Die Luanda Leaks enthüllen, wie Tausende mit Waffengewalt aus einem Fischerdorf am geplanten Standort eines Projekts von Isabel dos Santos vertrieben wurden. Anwohner, die vom Strand am Stadtrand vertrieben wurden, leben jetzt unter erbärmlichen Bedingungen an offenen Abwasserkanälen.
Es war nach Mitternacht, als die Polizei nach Areia Branca kam, einer Fischergemeinde auf einer Sandnehrung unweit des Zentrums von Angolas Hauptstadt Luanda. Bagger folgten. Als die Sonne aufging, begannen die Maschinen, die Häuser einzureißen.
50 Jahre lang war das Viertel – auf Deutsch »Weißer Sand« – ein Zufluchtsort für Tausende von Familien. Lehrer, Beamte aus der Stadt und Buntbarschverkäufer entspannten sich nach der Arbeit in geräumigen Hinterhöfen. Die kühle Meeresbrise half, die Moskitos fernzuhalten. Aber dieselben Qualitäten, die ihre armen Bewohner aus der Arbeiterklasse schätzten, machten es – nach Ansicht eines Geschäftskonsortiums unter der Leitung von Isabel dos Santos, Tochter des autokratischen Präsidenten des Landes – auch ideal für eine Küstenstraße und ein Luxushotel, das der Elite einer der am schnellsten wachsenden Städte Afrikas dienen sollte.
Die Vertreibungen vom Juni 2013 seien dann plötzlich und brutal erfolgt, sagen Menschenrechtsaktivisten und ehemalige Bewohnerinnen. Polizei und Militär, darunter auch Mitglieder der Präsidentengarde, legten den Einwohnern Handschellen an und schlugen sie mit Schlagstöcken. Dies geht aus Beschwerden hervor, die von der in Luanda ansässigen gemeinnützigen Organisation SOS Habitat zusammengestellt wurden. Die Polizei warf Fernseher, Generatoren, Matratzen, Töpfe und Bootsmotoren ins Meer und schaltete den Zugang zum Telefonnetz ab.
Die Anwohner wurden angewiesen, so lange an Ort und Stelle zu bleiben, bis alles vorbei war. »Sie hielten uns sieben Tage lang unter freiem Himmel vor unseren zerstörten Häusern fest, ohne Essen und Wasser«, so Talitha Miguel, eine 41-jährige ehemalige Lehrerin. Als man ihnen schließlich erlaubte, das Land zu verlassen, ließen sich viele Bewohner einige hundert Meter entfernt in einer überfüllten Elendssiedlung neben einem flutanfälligen Abflusskanal nieder.
Die Räumungen in Areia Branca sollten einem Stadterneuerungsplan mit einem Umfang von 1,3 Milliarden Dollar Platz machen, den dos Santos verfolgte. Wenige Monate bevor die Bewohnerinnen vertrieben wurden, erhielt ihr Unternehmen vom Präsidenten die Genehmigung, das Projekt zu leiten.
Die Geschichte der Zwangsräumungen und die Not der Vertriebenen in Areia Branca tauchten im Rahmen der Untersuchungen zu den Luanda Leaks auf, die über zwei Jahrzehnte an Insidergeschäften zugunsten der reichsten Frau Afrikas ans Licht brachte. Weder beschreiben noch erwähnen die Dokumente die gewalttätigen Maßnahmen, die die 3.000 Familien in Areia Branca erlebt haben. Allerdings enthalten sie Karten, Sitzungsprotokolle, wissenschaftliche Studien, Rechnungen und andere Akten im Zusammenhang mit den Entscheidungen, die das Schicksal der Gemeinde besiegelten. Um die Verbindungen zwischen den Vertreibungen und dem von dos Santos unterstützten Entwicklungsprojekt zu bestätigen, verbrachte ICIJ Monate damit, durchgesickertes Material mit Informationen zu vergleichen, die in Luanda aus anderen Dokumenten und Interviews gesammelt wurden.
»Bei Korruption auf hohem Niveau, insbesondere in extrem ungleichen Gesellschaften, geht es auch immer um Menschenrechte und den Missbrauch normaler Bürgerinnen«, so Claudia Gastrow, eine Anthropologin an der Universität Johannesburg. »Es gibt wirkliche Opfer.«
Die Meisterin des Masterplans
Um die Jahrtausendwende gehörte Luanda zu den am schnellsten wachsenden Städten Afrikas. Hunderttausende Angolaner hatten sich während eines langen Bürgerkriegs, der 2002 endete, in die relative Sicherheit der Küstenhauptstadt gedrängt. Müllsammelnde Flüchtlinge wetteiferten um Platz in den Gassen zwischen türkisfarbenen Kolonialhäusern, bewachten Eigentumswohnungen und gehobenen Restaurants. Vertreibungen waren an der Tagesordnung. Die Stadt wurde zu einer der teuersten und ungleichsten der Welt. Dieses Chaos spiegelte jedenfalls nicht die Träume des »Paris von Afrika« wider, die die Elite Angolas hegte.
Im Jahr 2010 übertrug Isabels Vater, Präsident José Eduardo dos Santos, seinem Büro die ausschließliche Kontrolle über die Planung des Stadtteils, zu dem Areia Branca gehörte. Tatsächlich wurde diese Regelung Teil des Luanda-Masterplans, wie das umfassende Projekt zur Neugestaltung der Stadt bald genannt wurde. Der Masterplan sah Schnellstraßen vor, die – von Bäumen gesäumt – die Innenstadt nahtlos mit Einkaufszentren, Hotels, Jachthäfen und neuen Häusern verbinden sollten.
Durchgesickerten Dokumenten zufolge sollte Luanda »Afrikas wichtigstes Reiseziel« werden und Angola „von seiner besten Seite" zeigen. Die Befürworter des Plans priesen das Potenzial für neue Arbeitsplätze, Steuereinnahmen und höhere Grundstückswerte. Der Masterplan brauchte eine Meisterin. Also erhielten Anfang 2013 zwei Unternehmen von Isabel dos Santos, Urbinveste und Landscape, den Zuschlag, die Erneuerung des Gebiets zu beaufsichtigen, zu dem Areia Branca gehörte.
In einer Stellungnahme an das ICIJ, die über die britische Anwaltskanzlei Carter-Ruck abgegeben wurde, beschrieb dos Santos Urbinveste später als »Schöpferin der Vision und des Konzepts« hinter dem Projekt. Doch das Projektdesign, sagte sie, stünde in keinerlei Verbindungen zu Räumungen, da es ausschließlich auf Land gebaut werden sollte, das »zu 100 Prozent dem Meer abgewonnen wird«.
Anfang 2013 traf sich Urbinveste mit der niederländischen Wasserbaufirma Van Oord, um einen Projektplan zu erstellen und am 10. Mai legte die Tourismusagentur der Stadt Luanda dem Präsidenten den »Dos-Santos-Plan« vor. Dieser umfasste das Gebiet Areia Branca, wie aus einem geleakten Bericht der Agentur hervorgeht. Der Präsident gab den Startschuss.
Eine Hochgeschwindigkeitsstraße mit Parkplätzen, Restaurants und einem Geschäftszentrum würde Areia Branca und andere nahegelegene Grundstücke ersetzen, so der Entwurf von Urbinveste und ihren Geschäftspartnern. Dokumente zeigen, dass das Unternehmen mindestens 12 Millionen Dollar von der angolanischen Regierung für die Arbeit an dem Projekt erhalten hat.
Aus Verträgen, Tagesordnungen der Meetings und Planungsunterlagen von Luanda Leaks geht hervor, dass Urbinveste ein internationales Team von Auftragnehmern leitete, darunter auch eine hochkarätige britische Designfirma, Broadway Malyan. Das britische Unternehmen erklärte gegenüber dem Guardian, dass ihm die Vorwürfe von Zwangsräumungen nicht bekannt seien und dass seine Arbeit für das Projekt nicht die Räumung von Anwohnern beinhalte. »Broadway Malyan hat sich verpflichtet, bei allen Arbeiten, die es ausführt, auf verantwortungsbewusste und ethische Weise zu handeln«, so die Firma.
Laut vertraulichen Vereinbarungen sollte Urbinveste als Verbindungsglied zu den Regierungsbehörden fungieren, die von dos Santos beaufsichtigt werden. Urbinveste beschäftigte nur wenige Architekten, Designerinnen oder Expertinnen, wie die Dokumente zeigen, die durch das ICIJ geprüft wurden. Dafür machten Sicherheitspersonal und Fahrer laut einem internen Bericht aus dem Jahr 2017 etwa die Hälfte der Belegschaft des Unternehmens aus. Und von der Straßenplanung bis zum Import von Palmen lief bei der Firma alles über Subunternehmen.
Dos Santos war eng in die Planung eingebunden. Wie aus den Dokumenten hervorgeht, reiste sie beispielsweise im Januar 2014 in das Rotterdamer Büro von Van Oord, um die Ergebnisse der topographischen Untersuchungen zu überprüfen, die nach den Räumungen von Areia Branca durchgeführt wurden. Die für Luandas Stadtumbau zuständige angolanische Regierungsbehörde erteilte Urbinveste und Van Oord später einen 615 Millionen Dollar schweren Auftrag zur Neugestaltung der Küste in der Nähe von Areia Branca. Dies zeigen Bankanweisungen, die beide Unternehmen austauschten.
Als Angolas Finanzministerium signalisierte, dass es möglicherweise nicht über genügend Geld verfüge, um einen Teil des Projekts mit Van Oord zu finanzieren, griff Isabel dos Santos ein. »Ich glaube nicht, dass das ein Problem ist«, schrieb dos Santos einem Assistenten in einer E-Mail, »denn wir werden sofort mit dem Finanzministerium sprechen.«
Van Oord war nicht das einzige beteiligte Unternehmen aus dem Westen. Im Jahr 2015 entwarf die internationale Beratungsfirma KPMG in Portugal einen 99-seitigen Business Case zur Förderung des Projekts in Höhe von 315.000 Dollar. Der Consulting-Riese PwC beriet Urbinveste, wie man Zahlungen an Van Oord über Dubai leiten könne, um Zugang zu US-Dollar zu erhalten und Steuern zu sparen. Die Kundenberater der kapverdischen Filiale der Banco BIC mit Sitz in Lissabon, die teilweise im Besitz von dos Santos ist, wickelten die Zahlungen an die Projektberater ab.
Van Oord sagte, dass es sich bei dem 615-Millionen-Dollar-Vertrag nur um einen Kostenrahmen handelte und die Unternehmen diesen Betrag nicht erhalten hätten. Von den Vertreibungen habe man erst erfahren, nachdem Trouw und Het Financieele Dagblad, beides niederländische Zeitungen und Partner von ICIJ, Fragen zu den Luanda Leaks gestellt hatten. Die Familien seien vertrieben worden, bevor das Unternehmen ins Projekt involviert wurde, so Van Oord. Es versprach, seinen Einfluss gegenüber der angolanischen Regierung und den Auftragnehmern geltend zu machen, um sicherzustellen, dass die ehemaligen Bewohner und Bewohnerinnen von Areia Branca eine Entschädigung erhielten.
Im Mai 2019 kündigte João Lourenço, der Isabel dos Santos' Vater ersetzte, die Verträge für Luandas Rundumerneuerung, indem er sie als überteuert bezeichnete. Neue Verträge würden Angola 380 Millionen Dollar sparen, sagte ein Beamter der Lourenço-Verwaltung. Dos Santos und Van Oord hingegen bestreiten überzogene Preise.
Elend und lebensgefährlich
Indessen hat sich die Gemeinde Areia Branca nie von den Vertreibungen erholt. Ehen sind gescheitert, die Arbeitslosigkeit angestiegen und einige Kinder nie mehr in die Schule zurückgekehrt, wie Interviews zeigen. Viele Familien ließen sich einige hundert Meter entfernt in einer anderen Welt nieder, in Povoado.
Hunderte leben heute in einem Labyrinth aus Wellblech- und Holzhütten, die von Abwasserkanälen durchzogen sind. Mit jedem Regen steigt das Wasser an und überzieht Böden, Gassen und das notdürftige Fußballfeld im Slum mit einem dunklen Schlamm. »Besser ich als ein Kind«, sagte ein Mann der niederländischen Zeitung Trouw, nachdem er im November letzten Jahres ausgerutscht und in das tiefschwarze Abwasser gefallen war.
Die Anwohnerinnen klagen seit Jahren über Typhus, Infektionen und Durchfall, wie in einem Brief an den Gouverneur von Luanda und den Gesundheitsminister Angolas zu lesen ist. »Wir leben unter schrecklichen Bedingungen«, so die Anwohner in einem Brief an Lourenço aus dem Jahr 2018, in dem sie um Hilfe bitten. »Krankheit und Tod sind dauerpräsent.«
Der französischen Zeitung Le Monde, ebenfalls ICIJ-Partner, sagte Angolas ehemaliger Staatssekretär für öffentliche Investitionen, Mário Rui Pinto Pires, der Luanda-Plan sei bloß ein schlecht konzipiertes »Infrastrukturprogramm, das vergessen hat, die Menschen mitzudenken«.
Lourenço, der derzeitige Präsident Angolas, lehnte es ab, auf die Fragen der ICIJ zu den Vertreibungen und den Beschwerden der Bewohner zu antworten. Stattdessen besteht er darauf, dass seine Regierung mit der Bekämpfung der Korruption beschäftigt ist. Von den Staatsanwälten ist zu hören, dass sie Geld zurückverfolgen, das angeblich von der Familie dos Santos und ihren Mitarbeiterinnen aus dem Land gebracht wurde, und dass sie mit den USA, Großbritannien, der Schweiz, Brasilien, Portugal und dem Kongo zusammenarbeiten. Erst Wochen, nachdem das ICIJ Isabel dos Santos detaillierte Fragen gestellt hatte, fror die angolanische Staatsanwaltschaft ihr Vermögen ein und wies sie an, eine Milliarde Dollar zurückzuführen.
Nach der Veröffentlichung der Luanda Leaks kündigten die portugiesische Staatsanwaltschaft, die Zentralbank und die Aufsichtsbehörde für den Wertpapiermarkt an, ihre Geschäftsbeziehungen zu überprüfen. Dos Santos indes besteht darauf, dass sie nichts falsch gemacht habe, und beschuldigt Lourenço, eine politische »Hexenjagd« zu betreiben.
Areia Branca ist heute eine leere Strandpromenade. Ein einsamer Polizeibeamter scheucht an einem Herbstnachmittag ein paar lärmende Pfadfinder fort, die zum Schwimmen gekommen waren. Wo einst einfache Kähne frische Buntbarsche in ein geschäftiges Dorf brachten, schlagen nun Wellen mit leeren Shampooflaschen, Autositzen und Limonaden-Dosen gegen das verschmutzte Ufer.
Will Fitzgibbon
Übersetzung: Daniel Düster
Der englische Originalbeitrag erschien am 27. Januar 2020 auf der Seite des ICIJ.
https://www.icij.org/investigations/luanda-leaks/luanda-leaks-reveals-thousands-forced-at-gunpoint-from-fishing-community-at-site-of-dos-santos-project/