Kritik namhafter zivilgesellschaftlicher Organisationen, vor allem der Law Association of Zambia, der Lizenzentzug sei illegal, reagierte Lungus Informationsministerin lapidar, die Lizenz von Prime TV wäre abgelaufen gewesen, als hätte es die offizielle IBA-Bekanntgabe vorher nicht gegeben. Als auch Kritik internationaler Stimmen, auch der US-Regierung, gegen die Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien der Meinungsfreiheit laut wurden, schien die PF-Regierung klein beizugeben und erklärte, Prime TV müsse nur eine neue Lizenz beantragen.

Erneute Verfassungsreform
Gegen die 2016 von Lungu in Kraft gesetzte reformierte Verfassung war Kritik erhoben worden, dass sie einige Unstimmigkeiten enthielt, wie z.B. die 14-Tage-Frist für die Behandlung einer Wahlbeschwerde, und daher korrigiert werden müsste. 2019 legte die PF-Regierung den Entwurf einer erneuten Reform der Verfassung vor (Bill No. 10 of 2019), der jedoch mehr war als nur eine Korrektur, sondern substantielle Veränderungen am politischen System Sambias enthielt. Im Kern sah der Entwurf eine deutliche Stärkung der Macht der exekutiven Gewalt, also des Staatspräsidenten, zu Lasten des Parlaments und der Unabhängigkeit der Gerichte vor. Wichtige Errungenschaften der Verfassung von 2016 wurden darin rückgängig gemacht. Die Wahl des Präsidenten durch eine absolute Mehrheit wurde durch die Einführung des Konzepts einer Koalitionsregierung ausgehebelt, nach dem ein Kandidat, der nur eine relative Mehrheit erreicht hat, sich unter den unterlegenen Kandidaten einen Koalitionspartner aussuchen kann, um mit dessen Stimmen die Schwelle zur absoluten Mehrheit zu überspringen. Die Ernennung von Vize-Ministern durch den Präsidenten, ein wichtiges Patronage-Instrument, deren Abschaffung ein wichtiger Erfolg der Verfassung von 2016 war, wurde wieder eingeführt.

Der Verfassungsentwurf der Lungu-Regierung stieß auf verbreitete Kritik der UPND-Opposition und regierungskritischer Teile der Zivilgesellschaft in Sambia, darunter dem seit Jahren bestehenden Oasis-Forum und der neu gegründeten „Chapter One Foundation", die das weitere Abdriften des Landes in autokratische Herrschaftspraktiken befürchteten. Auch namhafte internationale rechtliche Institutionen, wie das „Commonwealth Lawyers Association" und die „International Commission of Jurists", äußerten ihre Vorbehalte. Ungeachtet dieser Kritik brachte die Regierung den Entwurf ins Parlament ein, wo er Ende 2019 in erster Lesung verabschiedet wurde. Für die zweite und dritte Lesung ist jedoch eine Zweidrittelmehrheit erforderlich, über die die Regierung nicht verfügt. Sie versucht daher, die fehlenden 2, 3 Stimmen aus der UPND-Opposition, die über eine Sperrminorität verfügt, durch Lockangebote auf ihre Seite zu ziehen, und hatte für die Parlamentssitzung Mitte März die Abstimmung auf die Tagesordnung gesetzt. Das Corona-Virus machte ihr einen Strich durch die Rechnung, da das Parlament wegen der Pandemie auf unbestimmte Zeit vertagt wurde. Die Regierung bekräftigte aber, sie werde über den Entwurf abstimmen lassen, sobald das Parlament wieder zusammentritt.

Corona-Pandemie verschärft die Krise Sambias
Sambia steuerte schon seit einigen Jahren auf eine Krise zu, die durch die Corona-Pandemie verschärft worden ist. Hatte das Land 2004 von einem internationalen Schuldenerlass profitiert und danach einige Jahre hohe Wachstumsraten erreicht, sodass es in die Gruppe der Länder mit mittlerem Einkommen aufrückte, ist die internationale Verschuldung in den letzten 10 Jahren wieder rapide auf inzwischen 11 Mrd. US-Dollar gestiegen. Die Belastung des Haushaltes durch den Schuldendienst ist dadurch auf 30 Prozent der jährlichen Ausgaben gestiegen. Schon seit drei Jahren kündigt die PF-Regierung immer wieder ein Abkommen mit dem IWF an, das auch die zu Anfang erwähnten sambischen Finanzexperten nachdrücklich fordern, um eine Schuldenkrise zu vermeiden.

Bis heute ist es jedoch zu keiner Einigung gekommen, weil die PF-Regierung und speziell das korruptionsanfällige Lungu-Regime IWF-Kreditkonditionen, die ausufernde Ausgabenpolitik und Aufnahme neuer Kredite einzuschränken, mindestens bis zu den Wahlen 2021 nicht unterschreiben möchte. Denn die Beschaffungspatronage ist zu einem bevorzugten Weg der von höchster Stelle begünstigten Korruption geworden. Schlagzeilen machte der Kauf von 42 gebrauchten Feuerwehrlöschfahrzeugen. Sie sollten insgesamt 4 Mio. US-Dollar kosten. Zwei Jahre später war der Preis, der bezahlt wurde, auf 42 Mio. Dollar gestiegen, eine Million Dollar pro Stück, zehnfach überteuert.

Die Corona-Pandemie hat die wirtschaftliche Krise Sambias verschärft. Wegen zu geringer Regenfälle in den letzten drei Regenzeiten ist es zu Ernteausfällen gekommen und zu Ernährungsengpässen in den südlichen Provinzen. Dazu kamen Ausfälle bei der von Wasserkraft abhängigen Energieversorgung des Landes, die zu häufigen Stromausfällen in der Städten führten. In der aktuellen Krise kommen zu den nationalen Problemen die Rückgänge in der weltweiten Wirtschaftstätigkeit hinzu, von denen Sambias Einkünfte aus dem Kupferexport betroffen sind, durch die wiederum sein Spielraum für Importe beeinträchtigt werden. Die Engpässe auf dem internen Markt haben bereits zu erhöhter Inflation und einem deutlichen Preisanstieg geführt. In dieser aktuellen Situation ist die Regierung einmal mehr an den IWF herangetreten, diesmal wegen eines Kredites aus den kurzfristig bereitgestellten Pandemie-Nothilfemitteln.

Die unruhigen Zeiten, die Sambia durchläuft und die nicht allein, aber auch durch Präsident Lungus Durst nach Macht angeheizt werden, sind durch die Corona-Pandemie um eine schwerwiegende Dimension erweitert worden, die für Lungu nicht unbedingt nachteilig sein wird. In einer Notsituation schlägt die Stunde der Exekutive und bisher hat Sambia durch eher gemäßigte Maßnahmen und selektive Eingriffe, wo hotspots des Corona-Virus aufgetreten sind, relativ klug agiert. Zudem haben die UPND-Opposition oder andere oppositionelle Kräfte die Kritik an der Patronage-orientierten Wirtschaftspolitik und dem zunehmend autokratischen Auftreten der Lungu-Regierung in den letzten Jahren nicht in entscheidende Vorteile für sich ummünzen können.

Peter Meyns

Der Autor ist Professor i.R. für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen.