Heft 3/2021, Mosambik

Das Drama von Palma

NEUE ESKALATION IM KONFLIKT VON CABO DELGADO. 800.000 interne Flüchtlinge und fast 3000 Tote hat der bewaffnete Konflikt durch radikal-islamistische Aufständische bislang gefordert. Erst als Ende März bei einem Angriff auf die Stadt Palma erstmals auch Ausländer betroffen waren, die für das größte Gasverflüssigungsprojekt Afrikas arbeiten, erreichte der Konflikt die internationale Öffentlichkeit.

Die neue Dimension, die der Konflikt in Cabo Delgado durch die Ereignisse in Palma in der weltweiten Aufmerksamkeit und internationalen Medienberichten genießt, ignoriert weitgehend die Verantwortung der indirekten Verursacherin des Konflikts: Die von der Frelimo-Elite angeführte Regierung in Maputo, die aus purer Gier und Arroganz, fernab von den leidenden Menschen und der Realität in Cabo Delgado, jahrelang nicht tätig wurde, hat erst die Situation zu einer solchen Dimension anwachsen lassen. Sie ignorierte die Sorgen einer radikalisierten lokalen Jugend, die sich ausgeschlossen und ohne Zukunftsaussichten fühlt. Sie ist wachsender Armut und Ungleichheit ausgesetzt, während die Oligarchen der Frelimo den Reichtum der Provinz mit Bergbau- und Gasunternehmen unter sich aufteilten. Unterstützt wird die Regierung dabei von einer internationalen Gemeinschaft, die sich noch immer nicht von dem Paradigma des „Donor-Lieblings Mosambik" getrennt hat und weiterhin dem Narrativ Maputos folgt.

Der Angriff auf Palma
Der Angriff auf die nördliche Distrikthauptstadt Palma kam überraschend und ereignete sich am hellen Tag: Am Nachmittag des 24. März 2021 griffen etwa 100 bewaffnete Aufständische in einer äußerst gut koordinierten Aktion an. Palma liegt nur etwa 20 km von der Baustelle des größten Gasverflüssigungsprojekts (LNG) in Afrika entfernt. Zuvor hatten mehrere kleinere Ablenkungsangriffe in Orten weiter von Palma entfernt stattgefunden. Das hatte zur Folge, dass die wenigen in Palma stationierten Sicherheitskräfte dorthin abrückten. Ein weiteres größeres Kontingent der mosambikanischen Armee war auf der LNG-Baustelle gebunden und so war die Stadt fast völlig ungeschützt den Angreifern ausgesetzt. Zum Zeitpunkt des Angriffs befanden sich in der Stadt etwa 100.000 Menschen.

Die Aufständischen gingen bei ihrem Angriff sehr gezielt vor. Einige hatten sich schon zuvor unter die Gruppe der flüchtenden Bevölkerung aus den angegriffenen Dörfern gemischt. Sie sickerten so, im Schutz dieser Flüchtlinge, in die Stadt und verbündeten sich dort mit den Gruppen, die die Stadt von außen angriffen. Zuerst sprengten sie den Übertragungsmast für das mobile Telefonnetz und unterbrachen damit jede Kommunikation nach außen. Sodann gingen sie in einer ebenso gezielten Aktion und mit sehr großer Ortskenntnis von Haus zu Haus auf der Suche nach Angestellten der Regierung. Jene, die sie vorfanden, wurden brutal umgebracht. Zielstrebig verwüsteten sie offizielle Gebäude wie die Distriktverwaltung, steckten diese in Brand und plünderten bestimmte Läden. Die drei in der Stadt befindlichen Banken wurden ebenfalls angezündet und deren Tresore geplündert. Die Bevölkerung floh in Panik in die umliegenden Wälder und ein Teil der Regierungsangestellten sowie ausländischen Mitarbeiter der am Gasprojekt beteiligten Firmen flüchtete sich in das Hotel Amarula, dem scheinbar einzig sicheren Zufluchtsort mit einem Hubschrauberlandeplatz.

Die mosambikanischen Sicherheitskräfte wurden von dem Angriff völlig unvorbereitet getroffen. Als Erstes trafen die wenigen Hubschrauber der südafrikanischen „Sicherheitsfirma" DAG (Dyke Advisory Group) zur Rettung der Eingeschlossenen ein und versuchten die Geflüchteten aus dem Hotel Amarula zu evakuieren, allerdings waren ihre kleinen Hubschrauber für diesen Zweck äußerst ungeeignet. Bei einem selbstorganisierten Fluchtversuch von etwa 100 im Hotel eingeschlossenen Menschen wurde deren Konvoi angegriffen. Schätzungen zufolge kam die Hälfte von ihnen bei dem Fluchtversuch um.

Andere Bewohner:innen Palmas flohen zu Fuß an den Strand und wurden dort von kleinen Booten und Schiffen in einer einmaligen Rettungsaktion aufgenommen. Die Aufständischen hielten die Stadt mehrere Tage lang besetzt und erst am 29. März erklärten die inzwischen mit Verstärkung angerückten mosambikanischen Streitkräfte, dass die Stadt wieder unter ihrer Kontrolle sei. Doch selbst dieses erwies sich als Trugschluss, denn eine erstmalig für einen Besuch zugelassene Gruppe von Journalisten kam bei ihrer Tour durch Palma unter Beschuss, was zeigte, dass die Stadt immer noch nicht sicher war. Auch sechs Wochen nach dem Überfall auf Palma kommt es immer wieder zu Scharmützeln in den Außenbezirken der Stadt, die zu zwei Dritteln komplett zerstört sein soll.

Haltung der Regierung Nyusi
Sieben Tage nach dem Überfall auf Palma hatte sich der mosambikanische Präsident Filipe Nyusi noch immer nicht zu dem Überfall geäußert, stattdessen aber sein übliches Programm fortgesetzt und eine neue Brauerei eröffnet, als wäre nichts geschehen. In der ersten öffentlichen Ankündigung spielte er den Vorfall herunter und sagte „Wir dürfen uns nicht aus der Ruhe bringen lassen und den Fokus verlieren. Das ist es, was die inneren und äußeren Feinde wollen."

Wie ist es möglich, dass eine Stadt angegriffen wird, viele ihrer Bewohner:innen brutal getötet und die Mehrheit zur Flucht gezwungen wird und der Präsident des Landes sich nicht sofort öffentlich dazu äußerst? Bis heute hat der Präsident weder Palma noch eines der Flüchtlingslager besucht. Selbst die ehrwürdige, oftmals sehr diplomatische Graça Machel, Witwe des Staatsgründers Samora Machel und des einstigen südafrikanischen Präsidenten Nelson Mandela, äußerte sich in einem Interview deutlich und schockiert über den fehlenden Respekt und Fürsorge des Präsidenten für seine Bürgerinnen und Bürger, aber auch über die mangelnde Transparenz in der Berichterstattung. Die unabhängige lokale Presse wird weiterhin daran gehindert, von vor Ort in Palma zu berichten. Auf kritische Berichte über den Konflikt folgen Vorwürfe fehlender Loyalität und Journalisten werden bedroht.

Selbst der neue mosambikanische Bischof von Pemba, António Juliasse, der den aufgrund von Todesdrohungen nach Brasilien versetzten Bischof Dom Luis ersetzt hat, äußerte sich kürzlich sehr klar: „Wenn ich Präsident wäre, würde Cabo Delgado ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Ich würde jeden Tag darüber sprechen. Ich würde andere Funktionen delegieren. Ich würde mich dieser einen Sache, die wirklich die nationale Souveränität betrifft, voll und ganz widmen."

Der Umgang der Regierung mit dem Konflikt weist auf Unstimmigkeiten innerhalb der Frelimo hin. Die Regierungspartei zieht sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zurück, das Problem wird klein geredet und es wird behauptet, man habe alles unter Kontrolle. Angebote ausländischer Unterstützung werden mit dem Hinweis auf die Souveränität Mosambiks abgelehnt. Der Bürgermeister von Quelimane, Manuel Araujo, fand dazu in einem Interview im Sender STV deutliche Worte: „Heute sehen wir, dass unser Staat in der Tat ein gescheiterter Staat ist, der die nationale Souveränität nicht garantieren kann, der Städte und Distrikte nicht verteidigen kann, ... der verfassungsmäßige Rechte nicht garantieren kann, das Recht auf Sicherheit, das Recht auf Frieden, und der keine menschenwürdigen Bedingungen für diejenigen garantieren kann, die Opfer sind, die geflohen sind oder die nach besseren Lebensbedingungen suchen. Wir haben also auf der ganzen Linie versagt; wir haben im physischen Krieg versagt (...) und wir versagen in der humanitären Hilfe."

Wachsendes Flüchtlingsdrama
Der Angriff auf Palma hat das Flüchtlingsdrama im Norden Mosambiks (siehe dazu die Berichte in afrika süd 1 und 2/2021) extrem verschärft. Mit Beginn des Angriffs flüchteten die Menschen aus Angst, den Aufständischen in die Hände zu fallen, ohne Hab und Gut, direkt in die umliegenden Wälder. Dort verbrachten sie Tage ohne Essen und Trinken, bevor sie Zuflucht in halbwegs sicheren Dörfern fanden. Familien wurden auseinandergerissen, Kinder flohen alleine, wissen nicht wo ihre Eltern sind und umgekehrt. Etwa 20.000 Bewohner:innen aus Palma flohen in den Compound des Mineralölkonzerns Total und versuchten Platz auf einem der Schiffe nach Pemba zu bekommen, die der Konzern für die Totalevakuation seiner Baustelle angefordert hatte. Nach Informationen des UNHCR befinden sich inzwischen wegen der unsicheren Lage in Palma etwa 30.000 Flüchtlinge im benachbarten Umsiedlungscamp von Quitunda, ohne Zugang zu ausreichend Nahrung und Gesundheitsversorgung, traumatisiert durch das, was ihnen widerfahren ist, und zunehmend physischer Gewalt ausgesetzt, falls sie versuchen, das Camp zu verlassen. Andere Bewohner:innen Palmas versuchten sich über die Grenze nach Tansania in Sicherheit zu bringen, wurden aber von dort zurückgeschickt, was zu massiver Kritik von UN und Hilfsorganisationen an der Regierung Tansanias geführt hat. Internationale Hilfsorganisationen beklagen, dass ihren Mitarbeiter:innen Visa verweigert oder deren Ausstellung verzögert und ihnen der Zugang zu den Camps verwehrt wird. Statt sich um die Flüchtlinge zu kümmern, macht sich der Staat mehr Sorgen darum, dass sie von Aufständischen infiltriert sein könnten oder mit denen zusammenarbeiten.

Total stoppt Gasprojekt
Genau vor der Küste der von dem bewaffneten Konflikt betroffenen Distrikte befinden sich die größten Gasvorkommen Afrikas. Mehrere Konsortien internationaler Energiekonzerne wollen diese ausbeuten, allen voran der französische Konzern Total. Er errichtet auf der Halbinsel Afungi, 20 km von Palma entfernt, ein gigantisches Projekt zur Gasverflüssigung mit einem geschätzten Investitionsvolumen von 20 Mrd. US-Dollar.

Anfang Januar diesen Jahres kam es dort jedoch zu bewaffneten Auseinandersetzungen bis kurz vor den Sicherheitszaun der Baustelle. Total unterbrach daraufhin alle Arbeiten und zog einen Teil seiner Arbeiter ab. Damit der Konzern seine Arbeiten wieder aufnehmen konnte, einigte man sich mit der mosambikanischen Regierung darauf, einen Sicherheitsgürtel von 25 km um die Baustelle zu errichten und diesen mit 800-1000 Soldaten zu schützen, so dass Total am 24. März erklärte, die Arbeiten wieder aufzunehmen. Doch genau da geschah dann der Überfall auf Palma.

Da sich die Sicherheitslage selbst vier Wochen nach dem Angriff nicht verbesserte, erklärte der Konzern am 26. April „Force Majeure" („Höhere Gewalt") bezogen auf die Sicherheitssituation seines LNG-Projekts. Die Auswirkungen dieser Erklärung sind immens: Total sieht sich aufgrund der kriegerischen Ereignisse, die außerhalb seiner Kontrolle geschehen, nicht länger verpflichtet, Verbindlichkeiten, Verpflichtungen oder Verantwortlichkeiten im Rahmen seiner Verträge zum LNG-Projekt einzuhalten. Damit ist das Projekt noch nicht grundsätzlich in Frage gestellt, der Konzern betont jedoch, dass er nicht eher zurückkomme, bevor Sicherheit und Stabilität in der Provinz Cabo Delgado auf nachhaltige Weise wieder hergestellt seien.

Die Vertragsaussetzung durch Total hat zu massiver Verunsicherung geführt, ob das Projekt jemals wieder aufgenommen wird, ungeachtet der Versicherung seitens Total und der Regierung, das Projekt weiterführen zu wollen. Experten:innen zufolge muss mit einer Verzögerung von mindesten ein bis zwei Jahren gerechnet werden. Die direkten Folgen der Erklärung von „Höherer Gewalt" bedeuten für viele, vor allem lokale Subunternehmer, den totalen Ruin sowie die Arbeitslosigkeit von bis zu 6000 damit verbundenen Arbeitskräften.

Total zieht sich aus der Verantwortung und behauptet, es habe keine Schulden gegenüber seinen Auftragnehmern, und weigert sich deshalb, diese zu bezahlen, erlaubt ihnen aber auch nicht, ihre Ausrüstung aus Afungi zu entfernen. Zurzeit wird zwischen Total, der französischen Botschaft und dem mosambikanischen Unternehmerverband CTA verhandelt. Voraussichtlich wird Präsident Nyusi auf dem französischen Afrika-Gipfel (18. Mai) direkt mit Frankreichs Präsident Macron die Lage erörtern.

SADC-Truppen zur Unterstützung?
Das Narrativ der mosambikanischen Regierung zu den bewaffneten Auseinandersetzungen lautet, dass es sich dabei um international gesteuerten Terrorismus handelt. Diesem Narrativ folgend sehen auch die Mitgliedsstaaten der SADC eine Bedrohung ihrer Staaten. Trotzdem weigert sich die Regierung in Maputo, gemeinsam mit den SADC-Staaten eine militärische Schutzmacht aufzustellen. Mehrere Treffen schlugen bisher fehl oder wurden vertagt. Ein technisches Team der SADC hatte die gemeinsame Stationierung von bis zu 3000 Soldaten vorgeschlagen, doch dieser Vorschlag wurde als „nicht offiziell" abgelehnt und eine Entscheidung vertagt.

Angenommen hat Maputo bisher kürzere Ausbildungsangebote für seine Streitkräfte sowohl von den USA, deren zweites Training gerade beendet wurde, als auch von Portugal. Die Maßnahmen beider Länder finden jedoch nicht in Cabo Delgado statt. Mosambik will dort keine ausländischen Truppen zulassen und die Frage ist auch, inwieweit sich internationale Partner in eine Mission mit „boots on the ground" hineinziehen lassen wollen.

Was die EU betrifft, so versucht diese seit September letzten Jahres eine Unterstützung mit ihrem sogenannten „Triple-Nexus-Ansatz" zu realisieren, das heißt unter den Aspekten von Sicherheit, humanitärer Hilfe und Entwicklung. Nach mehr als einem halben Jahr ist jedoch außer einem sogenannten Policy Paper nichts geschehen. Der Außenbeauftrage Borrell gab nach einem Treffen der EU-Außenminister bekannt: „Die mosambikanische Regierung hat um Hilfe gebeten. Wir werden versuchen, eine EU-Trainingsmission zu entsenden, wie wir sie in der Sahelzone haben, um die Sicherheitslage in Mosambik einzudämmen."

Der jahrelange Einsatz im Sahel hat allerdings die Lage des Großteils der Menschen dort nicht verbessert. Oxfam schreibt dazu in einer Analyse: „Die EU-Strategie sollte die wirklichen Konflikttreiber ansprechen, wie z.B. eine nicht rechenschaftspflichtige und unfaire Regierungsführung und anhaltende Ungleichheiten. Was in der Strategie ebenfalls fehlt, ist die Stimme der Menschen in der Sahelzone."

Und genau das fehlt auch in Mosambik. Ohne den politischen Willen der Regierung in Maputo, ohne die Garantie unterstützender Rahmenbedingungen, werden all diese Versuche nicht zu einer Lösung des Konflikts beitragen. Darauf weisen verschiedene internationale Studien wie die von Chatham House hin, die sagt: Solange sich das vorherrschende Paradigma der Terrorismusbekämpfung auf den Begriff des globalen Dschihad konzentriert und nicht auf den korrupten und repressiven Staat, der es versäumt, seinen Bürgerinnen und Bürgern soziale Dienste und Sicherheit zu bieten, wird sich der Konflikt hinauszögern und zu mehr Gewalt und Leid unter der betroffenen Bevölkerung führen.

Michael Hagedorn