Heft 3/2021, Mauritius

Die vergessene Katastrophe

DAS ÖL VOR MAURITIUS. Am 25. Juli 2020 lief ein japanisches Frachtschiff vor Mauritius auf ein Korallenriff auf und löste eine Umweltkatastrophe aus. Im März 2021 hätte sich das Desaster beinahe wiederholt, als ein chinesisches Schiff mit 130 Tonnen Heizöl an Bord verunglückte. Der Inselstaat im Indischen Ozean liegt an einer der am dichtesten befahrenen Schifffahrtsrouten der Welt. Umweltschützer fordern eine maritime Schutzzone.

Wenige Tage, nachdem das japanische Frachtschiff MV Wakashio nahe an der Küste von Mauritius auf Grund gelaufen war, fing das Wrack an Öl zu verlieren. Am 15. August 2020 brach es schließlich in zwei Teile. Auf seiner Route von China nach Brasilien war der Frachter mit 200 Tonnen Diesel und mehr als 3.800 Tonnen Schweröl beladen gewesen. Während das direkte Unglücksereignis und der darauffolgende Ölverlust noch einiges an Aufmerksamkeit auf sich zogen, geriet die Berichterstattung über die verheerenden Folgeschäden für den Inselstaat und sein Ökosystem seitens der internationalen Medienlandschaft schnell in Vergessenheit. Die Folgen der Katastrophe sind jedoch weiterhin dramatisch und die Gefahr für Natur und Mensch längst nicht gebannt. Auch die Frage nach der Verantwortlichkeit ist nicht abschließend geklärt.

Der Tag, an dem sich das Meer schwarz färbte und dicke ölige Wellen auf die paradiesischen Strände zurollten, ist den Menschen der Insel auf schmerzlichste Weise präsent. Wirtschaftlich war schon die erste Jahreshälfte schlecht verlaufen. Die durch die weltweite Corona-Pandemie verursachten Grenzschließungen hatten vor allem dem Tourismus, der einer der wirtschaftlichen Schlüsselsektoren auf Mauritius darstellt, einen harten Dämpfer versetzt. Aus Sicht der Mauritier*innen ist es aber die zweite Krise des Jahres, die ihnen jegliche Hoffnung auf baldige Wiederherstellung der gewohnten Lebensweise nimmt. Sowohl die für die Ernährungssicherung essenzielle Fischerei als auch die Tourismusbranche, die Besucher mit Bildern von weißen Stränden, türkisem Wasser und einer beeindruckenden Unterwasserwelt lockt, sind von einem funktionierendem maritimen Ökosystem abhängig.

Schlimme Folgen für das Ökosystem
Vikash Tatayah, der Direktor der Mauritian Wildlife Foundation, bezeichnet den Unfall als die größte Katastrophe in der Geschichte Mauritius. Besondere Sorge bereiten ihm die Folgen für das Ökosystem und die Biodiversität, die nicht nur kurz-, sondern mittel- und langfristig spürbar werden könnten. Bevor der Ölverlust gestoppt werden konnte, verlor der Tanker mehr als 1000 Tonnen Öl. Dieses bedeckt seither 100 Quadratkilometer Meeresoberfläche. Er geht davon aus, dass zahlreiche Tier- und Pflanzenarten, die Umweltschützer*innen seit Jahren vor dem Aussterben zu retten versuchen, nun endgültig verloren sein könnten. Die MV Wakashio lief in unmittelbarer Nähe von zwei Naturschutzgebieten auf Grund. Mehr als 50 tote Delfine und Wale wurden vergiftet an die Strände gespült.

Die Säuberung der Küsten geht derweilen extrem langsam voran. Kleine Trupps reinigen Strände und am Wasser liegende Mangrovenwälder in Handarbeit. Nach eigener Aussage kostet sie die Säuberung eines 15 Meter langen Küstenabschnitts bis zu zwei Wochen. Viele der Arbeiter*innen verfügen nicht über ausreichende Schutzkleidung. Meist gehören den eilig zusammengestellten Trupps Fischer*innen und jene Einwohner*innen, die normalerweise in der Tourismusindustrie arbeiten, an. Diejenigen, die sich nicht selbst mit passender Ausrüstung schützen können, stehen mit nackten Beinen im vergifteten Wasser. Auch Masken, die vor den giftigen Dämpfen des Öls schützen, sind nicht ausreichend vorhanden.

Aufgebracht fordern die Helfer*innen an der Front nach mehr helfenden Händen und ausreichender Schutzkleidung. Besonders zu Beginn der Katastrophe berichteten sie von starken Reizungen der Lippen, Augen und der Lungen, die durch die Dämpfe verursacht wurden. Neben den nicht absehbaren gesundheitlichen Langzeitschäden für die gesamte Bevölkerung von Mauritius hat das Unglück vier direkte Todesopfer gefordert. Am 31. August kenterte ein Schlepper, welcher das aus dem Wrack abgepumpte Öl bergen sollte. Von der aus sechs Männern bestehenden Besatzung konnten nur zwei gerettet werden.

Der Umgang mit der Krise seitens der Regierung wurde von der Bevölkerung, aber auch von Umweltorganisationen stark kritisiert. Im August und September des letzten Jahres forderten mehr als zehntausend Demonstrant*innen eine umfassende Aufklärung über die Ursachen des Unglücks. Sie warfen der Regierung vor, Informationen zurückzuhalten und die Verantwortlichen zu decken, anstatt sie zur Rechenschaft zu ziehen. Greenpeace weist darüber hinaus darauf hin, dass die Regierung von Mauritius nicht nur nicht genug dafür tue, das aktuelle Unglück aufzuklären, sondern auch keine Schritte einleite, die Insel vor künftigen Katastrophen zu bewahren. Greenpeace fordert, die Regierung solle rund um Mauritius eine maritime Schutzzone einrichten. Mehr als 2000 Schiffe fahren monatlich an Mauritius vorbei. Eine solche Schutzzone würde bewirken, dass jene Schiffe, die nicht an der Insel anlegen, diese weiträumig umfahren müssten.

Die Verantwortlichen
Neue Dokumente, die größtenteils investigativ von verschiedenen internationalen Organisationen zusammengetragen wurden, zeigen, dass sich die Verantwortlichkeit für das Unglück auf drei einflussreiche Akteure aufzuteilen scheint: auf die japanische Reederei Mitsui OSK Lines (MOL), den Mineralöl- und Energiegiganten BP und die internationale Schifffahrtsbehörde der Vereinten Nationen (IMO). Zunächst scheint nun sicher, dass der Tanker mit einem neuen und experimentellen Motoröl betankt war, welches weltweit mit Motorausfällen von Schwerschiffen in Verbindung gebracht wird. Das Öl mit dem Namen Very Low Sulfur Fuel Oil (VLSFO) wurde im Januar 2020 von der IMO im Eilverfahren und ohne ausreichende Prüfung zugelassen. Mittlerweile werden 70 Prozent aller großen Schiffe weltweit von dem neuen Öl angetrieben. 2020 ist die Zahl von schweren Schiffsunfällen weltweit um 20 Prozent gestiegen, ohne dass die IMO Untersuchungen über die Ursache dieses Anstiegs eingeleitet hat. Mit dem Öl, das Greenpeace auch als Superschadstoff bezeichnet, wurde die MV Wakashio in Singapur betankt. Der Lieferant des Öls war das Unternehmen BP.

Schon zum Zeitpunkt der Betankung, so ist es den Dokumenten zu entnehmen, war sowohl BP als auch dem Schiffsinhaber bekannt, dass der Treibstoff mehrere Sicherheitsparameter überschritt. MOL ließ der Besatzung des Tankers nach dem Verlassen des Singapurer Hafens sogar einige Anweisungen darüber zukommen, wie mit dem fehlerhaften Öl umzugehen sei. Am 20. Juli, sieben Tage nach der Betankung in Singapur, trafen Proben des Öls in den Testlaboren von MOL ein. Nur einen Tag später änderte die MV Wakashio außerplanmäßig ihren Kurs. Kritiker*innen vermuten, dass MOL zu diesem Zeitpunkt aufgefallen war, wie kritisch das Öl wirklich war und die Reederei schon zu diesem Zeitpunkt befürchtete, der Tanker könnte baldige mechanische Probleme bekommen. Trotz der Fragen aufwerfenden Faktenlage betonte MOL im Januar dieses Jahres erneut, dass die zum Unglück führende Grundberührung ausschließlich auf Navigationsprobleme zurückzuführen sei und nichts mit dem Kraftstoff oder mechanischen Schwierigkeiten zu tun hätte.

Die Zusammensetzung des Superschadstoffs scheint für Mensch und Umwelt besonders kritisch zu sein. Um die Risiken für die Menschen auf Mauritius abschätzen zu können, wäre deshalb eine genaue Untersuchung des Öls von höchster Wichtigkeit. Die unverdünnten Proben des Kraftstoffs, die für eine solche Untersuchung sehr hilfreich wären, werden von BP jedoch konsequent zurückgehalten. Da die im Öl enthalten Chemikalien in den Ernährungskreislauf von Mauritius eindringen und schon die Dämpfe als krebserregend eingestuft werden, interpretieren Kritiker*innen das Zurückhalten der Proben seitens BP als eine Menschenrechtsverletzung.

Auch seitens der IMO, so geht es aus den gesammelten Papieren hervor, scheint es einige Versäumnisse gegeben zu haben. Zunächst ist es, wie bereits angesprochen, höchst fragwürdig, dass das VLSFO in einem nicht ausreichend geprüften Eilverfahren zugelassen wurde. Darüber hinaus, so kritisieren Greenpeace und Co., scheint es auf Grund intransparenter Richtlinien für Schiffstreibstoffe ohnehin so zu sein, dass die Behörde kaum einen Überblick über die zahlreichen Chemiecocktails hat, mit denen Frachtschiffe weltweit betankt werden. Dieses Versagen der Aufsichtspflicht seitens der internationalen Behörde ist also keinesfalls als Ausrutscher anzusehen, sondern deutet auf systematische Versäumnisse hin.

Auch durch ihre Reaktion auf Nachfragen macht sich die IMO eher verdächtig, über die Brisanz des Themas und ihre eigenen Fehler Bescheid zu wissen, ohne dabei aber an einer bereinigenden Aufklärung interessiert zu sein. Zeitweise waren Interviews nur mit zuvor abgesprochenen Fragen möglich oder wurden kurzfristig ganz abgesagt. Hinzu kommt, dass die IMO einer der UN-Behörden ist, die nicht zu einer freien Informationspolitik verpflichtet ist.

Um die gesundheitlichen Folgeschäden für die Mauritier und die negativen Auswirkungen auf die Biodiversität der Insel weitestmöglich abzufedern, sollte dem Unglück weiterhin mit größter internationaler Anstrengung entgegengewirkt werden. Darüber hinaus ist die Krise als internationaler Weckruf zu deuten, der dazu anhalten sollte, die Umweltverträglichkeit des Schifffahrtssektors zu verbessern.

Obwohl der maritime Güterverkehr ein essenzieller Bestandteil des globalisierten Handelssystem ist, bleibt die für die Klimakrise bedeutende Umweltbelastung, die von den Frachtschiffen ausgeht, in der Öffentlichkeit weitestgehend unbeachtet. Auch aus dem Pariser Klimaabkommen von 2015, darauf weisen Umweltorganisationen hin, wurde die Schifffahrt stillschweigend ausgenommen. Die Gefahr, die von ihr ausgeht, bleibt solange unbeachtet, bis es zu spät ist. Die Folgen eines Unglücks in dieser Branche, so zeigt es das Beispiel Mauritius, sind dafür umso verheerender.

Annika Fränken

Die Autorin studiert Philosophie und Politikwissenschaften und war in diesem Jahr als Praktikantin bei der issa tätig.